OGH 14Os99/98

OGH14Os99/988.9.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. September 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Urban als Schriftführer, in der Strafsache gegen Andreas Franz H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Feber 1998, GZ 4a Vr 8.908/97-74, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, des Angeklagten Andreas Franz H***** und seines Verteidigers Dr. Lirsch zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Andreas Franz H***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und demzufolge in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas Franz H***** - abweichend von der wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB erhobenen Anklage (ON 47) - des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 5. September 1997 in Wien den Helmut H***** vorsätzlich am Körper verletzte, indem er einen gläsernen Aschenbecher wuchtig gegen dessen Kopf schlug, wodurch er zwei Rißquetschwunden an der Stirne und im Bereich der rechten Scheitelseite, zahlreiche Splitterverletzungen an der rechten Gesichtsseite, eine kleine Blutunterlaufung und Schwellung am linken Augenaußenwinkel und eine Rötung der Haut am Nasenrücken sowie Einkerbungen am Schädeldach erlitt.

Nach den im Ersturteil getroffenen Feststellungen konnte dem Angeklagten Andreas Franz H***** eine schwere Körperverletzung und ein absichtliches Handeln nicht nachgewiesen werden (US 16).

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft mit dem Ziel einer rechtlichen Beurteilung der Tat primär als absichtliche schwere Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB, in eventu als Versuch dieses Verbrechens, oder als schwere Körperverletzung iS der §§ 83, 84 Abs 1 StGB.

Rechtliche Beurteilung

Nicht gefolgt werden kann zunächst der staatsanwaltschaftlichen Argumentation, die Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite wiesen insoferne einen Feststellungsmangel (Z 10) auf, als sie nicht auf die durch die Tatbegehung indizierte Absicht abstellten, eine schwere Körperverletzung zuzufügen. Denn der gerügte Ausspruch kann - ungeachtet seiner sprachlichen Unschärfe - im Zusammenhalt mit den vorstehenden Urteilsausführungen nur dahin verstanden werden, daß eine Absicht des Angeklagten im Sinne des § 87 Abs 1 StGB nicht nachgewiesen werden konnte.

Zu Recht weist die Beschwerdeführerin aber auf das Fehlen jedweder Begründung (Z 5) dieser Feststellung hin.

Für die Frage, ob die von § 87 Abs 1 StGB verlangte Absicht gegeben ist, kommt der Art der Verletzungshandlung und den äußeren Umständen, unter denen sie erfolgte, entscheidende Bedeutung zu. Da in der dem Angeklagten angelasteten Begehungsweise - wuchtiger Schlag mit einem dabei zerbersteden Aschenbecher gegen den Kopf eines anderen (US 3, 8, 10 f) - ein Indiz für die geforderte Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) erblickt werden kann, wäre das Erstgericht zur Darlegung jener Gründe, die gegen die Annahme dieses Vorsatzerfordernisses maßgeblich waren, verhalten gewesen.

Schließlich kann auch dem Einwand (Z 10) der Beschwerdeführerin, die Verletzung des Helmut H***** sei vom Erstgericht unzutreffend als leicht beurteilt worden (US 8, 16), im Ergebnis Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Das Tatopfer hat nach den gerichtsärztlichen Gutachten durch den Schlag mit dem Aschenbecher ua mehrere Einkerbungen des Schädeldaches (Beschädigung der äußeren Knochentafel) erlitten (S 317, 329/I), die von der Sachverständigen Dr. Elisabeth F***** unter Hinweis auf ihre Oberflächlichkeit und die Nichtbeschädigung des Gehirnes als Verletzung (noch) leichten Grades bezeichnet wurden (S 519/I).

Entgegen der von der Staatsanwaltschaft vertretenen Auffassung kann eine (oberflächliche) Einkerbung des Schädeldaches nicht ohne weiters mit einem Knochenbruch gleichgesetzt werden.

Die Beurteilung der Rechtsfrage, ob eine an sich schwere Verletzung vorliegt, obliegt als juristische Wertung, für welche der ärztliche Sachverständige die Grundlage liefert, allein dem Gericht.

Die Frage der Einstufung einer Verletzung (bzw Gesundheitsschädigung) als "an sich schwer" ist nach den (in ihrem Zusammenwirken zu wertenden) Kriterien zu lösen, die allgemein für den Grad von Körperverletzungen maßgeblich sind. Abzustellen ist demnach auf die Wichtigkeit des betroffenen Organes oder Körperteiles, die Intensität und das Ausmaß der auftretenden Krankheitserscheinung, den Gefährlichkeitsgrad der Verletzung, die Ungewißheit des Heilungsverlaufes und die Möglichkeit weiterer gesundheitsschädlicher Folgen sowie auf den körperlichen Zustand des Opfers vor Zufügung der Verletzung (Foregger ÖJZ 1978, 153; Leukauf/Steininger Komm3 RN 7; Burgstaller, WK Rz 18 und Foregger/Kodek StGB6 Anm III jeweils zu § 84).

Das Erstgericht hat sich der (eher vagen) Beurteilung der gerichtsmedizinischen Sachverständigen unkritisch angeschlossen, ohne auf die angeführten, in Judikatur und Literatur anerkannten Kriterien Bedacht zu nehmen und entsprechende Feststellungen zu treffen. Erst nach Vervollständigung der für die Tatfolgenqualifikation maßgeblichen Prämissen (Ergänzung des gerichtsärztlichen Sachverständigengutachtens) wird eine verläßliche Beurteilung des Grades der gegenständlichen Kopfverletzungen möglich sein.

Den bezeichneten Urteilsaussprüchen haften demnach entscheidungsrelevante Begründungs- und Feststellungsmängel im Sinne der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe an, die zur Aufhebung des Ersturteiles im bezeichneten Umfang und zur Erneuerung des Verfahrens erster Instanz zwingen (§ 288 Abs 2 Z 1 und Z 3 letzter Satz StPO).

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