OGH 12Os89/98 (12Os90/98)

OGH12Os89/98 (12Os90/98)3.9.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. September 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. E.Adamovic, Dr. Holzweber und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Urban als Schriftführer, in der Strafsache gegen Tony W***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Tony W***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 23. April 1998, GZ 6 b Vr 1.338/98-73, sowie über seine Beschwerde gemäß §§ 494a Abs 4, 498 Abs 3 StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Bierlein, des Angeklagten Tony W*****, des Verteidigers Dr. Weiler sowie der Dolmetscherin Casford zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung und der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Schuldspruch hinsichtlich des Mitangeklagten Herbert J***** enthält, wurde der liberianische Staatsangehörige Tony W***** (A I und II) des Verbrechens nach § 28 Abs 2, Abs 3 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG, teils (A II) als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB, sowie der Vergehen (B/1.) nach § 27 Abs 1 SMG und (C) der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Demnach hat er in Wien

A/ gewerbsmäßig den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, dessen Menge zumindest das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28 Abs 6 SMG) ausmacht,

I./1.-4. in der Zeit von November 1997 bis 15.Jänner 1998 durch Verkauf von mindestens 500 Gramm Kokain an Unbekannte, ca 4 Gramm Heroin an Stefan R*****, 20 Gramm Kokain an Rene S***** und 8 Gramm Kokain an Nicola Maurice N***** in Verkehr gesetzt;

II./ Anfang Jänner 1998 zum Inverkehrsetzen von rund 1 kg Kokain durch einen Unbekannten beigetragen, indem er Letzterem dabei half, das Suchtgift in Teilmengen zu verpacken, und seine Wohnung zur Abwicklung der Suchtgiftverkäufe zur Verfügung stellte;

B/1. zwischen November 1997 und 15.Jänner 1998 den bestehenden Vorschriften zuwider Heroin und Kokain erworben und besessen sowie

C/ im Jänner 1998 Brigitte P***** in zumindest drei Angriffen durch Faustschläge gegen den Kopf, die jeweils Hämatome zur Folge hatten, vorsätzlich am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Schuldsprüche A und C aus Z 3, 5, 9 lit a und lit b sowie 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Mit dem Einwand (Z 3), der Verwertung der Aussage von Brigitte P***** (zu A und C) stehe entgegen (§ 152 Abs 5 StPO), daß diese Zeugin zu Unrecht über das ihr angeblich gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StPO zustehende Entschlagungsrecht nicht belehrt worden sei, ist die Beschwerde nicht am Akteninhalt orientiert. Denn weder die Verantwortung des Beschwerdeführers, welcher, ohne sich jemals auf eine Lebensgemeinschaft zu berufen, sexuelle Kontakte und eine ständige Wohngemeinschaft mit Brigitte P***** bestritten hatte (113, 445/I), noch die dazu (teilweise) in Widerspruch stehenden Angaben der betreffenden Zeugin, wonach sie in der kurzen Zeit von November 1997 bis zur Verhaftung des Angeklagten Mitte Jänner 1998 als Folge einer familiären Auseinandersetzung und dadurch bedingter Obdachlosigkeit zwar beim Angeklagten gewohnt (53/I), ungeachtet sexueller Kontakte (5/II) aber wochenlang nicht einmal seinen Namen gekannt habe (55/I), bietet ein Tatsachensubstrat dafür, daß zwischen den beteiligten Personen eine auf längere Dauer ausgerichtete, ihrem Wesen nach der Beziehung miteinander verheirateter Personen gleichkommende Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft (Leukauf/Steininger Komm3 § 72 RN 15) bestand.

Die Beschwerde versagt aber auch mit den gegen die festgestellte "Übermenge" (§ 28 Abs 4 Z 3 SMG) ins Treffen geführten Argumenten (der Sache nach allein Z 5):

Daß die Suchtgiftmenge von rund 1 kg Kokain (A II) von durchschnittlicher Qualität (40 bis 50 %) war (US 4 und 9), beruht im Sinne der Urteilsbegründung auf mit der Aktenlage übereinstimmenden (55/I, 11/II) Erfahrungswerten des einschlägigen Drogenmarktes (US 13) und damit einer tragfähigen Grundlage; einer Auseinandersetzung mit der chemischen Analyse von zwei Suchtgiftproben (ON 47/I), welche in der Wohnung des Mitangeklagten Herbert J***** sichergestellt wurden (Heroin und Kokain - 131/I, Postzahl 5 und 6 in ON 40; ON 41 und ON 47/I iVm US 10), bedurfte es fallbezogen nicht, weil das untersuchte Suchtgift nicht aus dem in Rede stehenden Drogenvorrat stammte.

Da schon allein die zum Urteilsfaktum A II festgestellte Suchtgiftkonzentration die Annahme einer Übermenge (hier mindestens 375 Gramm reines Kokain) rechtfertigt, ist es irrelevant, daß der Wirkstoffgehalt des vom Additionseffekt mitumfaßten Drogenquantums von weiteren 528 Gramm Kokain (A /1., 3. und 4.) nicht feststellbar war.

Inwieweit der Umstand, daß der Beschwerdeführer bei den jeweiligen Gewalthandlungen (C) gegen Brigitte P***** alkoholisiert war und unter Drogeneinfluß stand (11/II), gegen den konstatierten bedingten Verletzungsvorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) sprechen sollte, wird von der Beschwerde prozeßordnungswidrig (§ 285 a Z 2 StPO) nicht begründet; der daraus abgeleitete Einwand unvollständiger Begründung (Z 5) hat daher auf sich zu beruhen.

Die gegen den Schuldspruch wegen Körperverletzung (C) überdies erhobenen rechtlichen Vorwürfe versagen:

Abgesehen davon, daß die Beschwerde nicht einmal andeutungsweise aufzeigt, welche ergänzenden Feststellungen zu den subjektiven Tatbestandskomponenten fallbezogen noch zu treffen gewesen wären, geht die Behauptung, das Erstgericht beschränke sich insoweit bloß auf die "verba legalia" (Z 9 lit a), schon deshalb fehl, weil das Schöffengericht mit der Konstatierung, daß der Angeklagte den bei Faustschlägen gegen den Kopf naheliegenden Verletzungserfolg (billigend) in Kauf genommen hat (US 11) - sie schließt die Wissenskomponente denknotwendig mit ein (Leukauf/Steininger Komm3 § 5 RN 1) - die Legaldefinition des § 5 Abs 1 zweiter Satz StGB gar nicht unterstellt, sondern von ihr im Sinne eines höheren subjektiven Anforderungsprofils und damit den Angeklagten ohnehin begünstigend (Leukauf/Steininger aaO RN 17) abgewichen ist.

Unberechtigt ist die Beschwerde aber auch, soweit sie mangelnde Strafwürdigkeit dieser Tat gemäß § 42 StGB reklamiert (Z 9 lit b). Da die Anwendung dieses Strafausschließungsgrundes das kumulative Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen erfordert (Foregger/Kodek StGB6 § 42 Anm III), im konkreten Fall aber nicht einmal die primäre Prämisse einer "geringen Schuld" (§ 42 Z 1 StGB) gegeben ist, weil beim Versetzen von jeweils mehreren Faustschlägen gegen den Kopf des körperlich unterlegenen Opfers von einem erheblichen Zurückbleiben des tatbildmäßigen Verhaltens hinter dem in der Strafdrohung des § 83 Abs 1 StGB typisierten Unrechts- und Schuldgehalt keine Rede sein kann, erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob bei den festgestellten Verletzungsfolgen und dem einschlägig belasteten Vorleben des Angeklagten die weiteren Voraussetzungen bejaht werden könnten.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten gemäß § 28 Abs 4 SMG, § 28 Abs 1 StGB drei Jahre Freiheitsstrafe. Überdies widerrief es gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO die im Verfahren 4 a E Vr 6717/97, Hv 4208/97 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien gewährte bedingte Nachsicht des Strafteils von sechs Monaten.

Bei der Strafbemessung wertete es eine einschlägige Vorstrafe des Angeklagten, den raschen Rückfall und das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit zwei Vergehen als erschwerend, das Teilgeständnis demgegenüber als mildernd.

Weder in seiner Berufung noch in seiner Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß vermag der Angeklagte Gründe darzutun, die eine Revision der erstgerichtlichen Sanktion rechtfertigten:

Die behauptete Drogenabhängigkeit des Angeklagten ist nicht Urteilsinhalt und findet ungeachtet des von ihm behaupteten regelmäßigen Kokain- und gelegentlichen Heroinkonsums (115, 443, 445/I) auch keine aktenmäßige Deckung.

Für den weiters - im übrigen ohne jede Begründung - reklamierten Milderungsgrund des § 35 StGB (zu C) fehlen die Voraussetzungen, weil der Angeklagte seine durch eine einschlägige strafgerichtliche Verurteilung leicht erkennbare Aggressionsneigung durch Konsum von Alkohol und Drogen noch verstärkte.

Da bei den im Urteil (zu A/II) festgestellten Beitragshandlungen des Angeklagten bei vergleichender Abwägung der Strafwürdigkeit von einer untergeordneten Beteiligung (§ 34 Z 6 StGB) nicht gesprochen werden kann, bleibt bei gebührender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles - auch unter Bedachtnahme auf den Widerrufsbeschluß - für eine Reduktion der Freiheitsstrafe kein Raum.

Der vom Angeklagten nach teilweiser Verbüßung einer wegen eines einschlägigen Vergehens verhängten Freiheitsstrafe ungesäumt begonnene und bis zu seiner Verhaftung mit zunehmender Dimension fortgesetzte massive Drogenhandel erfordert aus spezialpräventiver Sicht zusätzlich zu der nur im unteren Drittel des hier relevanten Strafrahmens von einem bis zu fünfzehn Jahren (§ 28 Abs 4 SMG) ausgemessenen Freiheitsstrafe den Widerruf und den Vollzug des bedingt verhängten Strafteils (§ 53 Abs 1 StGB).

Auch der Beschwerde des Angeklagten war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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