OGH 10ObS205/98i

OGH10ObS205/98i18.8.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Fritz Miklau (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Scharinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Liselotte S*****, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr.Hans Pernkopf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.März 1998, GZ 11 Rs 13/98f-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 2.Oktober 1997, GZ 9 Cgs 224/96d-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist richtig, sodaß hierauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin entgegenzuhalten:

Der Eintritt des Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit ist ausschließlich nach der tatsächlichen Tätigkeit des Versicherten zu beurteilen. Es kommt daher nicht darauf an, ob er als Arbeiter oder Angestellter eingeordnet war, sondern ob er Arbeiter- oder Angestelltentätigkeiten verrichtet hat (SSV-NF 2/71, 3/99, 4/10, 6/20 ua). Für die Entscheidung über das vorliegende Klagebegehren auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ist daher ausschlaggebend, ob die Klägerin bei dem von ihr zuletzt ausgeübten Beruf Angestelltentätigkeiten im Sinne des § 1 Abs 1 AngG verrichtet hat. Diese Frage wäre hier dann zu bejahen, wenn die Klägerin vorwiegend kaufmännische Dienste zu leisten hatte; Kanzleiarbeiten oder höhere, nicht kaufmännische Dienste scheiden nämlich nach der Art der Arbeit der Klägerin von vornherein aus.

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen war die am 12.2.1943 geborene Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat, zuletzt von März 1984 bis Februar 1996 ausschließlich als "Verkäuferin" in Tabaktrafiken tätig (Stichtag 1.4.1996). Die Klägerin verkaufte in einer großen Tabak-Trafik, die mit einer Lotto-Toto-Annahmestelle verbunden war, insbesondere Tabakwaren, Nebenartikel, Zeitungen und Papierwaren. Ihre Tätigkeit, die in verhältnismäßig kurzer Zeit angelernt werden kann, bestand im wesentlichen in der Ausgabe der von den Kunden verlangten Waren. Die Klägerin verfügte über keine besonderen kaufmännischen Kenntnisse, hatte keine schriftlichen Arbeiten zu leisten und benötigte nur geringe Warengrundkenntnisse.

Bei dieser Sachlage verneinte das Berufungsgericht zu Recht das Vorliegen einer Angestelltentätigkeit der Klägerin. Die Qualifikation eines Arbeitnehmers als Angestellten wegen vorwiegender Verrichtung kaufmännischer Dienste (§ 1 Abs 1 AngG, erster Fall) erfordert nämlich solche Dienstleistungen, die ihrer Art nach zu den typischen Tätigkeiten eines Kaufmanns gehören und für die Führung des Betriebes eine nicht bloß untergeordnete Bedeutung haben. Auch die unmittelbar dem Warenumsatz dienende Tätigkeit eines Verkäufers kann nur dann als kaufmännische Dienstleistung gewertet werden, wenn sie durch ein besonderes, den kaufmännischen Charakter dieser Tätigkeit begründendes Merkmal - insbesondere durch das Erfordernis einer selbständigen Anpassung an konkrete Marktsituationen - gekennzeichnet ist (Arb 10.045 mwN).

Eine besondere kaufmännische Qualifikation der Tätigkeit der Klägerin im Zusammenhang mit dem Verkauf von Waren im Rahmen einer Tabak-Trafik ist - selbst bei einem großzügigen Maßstab - nicht zu sehen. Die Tätigkeit der Klägerin bestand im wesentlichen in der Ausgabe der verlangten Waren, ohne daß besondere Warenkenntnisse notwendig waren. Eine allfällige Beratung der Kunden kann daher bei der Verkaufstätigkeit der Klägerin keine große Rolle gespielt haben. Insoweit unterscheidet sich die Tätigkeit der Klägerin nicht wesentlich von der Tätigkeit einer Blumenverkäuferin (Arb 10.045), Verkäuferinnen in Bäckerei-, Wurst-, Selcherläden und ähnlichen Erzeugungsgewerben (Arb 4405), Verkäuferinnen in einem Fleischhauereibetrieb (Arb 6065) und einer Kaffee-Konditorei (SZ 63/207) oder einer Ladnerin in einer Bäckerei (Arb 10.780; SSV 23/62). Bei diesen Tätigkeiten wurde jeweils die Angestellteneigenschaft verneint. Sie können von jedem normalen Menschen mit gewöhnlicher Durchschnittsbildung erbracht werden, ohne daß sie eine besondere kaufmännische Ausbildung erfordern (Art 9090). Daß die Klägerin über die bloße Ausfolgung verlangter Waren hinaus mit bestimmten Buchführungs-, Geldgebarungs-, Bestellungs- oder Überprüfungsarbeiten, der Preiskalkulation oder Führung der Kassa befaßt gewesen wäre, ist nicht hervorgekommen (SZ 51/187 = ZAS 1979, 180; Arb 10.780; SZ 63/207).

Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist es notorisch, daß sich die Anforderungen an die Beratung durch eine Verkäuferin in einer Tabak-Trafik nicht wesentlich von den Anforderungen an die Beratung bei den vorgenannten Tätigkeiten unterscheiden und daher auch nicht für den Arbeitgeber von ausschlaggebender Bedeutung sein können. Daß die mit dem Verkauf zusammenhängende Tätigkeit der Klägerin eine selbständige Anpassung an konkrete Situationen zur Hebung des Umsatzes erfordert, ist gleichfalls nicht hervorgekommen (Andexlinger in ZAS 1979, 183 mwN).

Den Ausführungen der Revisionswerberin, daß auch andere, "noch so qualifizierte" Verkäufer nicht mit Buchführung, Kalkulation uä befaßt werden, ist entgegenzuhalten, daß sich die Tätigkeit von qualifizierten Handelsangestellten im Verkauf eben nicht allein auf die Ausgabe von den Kunden verlangter Waren beschränkt, sondern einen weiteren Bereich der Organisation des Handelsbetriebes umfaßt. Ein Verkäufer, der über die genannten Kenntnisse verfügt, ist in allen diesen Bereichen einsetzbar; gerade dies macht die Charakteristik der kaufmännischen Tätigkeit aus und bildet die wesentliche Grundlage für den Berufsschutz für Handelsangestellte. Rein manipulativen Tätigkeiten, wie sie die Klägerin verrichtete, fehlt hingegen auch dann, wenn sie mit Kundenkontakt verbunden sind, das kaufmännische Element. Beschränkt sich die Tätigkeit ausschließlich auf die Ausgabe von Waren und das Inkasso und verfügt der Versicherte auch gar nicht über weitere Kenntnisse, die seinen Einsatz in kaufmännischen Bereichen ermöglichen würden, dann kann der Berufsschutz als Handelsangestellter nicht in Anspruch genommen werden.

Da die Klägerin keine kaufmännischen Dienste im Sinne des AngG ausgeübt hat, ist der Eintritt des Versicherungsfalles inhaltlich nicht nach § 273 ASVG, sondern nach § 255 ASVG zu prüfen. Daß die Klägerin, die nicht überwiegend in einem erlernten oder angelernten Beruf im Sinne des § 255 Abs 1 und 2 ASVG tätig war, aufgrund ihres medizinischen Leistungskalküls noch auf eine ganze Reihe von Arbeittätigkeiten verwiesen werden kann und daher nicht invalid im Sinne des Abs 3 dieser Gesetzesstelle ist (SSV-NF 6/12), ist in der Revision nicht mehr strittig.

Der Revision war daher aus diesen Erwägungen ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit liegen nicht vor.

Stichworte