Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 13.6.1911 geborene Kläger wurde im Jahr 1944 von der deutschen Wehrmacht als polnischer Zwangsarbeiter in das Arbeitslager Gusen, eine Außenstelle des Konzentrationslagers Mauthausen, eingewiesen. Spätestens seit März 1944 war er zur Arbeit in den Steyr-Messerschmitt-Werken eingesetzt worden. Im Mai 1944 arbeitete er an einer Maschine, die Metallteile für Flugzeuge herstellte. Bei dieser Arbeit wurde er von einem losgelösten Metallteil am Kopf getroffen. Er stürzte dabei und fiel rücklings gegen eine Maschine. Er erhielt wegen einer Kopfwunde zunächst einen Kopfverband und verspürte in weiterer Folge Schmerzen im Rücken und am linken Bein.
Mit Bescheid vom 2.12.1987 hat die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt den Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß dieses Unfalles abgelehnt.
Der Kläger begehrt die Zahlung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß. Es liege ein Arbeitsunfall vor; durch die bei diesem Unfall erlittenen Dauerschäden sei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenbegründenden Ausmaß eingetreten.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und bestritt das Vorliegen eines unter Versicherungsschutz stehenden Arbeitsunfalls.
Im übrigen ergeben sich die Prozeßstandpunkte beider Parteien aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 27.4.1993, 10 ObS 68/91, veröffentlicht in SSV-NF 7/41, mit der die Abweisung der für die Zeit bis 14.9.1987 begehrten Versehrtenrente als Teilurteil bestätigt wurde, im Umfang des Begehrens auf Zuerkennung der Versehrtenrente für die Zeit vom 15.9.1987 an die Sozialrechtssache jedoch an das Erstgericht zur Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wurde.
Im zweiten Rechtsgang fällte das Erstgericht das Urteil, 1.) es werde festgestellt, daß der vom Kläger im Mai 1944 während seiner Arbeit in den Steyr-Messerschmitt-Werken, zu der er als Zwangsarbeiter des Außenlagers Gusen des Konzentrationslagers Mauthausen eingeteilt war, erlittene Unfall ein Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes sei; 2.) das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger aus Anlaß des Arbeitsunfalles vom Mai 1944 eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, werde hingegen abgewiesen. Soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich stellte das Erstgericht fest, in einem Befund des Arztes Dr.Mason vom 11.4.1963 werde beim Kläger eine linksseitige Ischialgie beschrieben, ferner Angstneurose mit Alpträumen, wobei diese Symptomatik seit 1945 bestehe. In Befunden aus 1986 werde das Vorliegen einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung, Diabetes, sowie schwere psychische Probleme mit Alpträumen und Schlafstörungen beschrieben. Aufgrund der in weiterer Folge eingeholten Befunde stehe fest, daß beim Kläger eine vertebrogen bedingte Ischialgie mit ausstrahlenden Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule bestehe. Ein Zusammenhang dieser Ischialgie mit dem Unfallereignis aus Mai 1944 könne nicht festgestellt werden. Beim Kläger bestehende Kopfschmerzen könnten gleichfalls nicht auf das Unfallereignis zurückgeführt werden. Die beim Kläger in chirurgischer Hinsicht beschriebenen Veränderungen, nämlich geringfügiger Höhenverlust des 7. Brustwirbelkörpers und geringfügiger Höhenverlust beim 3. Lendenwirbelkörper könnten nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückgeführt werden. Es sei bekannt, daß osteoporotische Veränderungen, die sehr häufig bei Personen in höherem Alter auftreten, spontane Impressionen der Wirbelsäule bewirken könnten.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im wesentlichen aus, daß der Kläger 1944 als Gefangener Arbeiten in einem Pachtbetrieb ausgeführt habe und vom Arbeitspächter auch gegen die Folgen von Betriebsunfällen versichert gewesen sei. Der Unfall im Mai 1944 sei daher als Arbeitsunfall im Sinne des § 542 Abs 1 RVO (aF) zu beurteilen. Es sei daher auszusprechen, daß der vom Kläger erlittene Unfall auch ein Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes sei (§ 82 Abs 5 ASGG). Für den Zuspruch einer Versehrtenrente wäre Voraussetzung, daß die Folgen des seinerzeitigen Arbeitsunfalles eine rentenbegründende Minderung der Erwerbsfähigkeit von zumindest 20 vH seit dem Antragstag bewirkten. Nach den Feststellungen seien jedoch alle beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen und Beschwerden nicht mit der für eine Feststellung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit auf ein traumatisches Ereignis aus Mai 1944 zurückzuführen. Damit liege keine rentenbegründende Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers aus diesem Unfall vor, weshalb nach § 203 Abs 1 ASVG das auf Gewährung einer Versehrtenrente gerichtete Klagebegehren abzuweisen sei. Die nachhaltigen psychischen Beschwerden des Kläger wie etwa Angstzustände oder Alpträume seien auf die unmenschlichen Haftbedingungen zurückzuführen, nicht aber auf den beschriebenen Arbeitsunfall.
Das Berufungsgericht gab der nur vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer untadeligen Beweiswürdigung und trat auch der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei. Es verneinte auch einen Verstoß des Erstgerichtes gegen die Pflicht, sämtliche notwendig erscheinenden Beweise von Amts wegen aufzunehmen (§ 87 Abs 1 ASGG). Beweisanträge, wie sie in der Berufung nunmehr für wesentlich erachtet würden, seien vom qualifiziert vertretenen Kläger während des Verfahrens nicht gestellt worden. Die Meinung der den Kläger behandelnden Ärzte zur Frage einer Unfallkausalität sei nicht erheblich; die Unfallkausalität von gesundheitlichen Dauerschäden sei eine Sachverständigenfrage, die das Erstgericht zutreffend gelöst habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nach § 503 Z 3 ZPO liegt nicht vor. Diese Beurteilung bedarf nach § 510 Abs 3, dritter Satz ZPO keiner Begründung. Das Berufungsgericht hat zwar im Rahmen seiner rechtlichen Ausführungen unzutreffend gemeint, aus den vorliegenden Befunden und Gutachten gehe eindeutig hervor, daß die Lagerbedingungen allgemein Ursache des beim Kläger vorliegenden gesundheitlichen Dauerschadens seien, weil dies, worauf der Revisionswerber an sich zutreffend hinweist, nach den Feststellungen des Erstgerichtes nur für die psychischen Dauerschäden des Klägers zutrifft. Diese dem Berufungsgericht im Rahmen seiner Rechtsausführungen unterlaufene argumentative Ungenauigkeit hat jedoch, wie weiter unten darzustellen sein wird, auf das Ergebnis keine weiteren Auswirkungen.
Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache verweist der Kläger darauf, daß er den Anscheinsbeweis eines Kausalzusammenhanges erbracht habe und daß nicht zumindest gleich wahrscheinlich sei, daß andere Ursachen als der Arbeitsunfall im selben Ausmaß und etwa zur selben Zeit die Körperschädigung herbeigeführt hätten. Das Berufungsgericht hätte von Amts wegen weitere Befunde und ergänzende Sachverständigengutachten einholen müssen. Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:
Die Beantwortung der Frage, ob bestehende Beschwerden in medizinischer Hinsicht Folgen eines Unfalls sind, also die Feststellung der sogenannten natürlichen Kausalität, gehört nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Tatsachenbereich (zuletzt 10 ObS 466/97w; 10 ObS 221/97s; 10 ObS 118/98w). Die Feststellung oder Nichtfeststellung bestimmter Tatsachen resultiert aus der freien Beweiswürdigung der Vorinstanzen, die vom Obersten Gerichtshof nicht überprüft werden kann: Der Oberste Gerichtshof ist nämlich nur Rechtsinstanz, jedoch keine Tatsacheninstanz. Ob außer dem vorliegenden noch weitere Sachverständigengutachten zu demselben Beweisthema einzuholen oder diese Gutachten zu ergänzen gewesen wären, gehört ebenso zur Beweiswürdigung wie etwa die Frage, ob behandelnde Ärzte als Zeugen vernommen werden hätten müssen; dies alles kann im Revisionsverfahren nicht geprüft werden (SSV-NF 7/12 mwN), schon gar nicht unter dem Aspekt der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache. Das Berufungsgericht hat sich mit der diesbezüglichen Mängelrüge der klagenden Partei auseinandergesetzt, sodaß auch insoweit kein Mangel des Berufungsverfahrens gegeben ist (SSV-NF 7/74 mwN).
Richtig ist, daß im Verfahren über einen sozialversicherungsrechtlichen Anspruch aus Arbeitsunfällen die Regeln des Anscheinsbeweises modifiziert anzuwenden sind. Auch dann, wenn noch andere Ursachen in Betracht kommen, muß nur feststehen, daß die Körperschädigung eine typische Folge eines als Unfall zu wertenden Ereignisses ist, das im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung stand (§ 175 Abs 1 ASVG) und daher ein Arbeitsunfall war. Steht aufgrund des Anscheinsbeweises der Arbeitsunfall als Ursache der Körperschädigung fest, so genügt der Anscheinsbeweis nach der Rechtsprechung des Senates nur dann nicht, wenn es zumindest gleich wahrscheinlich ist, daß eine andere Ursache die Körperschädigung im selben Ausmaß und etwa zur selben Zeit herbeigeführt hätte und ein solches Ereignis in naher Zukunft auch tatsächlich vorgekommen wäre und die Schädigung ausgelöst hätte. Weiters hat der Senat dargelegt, daß in Sozialrechtssachen der Anscheinsbeweis nicht schon dann als mißlungen anzusehen ist, wenn die von der objektiv beweispflichtigen Partei beantragten Beweise nicht ausreichen, sondern erst, wenn der Beweis auch durch andere von Amts wegen aufzunehmende Beweise nicht erbracht werden kann. Auch im Verfahren vor dem Sozialversicherungsträger gelten jedoch die Regeln der objektiven Beweislast. Ein Anspruch kann nur bejaht werden, wenn
die anspruchsbegründendn Tatsachen erwiesen sind (SSV-NF 5/140 = JBl
1992, 469 = DRdA 1992, 443/48 ua; zuletzt 10 ObS 46/97f). In noch
größerem Maße als beim Indizienbeweis werden beim Anscheinsbeweis Erfahrungssätze herangezogen, um auf wesentliche tatbestandsrelevante Tatsachen, die direkt nicht erwiesen werden können, zu schließen. Steht ein typischer Geschehensablauf fest, der nach der Lebenserfahrung auf einen bestimmten Kausalzusammenhang oder ein Verschulden hinweist, gelten diese Tatbestandsvoraussetzungen auch im Einzelfall aufgrund ersten Anscheins als erwiesen. Der Anscheinsbeweis entspringt richterlicher Rechtsfortbildung zur Bewältigung von Beweisnotständen vorwiegend in Schadenersatzprozessen (Rechberger, Kommentar zur ZPO, Rz 22 vor § 266 mwN; SZ 69/48 ua).
Ob das Erstgericht seiner aus § 87 Abs 1 ASGG hervorgehenden Verpflichtung zur amtswegigen Aufnahme aller entscheidenden Beweise nachgekommen ist, kann der Oberste Gerichtshof aus den oben dargelegten Gründen nicht überprüfen. Im übrigen wäre aber für den Anscheinsbeweis erforderlich, daß feststünde, daß die bestehenden körperlichen Beschwerden des Klägers eine typische Folge des beschriebenen Arbeitsunfalles seien. Dazu haben aber die Vorinstanzen festgestellt, daß die beim Kläger bestehende Ischialgie und seine Kopfschmerzen nicht auf das Unfallereignis zurückgeführt werden können. Die Verneinung der natürlichen Kausalität ist als Tatsachenfeststellung einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen. Was die chirugischen Wirbelveränderungen betrifft, so können diese nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückgeführt werden. Damit ist aber hinreichend klar ausgesagt, daß es zumindest gleich wahrscheinlich ist, daß diese Beschwerden von anderen Ursachen, also nicht vom Arbeitsunfall herbeigeführt wurden. Wie oben ausgeführt, genügt der Anscheinsbeweis ja dann nicht, wenn es zumindest gleich wahrscheinlich ist, daß den gegenwärtigen Beschwerden eine andere Ursache zugrundeliegt.
Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den Kläger aus Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage nicht ersichtlich.
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