Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.
Text
Begründung
Der am 14.4.1941 geborene Kläger stürzte am 27.8.1990 beim Entladen von einem Lastkraftwagen und erlitt dabei einen Bruch des vierten Lendenwirbels und eine Prellung der rechten Schulter. Mit Bescheid vom 27.3.1991 wurde dieses Ereignis als Arbeitsunfall anerkannt und dem Kläger ab 24.12.1990 eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente gewährt, wobei als maßgebende Verletzungsfolgen eine Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule und geringe Bewegungseinschränkungen des Schultergelenkes sowie eine Verschmächtigung der Oberarmmuskulatur und Restbeschwerden festgestellt wurden. Mit Bescheid vom 15.10.1991 wurde anstelle dieser vorläufigen Rente ab 1.11.1991 eine Dauerrente von 20 v.H. der Vollrente festgestellt. Diese wurde mit Bescheid vom 5.9.1995 per 1.11.1995 entzogen, weil der bei der fachärztlichen Begutachtung vom 25.7.1995 erhobene Befund keiner Minderung der Erwebsfähigkeit von wenigstens 20 v.H. entspreche. In dem gegen diesen Bescheid angestrebten Sozialgerichtsverfahren wurde mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeit- und Sozialgerichtes vom 8.3.1996, GZ 5 Cgs 164/95z-9, das Klagebegehren auf Weitergewährung der Dauerrente abgewiesen. Es wurde ausgeführt, daß im Vergleich zum Tatsachenkomplex bei Feststellung der Dauerrente eine kalkülrelevante Besserung eingetreten sei und die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab 1.11.1995 lediglich 10 v.H. betrage. Gebessert habe sich die Beweglichkeit der Wirbelsäule, was die Drehung bzw Neigung betreffe und auch das Aufrichten sei besser geworden. Das Vorbeugen des Rumpfes nach vorne sei gleichgeblieben. Dieses Urteil erwuchs mangels Anfechtung in Rechtskraft.
Am 14.1.1997 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Wiedergewährung der Versehrtenrente wegen der Folgen des genannten Arbeitsunfalles. Die beklagte Partei wies mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 20.5.1997 diesen Antrag ab und begründete dies damit, daß nach dem Ergebnis der ärztlichen Begutachtung im Zustand der Unfallfolgen keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Die bestehenden Beschwerden in der rechten Schulter seien nicht auf den Unfall zurückzuführen, sondern anlagebedingt.
Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger ab 1.1.1997 die Wiedergewährung der Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß, mindestens aber von 20 v.H. der Vollrente. Der Kläger habe bei dem Unfall Wirbelbrüche und eine Verletzung der rechten Schulter (Prellung, Rotatorverletzung usw) erlitten, wodurch er nach wie vor beeinträchtigt sei. Der Leidenszustand habe sich seit der Entziehung wesentlich und kalkülsrelevant verschlechtert. Er leide an allgemeinen Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und der rechten Schulter, verbunden mit Beweglichkeitseinschränkungen und Kraftverminderung.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und bestritt, daß eine Verschlimmerung der Verletzungsfolgen eingetreten sei.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 1.1.1997 eine Dauerrente von 20 v.H. der Vollrente zu gewähren. Es traf folgende Feststellungen:
"Jetzt und ab 1.1.1997" stellen sich die Unfallsfolgen wie folgt dar:
Zustand nach konservativ mit Mieder behandeltem Bruch des vierten Lendenwirbels und konservativ behandelbare Prellung am rechten Schultergelenk. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule hat sich im Vergleich zur Voruntersuchung vom 6.12.1995 gebessert, jedoch die Beweglichkeit im rechten Schultergelenk verschlechtert. "Aus chirurgischer Sicht" beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit bezogen auf die Wirbelsäule nach wie vor 10 v.H. "Aus nervenärztlicher Sicht" besteht als Unfallsfolge eine Laesion des nervus suprascapularis mit Atrophien des musculus supra- und infraspinatus und Schwäche bei Außenrotation des rechten Oberarmes und bei der Abduktion. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 10 v. H., wobei keine Überschneidung mit der unfallchirurgischen Minderung der Erwerbsfähigkeit besteht. Als nicht unfallskausal besteht eine Arthrose der rechten Schulter.
Aus diesem Sachverhalt folgerte das Erstgericht rechtlich, daß im Vergleich zum Tatsachenkomplex bei Entzug der Dauerrente ab 1.11.1995 eine kalkülsrelevante Verschlechterung eingetreten sei und die Minderung der Erwerbsfähigkeit nunmehr wieder 20 v.H. betrage, weshalb dem Klagebegehren stattzugeben sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung. Soweit die Rechtsrüge davon ausgehe, die nunmehr bestehende Muskelathrophie sei nicht als unfallkausal anzusehen, gehe sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Auf Grundlage der medizinisch festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. habe das Erstgericht zutreffend eine Versehrtenrente in diesem Umfang zugesprochen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt die Abänderung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.
Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Die Revision ist im Sinne ihres Eventualantrages berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung einer Rente maßgebend waren, ist nach § 183 Abs 1 ASVG die Rente auf Antrag oder von amtswegen neu festzustellen. Als wesentlich gilt eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 v.H. geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt oder die Schwerversehrtheit entsteht oder wegfällt. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist zum Vergleich dafür, ob eine im Sinne des §183 Abs 1 ASVG "wesentliche Änderung der Verhältnisse" eingetreten ist, der Tatsachenkomplex heranzuziehen, der jener Entscheidung zu Grunde lag, deren Rechtskraftwirkung bei unveränderten Verhältnissen einer Neufeststellung der Rente im Wege stünde (SSV-NF 1/16, 3/86, 6/71; 10 ObS 2060/96f; 10 ObS 53/97k; 10 ObS 333/97m; RIS-Justiz RS0084151). Die letzte rechtskräftige Entscheidung über den Anspruch des Klägers auf Versehrtenrente erfolgte mit Urteil vom 8.3.1996, mit dem - wie oben dargestellt - das Klagebegehren auf Weitergewährung der Versehrtenrente ab 1.11.1995 rechtskräftig abgewiesen wurde. Die völlige Entziehung einer Versehrtenrente nach § 99 Abs 1 ASVG, weil deren Voraussetzungen nicht mehr vorhanden sind, ist ein Sonderfall des § 183 Abs 1 ASVG, nämlich die Neufeststellung der Rente mit 0 v. H. der Vollrente (SSV-NF 6/71 ua).
Im vorliegenden Fall reichen die Feststellungen nicht aus, um beurteilen zu können, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im beschriebenen Sinne vorliegt. Die Vorinstanzen haben zwar festgestellt, daß sich in chirurgischer Hinsicht die Beweglichkeit der Wirbelsäule im Vergleich zur Voruntersuchung vom 6.12.1995 gebessert, jedoch die Beweglichkeit im rechten Schultergelenk verschlechtert habe und daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach wie vor 10 v.H. betrage. Hinsichtlich der Beschwerden in nervenärztlicher Hinsicht haben die Vorinstanzen aber, wie die Revisionswerberin zutreffend aufzeigt, lediglich den derzeitigen Zustand festgestellt, daß nämlich als Unfallfolge eine Läision des nervus suprascapularis mit Atrophien des musculus supra- und infraspinatus und eine Schwäche bei Außenrotation des rechten Oberarmes und bei der Abduktion bestehe und daß sich die Minderung der Erwerbsfähigkeit dadurch um weitere 10 v.H. auf insgesamt 20 v.H. erhöhe. Im Sinne der oben dargelegten Grundsätze wäre dagegen die angenommene Verschlimmerung an Hand des Vorzustandes zum Zeitpunkt der Entziehung der Dauerrente und Abweisung des auf Weitergewährung dieser Rente gerichteten Klagebegehrens zu begründen gewesen. Über den damaligen Zustand des Klägers "in nervenärztlicher Sicht" finden sich aber in den Urteilen der Vorinstanzen keine Tatsachenfeststellungen.
Der Revision war daher Folge zu geben und die Rechtssache mangels Spruchreife an das Erstgericht zurückzuverweisen.
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