Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß des Berufungsgerichtes wird aufgehoben.
Das Ersturteil wird dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei habe darauf hinzuwirken, daß es in ihrer Mietwohnung im Haus 6020 Innsbruck, K*****-Straße 84, aufhältige Personen unterlassen, durch Klavierspiel in der unmittelbar darunter liegenden Wohnung des Klägers einen Lärmpegel zu verursachen, der über der Grenze der zumutbaren Störung von 28 dB liegt; in eventu: Der Beklagte habe darauf hinzuwirken, daß es in seiner Mietwohnung im Haus 6020 Innsbruck, K*****-Straße 84, aufhältige Personen, insbesondere seine Tochter Sandra R*****, unterlassen, durch Klavierspiel in der unmittelbar darunterliegenden Wohnung des Klägers einen Lärmpegel zu verursachen, der über der Grenze der zumutbaren Störung liegt, insbesondere, daß kein Beurteilungspegel von 44 dB erreicht werde, abgewiesen werden.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 48.698,88 (darin enthalten S 8.116,48 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Die klagende Partei ist zur Gänze zum Ersatz der im § 64 Abs 1 Z 1 ZPO genannten Beträge verpflichtet, von deren Entrichtung die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 ZPO genießende beklagte Partei befreit ist.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger hat im Erdgeschoß des Hauses Innsbruck, K*****-Straße 84 eine Wohnung gemietet, die er gemeinsam mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern bewohnt. Der Beklagte ist Mieter der darüberliegenden Wohnung, die er gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter bewohnt. Das Haus liegt im Westen von Innsbruck in einer Wohngegend mit Einfamilienhäusern und Wohnblocks; es ist an den Hang gebaut und hat insgesamt vier Geschoße. Das Haus ist Teil eines Wohnblocks, der aus vier nebeneinanderliegenden, aneinander gebauten Häusern besteht, die zusammen einen langgestreckten Block ergeben, der sich von Ost nach West erstreckt; es handelt sich um das östlichste Haus. Es liegt nördlich des Flughafens von Innsbruck; von den Wohnungen der Streitteile hat man direkte Sicht auf das Hauptgebäude des Flughafens und den Radarturm; die Entfernung zum Flughafen (Luftlinie) beträgt etwa 1 bis 2 km. Wohnzimmer und Küche beider Wohnungen liegen Richtung Süden, die Schlafzimmer Richtung Norden. Im Norden liegt in einer Entfernung von etwa 50 m ein weiterer Wohnblock, der aus Erdgeschoß und drei Obergeschoßen besteht und gleich wie der Wohnblock der Streitteile ausgerichtet ist. Dazwischen liegt der asphaltierte Zugangsweg zum Haus der Streitteile, auf dem Fahrverbot besteht, im übrigen eine Wiese bzw Parkanlage. Südlich befindet sich das ca 4 bis 5 m tiefer liegende, mit Gras bewachsene Dach der Garage, anschließend die K*****-Straße, die nochmals 4 bis 5 m im Niveau tiefer als das Garagendach gelegen ist. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h ist vorgeschrieben. Im Haus befinden sich acht Wohnungen.
Der Kläger ist Mieter seit 1.2.1987, der Beklagte seit 1.1.1988. Die Vermieterin, W***** GmbH, teilte allen Mietern der Wohnanlage mit Schreiben vom 21.3.1994 mit, daß die bisherige Hausordnung den konkreten Bedürfnissen und Erfordernissen angepaßt worden sei; sie übermittelte eine Hausordnung, deren Punkt 7 lautet:
"Lärmen ist jederzeit verboten. Dies gilt auch für das Herumtollen von Kindern in den allgemeinen Teilen der Wohnanlage (zB Stiegenhäuser und Keller). Die Verrichtung lärmerregender Hausarbeiten ist an Sonn- und Feiertagen überhaupt, an Werktagen während der Ruhezeiten (12.00 Uhr bis 15.00 Uhr sowie 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr) untersagt (Lärmschutzverordnung). Musizieren, Singen sowie der Betrieb von Tonwiedergabegeräten über Zimmerlautstärke ist an Sonn- und Feiertagen überhaupt, an Werktagen während der Mittags- und Nachtruhezeit (siehe oben) unzulässig. Die werktägliche Gesamtdauer des Musizierens (insbesonders des Klavierspielens) darf zwei Stunden nicht überschreiten (siehe Rechtsprechung MietSlg Nummer 16.293 und 31.032). Geläufigkeitsübungen am Klavier nur unter Verwendung der im Instrument eingebauten Dämpfungsvorrichtung."
Grund für dieses Schreiben und die Änderung der Hausordnung waren Beschwerden verschiedener Mieter wegen des Klavierspiels der Tochter des Beklagten.
Die Tochter des Beklagten, Sandra R*****, besucht derzeit das Musikgymnasium in Innsbruck und zusätzlich seit drei Jahren das Konservatorium in Innsbruck, wo sie Klavier lernt. Sie ist sehr begabt im Klavierspiel und hat auch schon an internationalen Wettbewerben teilgenommen; sie strebt eine berufliche Laufbahn als Klavierspielerin an, wofür sie auch die Voraussetzungen hat.
Das Klavier, auf dem sie übt, steht in einem nach Norden gerichteten Zimmer direkt neben dem Fenster an der nördlichen Außenmauer; es ist an beiden Seiten auf dem Boden mit einer ca 1 cm dicken schwarzen Gummimatte unterlegt. Das Klavierspielen der Tochter des Beklagten ist größtenteils ein Üben und besteht im ständigen Wiederholen und Einstudieren von einzelnen Passagen. Es ist im Wohnzimmer des Klägers deutlich zu hören, in den nördlich gelegenen Schlaf- und Kinderzimmern laut und deutlich.
Der Kläger brachte vor, in seine Wohnung dringe aus der Wohnung des Beklagten mehrere Stunden täglich unzumutbarer Lärm, der hauptsächlich durch das von der Tochter des Beklagten praktizierte Klavierüben verursacht werde. Dieser Lärm übersteige die zumutbare Schallpegelgrenze um ein Vielfaches. Trotz wiederholter Aufforderungen übe die Tochter des Beklagten nach wie vor - auch an Wochenenden und Feiertagen - vier bis fünf Stunden täglich. Der in die Wohnung des Klägers dringende Schall übertöne eine normale Sprechlautstärke und stelle somit eine unzumutbare Beeinträchtigung dar. Die durch das Klavierspielen in der Wohnung des Klägers verursachten Lärmbelästigungen überstiegen auch das ortsübliche Ausmaß.
Ein einzelner durch das Klavierspiel der Tochter des Beklagten hervorgerufener Schallpegel erreiche annähernd 50 dB in der Wohnung des Klägers. Dieser Schallpegel liege jedenfalls weit, nämlich um das zwei- bis dreifache über der Grenze der zumutbaren Störung. Es gehe hier nicht in erster Linie darum, zu beurteilen, in welchen Zeiträumen der Kläger die Schallimmissionen zu dulden habe, sondern darum, daß die Erreichung derartiger Schallpegel über gewisse Zeiträume hinweg für den Kläger und dessen Familie vollkommen unzumutbar sei. Der Kläger habe selbst zwei Kinder, von denen eine Tochter noch in Schulausbildung stehe. Für sie stellten diese Immissionen eine Beeinträchtigung ihrer Möglichkeiten, zu lernen und sich auf die Schule vorzubereiten, dar. Darüber hinaus habe der Beklagte bisher noch keinen Versuch unternommen, von einem qualifizierten Schalltechniker Aufklärung zu erlangen, in welcher Form er durch geringfügige Änderungen der Aufstellung des Klaviers oder andere bauliche Maßnahmen das Schallproblem vermindern könnte.
Der Kläger begehrt das Urteil, der Beklagte habe darauf hinzuwirken, daß es in seiner Mietwohnung in 6020 Innsbruck, K*****-Straße 84, aufhältige Personen unterlassen, durch Klavierspiel in der unmittelbar darunter liegenden Wohnung des Klägers einen Lärmpegel zu verursachen, der über der Grenze der zumutbaren Störung von 28 dB liegt; in eventu, der Beklagte habe darauf hinzuwirken, daß es in seiner Mietwohnung in 6020 Innsbruck, K*****-Straße 84, aufhältige Personen, insbesondere seine Tochter Sandra R*****, unterlassen, durch Klavierspiel in der unmittelbar darunter liegenden Wohnung des Klägers einen Lärmpegel zu verursachen, der über der Grenze der zumutbaren Störung liegt, insbesondere, daß kein Beurteilungspegel von 44 dB erreicht werde.
Der Beklagte wendete ein, das Klagebegehren sei nicht ausreichend bestimmt, weil keine zeitliche Einschränkung vorgenommen werde. Der Mietvertrag enthalte keine einschlägigen Einschränkungen; die nachträglich erlassene Hausordnung sei nicht verbindlich. Seine Tochter müsse ausschließlich aus schulischen Gründen - neben dem Üben im Konservatorium der Stadt Innsbruck - in der Wohnung Klavier üben; dies stelle eine reguläre und übliche Benützung einer Wohnung dar. Dem Beklagte sei es nicht zumutbar, auf seine Tochter dahingehend einzuwirken, daß sie das Klavierspielen unterlasse; er habe alles unternommen, um das Klavierspiel seiner Tochter so wenig schallintensiv wie möglich zu gestalten. Die Tochter des Beklagten habe die Voraussetzungen, Pianistin zu werden und das Klavierspiel berufsmäßig auszuüben. Das Ausmaß der täglichen Übungen entspreche dem unbedingt Erforderlichen. Eine zeitliche Einschränkung hieße nichts anderes, als ihr den Berufsweg als Pianistin zu verbauen. Wolle man jedoch Klavierspiel als Lärmbeeinträchtigung qualifizieren, dann seien die örtlichen Verhältnisse als Beurteilungsgrundlage heranzuziehen. Dementsprechend sei zu berücksichtigen, daß auch die Bewohner anderer Wohnungen in diesem Haus regelmäßig Instrumente spielen. Darüber hinaus sei gerade aus der Wohnung des Klägers regelmäßig sehr laut Musik zu hören, die von anderen Hausbewohnern sogar noch stärker als das aus der Wohnung des Beklagten dringende Klavierspiel wahrgenommen werde. Dem Beklagte sei es faktisch unmöglich, dem Klagebegehren Folge zu leisten. Es liege in der Natur der Sache, daß ein Geräuschpegel in einer fremden Wohnung, zu welcher der Beklagte keinen Zutritt habe, keine rechtliche Orientierungsgröße für ein bestimmtes Verhalten bzw für bestimmte Einwirkungspflichten sein könne. Darüber hinaus sei das Klagebegehren rein schalltechnisch unschlüssig; es fehle eine Bezugsgröße für den klavierkausalen Geräuschpegel, den der Beklagte verhindern solle. Die klavierkausale Geräuschwahrnehmung in der Wohnung des Klägers entspreche dem, was in modernen Wohnbauten durchgehend üblich sei. Da es sich bei der Tochter des Beklagten um ein Ausnahmetalent handle, müsse ausnahmsweise von den Nachbarn auch in einem größeren Umfang das Klavierspiel akzeptiert werden, dies jedenfalls so lange, als der Klavierspieler darauf angewiesen sei, als Jugendlicher bei seinen Eltern zu wohnen und keine andere Möglichkeit habe, das Klavierspiel zu üben.
Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt; neben dem bereits eingangs wiedergegebenen Sachverhalt stellte es fest, die Tochter des Beklagten übe durchschnittlich von 15.00 Uhr bis ca 19.00 Uhr mit einer kurzen Pause; sie übe auch an Sonn- und Feiertagen am Vormittag von ca 11.00 Uhr bis 12.00 Uhr und am Nachmittag, an Sonn- und Feiertagen jedoch manchmal kürzer als unter der Woche. Die Musiklärmimmission habe den hohen Informations- und Impulsgehalt. Durch das Klavierspiel der Tochter des Beklagten ergebe sich im darunter liegenden Zimmer ein mittlerer Spitzenpegel von 48 dB und ein äquivalenter Dauerschallpegel von 39 dB. Der Grundgeräuschpegel in dem Zimmer sei ansonsten bei 18 dB. Nach allgemein üblichen Beurteilungskriterien ergebe sich die Grenze der zumutbaren Störung bei Lärmimmissionen aus dem Grundgeräuschpegel plus 10 dB.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, das Klavierspiel der Tochter des Beklagten und die damit verbundene Lärmimmission überstiegen - bezogen auf eine Wohngegend - das gewöhnliche Maß und beeinträchtigten auch wesentlich die ortsübliche Benützung. Ein tägliches mehrstündiges intensives Klavierüben sei für eine Wohngegend nicht ortsüblich.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück; es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Ob 720/83 (veröffentlicht in ImmZ 1985, 398) Lärmbelästigungen durch Probenarbeiten einer Musikkapelle unter Verwendung von Verstärkern als nicht ortsübliche Immissionen qualifiziert habe. Die in dieser Entscheidung dargelegten Grundsätze könnten jedoch auf den vorliegenden Fall nur in Bezug auf die Beurteilungskriterien für "wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung der Liegenschaft" herangezogen werden, weil der dieser Entscheidung zugrundeliegende Anlaß eben als nicht ortsübliche Immission qualifiziert worden sei. Nach der Entscheidung des LGZ Wien MietSlg 31.032 gehe jedoch der nachbarrechtliche Schutz des § 364 Abs 2 ABGB nicht so weit, daß mit der widmungsgemäßen Benützung einer Wohnung im allgemeinen verbundene Schalleinwirkungen untersagt werden könnten. Da es durchaus üblich sei, daß in Wohnungen Klavier gespielt werde, müsse die dadurch für Wohnungsnachbarn entstandene Beeinträchtigung vom Wohnungsnachbar geduldet werden, sofern das Klavierspiel sich nicht über ungewöhnlich lange Zeiträume erstrecke, auch wenn durch die dadurch entstehende Geräuschentwicklung der in der Wohnung des Störers sonst herrschende Schallpegel erheblich überschritten werde. Dies bedeute, daß das übliche Klavierspiel ohne Zuhilfenahme von technischen Schallverstärkern in städtischen Wohngegenden durchaus als sozialadäquates Verhalten anzusehen sei; die damit verbundenen natürlichen Schalleinwirkungen könnten das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß gar nicht übersteigen. Sofern keine schallverstärkenden Maßnahmen getroffen seien, könnten keine Beschränkungen in Bezug auf die natürliche Lautstärke des Klavierspiels auferlegt werden. Bejahe man das Klavierspiel als sozialadäquates Verhalten, so müsse auch die Berechtigung bejaht werden, Klavierstücke einzustudieren, was naturgemäß oftmaliges Wiederholen bedinge, und die Stücke in einer ihrem Charakter entsprechenden Lautstärke zu spielen. Da der Wohnungsnachbar auch nicht zu umfangreichen Investitionsarbeiten zur Verminderung dieser üblichen und zumutbaren Beeinträchtigung verpflichtet werden könne und eine Verpflichtung zur ständigen Verwendung eines Dämpfers ebenfalls nicht zumubar sei, könnte eine Einschränkung des Klavierspiels auf das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß sowie zur Verhinderung einer wesentlichen Beeinträchtigung der ortsüblichen Benützung der Nachbarwohnung ausschließlich über eine zeitliche Beschränkung der Spieldauer und Festlegung der Spielzeiten erreicht werden. Zu diesem Fragenkomplex, insbesondere dazu, ob Klavierspiel als sozialadäquates Verhalten im städtischen Wohnbereich anzusehen sei und ob daraus resultiernede Geräuschentwicklung eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Immission darstelle könne, liege keine Judikatur des Obersten Gerichtshofes vor; die Beantwortung dieser Frage habe eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung.
Das Berufungsgericht führte zur Begründung seines Aufhebungsbeschlusses aus, bei der Beurteilung, ob die von einer Wohnung ausgehende Lärmentwicklung die ortsübliche Nutzung der Nachbarwohnung wesentlich beeinträchtige, sei nicht nur die objektive Lautstärke, sondern auch die subjektive Lästigkeit maßgebend. Für diese Lästigkeit seien vor allem die Tonhöhe, die Dauer und die Eigenart der Geräusche entscheidend. Der Kläger stelle aber sein Begehren nicht allgemein auf diese Umstände, sondern nur auf die Lautstärke ab. Es komme daher zunächst darauf an, ob der durch das Klavierspiel der Tochter des Beklagten verursachte Geräuschpegel den Wert von 28 dB in der Wohnung des Klägers erreiche. Bejahendenfalls sei zu prüfen, ob dieser Wert das im städtischen Wohnbereich übliche Ausmaß übersteige und die ortsübliche Nutzung der Wohnung des Klägers erheblich beeinträchtige. Dies hänge sowohl von der objektiv meßbaren Stärke der Immission als auch von der mit Rücksicht auf die Art der Geräusche gegebenen Lästigkeit für einen durchschnittlichen Bewohner ab. Das Übergehen des Beweisantrags des Beklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Schalltechnik stelle einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, weil ausschließlich durch dieses Gutachten die objektiv meßbare Stärke der Immission ermittelt und damit eine der wesentlichen Voraussetzungen für einen allfälligen Anspruch des Klägers beurteilt werden könne.
Der Rekurs des Beklagten ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Dem Bestandnehmer steht gegen jede rechtswidrige Beeinträchtigung des Bestandrechtes einer unbeweglichen Sache durch Dritte eine Unterlassungsklage gegen den Störer zu (verstärkter Senat SZ 62/204 ua; Oberhammer in Schwimann, ABGB, Rz 7 zu § 374 mwN).
Der Kläger kann somit als Bestandnehmer eine Störung seines Bestandrechtes durch Immissionen geltend machen. Immissionen können nach § 364 Abs 2 ABGB dann untersagt werden, wenn sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen. Bei der Beurteilung, ob die von einem Grundstück ausgehende Musik die ortsübliche Nutzung der Nachbarliegenschaft wesentlich beeinträchtigt, ist nicht nur die (objektiv meßbare) Lautstärke, sondern auch die subjektive Lästigkeit maßgebend, wobei aber nicht auf eine besondere Empfindlichkeit der betroffenen Person, sondern auf das Empfinden eines durchschnittlichen Bewohners des betroffenen Grundstückes abzustellen ist (ImmZ 1985, 398 zu Proben einer Musikkapelle). Klavierspielen in einer Wohnung ist aber grundsätzlich als ortsüblich zu dulden (Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rz 13 zu § 364; Oberhammer in Schwimann, Rz 17 zu § 364; LGZ Wien MietSlg 31.032; LGZ Wien MietSlg 19.293).
Auch zu § 906 BGB, der Vorbild für das durch die 3.TN geschaffene zivilrechtliche Nachbarrecht war (RdU 1997, 90 [Wagner]; Klang in Klang, II 168), wird die Ansicht vertreten, daß es nur eine unwesentliche Beeinträchtigung darstelle, wenn die Kinder des Nachbarn nachmittags auf dem Klavier üben (Baur, Sachenrecht14 229).
Nach Säcker (in MünchKomm3, Rz 103 zu § 906) ist Klavierspiel von jeher in Wohnvierteln üblich und daher auch von den Mietern eines Neubaus zu dulden, jedenfalls dann, wenn im Rahmen des Möglichen Lautstärke, Zeitraum und Zeitpunkt der Musikausübung sich an den Anschauungen und Lebensumständen der anderen Hausbewohner orientieren.
Roth (in Staudinger, BGB7, Rz 147 zu § 906) führt hiezu aus, stets unzulässig, weil nicht ortsüblich, seien Störungen durch länger anhaltendes Musizieren sowie in den Ruhestunden, ohne daß bislang über die Festlegung der Zeiten Einklang erzielt worden wäre; das gleiche gelte generell für das Musizieren von Berufsmusikern oder Musikstudenten. Nach Meinung Roths sollte vor 10.00 Uhr morgens und nach 20.00 Uhr abends nicht musiziert werden dürfen; je nach den Umständen des Einzelfalls müsse auch auf kranke Menschen oder Kleinkinder Rücksicht genommen werden.
Hier hat der Kläger sein Begehren primär darauf gerichtet, daß ein gewisser Geräuschpegel (gemessen nach dB) nicht überschritten werde (zur Fassung von Urteilssprüchen vgl RdU 1997, 90 [Wagner] mwN). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist davon auszugehen, daß die Tochter des Beklagten bei ihrem Klavierspiel keine Verstärker oder ähnliche Hilfsmittel verwendet, um die Lautstärke zu erhöhen. Mit der Beschränkung auf Zimmerlautstärke ist ein sinnvolles Musizieren auf dem Klavier nicht möglich, auch nicht beim Übungsspiel; die ständige Benützung eines Moderators kann einem Spieler auch nicht zugemutet werden, weil sie die volle musikalische Gestaltung entsprechend den Anweisungen des Komponisten vielfach nicht zuläßt (vgl OLG Hamm NJW 1981, 465). Der Nachbar hat Klavierspiel als widmungsgemäße Benützung einer Wohnung zu dulden, auch wenn durch die dadurch entstehende Geräuschentwicklung der in der Wohnung des Störers sonst herrschende Schallpegel überschritten wird (so schon LGZ Wien MietSlg 31.032).
Eine Ergänzung des Beweisverfahrens durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ist somit nicht erforderlich, weil das Klavierspielen ohne Zuhilfenahme technischer Schallverstärker in einer Wohnung als ortsüblich anzusehen und zu dulden ist.
Zur zeitlichen Einschränkung des Klavierspielens, die der Kläger bisher zwar nicht ausdrücklich begehrt, die aber in seinem weit gefaßten Eventualbegehren auch enthalten ist, ist hier wesentlich, daß es sich bei der Tochter des Beklagten um eine Musikstudentin handelt, der eine entsprechend intensive Übungszeit zuzugestehen ist. Allgemein übliche Ruhezeiten am Abend, während der Nacht, am Morgen und zu Mittag werden hier eingehalten. Unter diesen besonderen Umständen ist eine Übungszeit von vier Stunden (etwa 15.00 Uhr bis 19.00 Uhr) noch als übliche und den anderen Hausbewohnern zumutbare widmungsgemäße Wohnungsbenützung anzusehen. Einem Musikstudenten muß auch ein Üben am Wochenende zugebilligt werden, das hier nach den Feststellungen eingeschränkt erfolgt. Gründe für eine ganz besondere Rücksichtnahme, etwa auf kranke Menschen oder Kleinkinder (vgl Roth in Staudinger13, Rz 147 zu § 906), wurden hier nicht festgestellt.
Der Oberste Gerichtshof konnte somit gemäß § 519 Abs 2 ZPO mit Urteil im klagsabweisenden Sinn entscheiden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41, im Rechtsmittelverfahren verbunden mit § 50 ZPO. Der Ausspruch über die Verpflichtung des Klägers zum Ersatz der im § 64 Abs 1 Z 1 ZPO genannten Beträge gründet sich auf § 70 Satz 2 ZPO.
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