OGH 8ObA167/98m

OGH8ObA167/98m6.7.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Richard Paiha als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Helmut K*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Georg Grießer und Dr. Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei D*****AG, *****, vertreten durch Dr. Georg Hahmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 6.000,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. März 1998, GZ 9 Ra 356/97g-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 8. Juli 1997, GZ 22 Cga 192/96a-18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.436,48 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 406,08 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 1. 11. 1981 bei der Beklagten angestellt; seit 1. 10. 1986 war er im Außendienst tätig. Das Dienstverhältnis wurde mit schriftlicher Vereinbarung vom 14. 2. 1996 zum 31. 3. 1996 einvernehmlich aufgelöst.

§ 40 der Betriebsvereinbarung der Beklagten vom 1. 5. 1986 hat folgenden Wortlaut:

"1) Arbeitnehmer, welche dem Kollektivvertrag für den Außendienst unterliegen, erhalten nach vollendetem 5-jährigen Bestehen des ungekündigten Dienstverhältnisses gemäß beiliegendem Anhang D eine Treueprämie ausbezahlt. Nachgewiesene Krankheit oder Unglücksfälle, welche länger als ein Monat dauern, werden auf den Spesenersatz nicht angerechnet und bilden daher keinen Ausschließungsgrund von dieser Treueprämie.

2) Als Stichtag für die Berechnung der vollendeten Dienstjahre und Einstufung in die Treueprämienstaffel gilt der 1. März des jeweiligen laufenden Kalenderjahres.

3) Die Auszahlung der Treueprämie erfolgt am 1. April eines jeden Jahres."

Nach dem Anhang D zur Betriebsvereinbarung beträgt die Höhe der Treueprämie ab 1. 4. 1994 "ab dem vollendeten 5. Dienstjahr S 3.500.--, ab dem vollendeten 10. Dienstjahr S 6.000,--."

Bei den Gesprächen über die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses wies der Kläger darauf hin, Anspruch auf die Treueprämie iS § 40 der Betriebsvereinbarung erheben zu wollen. Der Vertreter der Beklagten lehnte dies ab. Weitere Erörterungen dazu erfolgten nicht.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die der Höhe nach nicht strittige Treueprämie von S 6.000,--. Er habe sein Einverständnis zur einvernehmlichen Auflösung auch unter dem Aspekt gegeben, mit dem Stichtag 1. März diese Prämie zu erreichen, die er seit 1987 jährlich erhalten habe. Die Bedingung eines fünfjährigen ungekündigten Dienstverhältnisses sei erfüllt; daß zu den jährlichen Stichtagen ein ungekündigtes Dienstverhältnis bestehen müsse, sei der Betriebsvereinbarung nicht zu entnehmen.

Die Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen. Nach der Betriebsvereinbarung hätten nur solche Arbeitnehmer Anspruch auf die Treueprämie, deren Dienstverhältnis zum Stichtag 1. März des Jahres im ungekündigten Zustand sei. Das Dienstverhältnis des Klägers sei jedoch zum Stichtag bereits im Auflösungszustand gewesen, sodaß die Voraussetzungen für den behaupteten Anspruch nicht gegeben seien. Im übrigen sei die einvernehmliche Auflösung über Ersuchen des Klägers anstatt der beabsichtigten Arbeitgeberkündigung gewählt worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß unter einem "ungekündigten" Arbeitsverhältnis nur ein solches zu verstehen sei, das von keinem der Vertragspartner aufgelöst worden sei und auf unbestimmte Zeit fortbestehe. Dies treffe auf das einvernehmlich aufgelöste Arbeitsverhältnis des Klägers am maßgebenden Stichtag nicht zu.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung über Berufung des Klägers im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Es verwies auf § 97 Abs 1 Z 15 ArbVG, wonach durch Betriebsvereinbarung ua auch die Gewährung von Zuwendungen zu besonderen betrieblichen Anlässen (etwa auch Firmen- oder Arbeitnehmerjubiläen) geregelt werden könne. Da Normen im Zweifel so auszulegen seien, daß sie höheren Rechtsvorschriften entsprechen, sei § 40 der Betriebsvereinbarung dahin zu interpretieren, daß es sich bei der darin geregelten Treueprämie - trotz ihrer jährlichen Auszahlung - um eine Zuwendung aus besonderem betrieblichen Anlaß handle. Sie stelle daher keine Abgeltung für eine bestimmte Arbeitsleistung dar. Da jedem Arbeitnehmer für die Erreichung jedes Stichtages nach dem 5. Dienstjahr ein Anspruch eingeräumt werde, könne das Erfordernis des Bestehens des ungekündigten Dienstverhältnisses nur auf den jeweiligen Stichtag - den 1. 3. des laufenden Kalenderjahres - bezogen werden. Da die Treueprämie kein Entgelt für erbrachte Arbeitsleistungen darstelle und auch nicht für eine bestimmte Zeitperiode, sondern für die Erreichung des Stichtages in ungekündigtem Zustand gewährt werde, unterliege sie nicht den Aliquotierungsvorschriften des § 16 AngG. Auch die Rechtsprechung über die Unzulässigkeit von vertraglichen Regelungen, die auf den Verlust von bereits verdientem Entgelt hinausliefen bzw. von Regelungen, durch die dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur einseitigen Herbeiführung einer Entgeltminderung eingeräumt werde, komme hier nicht zum Tragen, sodaß die zu beurteilende Regelung wirksam sei. Allerdings stelle sie auf das Bestehen des Arbeitsverhältnisses in ungekündigtem Zustand ab, womit zum Ausdruck gebracht werde, daß das wesentliche Element in der mangelnden Wahrnehmung des Kündigungsrechtes liege. Es bestehe kein Anlaß, über den Wortsinn und den Zweck der Regelung hinaus als weitere Voraussetzung zu fordern, daß nicht bereits eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses vereinbart worden sei. Da das Arbeitsverhältnis des Klägers ungekündigt gewesen sei, seien daher die Voraussetzungen für die Gewährung der Treueprämie gegeben.

Die Revision sei zuzulassen, weil die Auslegung von Kollektivvertragsbestimmungen im Hinblick auf die Maßgeblichkeit für zahlreiche andere Sachverhalte als erhebliche Rechtsfrage iS § 46 Abs 1 ASGG anzusehen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Begründung der Berufungsentscheidung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht; sie ist aber nicht berechtigt.

Zunächst ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß der insofern undeutlich formulierte § 40 der Betriebsvereinbarung sinnvoll nur dahin interpretiert werden kann, daß damit das Bestehen eines "ungekündigten Dienstverhältnisses" nicht nur für den (ersten) Stichtag nach vollendetem 5-jährigen Bestehen des Dienstverhältnisses sondern darüber hinaus für jeden weiteren jährlichen Stichtag als Anspruchsgrundlage normiert werden sollte. Die vom Kläger gewünschte gegenteilige Auslegung liefe auf eine den Betriebsparteien nicht zu unterstellende Inkonsequenz hinaus.

Dem Berufungsgericht kann hingegen nicht gefolgt werden, wenn es die in Rede stehende Treueprämie als (dem § 16 AngG nicht unterliegende) "Zuwendung aus besonderen betrieblichen Anlässen" (§ 97 Abs 1 Z 15 ArbVG), nämlich als Zahlung aus Anlaß eines Arbeitnehmerjubiläums, qualifiziert. Unter einem derartigen "Jubiläumgsgeld" werden nämlich nur solche Sonderprämien verstanden, die bei aufrechtem Dienstverhältnis alle fünf Jahre oder noch seltener zustehen (Winkler, Erfolgsbeteiligung und Betriebsbindungsklauseln, ecolex 1995, 280; Arb 10.039; DRdA 1988/5 [Strasser]; Arb 11.240), weil nur dann von einem "besonderen betrieblichen Anlaß" bzw. einem "Jubiläum" gesprochen werden kann. Ein nach einer gewissen Dienstzeit jährlich zustehendes Treuegeld kann hingegen - wenngleich ihm ebenfalls der Gedanke einer Anerkennung der langdauernden Betriebszugehörigkeit zugrundeliegt - nicht als Jubiläumsgeld bzw. als Zuwendung aus einem besonderen betrieblichen Anlaß gewertet werden (vgl die E Arb 10.039, in der zwischen Treuegeld und Jubiläumsgeld differenziert wird).

Das Berufungsgericht hat allerdings zutreffend erkannt, daß gemäß § 29 ArbVG Betriebsvereinbarungen nur über jene Gegenstände abgeschlossen werden können, die durch Gesetz oder Kollektivvertrag der Regelung durch eine Betriebsvereinbarung vorbehalten sind, und daß im hier zu beurteilenden Fall als Grundlage für eine Regelungsbefugnis der Betriebspartner nur § 97 Abs 1 Z 15 ArbVG in Betracht kommt. Auch wenn Normen im Zweifel so zu interpretieren sind, daß sie höheren Rechtsvorschriften entsprechen, kann dies aber nicht dazu führen, ein durch § 97 Abs 1 Z 15 ArbVG nicht gedecktes jährliches Treuegeld deshalb als "Zuwendung aus besonderen betrieblichen Anlässen" iS dieser Gesetzesstelle zu interpretieren, weil es von den Betriebspartnern zum Gegenstand einer Betriebsvereinbarung gemacht wurde. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Betriebspartner mit der Vereinbarung des hier zu beurteilenden Treuegeldes ihre Regelungsbefugnis überschritten haben, was aber im Ergebnis für die Entscheidung nicht von Bedeutung ist, weil diese (in ihrer grundsätzlichen Verbindlichkeit von der Beklagten gar nicht bestrittene) Vereinbarung unter den hier gegebenen Umständen zwischen den Parteien dessen ungeachtet wirksam ist. Nach den Verfahrensergebnissen war nämlich § 40 der Betriebsvereinbarung über viele Jahre Richtschnur für die entsprechenden Leistungen des Arbeitgebers. Unabhängig davon, ob die Parteien von der Gültigkeit der Betriebsvereinbarung ausgegangen sind, wodurch deren Regelung schon im Weg objektiver Vertragsergänzung zum Inhalt der Einzelverträge hätte werden können (DRdA 1988/5 [Strasser]; Arb 11.240), ist auf Grund des in der Gewährung des Treuegeldes liegenden Erklärungsverhaltens des Arbeitgebers und der anzunehmenden schlüssigen Zustimmung der Arbeitnehmer eine entsprechende Ergänzung der Einzelarbeitsverträge erfolgt. Eine solche Vertragsergänzung ist auch bei jenen Arbeitnehmern eingetreten, welche die im Unternehmen gemäß dieser Richtschnur herrschende Übung als Grundlage auch ihrer Rechtsbeziehungen zum Arbeitgeber akzeptiert haben und daher mit Grund davon ausgehen konnten, daß die vom Arbeitgeber allgemein angewendete unzulässige Regelung der Betriebsvereinbarung in gleicher Weise und unter den gleichen Voraussetzungen wie bei allen anderen vergleichbaren Arbeitnehmern auch auf sie angewendet wird (Arb 11.240 mwN). In diesem Sinne ist daher die Regelung des § 40 der Betriebsvereinbarung zwischen den Parteien verbindlich.

Nach der zwingenden Bestimmung des § 16 AngG gebührt dem Angestellten, der Anspruch auf eine "periodische Remuneration" oder eine "andere besondere Entlohnung" hat, auch bei Beendigung des Dienstverhältnisses vor Fälligkeit des Anspruchs jener Teil der Remuneration, der dem Verhältnis zwischen der Dienstperiode, für die die Entlohnung gewährt wird, und der zurückgelegten Dienstzeit entspricht. Diese Bestimmung umfaßt auch "Jahresprämien verschiedener Art" (Martinek/Schwarz/Schwarz, AngG7 304; Winkler, aaO 280). Die vom Kläger nach seinen unwidersprochenen Behauptungen seit 1987 bezogene Treueprämie, die ab dem vollendeten fünften Dienstjahr jährlich zusteht und die als Anerkennung und Belohnung für die bewiesene Betriebstreue anzusehen ist (Arb 10.039), stellt ebenfalls eine periodische Remuneration iS § 16 Abs 1 AngG dar, weshalb nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ihr aliquotes Entstehen nicht vom aufrechten (und damit auch nicht vom "ungekündigten") Bestehen des Arbeitsverhältnisses an einem bestimmten Stichtag abhängig gemacht werden kann (SZ 64/6; RdW 1990, 25; zuletzt 9 ObA 2264/96y). Umso mehr muß daher die Bedingung des ungekündigten Bestandes des Dienstverhältnisses am Stichtag 1. 3. für den Anspruch auf die Prämie für das vorangegangene (zu diesem Zeitpunkt bereits vollendete) Dienstjahr nichtig und demgemäß unwirksam sein (vgl. 9 ObA 2264/96y).

Zu eben diesem Ergebnis führt überdies auch die Anwendung der schon vom Berufungsgericht zitierten Rechtsprechung, wonach Vereinbarungen sittenwidrig sind, derzufolge der Arbeitgeber durch Ausspruch einer Kündigung den Anspruch des Arbeitnehmers auf bereits verdientes Entgelt vernichten kann (ZAS 1991/9; SZ 63/78; infas 1992 A 8) und wonach die Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht durch Vereinbarungen eingeschränkt werden darf, die für den Fall der Arbeitnehmerkündigung nachteilige Folgen, insbesondere den Verlust von bereits verdienten Sonderzahlungen, vorsehen (SZ 63/199; SZ 65/103; DRdA 1993/19; Arb 11.183; zuletzt 9 ObA 57/97s). Auch diese Grundsätze führen zum Ergebnis, daß die Vereinbarung, durch die der Anspruch auf die Treueprämie für das abgelaufene Dienstjahr vom ungekündigten Bestand des Dienstverhältnisses am darauf folgenden Stichtag abhängig gemacht wird, nichtig ist und dem Begehren des Klägers daher nicht entgegengehalten werden kann.

Eine Willenseinigung der Streitteile darüber, daß der Kläger die Treueprämie nicht erhalten solle, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Derartiges wurde - wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - von der Beklagten in erster Instanz auch gar nicht behauptet.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen erweisen sich daher im Ergebnis als zutreffend.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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