OGH 14Os85/98

OGH14Os85/9830.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.Juni 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Mayrhofer und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Köberl als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gerhard R***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 14 Vr 589/97 des Landesgerichtes Wels, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 11.Mai 1998, AZ 7 Bs 125/98 (= ON 143), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Gerhard R***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Beschwerdegericht vom 26.Feber 1998 (ON 110) wurde die am 17.Juni 1997 über Gerhard R***** verhängte Untersuchungshaft unter Anwendung gelinderer Mittel, durch welche der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO substituierbar erschien, aufgehoben.

In der Hauptverhandlung vom 17.April 1998 wurde der Genannte vom Landesgericht Wels als Schöffengericht wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und nach § 201 Abs 2 StGB, der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB, der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 StGB und der Verleumdung nach § 297 Abs 1 (erster Fall) StGB sowie des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 StGB zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, auf welche die Vorhaft vom 16.Juni 1997 bis 26.Feber 1998 angerechnet wurde. Dieses - noch nicht ausgefertigte - Urteil ist zufolge erhobener Rechtsmittel (Nichtigkeitsbeschwerde und Strafberufung des Angeklagten und Strafberufung der Staatsanwalt- schaft) noch nicht in Rechtskraft erwachsen.

Darin wird dem Angeklagten zur Last gelegt, er habe in Wels

A. in der Zeit zwischen Anfang 1997 und 20.Mai 1997 dadurch seine unmündige (geboren 30.März 1994) leibliche Tochter Veronika R***** auf eine andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, daß er das Kind wiederholt mit seinem Penis spielen ließ und es im Scheidenbereich zwischen den Beinen entweder mit dem Finger betastete oder einen Finger oder andere Gegenstände einführte;

B. Kerstin R***** zur Duldung des Beischlafs genötigt, und zwar

(1) in der Zeit vom 6.Feber bis September 1991 im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit Ulrike R***** als Mittäter wiederholt mit schwerer gegen das Opfer gerichteter Gewalt und durch eine gegen dieses gerichtete Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib oder Leben dadurch, daß Ulrike R***** die am 8.September 1975 geborene Kerstin R***** in Gegenwart des Gerhard R***** aufforderte, mit diesem ins Bett zu gehen, auf deren Weigerung hin auf Kerstin R***** einschlug, wiederholt dem Mädchen in Gegenwart des Gerhard R***** Schläge versetzte und es unter Schlägen entkleidete, sich Gerhard R***** schließlich unter Anwendung überlegener physischer Kraft auf das Mädchen legte und wiederholt den Geschlechtsverkehr vollzog, während Ulrike R***** das Mädchen jeweils an den Schultern und am Oberkörper festhielt, sodaß sich dieses nicht aufsetzen konnte;

(2) zwischen September 1991 und 20.Mai 1997 mit Unterbrechung Ende 1991 als unmittelbarer Täter auf Grund des auf Wiederholung ausgerichteten Willensentschlusses aus Punkt B 1 teils mit Gewalt und teils durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben dadurch, daß er die erzwungenen Beischlafshandlungen auch nach dem September 1991 unter Ausnützung der psychischen und physischen Widerstandsunfähigkeit der Kerstin R***** unter Anwendung überlegener physischer Kraft, teils dadurch, daß er Kerstin R***** mit dem Kopf gegen ein Fensterbrett schlug, und im übrigen unter Ausnützung der von ihm durch sein bestimmendes Auftreten geförderten Angst des Mädchens, erneut auf die zu Punkt 1 beschriebene Weise mißhandelt zu werden, zwischen zwei- und fünfmal pro Woche fortsetzte und hiebei die Widerstandsunfähigkeit der Kerstin R***** dadurch vertiefte, daß er gemeinsam mit Ulrike R***** Kerstin R***** unter Ausübung psychischen Drucks von der Außenwelt total abschirmte;

C. im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit Ulrike R***** als Mittäter Kerstin R***** durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper, an der Freiheit oder an der Ehre zu Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen genötigt, die besonders wichtige Interessen der Kerstin R***** verletzten, und zwar

(1) zwischen 4.Juni 1991 und 18.September 1991 durch die Drohung, daß sie sonst in ein Heim komme, zur Unterlassung von Angaben gegenüber der Bundespolizeidirektion Wels über die gegen Gerhard R***** wegen § 212 Abs 1 StGB und gegen Ulrike R***** wegen § 213 Abs 1 StGB erstattete Anzeige vom 22.Juli 1991 und zur Inanspruchnahme des Entschlagungsrechtes gemäß § 152 Abs 1 Z 2 StPO im Strafverfahren zum AZ 17 Vr 760/91 des Landesgerichtes Wels;

(2) im Februar 1994 zur Erteilung der Einwilligung zur Eheschließung mit Gerhard R***** durch die Drohung, daß ihr im Falle einer Weigerung das erwartete Kind vom Jugendamt abgenommen und in ein Heim gebracht werde;

D. sich einer Verleumdung im Sinne der Ausdehnung des öffentlichen Anklägers in der Hauptverhandlung vom 16.Dezember 1997 vor dem Landesgericht Wels als Schöffengericht laut Aktenseite 205/II (im eingeschränkten Umfang) schuldig gemacht.

Überdies verhängte das Schöffengericht in der Hauptverhandlung über den Angeklagten erneut die Untersuchungshaft, und zwar aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit b StPO (ON 131).

Der vom Angeklagten gegen diesen Beschluß erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Linz mit dem angefochtenen Beschluß nicht Folge.

In der gegen diese Beschwerdeentscheidung rechtzeitig erhobenen Grundrechtsbeschwerde wendet sich der Angeklagte gegen die Annahme der Haftgründe der Flucht- und Tatbegehungsgefahr, er bringt ferner vor, daß seine schweren Erkrankungen, nämlich insbesondere Hepatitis C, epileptische Anfälle, zerebrales Anfallsleiden usw während der U-Haft nicht behandelt werden könnten, und behauptet unverhältnismäßige Haftdauer.

Die Beschwerde ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Abgesehen davon, daß vom seinerzeitigen Beschluß des Oberlandesgerichtes (26.Feber 1998, ON 110) auf Enthaftung gegen gelindere Mittel eine Rechtskraftwirkung bezüglich einer neuerlichen Haft von vornherein nicht ausgehen kann, sind - der Beschwerde zuwider - gegenüber den damaligen Verhältnissen Änderungen eingetreten, die sich zum Nachteil des Angeklagten auswirken.

Zutreffend wurde vom Oberlandesgericht schon der Haftgrund der Fluchtgefahr angenommen. Indem dem Angeklagten das ihm nun unmittelbar drohende Strafübel durch die Urteilsfällung in erster Instanz in der konkreten Form einer hohen Freiheitsstrafe drastisch vor Augen geführt wurde, ist der Fluchtanreiz für ihn, dessen soziale Integration zufolge der im Zusammenhang mit den Straftaten zwangsläufig erfolgten Loslösung vom Familienverband beeinträchtigt ist, in einem Ausmaß verstärkt, daß trotz der eingewendeten gesundheitlichen Defekte der Haftgrund der Fluchtgefahr vorliegt. Diese Fluchtgefahr kann auch nicht durch gelindere Mittel substituiert werden, weil solche nicht genügen, den Haftzweck zu erreichen.

Angesichts des den Haftvollzug erfordernden Haftgrundes der Fluchtgefahr ist auf den im angefochtenen Beschluß zusätzlich angenommenen Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nicht mehr einzugehen (vgl Mayrhofer/Steininger GRBG § 2 Rz 57 mwN).

Zur Beurteilung der vom Beschwerdeführer in Frage gestellten Verhältnismäßigkeit der bisherigen Dauer der Vorhaft ist als Richtschnur die vom Schöffengericht in erster Instanz verhängte Freiheitsstrafe heranzuziehen, wobei Überlegungen zu den Erfolgsaussichten der Rechtsmittel unzulässig sind, weil damit dem Rechtsmittelverfahren vorgegriffen würde (ÖJZ-LSK 1997/282 = 11 Os 113/97 ua). Demzufolge kann aber von einer Unverhältnismäßigkeit keine Rede sein und es erweist sich der Einwand des Beschwerdeführers als nicht berechtigt.

Dem Hinweis des Beschwerdeführers auf seine Erkrankungen ist zu entgegen, daß Krankheitszustände, soweit diese - wie hier - nicht auf die gesetzlich vorgesehenen Haftvoraussetzungen entscheidend einwirken, unberücksichtigt bleiben müssen, zumal dem Untersuchungshäftling auch während der Dauer des Haftvollzuges die notwendige medizinische Versorgung zuteil werden muß.

Der Angeklagte wurde demnach durch den angefochtenen Beschluß in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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