Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am 5.1.1996 gegen 11.30 Uhr kam die Klägerin als Fußgängerin auf dem Gehsteig vor einem Haus in Graz zu Sturz und verletzte sich dabei.
Sie nimmt den Beklagten auf Schadenersatz in Anspruch und begehrt von ihm zuletzt den Betrag von S 167.000 samt Anhang (darin Schmerzengeld S 160.000, Haushaltshilfe S 6.000 und Fahrtkosten S 1.000). Weiters begehrt sie die Feststellung, daß ihr der Beklagte für alle künftigen Schäden aus diesem Unfallsereignis hafte. Der Beklagte habe rechtsgeschäftlich die Räumung und Streuung des Gehsteiges vor diesem Haus von den Liegenschaftseigentümern übernommen. Er sei jedenfalls (auch nach seiner Pensionierung) dafür verantwortlich gewesen, daß die Bestimmungen der StVO bezüglich der Streupflicht eingehalten werden, zumal er die Einteilung, Organisation und Kontrolle des Reinigungstrupps übernommen habe. Der Gehsteig sei aber mangelhaft gestreut worden. Deshalb sei sie auf einer Eisplatte, die wegen einer geringen Schneeauflage nicht erkennbar gewesen sei, ausgerutscht, obwohl sie rutschfestes Schuhwerk getragen habe.
Der Beklagte bestritt seine passive Klagslegitimation, weil er (zur Unfallszeit) nicht mehr Eigentümer des Reinigungsunternehmens, das die Streupflicht des Liegenschaftseigentümers vertraglich übernommen habe, gewesen sei. Der Gehsteig sei im übrigen am 1.1.1996 und am 3.1.1996 ordnungsgemäß gestreut worden. Bis zum Unfallstag am 5.1.1996 sei eine weitere Streuung nicht erforderlich gewesen. Darüberhinaus habe sich der Unfall auch gar nicht vor dem in der Klage angegebenen Haus ereignet.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging hiebei von folgenden weiteren Feststellungen aus:
Der Beklagte schloß als Inhaber der Firma W.K*****, Glas- und Gebäudereinigung, mit der Immobilienverwaltung M***** als Vertreterin der Eigentümer des in der Klage angeführten Hauses im November 1991 einen Vertrag über die Reinigungsarbeiten für dieses Haus ab. Unter anderem war auch ein "Winterdienst", der die Schneeräumung und Bestreuung des öffentlichen Gehsteiges enthielt, vorgesehen. Seit 1.4.1995 ist Aloisia Waltraud K*****, die Ehefrau des Beklagten, Alleininhaberin des Unternehmens, weil der Beklagte zu diesem Zeitpunkt in Pension ging. Seither ist der Beklagte im Unternehmen geringfügig beschäftigt und nimmt Kontrollaufgaben wahr. Ab diesem Zeitpunkt stand nur mehr die Ehefrau des Beklagten in einem Vertragsverhältnis zu den durch die Hausverwaltung vertretenen Hauseigentümern.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, daß die den Liegenschaftseigentümer nach § 93 StVO treffenden Verkehrssicherungspflichten iSd Abs 5 leg cit der Firma K***** übertragen worden seien. Diese hafte daher anstelle der Liegenschaftseigentümer für Mängel bei Wahrnehmung der Streupflicht, die Liegenschaftseigentümer hingegen nur nach Maßgabe der Bestimmungen des § 1315 ABGB für die Auswahl ihres Besorgungsgehilfen. Zum Zeitpunkt des Unfalls sei die Ehefrau des Beklagten Inhaberin der Firma K***** gewesen, weshalb nur sie aus der vertraglichen Übernahme solcher Streupflichten in Anspruch genommen werden könnte. Dem Beklagten mangle es daher an der passiven Klagslegitimation.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision - mangels einer Rechtsfrage der in § 502 Abs 1 ZPO umschriebenen Art - nicht zulässig sei. Es führte im wesentlichen folgendes aus:
Die Klägerin halte ihre Behauptung, der Beklagte würde ihr aus vertraglich übernommenen Verpflichtungen haften, nicht mehr aufrecht, sie meine aber, den Beklagten aus deliktischer Haftung wegen Verstoßes gegen die Schutznorm des § 93 Abs 5 StVO in Anspruch nehmen zu können. Bei der in Rede stehenden Schutznorm handle es sich um die Bestimmung des § 93 Abs 1 StVO, die dem Liegenschaftseigentümer Reinigungs- und Streupflichten ua hinsichtlich der an das Grundstück anrainenden Gehsteige auferlege; diese Pflichten dürfe der Liegenschaftseigentümer nach Abs 5 rechtsgeschäftlich an einen anderen übertragen, der dann als (aus diesem Rechtsgeschäft) Verpflichteter anstelle des Eigentümers hafte. Adressat dieser Schutznorm sei somit der Liegenschaftseigentümer bzw derjenige, dem die dem Eigentümer obliegenden Verpflichtungen rechtsgeschäftlich übertragen worden seien. Dies treffe aber auf den Beklagten nicht zu, stehe doch fest, daß die von ihm seinerzeit vertraglich übernommenen Reinigungs- und Streupflichten für ihn zum Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr bestanden hätten, diese vielmehr von der nunmehrigen Alleininhaberin des Reinigungsunternehmens (als Vertragspartnerin der Hauseigentümer) wahrzunehmen gewesen seien. Daß der Beklagte vertragliche Verpflichtungen aus dem Reinigungsvertrag, der zwischen den Hauseigentümern und dem ihm seinerzeit gehörenden Unternehmen geschlossen wurde, etwa als Subunternehmer übernommen habe, stehe nicht fest; dies habe die Klägerin auch nie behauptet. Eine allfällige schuldhafte Verletzung ihm (als Pensionist) von dem Reinigungsunternehmen übertragener Kontrollaufgaben könne bloß einen Verstoß gegen ihm obliegende dienstvertragliche Verpflichtungen darstellen, begründe aber nicht seine Haftung nach § 93 Abs 5 StVO.
Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil die Rechtslage einer Klarstellung bedarf; sie ist im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Die Rechtsmittelwerberin macht zusammengefaßt geltend, die Liegenschaftseigentümer hätten zwar gemäß § 93 Abs 5 StVO die Verpflichtung gemäß § 93 Abs 1 StVO an die Firma Waltraud K***** übertragen; für Arbeitnehmer sei zwar grundsätzlich nur gemäß § 1315 ABGB einzustehen; jedoch habe der Beklagte, der Einteilungs- und Kontrolltätigkeiten übernommen habe, seine Dienstpflichten verletzt, was seine Haftung für die auf Glatteis zurückzuführende Sturzverletzung begründe.
Hiezu wurde erwogen:
Die Klägerin betrachtet den Beklagten nunmehr offenbar selbst (nur) als Besorgungsgehilfen eines gemäß § 93 Abs 5 StVO für die Gehsteigbetreuung verantwortlichen Reinigungsunternehmers, nämlich der Ehefrau des Beklagten, bei der dieser seit seiner Pensionierung (geringfügig) beschäftigt ist. Einen derartigen Reinigungsunternehmer - und nicht dessen unselbständige Hilfspersonen - trifft die im § 93 StVO positivierte Verkehrssicherungspflicht gegenüber der Allgemeinheit (ZVR 1984/315). Für Gehilfen haftet der gemäß § 93 Abs 1 und 5 StVO Verkehrssicherungspflichtige grundsätzlich nur nach § 1315 ABGB (ZVR 1988/101; vgl Harrer in Schwimann2 § 1295 Rz 50; Reischauer in Rummel2 § 1313a Rz 7 mwN; Koziol, Haftpflichtrecht II2 66 f). Darüber hinaus kann ihn die Haftung für Repräsentanten treffen (vgl jüngst 2 Ob 107/98v mwN).
Der Gehilfe selbst haftet dem geschädigten Dritten nach den allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts (Reischauer aaO § 1315 Rz 19; Koziol aaO 358; vgl zur Deliktshaftung von Verantwortlichen bei Veranstaltungen SZ 66/40 = ZVR 1994/29; ZVR 1997/105). Daß neben der Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen auch eine Haftung von Hilfspersonen bestehen kann, zeigt etwa die Vorschrift des § 1319a Abs 3 ABGB, die eine solche Haftung (dort: der Leute des Wegehalters) voraussetzt (vgl Koziol aaO 203). Da der mangelhafte Zustand eines Weges häufig auf Unterlassungen zurückzuführen ist, spricht diese Vorschrift auch dafür, eine Haftung des Gehilfen nicht nur für positives Tun, sondern auch für Unterlassung in Betracht zu ziehen, zumal das ABGB der Handlung die Unterlassung gleichstellt, wenn die Vornahme einer Handlung in der konkreten Lage geboten war (Harrer aaO § 1294 Rz 2).
Im vorliegenden Fall wurde die Klägerin in ihrem absoluten Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Eine solche Verletzung ist grundsätzlich verboten (Harrer aaO § 1294 Rz 6; vgl Reischauer aaO § 1294 Rz 13). Zu prüfen ist allerdings, ob gegen eine Verhaltenspflicht verstoßen wurde (Harrer aaO § 1294 Rz 9 mwN; Koziol/Welser I10 450). Nach herrschender Ansicht entfaltet der Vertrag zwischen Geschäftsherrn und Gehilfen zwar keine Schutzwirkungen zugunsten des geschädigten Dritten (vgl Koziol/Welser I10 488 mwN; Reischauer aaO § 1313 ABGB Rz 4), weshalb kein vertraglicher Anspruch bestehen kann. Für den deliktischen Bereich kann sich eine Handlungspflicht des Gehilfen aber aus dem ihm erteilten Auftrag ergeben (vgl ZVR 1975/94; 2 Ob 51/97g).
Den unselbständigen Gehilfen des gemäß § 93 Abs 5 StVO verpflichteten Reinigungsunternehmers trifft somit nicht schlechthin dessen Verkehrssicherungspflicht. Bei der Prüfung, ob er aus einem eigenständigen Delikt dem Geschädigten gegenüber haftet, ist vielmehr zu beachten, welche konkreten Aufgaben ihm übertragen wurden und daß auch der Sorgfaltsmaßstab unterschiedlich ist (vgl Reischauer aaO § 1319a Rz 16).
Für den vorliegenden Fall ergibt sich, daß die passive Klagslegitimation des Beklagten, dem die Klägerin im wesentlichen ein Überwachungsverschulden anlastet, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Ob die Voraussetzungen für eine Deliktshaftung des Beklagten gegenüber der Klägerin im Sinne der obigen Ausführungen gegeben sind, kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden, weshalb es einer Verfahrensergänzung bedarf. Die Rechtssache war daher unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile an das Erstgericht zurückzuverweisen. Im fortgesetzten Verfahren werden Feststellungen insbesondere zum genauen Aufgabengebiet des Beklagten im Unternehmen seiner Ehefrau, zur Wahrnehmung dieser Aufgaben, zur Kausalität einer allfälligen Unterlassung des Beklagten für den Schadenseintritt und - wenn nötig - zur Schadenshöhe zu treffen sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
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