OGH 15Os82/98

OGH15Os82/9818.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Juni 1998 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Schmucker, Dr.Zehetner und Dr.Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Kolarz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Bernhard W***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und Abs 3 erster Satz zweiter Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 13.Februar 1998, GZ 22 Vr 889/97-35, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Schroll, und des Verteidigers Rechtsanwalt Dr.Janek, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten W***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage I und das darauf beruhende Urteil, welche im übrigen unberührt bleiben, in der Nichtannahme schwerer Gewalt und demzufolge in der rechtlichen Beurteilung der Tat als Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB sowie im Strafausspruch (mit Ausnahme der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und gemäß § 351 StPO in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Bernhard W***** hat durch die im Wahrspruch zur Hauptfrage I bezeichnete Tat Sonja C***** mit schwerer Gewalt zur Duldung des Beischlafes sowie dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt und hiedurch das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 3 erster Satz erster Fall StGB begangen.

Er wird hiefür sowie für den unberührt gebliebenen Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 SMG unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 201 Abs 3 erster Strafsatz StGB zu einer Freiheitsstrafe von

5 (fünf) Jahren

verurteilt.

Die Vorhaftanrechnung und das Adhäsionserkenntnis werden aus dem angefochtenen Urteil übernommen und zusätzlich gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB die Vorhaft vom 28.Mai 1998, 7,20 Uhr bis 18.Juni 1998, 11,30 Uhr auf die Strafe angerechnet.

2. Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

3. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Bernhard W***** - abweichend von der wider ihn erhobenen Anklage nur - des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 201 Abs 2 und 3, erster Satz zweite Alternative StGB (I) und des Vergehens nach § 27 Abs 1 SMG (II) schuldig erkannt.

Danach hat er

I. am 15.Juli 1997 in Batschuns Sonja C***** mit gegen sie gerichteter Gewalt zur Duldung des Beischlafes und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er sie festhielt, an den Haaren riß, im Bereich des Halses packte, auf sie einschlug, ihr mehrere Faustschläge und Ohrfeigen in das Gesicht versetzte und mit einem Teppichklopfer wiederholt auf ihr Gesäß schlug, mehrere Finger sowohl in ihre Scheide als auch in ihren After einführte, sich anschließend auf sie legte, mit seinem Penis kurz in ihre Scheide eindrang, mit der Hand ihre linke Brust zusammendrückte, sodann ihren Kopf zu seinem Geschlechtsteil drückte und sie dazu zwang, seinen Penis in den Mund zu nehmen und seine Hoden abzulecken, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1), nämlich Weichteilverletzungen im Gesicht, im Bereich des Rumpfes und der Gliedmaßen, einen unverschobenen Nasenbeinbruch, eine traumatische Trommelfellzerreißung links sowie einen (durch den Sprung des fliehenden Opfers aus dem ersten Stock verursachten) Knöchelbruch im Bereich des rechten Sprunggelenkes, zur Folge hatte und

II. Mitte Juli 1997 in Osttirol den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift, nämlich Haschisch, erworben und besessen.

Die Geschworenen hatten die anklagekonform gestellte Hauptfrage II nach dem Vergehen gemäß § 27 Abs 1 SMG, die Hauptfrage I nach dem Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 3 erster Satz erster Fall StGB jedoch mit der - im Stimmenverhältnis von 7:1 beschlossenen - Einschränkung (§ 330 Abs 2 StPO) bejaht, daß das in der Frage enthaltene Wort "schwerer" (Gewalt) zu streichen sei.

Nur die Subsumtion der von den Geschworenen im Wahrspruch festgestellten Tathandlungen lediglich nach § 201 Abs 2 StGB bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Z 12 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Rechtsrüge, mit der sie eine anklagekonforme Verurteilung des Angeklagten nach § 201 Abs 1 StGB anstrebt, weil die sich aus den tatsächlichen Feststellungen des Wahrspruches ergebenden Tätlichkeiten des Angeklagten rechtsrichtig als schwere Gewalt zu beurteilen seien.

Dieser Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu:

Rechtliche Beurteilung

Gewalt ist die Anwendung nicht unerheblicher physischer Kraft, die auf die Überwindung eines wirklichen oder auch nur zu erwartenden Widerstandes des Opfers gerichtet ist. Sie ist aber dann als "schwer" im Sinne des § 201 Abs 1 StGB qualifiziert, wenn sie unter Anlegung eines objektiv-individualisierenden Maßstabes einen höheren Grad an Intensität oder Gefährlichkeit erreicht. Dazu gehören brutale oder rücksichtslose Aggressionshandlungen, darunter auch solche, mit denen in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, bei denen gefährliche Waffen verwendet werden oder Gewalt gegen besonders gefährdete oder empfindliche Körperregionen ausgeübt wird. Es liegt auch dann schwere Gewalt vor, wenn die Intensität oder Gefährlichkeit des Angriffes zwar unter diesem Ausmaß bleibt, er aber doch so nachhaltig ist, daß er durch seine längere Dauer eine gleichwertige Wirkung zu entfalten vermag, wie eine "an sich schwere" Gewalt (JAB zur Strafgesetznovelle 1989, BGBl 242, 927 BlgNR 17.GP 3; Leukauf/Steininger Komm3 RN 12, Pallin in WK ErgH RN 8 a jeweils zu § 201; Foregger/Kodek StGB6 § 201 Anm IV; EvBl 1992/79; jüngst 15 Os 122,123/97).

Die von den Geschworenen in ihrem Wahrspruch festgestellte, auf Duldung des Beischlafes und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen abzielende Vorgangsweise des Angeklagten zur Überwältigung seines Opfers ist als Anwendung schwerer Gewalt zu beurteilen:

Der Angeklagte hielt nämlich Sonja C***** nicht nur fest und riß sie an den Haaren, sondern packte sie auch im Bereich des Halses und versetzte ihr mehrere Faustschläge und Ohrfeigen sowie Schläge mit einem Teppichklopfer, welche, wie die ebenfalls festgestellten Tatfolgen beweisen, von einer derartigen Heftigkeit waren, daß die Frau nicht nur zahlreiche Weichteilverletzungen im Gesicht, im Bereich des Rumpfes und der Gliedmaßen (also am gesamten Körper), sondern auch noch eine traumatische Trommelfellzerreißung erlitt. Insbesondere die massiven Schläge in das Gesicht und auf die Kopfregion stellen fallbezogen eine besonders intensive und gefährliche Gewaltausübung gegen vulnerable Körperregionen dar. Dazu kommt, daß die festgestellten Tathandlungen für ihre Verwirklichung einen beträchtlichen Zeitraum (von etwa einer halben Stunde) benötigten, sodaß sich die längere Dauer der nachhaltigen Einwirkungen durch den Angeklagten auch aus diesem Grund als "schwere Gewalt" darstellen.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Anklagebehörde war daher das im Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage I festgestellte Tatverhalten in rechtlicher Hinsicht als schwere Gewalt im Sinne des § 201 Abs 1 StGB zu beurteilen, was eine Aufhebung des Schuldspruches I sowie des Strafausspruches und eine Verurteilung des Angeklagten Bernhard W***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 3 erster Satz erster Fall StGB zur Folge hatte.

Bei der dadurch erforderlich gewordenen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend: die Begehung strafbarer Handlungen verschiedener Art, den Umstand, daß der Angeklagte bereits wegen auf gleicher schädlicher Neigung beruhender Taten nach dem Suchtgiftgesetz verurteilt worden ist, den raschen Rückfall in den Suchtgiftkonsum, die heimtückische Begehungsweise des Verbrechens der Vergewaltigung und die mehrfache Qualifikation der schweren Körperverletzung; als mildernd: den Beitrag zur Wahrheitsfindung und die eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit.

Im Hinblick auf diese Strafzumessungsgründe, insbesondere auf die rücksichtslose Vorgangsweise des Angeklagten bei dem Angriff auf Sonja C***** und die beträchtlichen gesundheitlichen Folgen des Opfers, entspricht eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat.

Die Vorhaftanrechnung und das Adhäsionserkenntnis waren aus dem angefochtenen Urteil zu übernehmen; die inzwischen weiter erlittene Untersuchungshaft war gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB anzurechnen.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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