OGH 4Ob137/98w

OGH4Ob137/98w26.5.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Pimmer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr.Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter S*****, derzeit Justizanstalt Josefstadt, Wien 18, Wickenburggasse 18, vertreten durch Mag.Werner Suppan, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei K***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Giger, Ruggenthaler & Simon Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert im Provisorialverfahren S 500.000.-), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 12.März 1998, GZ 3 R 239/97g-10, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 4. November 1997, GZ 37 Cg 281/97w-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Gegen den Kläger ist beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein Strafverfahren wegen des Verdachtes des Mordes anhängig. In der Hauptverhandlung vom 24.6.1997 wurde der Kläger in diesem Sinn für schuldig erkannt und zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil ist (infolge einer vom Kläger erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung) nicht rechtskräftig. Der Kläger befindet sich in Untersuchungshaft. Die Beklagte ist Medieninhaberin der Tageszeitung "Kurier".

In der Ausgabe des "Kuriers" vom 24.6.1997 erschien unter dem Titel "Polizei hörte mit, als die tödlichen Schüsse fielen" ein Bericht über das Strafverfahren gegen den Kläger. Der Artikel war mit einem Lichtbild illustriert, das den Kläger in Handschellen im Verhandlungssaal sitzend zeigt. Darunter befindet sich die Bildunterschrift "Alles außer Mord: Peter S.". Die Veröffentlichung des Bildes erfolgte ohne Zustimmung des Klägers.

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches beantragte der Kläger, der Beklagten ab sofort zu gebieten, die Veröffentlichung und/oder Verbreitung von Bildnissen des Klägers im Zusammenhang mit der Berichterstattung über ein gegen den Kläger anhängiges Strafverfahren wegen Mordes zu unterlassen. Die Veröffentlichung seines Bildnisses verstoße gegen seine berechtigten Interessen; er werde vor Rechtskraft eines Schuldspruches in der Öffentlichkeit als jemand angeprangert, der einen Mord begangen habe oder begangen haben könnte. Ein Informationswert komme der Veröffentlichung des Bildnisses des Klägers nicht zu.

Die Beklagte beantragte, den Sicherungsantrag abzuweisen. Nur berechtigte Interessen stünden unter dem Schutz des § 78 UrhG. Darunter falle nicht der vom Kläger selbst nicht bestrittene Verdacht, eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben begangen zu haben. Das Leserpublikum der Beklagten könne zwischen "Verdacht" und "Verurteilung" unterscheiden. Gemäß Art 10 MRK sei grundsätzlich von einer Freiheit der Bildberichterstattung auszugehen. Der Abbildung des Klägers komme Informationswert zu. Der Kläger sei nicht durch die Berichterstattung der Beklagten, sondern durch die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft Wien "öffentlich an den Pranger gestellt" worden. Ausgehend vom verfassungsrechtlich verankerten Gebot der Öffentlichkeit von Zivil- und Strafverhandlungen sei es schwer verständlich, daß zwar grundsätzlich jedermann dem gegen den Kläger geführten Strafverfahren beiwohnen und sich dabei auch Kenntnisse über Aussehen und Personalien des Klägers verschaffen könne, die Wiedergabe des Verlaufs der Verhandlung unter Anschluß eines nicht den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzenden Bildnisses hingegen verboten sein solle. Dem beanstandeten Bericht sei weder wörtlich noch sinngemäß zu entnehmen, daß der Kläger einen Mord begangen habe. Das vom Kläger gestellte Unterlassungsbegehren sei auch zu weit gefaßt. Es bestehe kein Anlaß, die Veröffentlichung von Bildnissen des Klägers zu untersagen, wenn dies im Interesse der Strafverfolgung, etwa im Rahmen einer Fahndung nach dem Kläger oder im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über einen Freispruch des Klägers, opportun wäre.

Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag statt. Durch die beanstandete Bildberichterstattung werde gegen § 78 UrhG verstoßen. Dem Foto des Klägers komme kein Informationswert zu. Für die Aufklärung der Strafsache sei es unerheblich, ob das Personenbildnis des Klägers dem Leserpublikum der Beklagten bekannt werde. Die Abbildung des Klägers, wie er mit Handschellen gefesselt auf der Anklagebank sitze, im Zusammenhang mit der Wortberichterstattung erwecke bei einem zumindest nicht unerheblichen Teil der Leser den Eindruck, daß der Kläger vorsätzlich getötet, also gemordet habe. Darin liege eine Verletzung der auch für den Kläger geltenden Unschuldsvermutung.

Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000.- übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der OGH zur Frage der Behauptungs- und Beweislast im Zusammenhang mit einer Interessenabwägung nach § 7a MedG, § 78 UrhG noch nicht Stellung genommen habe. Nach den Grundsätzen der jüngsten höchstgerichtlichen Rechtsprechung (MR 1997, 302 = ÖBl 1998, 88 - Ernestine K.) seien bei Auslegung des § 78 UrhG die Wertungen der §§ 7a und 7b MedG zu berücksichtigen; danach komme Erwachsenen, die eines Verbrechens verdächtig sind oder wegen eines solchen verurteilt wurden, Identitätsschutz nur dann zu, wenn durch die Veröffentlichung von Name oder Bild ihr Fortkommen unverhältnismäßig beeinträchtigt werden könne. Derartiges habe der Kläger aber ebensowenig vorgebracht wie eine Verletzung der Unschuldsvermutung durch den beanstandeten Artikel.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Nach der vom Rekursgericht richtig wiedergegebenen jüngsten Rsp des erkennenden Senates zu § 78 UrhG (zuletzt 4 Ob 95/98v und 4 Ob 127/98z) sind bei der Konkretisierung des im Gesetz nicht näher festgelegten Begriffes der "berechtigten Interessen" jedenfalls dort, wo der gleiche Sachverhalt geregelt wird, auch die Wertungen des MedienG zu berücksichtigen. § 7a Abs 2 MedG gewährt Erwachsenen, die eines Verbrechens verdächtig sind oder wegen eines solchen verurteilt wurden, Identitätsschutz nur dann, wenn durch die Veröffentlichung von Name, Bild oder anderen zum Bekanntwerden der Identität führenden Angaben ihr Fortkommen (unter Bedachtnahme auf die Umstände der Tat sowie deren Verfolgung und Bestrafung) unverhältnismäßig beeinträchtigt werden kann. Fehlt diese Voraussetzung, dann ist - wegen des Zusammenhanges des (angeblichen) Verbrechens mit dem öffentlichen Leben - ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung unter anderem des Bildes gegeben.

Wer sich unter den Schutz des § 8 UrhG stellen möchte, muß dann, wenn er unter den in § 7a Abs 1 Z 2 MedG genannten Personenkreis fällt, behaupten und beweisen, daß eine Veröffentlichung in einem Medium seine schutzwürdigen Interessen iS des § 7a Abs 2 MedG verletzt und damit ein Eingriff in den ihm in dieser Bestimmung gewährten Identitätsschutz vorliegt. Hat nun der Kläger keine Behauptungen dahin aufgestellt, weshalb die Bildnisveröffentlichung geeignet sei, sein Fortkommen unverhältnismäßig zu beeinträchtigen, ist die Abweisung seines Provisorialantrages durch das Rekursgericht (ausgehend von einem überwiegenden Veröffentlichungsinteresse der Beklagten) nicht zu beanstanden.

Als weitere erhebliche Rechtsfrage wirft der Kläger auf, ob sein Unterlassungsbegehren nicht allenfalls im Hinblick auf die Verletzung der Unschuldsvermutung durch den dem Bild beigegebenen Text gerechtfertigt gewesen wäre. Diese Argumentation übersieht jedoch, daß der Artikel nur den äußeren Tatablauf, wie er sich aufgrund der Beweisaufnahmen in der Strafverhandlung darstellte, widergab, eine Wertung der inneren Tatseite hingegen unterließ und dazu sogar (hervorgehoben als Bildunterschrift) den Kläger mit den Worten zitiert: "Alles außer Mord". Daß der im Zeitungsartikel geschilderte äußere Geschehensablauf unrichtig wiedergegeben sei, hat der Kläger nie behauptet; auch wird die Verantwortung des Klägers, er habe seinen "Nachfolger" nicht töten wollen, ausdrücklich erwähnt. Damit entbehrt der Vorwurf, der Text verletze die Unschuldsvermutung, weil er dem Kläger zu Unrecht Mordabsicht unterstelle, jede Berechtigung. Auch unter diesem Aspekt ist demnach der geltend gemachte Unterlassungsanspruch unbegründet.

Zuletzt sieht der Kläger berechtigte Interessen dadurch verletzt, daß ihn das veröffentlichte Bild in Handfesseln im Gerichtssaal auf der Anklagebank sitzend zeigt, weshalb ein Verstoß gegen § 22 MedG vorliege. Dem ist entgegenzuhalten, daß § 22 MedG unter anderem Fotoaufnahmen von Verhandlungen der Gerichte für unzulässig erklärt; die Hauptverhandlung in Strafsachen beginnt jedoch erst mit dem Aufruf der Sache (§ 239 StPO), zu der der Angeklagte ungefesselt erscheint. Der Umstand, daß der Kläger mit Handfesseln abgebildet ist, läßt demnach nur den Schluß zu, daß das Foto eben noch vor Verhandlungsbeginn aufgenommen worden sein muß. Es kann daher die Frage, ob eine Verletzung des § 22 MedG auch berechtigte Interessen des Klägers iS des § 78 UrhG verletzt, hier unerörtert bleiben.

Die bei annähernd gleichem Sachverhalt vom Kläger unter Berufung auf § 78 UrhG erwirkte einstweilige Verfügung des OLG Wien zu 15 R 3/98s wurde mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 26.Mai 1998, 4 Ob 96/98s, aufgehoben und der Provisorialantrag abgewiesen; eine die Rechtssicherheit gefährdende Judikaturdivergenz liegt damit nicht mehr vor.

Eine Kostenentscheidung entfiel, weil die Beklagte für ihre Revisionsrekursbeantwortung keine Kosten verzeichnet hat.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte