OGH 7Ob166/97f

OGH7Ob166/97f5.5.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef G*****, vertreten durch Dr.Karl Schelling, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei T***** Kultur- und Sportverein, ***** vertreten durch den Obmann Osman T*****, vertreten durch Dr.Rainer Santner und Dr.Reinhard Pitschmann, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 24.März 1997, GZ 2 R 67/97m-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 15.November 1996, GZ 7 C 530/96v-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden abgeändert, daß sie als

Z w i s c h e n u r t e i l

zu lauten haben:

"Der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 9 MRG besteht zu Recht."

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat ein im Erdgeschoß seinen Hauses befindliches Geschäftslokal an die (nunmehr) beklagte Partei vermietet. Er bewohnt gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin eine im ersten Stock des Hauses liegende Wohnung.

Der Kläger kündigte der beklagten Partei diese Geschäftsräumlichkeiten für den letzten Tag des Monates März 1996 auf. Als Kündigungsgrund macht er Eigenbedarf gemäß § 30 Abs 2 Z 9 MRG geltend und führte dazu aus, unter einem massiven neurastenischen Erschöpfungszustand sowie an schweren degenerativen Veränderungen an der Lendenwirbelsäule zu leiden. Es sei aus ärztlicher Sicht dringend geboten, daß die kündigende Partei eine Wohnung im Erdgeschoß nehme, um das Stiegensteigen zu vermeiden. Seine Lebensgefährtin leide an einer schweren Osteoporose und fortgeschrittener Parkinson'schen Krankheit. Durch die vorhandende Stiege sei die Bewohnung der Wohnung im 1. Obergeschoß nicht mehr möglich. Es bestehe dringender Bedarf am aufgekündigten Geschäftslokal, das sehr einfach in eine Wohnung umgebaut werden könne. Andere Räumlichkeiten stünden nicht zur Verfügung. Der Kläger behielt es sich vor, zwei Ersatzmietgegenstände im Zuge des Verfahrens anzubieten.

Die beklagte Partei wendete ein, daß ein dringender Eigenbedarf nicht vorliege; auf die Interessen der Lebensgefährtin sei nicht Rücksicht zu nehmen, weil sie nicht zum geschützten Personenkreis gehöre.

Das Erstgericht hat die gerichtliche Aufkündigung aufgehoben. Es ging dabei von nachstehendem Sachverhalt aus:

Der Kläger hat am 15.1.1992 einen Mietvertrag mit dem D***** Fußballverein abgeschlossen, wobei er als Vermieter, der Fußballverein als Mieter aufgetreten sind. Der D***** Fußballverein wurde im Sommer 1995 in die beklagte Partei umgebildet. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 23.6.1995 wurde diese Umbildung nicht untersagt. Es kam lediglich zu einer Namensänderung; der Vereinszweck blieb wie bisher ident. Die Tätigkeit des Vereines hatte insbesondere Pflege des Fußballspiels bezweckt. Die beklagte Partei betreibt einen Fußballclub und ist Mitglied einer türkischen Fußballiga. Sie nimmt jährlich an ca 12 turniermäßig veranstalteten Fußballspielen teil. Vom Obmann der beklagten Partei wird ein Mitgliederbuch geführt, in dem Name und Anschrift des jeweiligen Mitgliedes der beklagten Partei eingetragen werden. Grundsätzlich haben zu dem im Mietobjekt von der beklagten Partei geführten Vereinslokal nur Vereinsmitglieder Zutritt. Die Mitglieder der beklagten Partei treffen sich im Vereinslokal, um miteinander zu sprechen, Karten zu spielen und Fußballveranstaltungen im Fernsehen zu verfolgen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Personen mit türkischer Staatsangehörigkeit. Mietgegenstand ist ein Geschäftslokal im Ausmaß von ca 60 m2. Im Vereinsraum befinden sich Tische und Stühle und auch Kästen. Getrennt vom Vereinsraum befindet sich eine Bar, Küche sowie WC für Damen und Herren.

Das dem Kläger gehörende Haus wurde im Jahre 1954 errichtet. Im Jahr 1974 erfolgte ein Anbau, der seit Februar 1994 vom Kläger vermietet wurde. Um diese Wohnung im Anbau zu erreichen, müssen ca 4 bis 6 Stufen überwunden werden. Unterhalb des Anbaues liegt eine weitere Wohnung, die vom Kläger seit ca 5 bis 6 Jahren ebenfalls vermietet wurde. Der Kläger bewohnt eine Wohnung im ersten Stock seines Hauses zusammen mit seiner Lebensgefährtin und seinem Enkel. Die Wohnung besteht aus 5 Zimmern, Küche, Bad und WC. Um zu ihr zu gelangen, muß eine Stiege bestehend aus 26 Stufen überwunden werden. Die im Jahr 1932 geborene Lebensgefährtin des Klägers wohnt seit dem Jahr 1993 in dessen Wohnung. Sie leidet unter einer Osteoporose und an einer beidseitigen Coxarthrose; weiters besteht eine fortgeschrittene Parkinson'sche Krankheit. Die Lebensgefährtin ist sehr schwer gehbehindert und benötigt, um die Wohnung im 1. Stock zu verlassen, die Hilfe Dritter mittels eines Tragestuhles. Der Kläger selbst ist 1,66 m groß und weist ein Gewicht von 77 kg auf. Infolge massiver degenerativer Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule ist die Belastbarkeit der Wirbelsäule beim Kläger reduziert. Ebenfalls ist die Beweglichkeit beider Hüftgelenke reduziert; der Kläger leidet an einem neurastenischen Erschöpfungszustand. Er verwendet beim Gehen einen Stock. Für ihn ist Stiegensteigen nur mit erhöhter Anstrengung möglich und mit Schmerzen verbunden. Das Überwinden von ca 26 Stufen, dies ca 3 oder 4 x täglich, führt allerdings nicht zu einer Lebensbedrohung bzw einer Bedrohung der physischen Existenz des Klägers. Auch ist mit schweren gesundheitlichen Schädigungen oder einer Zunahme der degenerativen Veränderungen, die zu schwereren gesundheitlichen Schäden führen würden, nicht zu rechnen. Bedingt durch die Schmerzen verursacht durch das Stufensteigen ist allerdings die Lebensqualität des Klägers beeinträchtigt. Er müßte umfangreiche Adaptierungsarbeiten durchführen lassen, um im streitgegenständlichen Mietobjekt wohnen zu können.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, daß dringender Eigenbedarf auf seiten des Klägers nicht gegeben sei. Beim Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 9 MRG sei ein strenger Maßstab anzulegen. Es sei notwendig, daß eine Lebensbedrohung bestehe und bei Fortdauer des aufzukündigenden Mietverhältnisses schwere gesundheitliche Schädigungen für den Vermieter bestünden. Die Kündigung müsse die einzige Möglichkeit sein, um die Lebensgefahr abzuwenden. Im gegenständlichen Fall sei zwar das Stiegensteigen für den Kläger mit erhöhter Anstrengung und Schmerzen verbunden, was zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität des Kläger führe, doch liege Lebensbedrohung bzw Bedrohung der physischen Existenz nicht vor. Die Lebensgefährtin sei vom Personenkreis, zu dem der Vermieter selbst, gegebenenfalls auch der Wohnbedarf einer Hausgehilfin oder einer Pflegeperson sowie Verwandte in gerader Linie gehörten, nicht umfaßt.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht gab seiner Berufung nicht Folge.

Es vertrat die Rechtsansicht, daß auch nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bei der Konkretisierung des unbestimmten Gesetzesbegriffes des Eigenbedarfs ein solcher schon dann vorliegt, wenn die Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes die Gefahr einer leichten Verschlechterung des ohnehin schon bedenklichen gesundheitlichen Zustandes eines Menschen mit sich bringe, jedenfalls aber eine Stabilisierung der Gesundheit verhindere (WoBl 1993/7; MietSlg 46.407), doch sei im vorliegenden Fall mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers nicht zu rechnen. Das Bestehen von leichten bis mittelstarken Schmerzen beim Gehen ohne Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes rechtfertige das Vorliegen des dringenden Eigenbedarfs im Sinne des § 30 Abs 2 Z 9 MRG nicht.

Das Berufungsgericht widersprach auch der in der Berufung vertretenen Rechtsmeinung bei Beurteilung des Eigenbedarfs nach dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 9 MRG seien auch die Erfordernisse des Lebensgefährten zu untersuchen. Eine exzessive Auslegung scheitere am eindeutigen Wortlaut hinsichtlich des Anwendungsbereiches des einzelnen Kündigungsgrundes und dem "klaren äußersten" Wortsinn der Bestimmung. Für eine darüber hinausgehende Analogie fehle es nach den eindeutigen gesetzlichen Differenzierungen hinsichtlich der einzelnen Kündigungsgründe durch den Gesetzgeber an einer planwidrigen Lücke im Sinn des § 7 ABGB.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision nicht zuzulassen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Tendenzen der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht beachtet hat. Sie ist auch berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof vermag sich nämlich der Rechtsmeinung, daß die für den Kläger mit Schmerzen verbundene Weiterbenützung der Wohnung im ersten Stock das Erfordernis des Eigenbedarfs im Sinne des § 30 Abs 2 Z 9 MRG nicht erfüllt, nicht anzuschließen. Nach dieser Gesetzesstelle ist es als wichtiger Grund anzusehen, der den Vermieter zur Kündigung des Mietgegenstandes berechtigt, wenn der Vermieter den Mietgegenstand für sich selbst oder für Verwandte in gerader Linie dringend benötigt und dem Mieter Ersatz beschaffen wird. Unter dringendem Eigenbedarf war nach der bisherigen Rechtsprechung eine zumindest notstandsähnliche Situation zu verstehen, die nur dann zu bejahen sei, wenn der Wohnbedarf des Vermieters oder seiner begünstigten Verwandten jedenfalls nur so unzulänglich gedeckt sei, daß eine unabweisliche Notwendigkeit vorliege, diesen Mangel so bald wie möglich zu beseitigen. Die wörtliche Übernahme des Kündigungstatbestandes des § 19 Abs 2 Z 5 MG in die neue Regelung spreche für die Annahme, daß die jahrzehntelange Auslegung der alten Bestimmung - die sich an den tristen Verhältnissen der Kriegs- und Nachkriegszeit orientierte - weiter aufrechtzuerhalten sei, wäre es doch dem Gesetzgeber freigestanden, gegen diese Auslegung eines unbestimmten Gesetzesbegriffs etwas zu unternehmen, weshalb keine Anhaltspunkte für ein neues, den geänderten Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt entsprechendes Verständnis der Eigenbedarfsbestimmung vorliege. Der für das Erfordernis des dringenden Eigenbedarfs angelegte Maßstab dürfe daher trotz leichter Entspannung auf dem Wohnungsmarkt nicht gelocktert werden, wenngleich recht unterschiedliche Maßstäbe angelegt würden (WoBl 1997, 52 mit Anm Würth; WoBl 1993/7 mit Anm Call; WoBl 1991, 17, MietSlg 41.355/19). Gegen diese Rechtsauffassung bestehen erhebliche Bedenken der Lehre (Würth in Rummel2 Rz 36 zu § 30 MRG; Call in WoBl 1993, 17; Gimpel-Hinteregger, "Notstand" und "Existenzgefährdung" - die Rechtsprechung des OGH zum Kündigungsgrund des dringenden Eigenbedarfs nach § 30 Abs 2 Z 8 und Z 9 MRG in JBl 1988, 16 ff ua).

Die Rechtsprechung hat aber bereits ausgeführt, daß die Gefahr schwerer gesundheitlicher Schädigungen oder der Bedarf nach einer Pflegeperson zu berücksichtigen seien. Auch das Fehlen einer Wohnmöglichkeit in einem anderen Ort zur Ausübung des Berufes wurde bereits als Eigenbedarf anerkannt (Nachweise bei Würth aaO Rz 36).

Der Oberste Gerichtshof hat auch wiederholt ausgesprochen, daß der nach wie vor im bürgerlichen Recht im § 354 ABGB verankerte Grundsatz der freien Verfügbarkeit über das Eigentum gelte, der nur dort nicht zum Tragen komme, wo entgegenstehende Bestimmungen, wie etwa die Kündigungsbeschränkungen des MRG eine Ausnahme verfügten. Wenn diese Bestimmungen die Eigenbedarfskündigung auf den Fall der unbedingten Notwendigkeit einschränkten, könne daraus noch nicht abgleitet werden, daß der Vermieter (oder dessen Nachkommen) zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses grundsätzlich auf eine nicht in seinem Eigentum stehende Wohnmöglichkeit verwiesen werden müsse. Vielmehr sei davon auszugehen, daß der Eigentümer einer Wohnung oder eines Hauses mit Wohnung in erster Linie sein Eigentum zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses heranziehen wolle und dürfe (vgl WoBl 1997, 52 mwN).

Im vorliegenden Fall vertritt der erkennende Senat die Rechtsmeinung, daß Eigenbedarf nicht nur bei schwerer, lebensbedrohender gesundheitlicher Schädigung des Vermieters oder seiner Angehörigen bzw bei Gefahr einer leichten Verschlechterung eines gesundheitlichen Zustandes bei Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes zu bejahen ist, sondern daß Eigenbedarf bereits dann vorliegt, wenn die vom Vermieter bisher benützte Wohnung aufgrund einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes nur mehr mit Schmerzen benützbar ist. Dazu kommt, daß auch die Lebensgefährtin des Klägers die Wohnung nur mehr mit Hilfe von Dritten unter Benützung eines Tragestuhles verlassen kann.

Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, daß der Eigenbedarf eines Lebensgefährten zufolge der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung des § 30 Abs 2 Z 9 MRG bei Beurteilung, ob der Kündigungstatbestand hergestellt ist, nicht berücksichtigt werden kann. Doch ist aus der Tatsache, daß die Lebensgefährtin des Klägers die Wohnung alleine nicht mehr verlassen kann, doch auch die dadurch hervorgerufene Beeinträchtigung des Klägers zu berücksichtigen (vgl 1 Ob 619/95).

Zusammenfassend ergibt sich, daß Eigenbedarf des Klägers im Sinne des § 30 Abs 2 Z 9 MRG vorliegt.

Da der Kläger sich ausdrücklich vorbehalten hat, der beklagten Partei einen Ersatzgegenstand anzubieten (AS 2), war im Sinne des § 32 Abs 1 MRG mit Zwischenurteil auszusprechen, daß der geltend gemachte Kündigungsgrund gegeben ist.

Im fortgesetzten Verfahren ist nach § 32 Abs 2 MRG vorzugehen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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