Spruch:
Dadurch, daß die Einzelrichterin des Landesgerichtes Krems an der Donau trotz ausreichender Anhaltspunkte in Richtung des Verbrechens der versuchten Bestimmung zum Mißbrauch der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB die Einholung der Entscheidung der Ratskammer und in der Hauptverhandlung den Ausspruch ihrer Unzuständigkeit unterließ, ist das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 485 Abs 1 Z 2 und 488 Z 6 iVm § 13 Abs 2 Z 6 StPO verletzt.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Text
Gründe:
Mit Strafantrag vom 22. Juli 1996 (ON 3) legte die Staatsanwaltschaft Krems an der Donau dem Franz V***** als Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB zur Last, er habe am 24. Mai 1996 in Steinbach den Gendarmeriebeamten BI K*****, der im Begriff war, Erhebungen gegen ihn wegen verwaltungs- oder strafrechtlicher Tatbestände, nämlich der unsachgemäßen und ungesetzlichen Ausbringung von Fäkalabwässern, zu führen, durch die Äußerung: "Vergessen wir's, sonst zeige ich deine Brüder und deinen Sohn an, wenn er mit der Krax'n (gemeint: ein nicht zum Verkehr zugelassenes Moped) herumfährt", sohin durch gefährliche Drohung, an einer Amtshandlung zu hindern versucht.
Die Einzelrichterin des Landesgerichtes Krems an der Donau hatte keine Bedenken gegen die rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes durch die Staatsanwaltschaft, beraumte eine Hauptverhandlung an und erkannte Franz V***** mit Urteil vom 8. Jänner 1997 im Sinne des Strafantrages für schuldig (ON 8).
Die allein vom Angeklagten dagegen erhobene Berufung wegen Nichtigkeit wurde vom Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 28. Oktober 1997, AZ 20 Bs 126/97 (ON 18), zurückgewiesen. Aus deren Anlaß hob jedoch das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil gemäß §§ 477 Abs 1, 489 Abs 1 StPO auf und sprach Franz V***** vom erwähnten Anklagevorwurf gemäß § 259 Z 3 StPO frei.
Das Oberlandesgericht begründete diese Entscheidung damit, daß die inkriminierte Äußerung einerseits nicht als gefährliche Drohung im Sinn des § 74 Z 5 StGB und die Tat somit nicht als Vergehen des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB zu beurteilen wäre, ein Schuldspruch wegen des - nach Ansicht des Berufungsgerichtes konstatierten - Verbrechens der versuchten Bestimmung zum Mißbrauch der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 (zweiter Fall), 302 Abs 1 StGB aber "infolge des Verschlimmerungsverbotes ... nicht mehr in Frage kommen kann".
In seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt der Generalprokurator aus:
"I./ Nach dem Akteninhalt hätte die Einzelrichterin des Landesgerichtes Krems an der Donau (von vornherein) die oben beschriebene Äußerung - entgegen der im Strafantrag vorgenommenen Subsumierung - nicht als versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB, sondern - im Hinblick auf den Versuch des Angeklagten, den Beamten zur pflicht- und gesetzeswidrigen Unterlassung von Amtshandlungen und von der Anzeigeerstattung zu bestimmen - als versuchte Bestimmung zum Mißbrauch der Amtsgewalt nach §§ 15, 12, 302 Abs 2 StGB beurteilen (vgl Leukauf/Steininger StGB3 RN 31 zu § 269) und demzufolge unter Verneinung ihrer Zuständigkeit für diese (nach § 13 Abs 2 Z 6 StPO in die Kompetenz des Schöffengerichtes fallende) Strafsache gemäß § 485 Abs 1 Z 2 StPO an die Ratskammer herantreten müssen, um dieser eine Entscheidung nach § 486 Abs 1 StPO zu ermöglichen.
Infolge ihres Rechtsirrtums hat die Einzelrichterin auch in der Hauptverhandlung übersehen, daß sie keine Sachentscheidung hätte fällen dürfen, sondern gemäß § 488 Z 6 StPO (mit Urteil) ihrer Unzuständigkeit aussprechen müssen.
2./ Aber auch die Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien ist fehlerhaft:
Gemäß § 477 Abs 1 StPO hat sich der über das Rechtsmittel entscheidende Gerichtshof auf die in Beschwerde gezogenen Punkte zu beschränken und darf nur jenen Teil des erstrichterlichen Erkenntnisses ändern, gegen den die Berufung gerichtet ist. Eine amtswegige Wahrnehmung anderer Mängel ist ua nur vorgesehen, soweit diese in einer unrichtigen Anwendung des Strafgesetzes bestehen und die unrichtige Anwendung dem Angeklagten zum Nachteil gereicht (zweiter Satz leg cit). An der letztgenannten Voraussetzung gebricht es jedoch im vorliegenden Fall:
Ob eine Gesetzesverletzung einem Betroffenen zum Vor- oder zum Nachteil gereicht, ist nämlich nach ihren gesamten Folgen zu beurteilen (vgl Mayerhofer StPO4 E 82 a zu § 292). Dem Nachteil der Verletzung des Rechtes des Franz V***** auf Verhandlung und Entscheidung seiner Sache (nicht vor der Einzelrichterin, sondern) vor dem Schöffengericht stehen aber die Vorteile vor allem der Beurteilung der Tat (bloß) als Vergehen statt als Verbrechen (vgl EvBl 1977/250), darüber hinaus aber auch der geringeren Kosten der (nicht obligatorischen) Verteidigung (vgl § 9 AHR) sowie des Umstandes gegenüber, daß im einzelrichterlichen Verfahren niedrigere Pauschalkostenersätze (§ 381 Abs 3) zum Tragen kommen (vgl abermals Mayerhofer aaO E 82 a).
Daraus folgt, daß die - wie das Oberlandesgericht Wien insoweit zutreffend feststellte - unrichtige Lösung der Rechtsfrage und die (letztlich) damit einhergehende Fällung eines Schuldspruchs (anstelle eines Unzuständigkeitsurteils gemäß § 13 Abs 2 Z 6 StPO) durch die Einzelrichterin des Landesgerichtes Krems an der Donau dem Angeklagten im Ergebnis nicht zum Nachteil gereichten, sodaß die amtswegige Wahrnehmung dieses (nicht gerügten) Mangels und der damit im Zusammenhang stehende Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO zu unrecht erfolgten."
Rechtliche Beurteilung
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist teilweise berechtigt.
Zutreffend wird aufgezeigt, daß die Einzelrichterin des Landesgerichtes die inkriminierte Aufforderung von vornherein nicht nur in Richtung des Vergehens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB, sondern - idealkonkurrierend, dann aber (nur) mit dem (Grund-)Tatbestand nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (Leukauf/Steiniger Komm3 § 269 RN 31) - auch in Richtung des Verbrechens der versuchten Bestimmung zum Mißbrauch der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB zu prüfen und sodann die Entscheidung der Ratskammer gemäß § 485 Abs 1 Z 2 StPO einzuholen, spätestens in der Hauptverhandlung aber angesichts des aus den Feststellungen dahin ableitbaren Anschuldigungsbeweises gemäß § 488 Z 6 StPO ihre Unzuständigkeit auszusprechen gehabt hätte.
Zur gerügten Vorgangsweise des Berufungsgerichtes hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Indem das Oberlandesgericht Franz V***** von der Anklage gemäß § 259 Z 3 StPO freisprach, hat es das (verurteilende) erstgerichtliche Urteil nicht zu dessen Nachteil geändert und demnach auch nicht gegen §§ 498 Abs 1, 477 Abs 1 StPO verstoßen.
Die in der Beschwerde zur Frage, "ob eine Gesetzesverletzung einem Betroffenen zum Vorteil oder zum Nachteil gereicht", angeführte Judikatur bezieht sich nur auf die Reichweite des dem Obersten Gerichtshof bei Feststellung einer Gesetzesverletzung nach § 292 letzter Satz StPO eingeräumten Ermessens, nicht aber auf die angesprochene Thematik.
Die §§ 498 Abs 1, 477 Abs 1 StPO stehen den (in den Entscheidungsgründen angestellten) Überlegungen des Berufungsgerichtes, warum es sich nicht zu einer Verurteilung wegen einer in erster Instanz ungeprüft gebliebenen strafbaren Handlung veranlaßt sah, nicht entgegen; deren Inhalt aber ist nicht Gegenstand der Wahrungsbeschwerde.
Dadurch, daß es das Erstgericht unterlassen hat, den Sachverhalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB zu prüfen, hat es das Strafgesetz im übrigen nicht zum Nachteil des Angeklagten angewendet (§§ 489 Abs 1, 477 Abs 1 zweiter SatzStPO).
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