Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ernestine K***** des Verbrechens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und Abs 2 zweiter und dritter Fall StGB (A/I/1-3) sowie des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (B/1 und 2) schuldig erkannt.
Darnach hat sie in Wien
A/I. ihre Adoptivtochter Maria K***** widerrechtlich gefangengehalten, wobei sie die Tat auf solche Weise, daß sie der Festgehaltenen besondere Qualen bereitete, sowie unter solchen Umständen beging, daß die Genannte einen intellektuellen Minderwertigkeitskomplex und ein schweres Mißhandlungssyndrom erlitt, mithin für sie mit besonders schweren Nachteilen verbunden war, und zwar jeweils in wiederholten Angriffen
1. im Jahr 1988 durch Einsperren in der Toilette der Wohnung der Irmengard M***** während der Nacht sowie während längerer Abwesenheit tagsüber;
2. im Jahr 1989 durch Einsperren in einem Geräteschuppen jeweils für mehrere Stunden, zumeist jedoch die ganze Nacht über, wobei sie ihr wiederholt die Hände fesselte und den Mund mit Heftpflaster verklebte;
3. ab Anfang 1992 bis Juni 1996 dadurch, daß sie Maria K***** zumeist während der ganzen Nacht veranlaßte, sich in eine nur von außen zu öffnende Holzkiste im Ausmaß von 160x50x33 cm zu legen, die sie sodann verriegelte;
B) Personen, die ihrer Fürsorge und Obhut unterstanden und das
achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, körperliche und seelische Qualen zugefügt, und zwar
1. von 1989 bis 13. April 1992 ihrer am 13. April 1974 geborenen Adoptivtochter Maria K***** durch die zu A/I/2 und 3 beschriebenen Handlungen sowie dadurch, daß sie der Genannten in vielfachen Angriffen Schläge versetzte, sie an den Haaren riß und ihr Tritte in den Bauch versetzte;
2. von 1984 bis 1992 den in ihrer Pflege stehenden Sohn ihrer Adoptivtochter Renate B*****, nämlich den am 27. August 1978 geborenen Manuel K***** dadurch, daß sie ihm wiederholt Schläge versetzte, mit einer Peitsche, einem Kochlöffel oder anderen Sachen auf ihn einschlug und ihn längere Zeit hindurch auf Steinen knien ließ.
Der gegen diesen Schuldspruch aus den Gründen der Z 3, 4, 5, 5 a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.
Rechtliche Beurteilung
Mit dem Einwand (Z 3), durch die Vorführung der Videoaufzeichnung über die kontradiktorische Vernehmung der erwachsenen Zeugin Maria K***** sei § 252 Abs 1 Z 2a StPO verletzt worden, weil die Genannte von einem Sachverständigen vernommen wurde, obwohl dies nur bei unmündigen Zeugen vorgesehen sei und die Untersuchungsrichterin Listen von Fragen anforderte, die der Experte zu stellen hatte, wodurch "der Verteidigung die Möglichkeit genommen war, unmittelbar und sofort ergänzende Fragen zur Klarstellung des Sachverhaltes und zur Aufklärung von Widersprüchen zu stellen", zeigt die Beschwerdeführerin keinen Verstoß gegen § 162 a StPO auf, der ein mit Nichtigkeit sanktioniertes Verlesungsverbot zur Folge gehabt hätte. Daß dem Sachverständigen die Möglichkeit zur Fragestellung geboten wurde, nimmt den in Anwesenheit und unter der Leitung der Untersuchungsrichterin vorgenommenen Prozeßhandlungen (s ON 39 f und 52a) nicht den Charakter einer gerichtlichen Vernehmung, die unter den Voraussetzungen des § 252 Abs 1 Z 2a StPO verlesen werden darf. Im übrigen entsprach die kritisierte Beschränkung des unmittelbaren Fragerechtes der in § 162 a Abs 2 StPO mit Rücksicht auf den seelischen Zustand des Opfers eingeräumten Vorgangsweise (vgl 924 BlgNR 18. GP, 32; Einführungserlaß zum Strafprozeßänderungsgesetz, JMZ 578.012/41-II 3/93, S 41).
Die Ablehnung der Einvernahme von (weiteren) 24 (der in ON 120 namentlich beantragten 27) Zeugen zum Beweis dafür, "daß Maria K***** durch die Angeklagte familiär und schulisch gefördert wurde und sich in den Jahren 1994, 1995 und 1996 besonders gut entwickelte", verletzt keine Verteidigungsrechte (Z 4). Das Schöffengericht ging nämlich ohnedies davon aus, daß die Angeklagte ihre Stieftochter Maria nach eigenen Vorstellungen und Richtlinien förderte (US 27, 30). Im übrigen wurde im Antrag nicht dargetan, warum die Zeugen vom psychiatrischen Sachverständigen unentdeckte, für den Befund relevante Umstände berichten könnten, durch die das vom Experten attestierte "Mißhandlungssyndrom höchsten Ausmaßes" oder der festgestellte Vorsatz der Ernestine K***** in Frage gestellt würde.
Der Einwand gegen die Unterlassung der Vernehmung von Zeugen zum Beweis dafür, daß keine Verletzungen an Maria K***** beobachtet werden konnten bzw über frühere Haltungsschäden und das "Längenwachstum" des Opfers geht gleichfalls fehl, zumal die angestrebten Beweisergebnisse keiner entscheidenden Tatsachenfeststellung entgegenstehen.
Die Einvernahme weiterer zwei von insgesamt drei (auf S 209/I) namentlich angeführten Polizeibeamten "zur Überprüfung der Vernehmungssituation" (S 247/III) verfiel im Ergebnis gleichfalls zu Recht der Ablehnung, ist dem Antrag doch - selbst bei großzügigster Interpretation - nicht zu entnehmen, welche relevanten Umstände dadurch erwiesen werden sollten, die eine Fehlbezichtigung der Adoptivmutter durch Manuel K***** nahelegen könnten.
Der Mängelrüge (Z 5) zuwider ist das Urteil in Ansehung der subjektiven Tatseite einwandfrei begründet.
Das Schöffengericht hat den bedingten Vorsatz betreffend die mit der Freiheitsentziehung verbundenen besonders schweren Nachteile (§ 99 Abs 2 dritter Fall StGB) mängelfrei aus dem höheren Bildungsgrad der Angeklagten abgeleitet. Ferner hat es unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß Ernestine K***** - ungeachtet der beim Einsperren in die Kiste (A/I/3) verfolgten Nebenabsicht der Wachstumsförderung - das Unrecht erkannte und auch die Tatfolgen wollte (US 27 ff). Dabei haben die Tatrichter auch die leugnende Verantwortung zur subjektiven Tatseite in Ansehung des Schuldspruchfaktums A/I/3 berücksichtigt, aber mit logisch und empirisch einwandfreier Begründung abgelehnt.
Hingegen konnte eine Erörterung der Deposition des Zeugen Dr. Otto B*****, wonach sich die Angeklagte und das Opfer beim Besuch in seiner Ordination "blendend verstanden", unterbleiben, weil dessen Bewertung der Beziehung nicht entscheidend ist.
Nach Prüfung der Akten anhand des Vorbringens zur Tatsachenrüge (Z 5 a) ergeben sich für den Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldspruch tragenden Feststellungen.
Die isoliert einzelne Ausführungshandlungen zum Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen problematisierende Rechtsrüge (Z 9 lit a) verfehlt den notwendigen Vergleich des vollständigen Urteilssachverhaltes mit dem darauf angewendeten Gesetz und damit die prozeßordnungsgemäße Darstellung dieses Nichtigkeitsgrundes, indem sie die Handlungsvielfalt und die konstatierte lange Dauer der Angriffe übergeht.
Gleiches gilt für die Subsumtionsrüge (Z 10), die den im Urteil deutlich bezeichneten Vorsatz hinsichtlich der Zufügung besonders intensiver Qualen und besonders schwerer Folgeschäden negiert.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die von der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten Ernestine K***** ergriffenen Berufungen (§ 285 i StPO).
Die Kostenentscheidung ist in § 390 a StPO begründet.
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