OGH 8ObA277/97m

OGH8ObA277/97m30.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Johann Meisterhofer und Dr.Peter Fischer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gerhard K*****, vertreten durch Dr.Felix Graf, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei F***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Manfred de Mejer, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen S 119.708,65 brutto sA (Revisionsinteresse S 50.000,- netto) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3.Juni 1997, GZ 15 Ra 69/97b-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 19.Juni 1997, GZ 35 Cga 15/96v-8, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg den mit S 3.700,- bestimmten pauschalierten Aufwandersatz für das Berufungs- verfahren und der klagenden Partei die mit S 7.368,88 (einschließlich S 676,48 Umsatzsteuer und S 3.310,- Bar- auslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Strittig ist im Revisionsverfahren nur mehr die eingewendete Gegenforderung des beklagten Gebäudereinigungsunternehmens in Höhe von S 50.000,- netto.

Der bei der Beklagten knapp zwei Jahre als Objektleiter (Angestellter) beschäftigte Kläger hat im Dienstvertrag ausdrücklich folgende Verpflichtung vernommen:

"15) Der Dienstnehmer verpflichtet sich, Geschäftsangelegenheiten, insbesondere Fabrikationseinrichtungen und Methoden, die sonstigen Einrichtungen, die Bezugsquellen und die Abnehmer des Dienstgebers sowie den Inhalt von Verträgen, geschäftlichen Besprechungen, überhaupt alle ihm während der Tätigkeit beim Dienstgeber zur Kenntnis gelangenden geschäftlichen Angelegenheiten und Vorgänge, vor allem aber auch vertraulich mitgeteilte Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse dritten Personen gegenüber sowohl während der Dauer als auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses unbedingt geheim zu halten. Im Zweifelsfall ist beim Dienstgeber anzufragen, ob ein Betriebsgeheimnis besteht. Für den Fall der Verletzung der Geheimhaltungsverpflichtung wird eine Vertragsstrafe von S 50.000,-

vereinbart. Sollte der dadurch entstandene Schaden die Höhe der Vertragsstrafe übersteigen, haftet der Dienstnehmer dem Dienstgeber gegenüber auch für diesen darüberhinausgehenden Schaden.

16) Die übergebenen Schriftstücke, Akten, Zeichnungen udgl. bleiben Eigentum des Dienstgebers und sind auf Verlangen jederzeit, spätestens aber bei Beendigung des Dienstverhältnisses wieder auszuhändigen. Der Dienstnehmer ist auch verpflichtet, der Firma gehörende Schriftstücke gewissenhaft verschlossen zu halten, sodaß sie unbefugten Personen nicht zugänglich sind. Die unter Pkt 15) vereinbarte Vertragsstrafe und Haftung für darüberhinausgehende Schäden gilt hier sinngemäß ..."

Diesen Vertragstext hatte der Betriebsleiter der Beklagten verfaßt und mit dem Kläger besprochen, der ihn ohne Abänderungswünsche unterfertigte.

In der Folge wurde der Kläger zeitwidrig gekündigt. Während der Kündigungsfrist übermittelte er der zuständigen Gebietskrankenkassa eine schriftliche Sachverhaltsdarstellung über angeblich unkorrekte Meldungen seiner Dienstgeberin, die er gerüchteweise von ihm unterstellten Reinigungskräften erhalten hatte, ohne vorher seine Dienstgeberin zu kontaktieren oder sich sonst über den Wahrheitsgehalt dieser Mitteilungen zu vergewissern. Er wollte damit erreichen, "daß die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge und Steuern korrekt abführen muß".

Gegen die aus der zeitwidrigen Kündigung dem Kläger unstrittig zustehenden Ansprüche in Höhe von S 119.708,65 brutto sA wendete die Beklagte den Verfall der vereinbarten Vertragsstrafe von S 50.000,-

netto compensando ein, weil dieses Vorgehen des Kläger eine Verletzung der dienstvertraglichen Pflichten im Sinn der oben zitierten Bestimmungen des Dienstvertrages darstelle.

Das Erstgericht hielt die Gegenforderung für nicht berechtigt und sprach dem Kläger daher den gesamten Klagsbetrag zu.

Das Berufungsgericht hielt die eingewendete Gegenforderung für berechtigt, sprach dem Kläger die begehrten S 119.708,65 brutto nur abzüglich S 50.000,- netto zu und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Frage der Verletzung einer Geheimhaltungs- als Treuepflicht im Zuge einer Anzeigenerstattung eine erhebliche Rechtsfrage darstelle, für die - soweit ersichtlich - höchstgerichtliche Judikatur nicht vorhanden sei. Es meinte in rechtlicher Hinsicht, die vom Kläger gegenüber der Gebietskrankenkasse geoffenbarten Umstände hinsichtlich der sozialversicherungs- rechtlichen Behandlung zweier Mitbediensteter seien vor allem im Hinblick auf die umfassende Formulierung im Dienstvertrag dem Begriff des Betriebsgeheimnisses zu unterstellen; diese Vorgangsweise stelle eine Treueverletzung des Klägers dar. Der Kläger, zu dessen Aufgaben weder die Lohnbuchhaltung noch Meldungen an die Sozialversicherung zählten, wäre verpflichtet gewesen, sich vor einer Anzeige an die Sozialversicherung über den Wahrheitsgehalt der Äußerungen der beiden ihm unterstellten Dienstnehmer zu vergewissern und sie insbesondere mit der Beklagten abzuklären. Es sei kein Interesse ersichtlich oder vom Kläger behauptet worden, die ihm bekannt gewordenen Tatsachen sofort und ohne Kontaktaufnahme mit seiner Dienstgeberin der Sozialversicherung bekanntzugeben.

Der Kläger ficht die berufungsgerichtliche Entscheidung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung insoweit an, als die Gegenforderung mit S 50.000,- netto als zu Recht bestehend erkannt und infolgedesssen die Beklagte nur zur Bezahlung der Klagsforderung abzüglich des Nettobetrages von S 50.000,- verpflichtet wurde und beantragt, die Entscheidung des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt werde; hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger bringt im Revisionsverfahren zwar lediglich vor, er habe seine Treuepflicht nicht verletzt; aus den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes Arb 5.357 und 6.771 ergebe sich, daß eine Entlassung nicht gerechtfertigt sei, wenn ein Dienstnehmer eine begründete Anzeige wegen Steuerhinterziehung mache.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vorgangsweise des Klägers, der Krankenkasse die genannten "Sachverhaltsmitteilungen" zu übermitteln, ohne zu versuchen, sich von der Richtigkeit der darin enthaltenen Anschuldigungen zu überzeugen, seine Entlassung gerechtfertigt hätte (vgl insb. Entscheidung vom 16.10.1996, 9 ObA 2165/96, infas 1997 A 47). Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Berechtigung einer Entlassung des Klägers, sondern ob die geschilderte Vorgangsweise die vereinbarte Vertragsstrafe auszulösen geeignet ist.

Dies ist im Hinblick darauf zu verneinen, daß Vertragsstrafen auslösende Geheimhaltungspflichten grundsätzlich eng auszulegen sind (vgl SZ 64/68 ua). Die der Sozialversicherung übermittelte "Sachverhaltsdarstellung" kann trotz der weiten Formulierung in P 15 und 16 des Dienstvertrages nicht als Verletzung der dort auferlegten Geheimhaltungspflicht angesehen werden und daher auch nicht die dort für diesen Fall vorgesehene Vertragsstrafe auslösen, weil sich diese Geheimhaltungsverpflichtung erkennbar nur gegen die Eröffnung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gegenüber Mitkonkurrenten richtet und nicht Mitteilungen an Sozialversicherungsträger oder Steuerbehörden pönalisieren will. Es kommt daher nicht darauf an, ob diese Mitteilungen dem Kläger subjektiv berechtigt oder unberechtigt erscheinen mußten, oder ob er es fahrlässig unterließ, sich von der Richtigkeit seiner Anschuldigungen zu überzeugen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, hinsichtlich des Berufungsverfahrens auch auf § 40 Abs 3 Z 1 iVm § 58a ASGG.

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