OGH 3Ob20/98g

OGH3Ob20/98g25.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Pimmer, Dr.Zechner und Dr.Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, vertreten durch Dr.Peter Rudeck, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Martina S*****, vertreten durch Dr.Ingeborg Reuterer, Rechtsanwältin in Wien, als Sachwalterin, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 29. Oktober 1997, GZ 41 R 620/97y-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 21.April 1997, GZ 4 C 1459/96z-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.519,20 (darin S 1.083,20 USt und S 2.020,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte, eine am 3.3.1965 geborene unter Sachwalterschaft stehende Pensionistin, zog im Herbst 1992 in die ihr von der Klägerin vermietete Wohnung ein. Bereits kurz danach kam es durch sie zu Belästigungen anderer Hausbewohner, weil sie nachts immer wieder sehr laute Radio-Fernseh- oder sonstige Geräusche verursachte. Nach stationären Aufenthalten im psychiatrischen Krankenhaus, welches sie darnach eine Zeitlang regelmäßig als "Tagespatientin" besuchte, wurde sie bei der Einnahme der verordneten Medikamente kontrolliert, sodaß sie sich im Sommer 1994 im Hause ruhig verhielt. Aus diesem Grunde wurde auch die seinerzeit aus dem Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens eingebrachte Aufkündigung vom 13.10.1994 vom Erstgericht mit Urteil vom 17.1.1995 aufgehoben (AZl 4 C 1147/94i).

Besonders im Jahr 1996 verschlechterte sich indessen der Gesundheitszustand der Beklagten neuerlich. Sie verursachte öfters in den Nachtstunden durch Klopfen, Schreien, überlauten Radio- und Fernsehbetrieb die übrigen Hausbewohner störenden Lärm; sie öffnete auf Klopfen der Nachbarn oder auch der von diesen fallweise herbeigerufenen einschreitenden Polizeibeamten nicht; sie ließ auch mitunter tagelang das ihr zugestellte "Essen auf Rädern" sowie andere Lebensmittelreste vor ihrer Wohnungstüre am Gang stehen oder liegen, was sodann zu Geruchsbelästigungen der Hausbewohner führte; sie beschmutzte auch mehrmals das Stiegenhaus durch unkontrolliertes Kot- oder Harnlassen oder auch mit austretendem Menstruationsblut. Diese Verunreinigungen mußte stets die Hausbesorgerin beseitigen. Im Oktober 1996 verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand neuerlich in der Weise, daß sie nahezu jede Nacht in ihrer Wohnung schrie und die anderen Hausbewohner durch lautes Klopfen oder lauten Radio- und Fernsehbetrieb störte. Seit November 1996 (und sodann bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz am 2.4.1997) befindet sich die Beklagte wieder in stationärer Behandlung im psychiatrischen Krankenhaus. Eine dauerhafte Besserung ihres Gesundheitszustandes mit dem Ergebnis, daß es zu keinen Beeinträchtigungen der übrigen Hausbewohner mehr kommen könnte, ist nicht zu erwarten.

Die klagende Partei kündigte der Beklagten die Mietwohnung am 10.12.1996 wegen unleidlichen Verhaltens gerichtlich auf.

Die Beklagte beantragte in den von ihrer Sachwalterin erhobenen Einwendungen die Aufhebung der Aufkündigung, weil der angezogene Kündigungsgrund nicht gegeben sei.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die Beklagte zur Räumung der Mietwohnung, weil diese mit ihrem Verhalten den geltend gemachten, kein Verschulden (keine Schuldfähigkeit) des Mieters voraussetzenden Kündigungsgrund verwirklicht habe.

Das Gericht zweiter Instanz hob hingegen in Abänderung des erstgerichtlichen Urteils die Aufkündigung auf, wies das Räumungsbegehren ab und sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen zur Gänze und vertrat folgende Rechtsansicht: Für das Vorliegen jedes Kündigungsgrundes sei gemäß § 33 Abs 1 MRG der Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung (hier Dezember 1996) maßgebend. Ein Wegfall des Kündigungsgrundes zwischen Einbringung und der Zustellung der Aufkündigung gehe zu Lasten des aufkündigenden Vermieters. Die gänzliche Einstellung jedes störenden Verhaltens der Beklagten im November 1996 stehe daher einer Wirksamerklärung der Aufkündigung entgegen. Darüberhinaus seien Unzurechnungsfähigkeit oder psychische Beeinträchtigungen eines Mieters bei dem prinzipiell objektiv zu prüfenden Tatbestand des zweiten Falles des § 30 Abs 2 Z 3 MRG zumindest in der Weise zu berücksichtigen, daß das Verhalten des Mieters nicht gleich unerträglich wie bei zurechnungsfähigen Personen sein müsse, also ein weniger strenger Maßstab anzulegen sei (immolex 1997/130 mwN). Die festgestellten, großteils länger zurückliegenden und das bei psychisch gesunden Mitbewohnern zu tolerierende Maß nicht weit überschreitenden Verhaltensweisen der Beklagten könnten daher den angezogenen Kündigungsgrund nicht verwirklichen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die zweitinstanzliche Entscheidung erhobene außerordentliche Revision der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt:

Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG ("unleidliches Verhalten") setzt nach ständiger Rechtsprechung (Würth/Zingher, Miet- und WohnR20 § 30 Rz 18 ff; 22 mwN) rücksichtsloses, anstößiges oder sonst grob ungehöriges Verhalten, jedoch kein Verschulden des die Ruhe und Ordnung im Mietobjekt und/oder dessen übrige Mitbewohner störenden Mieters oder Mitbewohners voraus. Zu seiner Verwirklichung ist regelmäßig ein durch längere Zeit hindurch oder durch häufige Wiederholungen gekennzeichnetes unleidliches Verhalten erforderlich, wie dies hier allerdings entgegen der Auffassung der Vorinstanz gerade in dem der Aufkündigung (10.12.1996) sowie dem offenbar wegen des gravierend verschlechterten Gesundheitszustandes der Beklagten im November 1996 erfolgten stationären Aufenthalt der Beklagten im psychiatrischen Krankenhaus (dies noch dazu für die gesamte Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens bis zum Schluß der Verhandlung) vorangehenden Zeitraum auf die Beklagte zutraf. Von einer Einstellung des unleidlichen Verhaltens durch die Beklagte, die überdies auf das Nichtvorliegen des geltend gemachten Kündigungsgrundes im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung Rückschlüsse zulassen könnte, kann wohl im Sinne der zutreffenden Auffassung der Revisionswerberin hier keine Rede sein. Ebensowenig kann der Beurteilung der Vorinstanz gefolgt werden, die von der Beklagten gerade ganz massiv im Oktober 1996 - also bis unmittelbar vor ihrer Stationierung im psychiatrischen Krankenhaus - gesetzten festgestellten Verhaltensweisen überschritten das bei psychisch gesunden Mitbewohnern zu tolerierende Maß nicht. Gerade im Oktober 1996 erreichten die von der Beklagten verursachten nächtlichen Ruhestörungen der Mitbewohner ein derart gravierendes Ausmaß, welches etwa auch in der vom Gericht zweiter Instanz zitierten Entscheidung 10 Ob 2159/99i (immolex 1997/130) als den Mitbewohnern nicht mehr länger zumutbar bezeichnet wurde. Der Umstand, daß allein die im vorliegenden Fall - wohl auch im Interesse der Beklagten - erfolgte vollständige Entfernung der Beklagten aus dem Mietobjekt und ihre Stationierung im psychiatrischen Krankenhaus die Ruhe und Ordnung im Haus sowie die Nachtruhe und die Befreiung von den übrigen Beeinträchtigungen der Mitbewohner wiederherstellen konnte, kann doch füglich nicht - zugunsten der Beklagten, zugleich aber zu Lasten der Klägerin - als Beseitigung des geltend gemachten Kündigungsgrundes beurteilt werden. Die zu dieser Rechtsauffassung von der Vorinstanz zitierten Entscheidungen betrafen jene Fälle, in welchen der geltend gemachte Kündigungsgrund im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung noch gar nicht vorlag (daher auch nicht nachgeschoben werden durfte) oder eben - einzelfallgemäß bereits wieder weggefallen sein mochte. Solches kann aber auf den im vorliegenden Verfahren geltend gemachten und vom Erstgericht durch Erfassung eines bis unmittbar vor der "Entfernung" der Beklagten aus dem Mietobjekt reichenden Zeitraumes festgestellten Kündigungsgrund des jahre- bzw monatelangen unleidlichen Verhaltens der Beklagten nicht bezogen werden.

Diese Erwägungen führen zur Wiederherstellung des zutreffenden erstgerichtlichen Urteils.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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