OGH 11Os29/98

OGH11Os29/9823.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.März 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Ebner, Dr.Schmucker und Dr.Habl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Poech als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alfred W***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 16.Dezember 1997, GZ 36 Vr 548/96-98, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alfred W***** des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er in Salzburg bzw Hallein nachgenannte Unmündige in wiederholten Angriffen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht hat, und zwar

A/ in der Zeit zwischen Jahresanfang 1995 und August 1995 den am 8. Juni 1990 geborenen Michael E***** und den am 28.April 1989 geborenen Stefan E***** durch Betasten ihrer Geschlechtsteile sowie dadurch, daß er Michael E***** veranlaßte, auch seinen Penis zu berühren,

B/ in der Zeit zwischen Sommer 1995 und Anfang April 1997 den am 17. Oktober 1988 geborenen Rene W***** durch Betasten des Penis und dadurch, daß er einmal in seine Hand urinierte bzw ejakulierte,

C/ in der Zeit zwischen Jahresanfang 1997 und Mitte Juni 1997 den am 14. März 1991 geborenen Christopher H*****, indem er dessen Penis betastete und in den Mund nahm sowie einen Finger in dessen After einführte,

D/ in der Zeit zwischen März 1996 und Mitte Juni 1997 den am 8.Jänner 1991 geborenen Gerhard H***** durch Betasten des Penis.

Gegen dieses Urteil richtet sich eine auf die Z 4, 5, 5 a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie ist nicht im Recht.

Rechtliche Beurteilung

In seiner in der Einleitung der Rechtsmittelschrift generell und dann zu jedem einzelnen Faktum getrennt ausgeführten Verfahrensrüge (Z 4) macht der Angeklagte geltend, daß seine Beweisanträge vom Schöffengericht abgelehnt und dadurch Gesetze und Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt sowie unrichtig angewendet worden seien, sodaß er letztlich in seinen Verteidigungsrechten wesentlich beeinträchtigt worden sei.

Die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO setzt voraus, daß über einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag nicht oder nicht im Sinne des Antragstellers entschieden wurde. Ein auf seine Berechtigung überprüfbarer Beweisantrag liegt nur dann vor, wenn in ihm das Beweismittel und das Beweisthema angegeben und darüber hinaus dargelegt wird, inwieweit das bei Durchführung der beantragten Beweise nach Ansicht des Antragstellers zu erwartende Ergebnis der Beweisaufnahme für die Schuldfrage von Bedeutung ist und aus welchen Gründen erwartet werden kann, daß die Durchführung der begehrten Beweise auch tatsächlich das vom Antragsteller behauptete Ergebnis haben werde (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 1 und 19).

Bei Prüfung der Berechtigung eines Beweisantrages durch den Obersten Gerichtshof ist stets von der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Stellung des Antrages und den dabei vorgebrachten Gründen auszugehen. Erst im Rechtsmittelverfahren vorgebrachte Argumente können keine Berücksichtigung finden (Mayerhofer aaO E 40 und 41).

Nach dem Inhalt des Protokolls, das zu keiner Berichtigung Anlaß gab, erklärte der Verteidiger in der Hauptverhandlung vom 16.Dezember 1997, er "halte grundsätzlich alle Beweisanträge aufrecht. Das sind ON 57, 80, 83, 84, 88, 94 und 96" (S 252/II).

Die angeführten Schriftsätze enthalten Anträge auf Vernehmung einer Vielzahl von Zeugen. Dabei übersieht der Beschwerdeführer aber, daß ein Großteil dieser Zeugen bereits in der Hauptverhandlung vom 16. Dezember 1997 vernommen worden ist und die "grundsätzliche Aufrechterhaltung" aller "Beweisanträge" nicht erkennen läßt, welche Zeugen tatsächlich noch oder noch einmal und zu welchen Beweisthemen befragt werden sollten. Damit fehlt es aber an einem auf seine Berechtigung überprüfbaren Beweisantrag.

Soweit in den Schriftsätzen (insbesondere ON 57, 83, 88 und 96) die Einholung von weiteren psychiatrischen und psychologischen Sachverständigengutachten begehrt und in der Hauptverhandlung vom 28. Oktober 1997 vom Verteidiger ausgeführt wurde, er "möchte einen Sachverständigen, der alles wirklich gut versteht" (S 139/II), übersieht der Beschwerdeführer die Bestimmungen der §§ 125, 126 Abs 1 StPO, wonach Gutachten eines anderen oder zweier anderer Sachverständigen nur dann einzuholen sind, wenn das Erstgutachten Widersprüche, Mängel oder solche Schlüsse enthält, die folgerichtig nicht gezogen werden können, und sich die Bedenken nicht durch eine nochmalige Vernehmung der Sachverständigen beseitigen lassen.

Die vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen Univ.Prof.Dr.Bernhard M***** und Dr.Maria R***** wurden erst in der Hauptverhandlung am 16.Dezember 1997 vernommen (S 230 ff und S 236 ff). Daher hatte der Verteidiger ausreichend Gelegenheit, durch Fragestellung allfällige ihm vorliegend erscheinende Mängel in der Begutachtung zu hinterfragen. Erst nach Beendigung der Vernehmung der Sachverständigen hielt der Verteidiger die Anträge auf Beiziehung weiterer Sachverständiger aufrecht, ohne aber unter Berücksichtigung der Gutachtenserörterungen Mängel oder Widersprüche in den erstatteten Expertisen aufzuzeigen.

Damit fehlen jedoch die formellen Voraussetzungen für die Beiziehung weiterer Sachverständiger, sodaß die Anträge ohne Verletzung von Verfahrensvorschriften oder Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten abgewiesen werden konnten.

Die in der Rechtsmittelschrift vorgebrachten, teilweise neuen Argumente vermögen daran nichts zu ändern, weil - wie oben dargelegt - bei der Überprüfung der Beweisanträge von der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Entscheidung durch das Erstgericht auszugehen ist.

In seiner Mängelrüge (Z 5) behauptet der Beschwerdeführer, der Ausspruch des Gerichtshofes über entscheidende Tatsachen sei undeutlich, unvollständig und mit sich selbst in Widerspruch; er sei nicht bzw offenbar unzureichend begründet und weise erhebliche Widersprüche zwischen den Entscheidungsgründen und dem Inhalt der bei den Akten befindlichen Urkunden sowie gerichtlichen Aussagen auf.

Diesen Ausführungen ist zunächst generell zu erwidern:

Nach § 270 Abs 2 Z 5 StPO muß in den Entscheidungsgründen in gedrängter Darstellung, aber mit voller Bestimmtheit angegeben sein, welche Tatsachen und aus welchen Gründen der Gerichtshof sie als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen hat, sowie von welchen Erwägungen er bei der Entscheidung der Rechtsfrage und bei Beseitigung der vorgebrachten Einwendungen geleitet wurde. Die Gründe müssen den Gesetzen der Logik entsprechen.

Der nach dem formellen Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO geltend gemachte Begründungsmangel muß überdies Feststellungen entscheidender Tatsachen betreffen, das sind nur solche, die für das Erkenntnis in der Schuldfrage maßgebend sind und entweder auf die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluß üben.

Der Beschwerdeführer verkennt jedoch das Wesen dieses Nichtigkeitsgrundes, wenn er - wie es in seinen Ausführungen zum Ausdruck kommt - der Aufassung ist, ein Begründungsmangel im Sinne dieser Gesetzesstelle liege schon dann vor, wenn im Urteil nicht der vollständige Inhalt der Aussagen des Angeklagten und der Zeugen sowie sämtliche Verfahrensergebnisse schlechthin erörtert und darauf untersucht werden, wieweit die einzelnen Angaben oder sonstigen Beweisergebnisse für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen, und wenn das Gericht sich bei der Würdigung von Aussagen oder sonstigen Beweisergebnissen nicht von vornherein mit allen vom Beschwerdeführer nachträglich ins Treffen geführten Gesichtspunkten befaßt; denn nach der Vorschrift des Gesetzes besteht die Aufgabe des Gerichtes nur darin, die Urteilsbegründung in gedrängter Darstellung abzufassen.

Außerdem übersieht der Beschwerdeführer, daß nach dem Gesetz (§ 258 Abs 2 StPO) die Beweismittel in Ansehung ihrer Glaubwürdigkeit und Beweiskraft nicht nur einzeln, sondern auch in ihrem inneren Zusammenhang sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen sind, und daß über die Frage, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist, das Gericht letztlich nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden hat. Dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung liegt auch zugrunde, daß sich die Umstände, die dem Gericht die Überzeugung von der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit einer Aussage vermitteln, nicht restlos analysieren und noch weniger das Ergebnis dieses Vorganges sowie alle für diesen Eindruck maßgebenden Umstände in Worte fassen lassen, was im besonderen für die Würdigung von Aussagen der vom erkennenden Gericht selbst vernommenen Zeugen gilt (EvBl 1972/17).

Außerdem liegt ein formeller Begründungsmangel im Sinne des angeführten Nichtigkeitsgrundes dann nicht vor, wenn aus den vorhandenen Beweisergebnissen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlüsse gezogen werden könnten und nur behauptet wird, daß die des Urteils nicht zwingend seien (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 145 und 147).

Das Erstgericht hat aber - entgegen der Beschwerde - wenn auch kurze, so doch hinlängliche Feststellungen über den Tathergang getroffen (US 3 bis 5). Diese hat es insbesondere auf die ihm glaubwürdig scheinenden Angaben der fünf unmündigen Kinder und das jugendpsychologische Sachverständigengutachten gestützt (US 5, 6). Dabei hat es sich ausreichend mit den Widersprüchen in den Randbereichen der Aussagen der Kinder und dem Umfeld, in welchem sie aufgewachsen sind, auseinandergesetzt (US 9, 10). Darüber hinaus wurde zur Untermauerung der Beweiswürdigung ebenso das Teilgeständnis des Angeklagten vor der Gendarmerie und dem Untersuchungsrichter herangezogen und die Begründung für den Widerruf dieses Geständnisses in der Hauptverhandlung im Hinblick auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Univ.Prof.Dr.M***** und auf die Angaben der vernommenen Gendarmeriebeamten abgelehnt (US 8, 9).

Auch mit der Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, die Aussagen der Kinder seien auf eine Milieuschädigung zurückzuführen und ihnen suggeriert worden, hat sich das Schöffengericht mit schlüssiger und den Erfahrungen des täglichen Lebens entsprechender Begründung auseinandergesetzt (US 10 f). Wenn nun der Rechtsmittel- werber versucht, unter Hinweis auf einzelne - zum Teil aus dem Zusammenhang gerissene - Beweisergebnisse und den von den Tatrichtern als unglaubwürdig abgelehnten Aussagen von Zeugen die Angaben der Kinder als unrichtig und von anderen Personen eingegeben hinzustellen, unternimmt er damit nur den im kollegialgerichtlichen Verfahren unzu- lässigen Versuch, die freie Beweiswürdigung des Schöffen- gerichtes nach Art einer Schuldberufung zu bekämpfen. Dasselbe gilt für die Einwände gegen das Gutachten der Sachverständigen Dr.R*****, weil auch die Frage, ob eine solche Expertise ausreichend und schlüssig ist, der freien Beweiswürdigung unterliegt (Mayerhofer StPO4 § 258 E 121 und 123).

Ein formeller Begründungsmangel liegt daher nicht vor.

Entgegen der Tatsachenrüge (Z 5 a) ergeben sich nach Prüfung des gesamten Aktes weder schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zustandegekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung noch aktenkundige Beweisergebnisse, die nach den Denkgesetzen oder nach der allgemeinen menschlichen Erfahrung erhebliche Zweifel gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung in entscheidungswesentlichen Fragen aufkommen lassen.

Den Rechtsmittelausführungen zuwider ist dieser unter den formellen Nichtigkeitsgründen eingereihte Anfechtungstatbestand keine "Art Berufung" und daher in seiner Reichweite keineswegs einer Schuldberufung gleich- zusetzen. Vielmehr vermögen nur schwerwiegende Ver- fahrens- und Begründungsmängel erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten Tatsachen zu erzeugen, nicht jedoch - wie vorliegend in der Beschwerde darzustellen versucht wird - eine nach Meinung des Angeklagten bedenkliche, zu seinem Nachteil ausgefallene Beweiswürdigung (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 a E 1 und 2).

Die nur gegen den Schuldspruch C gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10), mit welcher der Beschwerdeführer eine Unterstellung der Tat unter den Tatbestand des § 208 StGB anstrebt, wobei er von diesem jedoch gleichzeitig freigesprochen werden will, ist nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Die prozeßordnungsgemäße Darstellung dieses materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes erfordert nämlich eine vom Urteilssachverhalt ausgehende Darlegung, daß die getroffenen Urteilsannahmen nicht ausreichen, um das Vorliegen der rechtlichen Merkmale der Qualifikation beurteilen zu können, oder daß Verfahrensergebnisse auf bestimmte, für eben diese Subsumtion rechtlich erhebliche Umstände hingewiesen haben und dessenungeachtet eine entsprechende klärende Feststellung unterlassen wurde (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 10 E 9 a).

Der Angeklagte geht aber bei seinem Vorbringen, welches er gleichzeitig zum Gegenstand des Nichtigkeitsgrundes der Z 5 a des § 281 Abs 1 StPO macht, nicht vom Urteilssachverhalt aus, sondern legt diesem einen auf Grund seines Geständnisses und der von ihm gewerteten Zeugenaussagen in der Beschwerdeschrift angeführten "Teilsachverhalt" (S 21 der Rechtsmittelschrift) zugrunde. Bereits daraus ergibt sich, daß er die Feststellungen des Erstgerichtes zu diesem Urteilsfaktum negiert, weshalb der Nichtigkeitsgrund nicht zur gesetzmäßigen Darstellung gebracht wird.

Auch die Strafzumessungsrüge (Z 11), die der Angeklagte "kombiniert mit der Strafberufung" ausführt, versagt. Entgegen der Beschwerde stellt nämlich die Nichtanwendung der "§§ 43 Abs 1 und 2 StGB" (gemeint wohl: § 43 Abs 1 StGB) nur dann den Nichtigkeitsgrund dar, wenn das Gericht nach der Urteilsbegründung für den Strafausspruch Kriterien heranzog, die den im Gesetz normierten Strafzumessungsvorschriften in unvertretbarer Weise widersprechen (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 11 E 3).

Die Tatrichter haben eine bedingte Strafnachsicht aus spezialpräventiven Gründen abgelehnt (US 12). Diese Begründung stellt keinen Nichtigkeit begründenden Verstoß gegen Strafzumessungsvorschriften dar. Die dagegen in der Beschwerde vorgebrachten Argumente stellen somit lediglich Berufungsgründe dar.

Da im Nichtigkeitsverfahren Neuerungsverbot besteht (Mayerhofer StPO4 § 281 E 15 a ff), ist auf die vom Verteidiger im Nachhang zur Nichtigkeitsbeschwerde dem Obersten Gerichtshof vorgelegten Urkunden nicht einzugehen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als nicht dem Gesetze gemäß ausgeführt, teils als unbegründet bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 Z 1 und 2 iVm § 285 a Z 2 StPO).

Daraus folgt, daß das Oberlandesgericht Linz gemäß § 285 i StPO zur Entscheidung über die Berufung zuständig ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390 a StPO.

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