OGH 8ObA27/98y

OGH8ObA27/98y12.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Eva Maria Sand und Mag. Andrea Svarc als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ursula S*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Kornek, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Heinz A*****, Werbe- und Verlagsvertretungen, *****, vertreten durch Dr. Georg Grießer und Dr. Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 215.489,90 brutto und S 17.911 netto sA (Revisionsinteresse: klagende Partei S 41.855,19 brutto; beklagte Partei S 58.758,74 brutto), infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 1995, GZ 7 Ra 99/96x-31, womit infolge Berufung beider Parteien das Teilurteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 6. Dezember 1994, GZ 25 Cga 115/93a-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Revision der beklagten Partei teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden teilweise bestätigt, teilweise dahin abgeändert, daß sie einschließlich ihrer unbekämpft gebliebenen Teile als Teilurteil wie folgt zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 4.024,28 brutto samt 4 % Zinsen seit 13. 5. 1993 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der beklagten Partei weitere S 99.331,57 brutto sA zu zahlen, wird abgewiesen.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz bleibt der Endentscheidung vorbehalten."

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war beim Beklagten vom 2. 5. 1991 bis zu ihrer Entlassung am 31. 3. 1993 als Angestellte beschäftigt. Ihr Monatsentgelt betrug zuletzt S 19.931,- brutto.

Die Klägerin begehrte in erster Instanz nach Fällung eines Teilanerkenntnisurteiles über S 19.296,50 brutto sA letztlich S 215,489,90 brutto und S 17.911 netto sA, und zwar S 69.817,50 brutto Kündigungsentschädigung (S 79.724,- abzüglich von mit Teilurteil zugesprochenen S 9.906,50), S 33.538,30 brutto Urlaubsentschädigung (S 16.098,10 für Urlaubsanspruch bis 30. 4. 1993 und S 26.830,20 für Urlaubsanspruch ab 1. 5. 1993; abzüglich von mit Teilurteil zugesprochenen S 9.390,-), S 112.134,10 brutto an Provisionen und Bonusleistungen sowie S 17.911,- netto an Kilometergeld. Sie sei ungerechtfertigt entlassen worden.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Klägerin habe ihrem Freund Johannes E*****, einem ehemaligen freien Mitarbeiter des Beklagten, Zutritt zu den Betriebsräumlichkeiten ermöglicht, obwohl sie gewußt habe, daß für Johannes E***** ein vom Beklagten verhängtes Hausverbot bestanden habe. Über die anerkannten Beträge hinaus habe die Klägerin keinerlei Ansprüche.

Das Erstgericht erkannte mit Teilurteil vom 6. 12. 1994 über die Ansprüche der Klägerin von S 103.355,80 sA an Kündigungs- und Urlaubsentschädigung. Es verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von S 58.757,74 brutto sA und wies "das Mehrbegehren von S 54.504,31 brutto" ab. Gegenstand der Entscheidung waren somit insgesamt S 113.262,05 brutto sA, was seine Ursache darin findet, daß das Erstgericht den von ihm angenommenen Anspruch auf Kündigungsentschädigung nicht um die insoweit bereits mit Teilurteil zugesprochenen S 9.906,50,- brutto reduzierte.

Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:

Johannes E*****, ein Freund der Klägerin, war bis Anfang 1993 als Mitarbeiter im Betrieb des Beklagten tätig gewesen; er produzierte jedoch auch über diesen Zeitpunkt hinaus eine im Eigentum des Beklagten stehende periodische Druckschrift. Anfang März 1993 forderte der Beklagte Johannes E***** aufgrund von Meinungsverschiedenheiten schriftlich auf, die Büroräumlichkeiten nicht mehr zu betreten. Dies war der Klägerin, die sich seit 20. 3. 1993 wegen einer rheumatischen Erkrankung in stationärer Krankenhausbehandlung befand, bekannt. Am 21. 3. 1993 - einem Sonntag - erhielt sie Freigang bis 18 Uhr. Johannes E*****, der für eine von ihm zu verfassende Fortsetzungsgeschichte Vorausgaben der von ihm produzierten Druckschrift benötigte, holte die Klägerin ab und schickte sie in die Büroräumlichkeiten des Beklagten, um die benötigten Ausgaben zu holen. Nachdem die Klägerin falsche Ausgaben gebracht hatte, ging sie mit Johannes E***** in das Büro, wo dieser die Ausgaben heraussuchte. Es kann nicht festgestellt werden, daß er sich Einsicht in Geschäftsunterlagen verschafft oder Gegenstände von materiellem Wert zugeeignet hätte. Am 22. 3. 1993 richtete der Beklagte an die Privatadresse der Klägerin ein Schreiben, in dem er ihre Vorgangsweise, Johannes E***** trotz Büroverbotes Zutritt zum Büro verschafft zu haben, als "argen Vertrauensbruch" bezeichnete, eine Verwarnung aussprach, sie zur Übersendung des Büroschlüssels aufforderte und ihr eine "umgehende schriftliche Stellungnahme" auftrug. Die von ihrer Mutter über den Inhalt dieses Schreibens informierte Klägerin schilderte dem Beklagten telefonisch den Sachverhalt und schickte am darauf folgenden Tag den Büroschlüssel an diesen zurück. Am 31. 3. 1993 sprach der Beklagte die Entlassung aus. Die Klägerin verfügte über einen offenen Urlaubsanspruch von drei Wochen. Sie befand sich vom 9. 3. 1993 bis 28. 6. 1993 im Krankenstand.

Auf dieser Grundlage erachtete das Erstgericht die Entlassung als nicht gerechtfertigt. Da im vom Beklagten über Johannes E***** verhängten Hausverbot kein "objektiv gerechtfertigter Sinn" erblickt werden könne, sei für den Beklagten objektiv nicht zu befürchten, daß seine Interessen durch die Klägerin gefährdet seien. Vertrauensunwürdigkeit liege daher nicht vor. Bei der Berechnung der Kündigungsentschädigung mit S 27.903,31 sei zu berücksichtigen, daß die Klägerin gemäß § 8 Abs 1 AngG für die Zeit vom 20. 3. 1993 (gemeint: 20. 4. 1993) bis 18. 5. 1993 nur Anspruch auf das halbe Entgelt und für die Zeit vom 18. 5. 1993 bis zum 28. 6. 1993 überhaupt keinen Entgeltanspruch gehabt hätte. Urlaubsentschädigung stehe ihr für den Urlaubsanspruch bis 30. 4. 1993 (4,5 Tage) im Umfang von S 4.024,28 zu, für den ab 1. 5. 1993 entstehenden neuen Urlaubsanspruch im Umfang von S 26.830,15.

Diese Entscheidung, die in der Abweisung eines Begehrens von S 12.649,12 brutto sA (darin das Mehrbegehren von 2.683,82 an Urlaubsentschädigung für das laufende Urlaubsjahr) unangefochten in Rechtskraft erwuchs, wurde vom von beiden Seiten angerufenen Berufungsgericht bestätigt, das die Rechtsauffassung des Erstgerichtes teilte.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Parteien:

Die Klägerin bekämpft es in der Abweisung ihres Begehrens im Umfang von S 41.855,19 brutto sA und beantragt, es im Sinne des Zuspruches auch dieses Betrages abzuändern. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Der Beklagte bekämpft den klagestattgebenden Teil der Entscheidung und beantragt, sie im Umfang der gänzlichen Abweisung des ihren Gegenstand bildenden Klagebegehrens abzuändern.

Beide Teile beantragen, der jeweils gegnerischen Revision nicht Folge zu geben. Der Beklagte bestreitet überdies die Zulässigkeit der Revision der Klägerin, weil der von diesem Rechtsmittel betroffene Entscheidungsgegenstand S 50.000,- nicht übersteige.

Auch die Revision der Klägerin ist uneingeschränkt zulässig, weil § 46 Abs 3 Z 1 ASGG auf den Streitwert des Urteilsgegenstandes des Berufungsurteiles abstellt, unabhängig davon, ob das Ersturteil bestätigt, abgeändert oder zum Teil aufgehoben wurde (Kuderna, ASGG**2, Anm 11 zu § 46; auch der vom Beklagten zitierten Belegstelle [Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 1 zu § 502] ist nichts anderes zu entnehmen).

Die Revision der Klägerin ist aber nicht berechtigt, während der Revision des Beklagten teilweise Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 27 Z 1 AngG, 3. Tatbestand, ist als ein den Dienstgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigender Grund anzusehen, wenn sich der Angestellte einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen läßt. Unter diesen Tatbestand fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen läßt, weil dieser befürchten muß, daß der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodaß dadurch die dienstlichen Interessen gefährdet sind. Entscheidend ist, ob das Verhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise als so schwerwiegend angesehen werden muß, daß das Vertrauen des Arbeitgebers derart heftig erschüttert wird, daß ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Hiefür genügt Fahrlässigkeit; Schädigungsabsicht oder ein Schadenseintritt sind nicht erforderlich. (SZ 62/214; SZ 58/94; Kuderna, Entlassungsrecht**2 86f; Martinek/Schwarz/Schwarz, AngG, 609 ff).

Im hier zu beurteilenden Fall verschaffte die Klägerin ihrem Freund Johannes E***** Zutritt zum Büro des Beklagten, obwohl ihr bekannt war, daß ihm der Beklagte das Betreten des Büros untersagt hatte. Diesem Verhalten kommt besonderes Gewicht zu, weil es sich an einem Sonntag ereignete, sodaß mit der Anwesenheit des Beklagten oder sonstiger Mitarbeiter nicht zu rechnen war und somit jegliche Möglichkeit des Beklagten ausgeschlossen erscheinen mußte, das Verhalten des mit Hausverbot belegten Johannes E***** im Büro zu kontrollieren oder zu beaufsichtigen. Die Anwesenheit der Klägerin selbst, die mit eben diesem Verhalten gegen eine ausdrückliche Anordnung des Beklagten verstieß, stellt insofern kein taugliches Korrektiv dar. Ob - was das Erstgericht bezweifelt - das vom Beklagten erteilte Hausverbot einen "objektiv gerechtfertigten Sinn" hatte, kann nicht beurteilt werden, weil über die dieser Anordnung des Beklagten vorangegangene Meinungsverschiedenheit nichts bekannt ist. Diese Frage ist aber gar nicht entscheidend, weil eine derartige Anordnung des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer auch dann zu respektieren ist, wenn er ihre Berechtigung oder ihre Sinnhaftigkeit anzweifelt. Durch das vom Beklagten ausgesprochene Verbot kam jedenfalls unmißverständlich sein Wille zum Ausdruck, Johannes E***** die Möglichkeit, das Büro zu betreten oder sich darin - in welcher Weise auch immer - zu betätigen, zu nehmen. Daß die Beklagte Johannes E***** dessenungeachtet an einem Sonntag Zutritt zum Büro verschaffte, stellt daher einen eklatanten Vertrauensbruch dar, sodaß vom Standpunkt vernünftigen dienstlichen und geschäftlichen Ermessens für den Arbeitgeber eine objektiv gerechtfertigte Befürchtung bestehen muß, daß seine Interessen und Belange durch die Klägerin gefährdet sind. Dabei ist es ohne Belang, daß nicht feststellbar ist, daß sich Johannes E***** Einsicht in Geschäftsunterlagen verschaffte oder Gegenstände von materiellem Wert zueignete. Abgesehen davon, daß auch das Gegenteil nicht feststeht, kommt es nach der oben dargestellten Rechtslage auf den Eintritt eines Schadens nicht an. Entscheidend ist vielmehr, daß die Klägerin ihrem mit Hausverbot belegten Freund durch ihr Verhalten einen für den Beklagten unkontrollierbaren Aufenthalt im Büro ermöglichte. Es ist objektiv einsichtig, daß dadurch das Vertrauen des Beklagten zur Klägerin schwer erschüttert und ihm ihre Weiterbeschäftigung nicht mehr zumutbar ist. Damit ist aber der geltend gemachte Entlassungsrund verwirklicht.

Die Rechtzeitigkeit der Entlassung hat die Klägerin nicht bestritten.

Da somit die Entlassung der Klägerin gerechtfertigt war, sind ihre Ansprüche auf Kündigungsentschädigung und auf Urlaubsentschädigung für den mit 1. 5. 1993 neu entstehenden Urlaubsanspruch nicht berechtigt. Insofern sind die Entscheidungen der Vorinstanzen in teilweiser Stattgebung der Revision des Beklagten im klageabweisenden Sinn abzuändern, während der Revision der Klägerin ein Erfolg versagt bleiben muß. Hingegen steht der Klägerin für den im Urlaubsjahr der Entlassung noch nicht verbrauchten Urlaub zwar nicht der in der Klage geltend gemachte Anspruch auf Urlaubsentschädigung (§ 9 UrlG), wohl aber ein Anspruch auf Urlaubsabfindung (§ 10 UrlG) zu. Letzterer wurde auch wirksam geltend gemacht, weil das Begehren auf Zuspruch der Urlaubsentschädigung jenes auf Zuspruch einer Urlaubsabfindung als minus beinhaltet (RdW 1997,557; RS0077108).

Bei der hier zweckmäßigerweise nach Urlaubstagen vorzunehmenden Ermittlung der Urlaubsabfindung (zur Berechnung seit SZ 63/146: Kuderna, Urlaubsrecht**2 182 ff) ist auf der Grundlage des festgestellten Bruttoentgeltes von einem Anspruch der Klägerin von S 894,33 pro abzufindendem Urlaubstag auszugehen; dies entspricht auch - wie die rechnerische Überprüfung zeigt - den Standpunkten der Parteien (Klägerin: S 3 in ON 1; Beklagter: S 3 in ON 4). Der Klägerin gebührten für das laufende Urlaubsjahr 30 Tage Urlaub, sodaß sich für das um den Monat April verkürzte Urlaubsjahr ein aliquoter Anspruch von 27,5 Urlaubstagen errechnet. Hievon sind die von der Klägerin bereits verbrauchten 12 Urlaubstage (30 Urlaubstage abzüglich des nach den Feststellungen offenen Resturlaubes von 3 Wochen = 18 Urlaubstage) in Abzug zu bringen, sodaß sich ein Abfindungsanspruch für 15,5 Urlaubstage ergibt. Damit errechnet sich die der Klägerin zustehende Urlaubsabfindung mit insgesamt S 13.862,11 brutto. Nach Abzug der insoweit bereits mit Anerkenntnisurteil vom 22. 3. 1994 zugesprochenen S 9.390,- brutto verbleibt daher ein Anspruch auf S 4.472,11 brutto. Allerdings hat das Erstgericht, das für seine Berechnung der Urlaubsentschädigung der Klägerin offenkundig von einer 5-Tage-Woche ausging, der Klägerin aus diesem Titel nur S 4.024,28 brutto zugesprochen. Insofern waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher zu bestätigen; da die Abweisung des aus diesem Titel gestellten Mehrbegehrens der Klägerin unangefochten blieb, kann ihr aber mehr als der ohnedies zuerkannte Betrag nicht zugesprochen werden.

Die Entscheidung über die Kosten der Verfahren aller Instanzen beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.

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