OGH 11Os161/97

OGH11Os161/973.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 3.März 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Poech als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hubert Anton G***** wegen der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und des Mordes nach §§ 2, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Leoben vom 29.Juli 1997, GZ 13 Vr 1/97-69, sowie über die Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) gegen den gleichzeitig gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO gefaßten Beschluß nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Kirchbacher, des Angeklagten und des Verteidigers Mag.Weiss zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung und der damit verbundenen Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO) wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Hubert Anton G***** wurde auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und des Mordes nach §§ 2, 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 1.Jänner 1997 in Zeltweg der Marlene E***** durch einen Stich in den Oberbauch eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich einen Leberdurchstich, absichtlich zugefügt und sie in der Folge dadurch, daß er es unterließ, der Verletzten die erforderliche Hilfe zu leisten, wodurch es zu einem massiven Blutverlust kam, der ihren Tod zur Folge hatte, vorsätzlich getötet.

Die Geschworenen hatten die anklagekonforme Hauptfrage nach Mord (durch den Messerstich) verneint und die Eventualfrage I nach absichtlicher schwerer Körperverletzung und Mord (durch Unterlassen der Hilfeleistung; Z 2 des Fragenschemas) bejaht. Die weiteren Eventualfragen nach schwerer Körperverletzung und Mord (§§ 83, 84 Abs 1; 2, 75 StGB; Z 3), absichtlicher schwerer Körperverletzung (§ 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB; Z 4), Körperverletzung mit tödlichem Ausgang (§§ 83 Abs 1, 86 StGB; Z 5) und Imstichlassen eines Verletzten (§ 94 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB; Z 6) blieben folgerichtig unbeantwortet.

Angesichts der jeweils zwei Delikte umfassenden Formulierung der Eventualfragen laut Z 2 und 3 des Fragen- schemas ist vorweg darauf hinzuweisen, daß im Fall echten Zusammentreffens mehrerer strafbarer Handlungen für jede eine besondere Frage zu stellen ist (schon bei Idealkonkurrenz; Mayerhofer StPO4 § 312 E 11, § 314 E 2 a). Die bereits in der Anklageschrift vorgezeichneten (S 439/I) Fragen nach Körperverletzung und anschließendem Mord durch Unterlassen wären daher zu trennen gewesen. Auf diesen, vom Rechtsmittelwerber dahingehend nicht relevierten Nichtigkeitsgrund (§ 345 Abs 1 Z 6 StPO) konnte jedoch der Oberste Gerichtshof nicht von Amts wegen Bedacht nehmen (Mayerhofer aaO § 345 E 2). Die hiezu vom Beschwerdeführer erst anläßlich des Gerichtstages mündlich nachgetragenen, über das schriftliche Vorbringen hinausgehenden Einwände waren wiederum als unzulässige Neuerung (Mayerhofer aaO § 287 E 2) nicht zu berücksichtigen.

Der Angeklagte bekämpft das Urteil mit einer auf § 345 Abs 1 Z 6, 8 und 10 a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der aber keine Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Aus dem erstgenannten Nichtigkeitsgrund rügt der Beschwerdeführer das Unterbleiben von Eventualfragen nach dem Verbrechen der Aussetzung (mit Todesfolge) nach § 82 Abs 1 und Abs 3 StGB sowie § 82 Abs 2 und Abs 3 StGB, jeweils in Verbindung mit einer Frage nach Körperverletzung (gemäß §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB oder § 87 Abs 1 StGB).

Der Einwand versagt.

Nach § 314 Abs 1 letzter Fall StPO ist eine Eventualfrage geboten, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, wonach die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. In der Hauptverhandlung vorgebracht sind Tatsachen nur dann, wenn sie in der Verantwortung des Angeklagten oder in den Ergebnissen des Beweisverfahrens, somit in den Aussagen der Zeugen oder Sachverständigen oder im Inhalt der sonstigen in der Hauptverhandlung vorgeführten Beweismittel ihren konkreten Niederschlag finden. Ist dies nicht der Fall, fehlt es an einem zur Stellung von Eventualfragen erforderlichen Tatsachensubstrat.

§ 82 StGB enthält zwei selbständige Deliktsfälle der Aussetzung. Beide verlangen ein Handeln des Täters mit dem (zumindest bedingten) Vorsatz auf Herbeiführung einer konkreten Lebensgefährdung des Opfers: Der Tatbestand des § 82 Abs 1 StGB erfordert, daß der Täter mit solchem Vorsatz das Opfer in eine hilflose Lage bringt und es in dieser Situation im Stich läßt. § 82 Abs 2 StGB setzt voraus, daß er das Opfer mit Lebensgefährdungsvorsatz in einer hilflosen Lage im Stich läßt, die vom Täter überhaupt nicht oder doch ohne derartigen Vorsatz herbeigeführt wurde (Burgstaller WK Rz 2, Kienapfel BT I4 RN 19, 30 ff, Leukauf/Steininger Komm3 RN 10, 17, je zu § 82; 14 Os 105/89).

In der Nichtigkeitsbeschwerde werden als Hin- weise dafür, daß eine Fragestellung nach Aussetzung indiziert gewesen sei, die Verantwortung des Angeklagten, die Aussagen der Zeugen Udo M*****, Karl K***** und Hertha K***** sowie das gerichtsmedizinische Gutachten des Sachverständigen Dr.Marios D***** angeführt.

Keines dieser Beweisergebnisse weist jedoch auf einen (bloßen) Lebensgefährdungsvorsatz des Angeklagten hin.

Die detaillierten Ausführungen des gerichtsmedizinischen Sachverständigen über die Heftigkeit des Messerstiches gegen den Bauch der Frau rücken eine willentliche Tötungshandlung (§ 75 StGB) in den Bereich der näheren Möglichkeit (S 545 ff/I). Den in der Beschwerde angeführten Zeugenaussagen lassen sich Anhaltspunkte für die innere Einstellung des Angeklagten zur Tatzeit überhaupt nicht entnehmen; sie betreffen einerseits frühere Mißhandlungen der Frau, andererseits bloß akustische Wahrnehmungen von Nachbarn vor dem Hintergrund häufiger lautstarker Auseinandersetzungen des Angeklagten und seiner Lebensgefährtin (S 529 ff/I). Der Angeklagte selbst hatte in der Hauptverhandlung zunächst bestritten, der Frau einen Stich versetzt zu haben, und behauptete, sie sei "einfach in das Messer gegangen" oder "hineingelaufen" (S 503 f, 513/I). Dann räumte er zwar ein, möglicherweise Marlene E***** "hineingestochen" zu haben, stellte aber sogar einen Verletzungsvorsatz in Abrede und hielt zudem daran fest, daß er die nur "ein bißchen" blutende Wunde als nicht ernsthaft angesehen habe (S 507, 553/I). Ein nach § 82 Abs 1 und Abs 2 StGB erforderlicher Lebensgefährdungsvorsatz des Angeklagten ist somit seiner Verantwortung nicht zu entnehmen.

Es fehlt demnach an einem in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachensubstrat, das die vermißten Eventualfragen indiziert hätte; bloß abstrakt denkbare Möglichkeiten reichen dafür nicht aus (Mayerhofer aaO § 314 E 2, 16 a ff).

Die Rechtsbelehrung rügt der Angeklagte zunächst (Z 8), weil sie keine Erläuterungen zum Delikt der Aussetzung nach § 82 StGB enthält. Rechtsbelehrung ist jedoch nur zu den gestellten Fragen zu erteilen (Mayerhofer aaO § 345 Z 8 E 20, 22 bis 23 a).

Die nach Ansicht des Beschwerdeführers gebotene Anführung konkreter Beispiele in der Rechtsbelehrung ist untunlich und daher von der Prozeßordnung nicht vorgesehen (vgl Mayerhofer aaO § 345 Z 8 E 14).

Soweit der Angeklagte in der Instruktionsrüge "Vergleiche und Gegenüberstellungen der einzelnen Tatbestandsmerkmale in jeder Richtung hin" vermißt und ohne nähere Begründung die Auffassung vertritt, daß die "in wesentlichen Punkten recht allgemein gehaltene Rechtsbelehrung bei den Geschworenen kein klares Bild" vermitteln konnte, fehlt es an der deutlichen und bestimmten Bezeichnung der angeblich Nichtigkeit bewirkenden Umstände (§§ 344, 285 Abs 1 StPO), sodaß die Beschwerde insoweit eine gesetzmäßige Ausführung verfehlt und einer sachbezogenen Erörterung nicht zugänglich ist.

Zur Eventualfrage I (Z 2 des Fragenschemas) wird in der Rechtsbelehrung entgegen dem Beschwerdestandpunkt hinreichend dargelegt, daß der Vorsatz auch bei einem durch Unterlassen begangenen Mord den Eintritt des Erfolges und seine Verursachung durch das Täterverhalten mitumfassen muß (S 587, 591 f, 599/I).

Mit der Tatsachenrüge (Z 10 a) wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch getroffenen Annahme seines Tötungsvorsatzes. Indem er seinen Ausführungen die schon erwähnte Verantwortung zugrundelegt, er habe die Stichverletzung als nicht ernsthaft angesehen, und daraus den Schluß auf einen bloßen Lebensgefährdungsvorsatz zieht, unternimmt er nur den Versuch, die der Anfechtung entrückte, gemäß Art 91 Abs 2 B-VG ausschließlich den Geschworenen zugewiesene Beweiswürdigung in Zweifel zu ziehen. Er vermag aber keine aktenkundigen Beweisergebnisse aufzuzeigen, die im Hinblick auf die Ausführungen des gerichtsmedizinischen Sachverständigen über Richtung und Heftigkeit des Messerstiches (S 85, 91, 545 ff/I) und das anschließende Verhalten des Angeklagten nach den Denkgesetzen oder der allgemeinen menschlichen Erfahrung geeignet sein könnten, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Wahrspruchs aufkommen zu lassen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verurteilte Hubert Anton G***** (ersichtlich unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB) nach § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren. Dabei wertete es drei einschlägige Vorstrafen, den äußerst raschen Rückfall, das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und die Alkoholisierung zum Tatzeitpunkt als erschwerend, hingegen den Umstand, daß das Verbrechen des Mordes durch Unterlassung begangen wurde, als mildernd.

Die dagegen gerichtete, eine Strafreduktion anstrebende Berufung des Angeklagten ist nicht im Recht.

Insoweit sie die Tat als "situationsbedingten Zufall" apostrophiert, ist ihr weder in dieser (aktenmäßig nicht gedeckten) Einschätzung noch darin beizupflichten, daß das Fehlen eines sorgfältig vorbereiteten Tatplanes im Sinn der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 Abs 3 StGB) diesfalls zu einer milderen Beurteilung führen müsse, hat doch das Erstgericht trotz des Vorliegens gravierender Erschwerungsumstände eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe ausgesprochen.

Mit dem Hinweis des Berufungswerbers, er habe durch seinen Anruf beim Roten Kreuz den Todeseintritt verhindern wollen, vermag er angesichts des langen Zeitraumes (ca. 10 Stunden) bis zum Versuch einer (nicht mehr möglichen) Erfolgsabwendung und seines währenddessen gleichgültigen Verhaltens trotz der von ihm betonten Sanitätskenntnisse keinen ins Gewicht fallenden, eine Strafherabsetzung rechtfertigenden Milderungsgrund aufzuzeigen. Die Verständigung des Rettungsdienstes kann aber dem Angeklagten - der Berufung zuwider - nicht überdies als "Selbststellung" zugute gehalten werden, zumal nicht er mit einer Strafverfolgungsbehörde Kontakt aufnahm, sondern ein Mitbewohner des Hauses die Gendarmerie verständigte (S 241,251/I).

Insgesamt erweist sich die verhängte Freiheitsstrafe nicht reduktionsbedürftig, weshalb der Berufung kein Erfolg beschieden sein konnte.

Gleichzeitig mit dem Urteil widerrief das Geschworenengericht gemäß §§ 53 Abs 1 StGB, 494 a Abs 1 Z 4 StPO eine bedingte Strafnachsicht. Diese gemäß § 498 Abs 3 StPO zu überprüfende Entscheidung erfolgte im Hinblick auf den sofortigen massiven einschlägigen Rückfall gegen die gleiche Person zu Recht, weil die Aufrechterhaltung der bloßen Androhung des Vollzuges nicht geeignet ist, die nötige spezial- und generalpräventive Effizienz zu entfalten.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390 a Abs 1 StPO.

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