Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagten Parteien seien schuldig,
die Behauptung und Verbreitung der Äußerung, der Kläger habe dadurch für sich oder ein unter seinem Einflußbereich stehendes Unternehmen von einer Wohnbaugenossenschaft ein Haus weit unter dem Marktwert erwerben können, daß er dem in finanzielle Nöte geratenen Wohnbaugenossenschaftschef privat ein Millionendarlehen gewährt habe oder gleichsinnige Äußerungen zu unterlassen,
die genannten Äußerungen gegenüber den Lesern der "Neue Kronen-Zeitung-Steirerkrone" zu widerrufen und diesen Widerruf im redaktionellen Teil dieser periodischen Druckschrift zu veröffentlichen,
wird abgewiesen.
Die klagende Partei hat den beklagten Parteien nachstehend bestimmte Kosten binnen 14 Tagen zu ersetzen:
an Kosten erster Instanz 44.700,46 S (darin 7.450,08 S Umsatzsteuer),
an Kosten zweiter Instanz 32.612,36 S (darin 3.492,06 S Umsatzsteuer und 11.660 S Barauslagen),
an Kosten dritter Instanz 27.148 S (darin 2.095,50 S Umsatzsteuer und 14.575 S Barauslagen).
Text
Entscheidungsgründe:
Der Erstbeklagte ist Redakteur der Neuen Kronen-Zeitung, die Zweitbeklagte Medieninhaberin. In der Ausgabe vom 16.11.1995 für Steiermark erschien nachstehender Artikel:
Der Kläger begehrt wie aus dem Spruch ersichtlich. Durch die in Vermutungs- und Verdächtigungsform geäußerten Tatsachenbehauptungen, der Kläger habe sich durch Gewährung eines Privatdarlehens an den Chef der Wohnbaugenossenschaft eine in deren Eigentum stehende Liegenschaft zu einem weit unter dem Verkehrswert liegenden Preis verschafft und sich somit durch eine strafbare Handlung unrechtmäßig bereichert, werde sein gesellschaftlicher Ruf gefährdet. Die Beklagten seien in Kenntnis davon gewesen, daß die von ihnen aufgestellten Behauptungen bereits strafgerichtlich geprüft und das Verfahren eingestellt worden sei.
Die Beklagten wandten ein, alle aufgestellten Tatsachenbehauptungen entsprächen der Wahrheit, die Formulierung des Artikels rechtfertige das Urteilsbegehren nicht.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren unter Zugrundelegung folgender Feststellungen statt:
Der Kläger ist Zivilingenieur für Bauwesen und stand in beruflichem Kontakt mit der G*****genossenschaft (G*****). Zum Zeitpunkt des Ankaufes der Liegenschaft Graz, S*****straße *****, durch die F*****handelsgesellschaft mbH im Jahre 1990 war der Kläger deren alleiniger Gesellschafter. In der Folge wurden die Geschäftsanteile an eine luxemburgische Holding, vertreten durch den Rechtsanwalt Dr.Axel F***** verkauft, der Kläger blieb weiterhin Konsulent der GmbH, ihm stand das Einflußrecht zu.
Der Alleingeschäftsführer der G*****, Mag.Wolfgang H*****, ist seit den 70er-Jahren mit dem Kläger bekannt. Er erhielt vom Aufsichtsrat der G***** den Auftrag, unwirtschaftliche Liegenschaften abzustoßen. Das Haus Graz, S*****straße *****, brachte Verluste, weil es von Altmietern bewohnt wurde, die noch nach Friedenskronen berechnete Mietzinse zahlten. Das Haus war dringend sanierungsbedürftig. Es wurde durch Inserate und mündlich zum Kauf angeboten, eine Ausschreibung gab es nicht. Der Kläger, der bereits als Statiker tätig war und die Bauqualität zu untersuchen hatte, nannte dem Geschäftsführer der G***** die F*****handels GmbH als mögliche Käuferin. Er selbst wollte nicht als Käufer auftreten. Mit Kaufvertrag vom 16.2.1990 erwarb die GesmbH die Liegenschaft um 2,2 Mio S, weitere Angebote gab es nicht. Die unterste Preisgrenze, die dem Geschäftsführer vom Aufsichtsrat der G***** vorgegeben wurde, betrug 1,8 Mio S.
Der Geschäftsführer der G***** erhielt in den Jahren 1985 bis 1991 vom Kläger zinsenlose Privatdarlehen, die aushaftende Höchstsumme betrug 1,5 Mio S. Eine größere Rückzahlung von 1,000.000 S wurde 1990 geleistet.
Dem Kläger wurde von der B***** ein Kontokorrentkredit über 12,000.000 S eingeräumt. Zur Besicherung diente auch die Liegenschaft S*****straße *****, die mit zwei Höchstbetragspfandrechten über je 7,000.000 S belastet wurde. Diese Pfandrechte stellten nur einen Teil der gesamten Sicherheiten (Pfandrechte auf weiteren Liegenschaften, Forderungsabtretungen und persönliche Haftungen von Gesellschaftern) dar.
Der Erstbeklagte befaßte sich seit 1994 journalistisch mit dem Kläger. Anlaßfall für den gegenständlichen Artikel war die Mitteilung eines Anrainers der Liegenschaft S*****straße *****, auf der Fundamente errichtet wurden, es gebe Ungereimtheiten hinsichtlich des Widmungs- und Bauverfahrens. Der Erstbeklagte holte vor Erscheinen des Artikels einen Grundbuchsauszug ein, in welchem die F*****handels GesmbH als Eigentümer und die Belastung mit zwei Höchstpfandrechten von zusammen 14,000.000 S ersichtlich ist. Er beschaffte sich auch weitere Informationen aus einem den Kläger betreffenden Finanzstrafakt beim Landesgericht für Strafsachen Graz. Gegen den Kläger wurden aufgrund einer Anzeige des Finanzamtes Graz-Stadt Vorerhebungen wegen des Verdachtes geführt, im Zeitraum 1984 bis 1992 in Graz an Bundes- und Landesbeamte und leitende Angestellte von Unternehmen, darunter auch der Geschäftsführer der G*****, Zahlungen geleistet und sie dadurch zu strafbaren Handlungen veranlaßt zu haben. Das Strafverfahren wurde in der Folge eingestellt. Dies war dem Erstbeklagten bekannt, weil ihm die Unterlagen aus dem Strafakt "zugespielt" worden waren.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, für die Beurteilung, ob kreditschädigende Tatsachen verbreitet worden seien, sei der vermittelte Gesamteindruck einer objektiv vielleicht richtigen Äußerung und das Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers maßgeblich. Der dem Kläger unterstellte Vorwurf sei zwar nicht ausdrücklich erhoben worden, die Leser würden aber über einen "dubiosen Verkauf" unterrichtet, gleichzeitig werde ihnen ein "pikantes Detail" mitgeteilt. Durch die Art der Schilderung von zwei an sich wahren Sachverhalten erfolge eine eindeutige Verknüpfung der beiden Tatsachen Kauf und Darlehensgewährung, der Leser müsse den Eindruck gewinnen, der Kläger sei durch Gewährung von Privatdarlehen günstig zu einer Liegenschaft gekommen, er habe unter Umständen auch strafrechtlich relevante Tatbestände, etwa Bestechung, verwirklicht. Das Klagebegehren sei daher nach § 1330 Abs 2 ABGB berechtigt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge. Es billigte die Ansicht des Erstgerichtes, die Leser gelangten durch die Verknüpfung der Tatsachen zu dem Schluß, der Kläger habe bewußt rechtswidrige Handlungen "Bestechung etc" begangen. Solche schwerwiegende Anschuldigungen seien in Ermangelung strafrechtlicher Verfolgungshandlungen gegen den Kläger als unwahre Tatsachenbehauptungen rufschädigend und daher zu unterlassen. Der Erstbeklagte habe aber auch die gebotene journalistische Sorgfaltspflicht verletzt, weil er vor der Veröffentlichung vom Kläger keine Stellungnahme eingeholt habe, auch die verschuldensabhängigen Klageansprüche seien daher berechtigt.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vorlägen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Nach ständiger Rechtsprechung sind "Tatsachen" im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB - im Gegensatz zu objektiv nicht überprüfbaren Werturteilen, die erst aufgrund einer Denktätigkeit gewonnen werden und die rein subjektive Meinung des Erklärenden wiedergeben - Umstände, die ihrer allgemeinen Natur nach objektiv überprüfbar sind. Der Begriff der Tatsachenbehauptung ist weit auszulegen. Auch "Urteile", die auf entsprechende Tatsachen schließen lassen, sind objektiv nachprüfbar, wenn sie greifbare, einem Beweis zugängliche Vorgänge zum Gegenstand haben und von einem nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Empfänger in diesem Sinne aufgefaßt werden. Bei der Beurteilung der Frage, ob "Tatsachen" verbreitet wurden, kommt es auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung an. Dies gilt auch für an sich richtige Zitate, wenn der Gesamtinhalt eines Artikels durch das Verschweigen ihres wahren Sinnes im Textzusammenhang entstellt wird (MR 1993, 17 uva). Konkludente Tatsachenbehauptungen sind also vordergründige Wertungen, die auf einen Tatsachenkern schließen lassen.
Im hier in seinem Gesamtzusammenhang zu beurteilenden Artikel des Erstbeklagten wird vom "Streitobjekt Haus in der S*****straße ***** in der Grazer Altstadt" berichtet. Neben baulichen Vorkommnissen im Zusammenhang mit befristeten Baubewilligungen enthält der Artikel die klare Tatsachenbehauptung, daß die F*****handelsgesellschaft (eine von zahllosen Firmen, die unter dem Einflußbereich des Klägers stehen) am 16.2.1990 das Haus von einer Wohnbaugenossenschaft gekauft hat und obwohl der historische Bau von einer Bank mit 14,000.000 S belastet wurde, der Kaufpreis nur 2,2 Mio S betrug. Diese Tatsachenbehauptungen haben sich zur Gänze ebenso als wahr erwiesen, wie die daran anschließende Behauptung, der Kläger habe dem in finanzielle Nöte geratenen Wohnbaugenossenschaftschef privat ein Millionendarlehen gewährt. Die einzigen in dem Artikel enthaltenen subjektiven Werturteile sind in der Bezeichnung des Geschäftes als "dubioser Verkauf" und in der Bezeichnung der Darlehensgewährung als "pikantes Detail" zu erblicken. Von einem bestimmten Marktwert, der weit höher liege als der tatsächliche Kaufpreis, wird auch nicht vordergründig wertend hingewiesen, der tatsächliche Wert des Grundstückes wurde auch im vorliegenden Verfahren keineswegs festgestellt. Für einen guten Kaufmann ist es auch nicht rufschädigend, günstige Kaufgelegenheiten wahrzunehmen. Die den Kaufpreis um ein Vielfaches übersteigende Belastung, die nach dem im Akt erliegenden Grundbuchauszug auch nicht simultan mit anderen, hier nicht gegenständlichen Liegenschaften einverleibt ist, kann durch jedermann im öffentlichen Grundbuch nachgeprüft werden und entsprach den Tatsachen. Auch die daran anschließende Tatsachenbehauptung, der Kläger habe dem in Nöten geratenen Wohnbaugenossenschaftschef privat ein Millionendarlehen gewährt, trifft vollinhaltlich zu. Die Verknüpfung der in allen Punkten der Wahrheit entsprechenden Tatsachenbehauptungen durch das subjektive Werturteil des Verfassers, der Kauf sei dubios und das Darlehen ein pikantes Detail, muß einem Journalisten als Ableitung aus den geschilderten wahren Fakten zugestanden werden, denn die Gewährung so hoher, noch dazu unverzinslicher Privatdarlehen (durch Jahre hindurch) an einen Geschäftsführer, der für die Entscheidung zuständig ist, ob, zu welchem Preis und an wen Liegenschaftsverkäufe durchgeführt werden, muß jedem Durchschnittsleser tatsächlich als bedenklich (dubios, pikant) erscheinen. Eine weitere Wertung, die der Leser als - konkludenten - Vorwurf oder Verdacht einer strafbaren Handlung, wie dies die Vorinstanzen in Übereinstimmung mit dem Vorbringen des Klägers angenommen haben, durch Bestechung, Anstiftung oder Beihilfe zur Untreue oder unrechtmäßige persönliche Bereicherung auffassen muß, ist in dem Bericht nicht enthalten. Es wird nicht einmal berichtet, daß strafrechtliche Vorerhebungen gegen eine Reihe von Bundes- und Landesbeamten sowie den (namentlich nicht genannten) Geschäftsführer der Wohnbaugenossenschaft tatsächlich geführt, wenn auch später eingestellt worden waren. Die Schlußfolgerungen aus den mitgeteilten wahren Tatsachen werden vielmehr ohne Beeinflussung durch unzulässige Verdächtigungen, Vermutungen oder Verschweigungen ausschließlich dem Leser überlassen. Es liegen daher im vorliegenden Fall keine "konkludenten Tatsachenbehauptungen" im Sinne der Rechtsprechung vor, die das Klagebegehren zu rechtfertigen vermöchten. Dieses ist daher mangels Vorliegens eines Tatbestandes nach § 1330 Abs 2 ABGB abzuweisen.
Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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