OGH 4Ob34/98y

OGH4Ob34/98y24.2.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Johann Quendler und Dr. Alexander Klaus, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Erwin S*****, Kaufmann, ***** Deutschland, vertreten durch Dr. Erich Holzinger, Rechtsanwalt in Liezen, wegen S 268.124,94 s.A. und DM 32.000.- s.A. (Streitwert S 494.844,94), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 8. Juli 1997, GZ 2 R 90/97s-11, womit der Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt vom 14. März 1997, GZ 21 Cg 192/96m-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 21.375.- (darin S 3.562,50 USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Beim Landesgericht Klagenfurt ist zu 21 Cg 185/95f ein Verfahren anhängig, in dem der hier Beklagte die Klägerin des vorliegenden Verfahrens auf Zahlung von S 500.000.- s.A. mit dem Vorbringen in Anspruch nimmt, als ehemaliger stiller Gesellschafter stehe ihm auf Grund des Gesellschaftsvertrages vom 14. 10. 1994 sowie einer nach Beendigung des Gesellschaftsverhältnisses getroffenen Vereinbarung ein Gewinnanteil in der begehrten Höhe zu.

Mit ihrer als Widerklage bezeichneten Klage vom 28. 11. 1996 begehrt die Klägerin für dem Beklagten auf seine Bestellung gelieferte Waren (Rechnungszeitraum März bis November 1994) unter Abzug einer Gegenrechnung S 268.124,94 s.A. sowie als Teilkaufpreis für dem Beklagten auftragsgemäß von der S*****Vertriebs GmbH gelieferte Waren (Rechnungszeitraum Dezember 1994), DM 32.000.- s.A.; diese Kaufpreisforderung habe die Verkäuferin an die Klägerin zediert. Zur Zuständigkeit des Landesgerichtes Klagenfurt berief sich die Klägerin im Hinblick auf den zwischen den Streitteilen mit umgekehrten Parteirollen anhängigen Vorprozeß 21 Cg 185/95f auf den Gerichtsstand der Widerklage gem. § 96 JN, den auch Art. 6 Z 3 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LGVÜ) kenne.

Der Beklagte erhob die Einrede der Unzuständigkeit, weil im Hinblick auf seinen Wohnsitz die inländische Gerichtsbarkeit nicht gegeben sei, sowie die Einrede der entschiedenen Rechtssache, weil bereits ein rechtskräftiger Mahnbescheid über DM 78.637,79 des Amtsgerichtes München bestehe oder hierüber zumindest ein Verfahren anhängig sei.

Das Erstgericht wies die Einreden der Unzuständigkeit, der entschiedenen Rechtssache und der Streitanhängigkeit ab. Es stellte fest, daß der Beklagte gegen einen vom Amtsgericht München erlassenen Mahnbescheid über DM 169.817,06 s.A. fristgerecht Widerspruch erhoben hat, worauf die dortige Antragstellerin S***** Vertriebs GmbH den Mahnbescheid zurückgezogen hat und das Mahnverfahren damit beendet ist. Es liege damit weder entschiedene oder anhängige Rechtssache vor, noch sei ersichtlich, weshalb der Gerichtsstand der Widerklage nicht zum Tragen komme.

Das Rekursgericht änderte den Beschluß dahin ab, daß es die Widerklage wegen Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit zurückwies; es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist. Nach dem allein maßgeblichen LGVÜ könne der Gerichtsstand der Widerklage nur dann in Anspruch genommen werden, wenn sich die Widerklage auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage stütze; diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des Gerichtsstandes des Art. 6 Z 3 LGVÜ zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LGVÜ) steht für Österreich nach Ratifikation seit 1.9.1996 in Geltung (BGBl 1996/448), für Deutschland seit 1.3.1995. Es ersetzt innerhalb seines Anwendungsbereiches das nationale Zuständigkeitsrecht (in Österreich: die JN) ebenso wie bilaterale Vollstreckungsabkommen, soweit diese nicht einen weiteren Anwendungsbereich haben (Mayr in Rechberger, § 28 JN Rz 10). Ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Gerichtsstands nach § 96 JN vorliegen, ist deshalb im Hinblick auf die Einbringung der Klage nach Inkrafttreten des LGVÜ nicht mehr zu prüfen.

Gem. Art 2 LGVÜ sind Personen, die ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat haben, grundsätzlich bei den Gerichten dieses Staates zu klagen, sofern die Artikel 5 bis 18 des Übereinkommens nichts anderes bestimmen. Art. 6 Nr. 3 LGVÜ gewährt den Gerichtsstand der Widerklage vor dem Gericht, bei dem die Klage selbst anhängig ist, wenn es sich um eine Widerklage handelt, die auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird. Diese Bestimmung ist sowohl hinsichtlich des Begriffs der Widerklage als auch der Konnexität ("derselbe Vertrag oder Sachverhalt") konventionsimmanent zu definieren, um die Einheitlichkeit der Anwendung des europäischen Kompetenzrechts sicherzustellen (Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht 188 Rz 59 zu Art 8 EuGVÜ = Art 6 LGVÜ mwN).

Das Übereinkommen spricht nicht wie § 96 Abs 1 JN vom "Zusammenhang" der mit Klage und Widerklage geltend gemachten Ansprüche, obgleich dieser Begriff dem Übereinkommen geläufig ist (vgl. Art. 22 Abs 3 LGVÜ); die Voraussetzungen für die Widerklage sind gegenüber Art. 22 LGVÜ vielmehr enger (Geimer/Schütze aaO 187 Rz 53;

Czernich/Tiefenthaler, Die Übereinkommen von Lugano und Brüssel 77 Rz 13 zu Art 6). Dazu sagt der Jenard-Bericht: "Da nicht alle Vertragsstaaten den Begriff des Sachzusammenhangs kennen, wird in dem Übereinkommen in Anlehnung an den belgischen Entwurf einer Gerichtsordnung ausdrücklich darauf verwiesen, daß die Widerklage ihren Ursprung in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag oder in dem die Klage selbst begründenden Sachverhalt haben muß" (abgedruckt bei Lechner/Mayr, Das Übereinkommen von Lugano 235). Die Voraussetzungen des Art 6 Nr. 3 LGVÜ sind schon nach dem Wortlaut nicht erfüllt, wenn sich die Widerklage auf einen anderen Vertrag stützt als die Klage, es sei denn, es läge ein einheitlicher Sachverhalt zugrunde; daß beide Verträge in einem Zusammenhang stehen, genügt nicht (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht5 151 Rz 33 zu Art 6; Schlosser, EuGVÜ 67 Rz 11 zu Art 6). Der Grund für die Privilegierung der Widerklage liegt nämlich nicht so sehr in prozessualer Waffengleichheit, da diese nicht gebietet, daß der Beklagte seine Widerklage in demselben Gerichtsstand erheben kann. Wesentlich sind vielmehr die Gesichtspunkte der Prozeßökonomie und der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen. Sachlich Zusammengehörendes soll in demselben Gerichtsstand entschieden werden (Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht**2 138 § 8 Rz 352).

Nach den in der Zuständigkeitsfrage allein maßgebenden Behauptungen der Widerklägerin (Geimer/Schütze aaO 188 Rz 60) leitet diese ihre Gegenansprüche aus bestellungsgemäß durchgeführten Warenlieferungen zwischen März und Dezember 1994 ab, während der Widerbeklagte mit seiner Vorklage Zahlung von S 500.000.- s.A. mit der Behauptung begehrt, als ehemaliger stiller Gesellschafter habe er Anspruch auf Grund des Gesellschaftsvertrages vom 14. 10. 1994 sowie einer nach Beendigung des Gesellschaftsverhältnisses getroffenen Vereinbarung auf einen Gewinnanteil in der begehrten Höhe. Bei dieser Sachlage besteht weder Identität zwischen den einzelnen Kaufverträgen aus laufender Geschäftsbeziehung und dem Gesellschaftsvertrag oder der Abfindungsvereinbarung, noch liegt den gegenseitigen Ansprüchen derselbe Sachverhalt zugrunde. Der bloße Sachzusammenhang, daß Gläubigerin der Kaufpreisforderungen jene Gesellschaft ist, an der der Widerbeklagte beteiligt war, vermag das eng auszulegende Konnexitätserfordernis des Art. 6 Nr. 3 EGVÜ zwischen Klage und Widerklage nicht zu erfüllen.

Da die Widerklägerin eine Zuständigkeit des Erstgerichtes nach anderen Vorschriften des LGVÜ nicht behauptet hat, hat das Rekursgericht die Widerklage zutreffend mangels inländischer Zuständigkeit zurückgewiesen. Der Revisionsrekurs mußte deshalb erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte