Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Antragsgegnerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ *****. Im Zuge eines von der Antragstellerin angestrengten Enteignungsverfahrens zwecks Neutrassierung der Brixentaler Bundesstraße B 170 wurde am 9. 12. 1994 vom Landeshauptmann von Tirol ein Enteignungsbescheid erlassen, in dem ua 1.946 m**2 dieser Liegenschaft enteignet und die Höhe der Entschädigung hiefür mit S 2,839.360.- festgesetzt worden ist. Infolge Berufung der Antragsgegnerin gegen diesen Bescheid erließ der Landeshauptmann von Tirol am 18. 10. 1995 "in Ergänzung bzw. Abänderung des Bescheides vom 9. 12. 1994" einen weiteren Bescheid, in dem die Entschädigungssumme für 1.946 m**2 der betroffenen Liegenschaft der Antragsgegnerin mit S 3,502.800.- neu festgesetzt worden ist. Die Antragsgegnerin zog daraufhin ihre Berufung zurück.
Am 2. 11. 1995 sprach ein Vertreter der Bundesstraßenverwaltung beim Amt der Tiroler Landesregierung vor und beantragte mündlich die Behebung des Bescheides vom 18. 10. 1995 mit der Begründung, die mit Anton P***** getroffene Vereinbarung werde nicht eingehalten. Über diesen Vorgang wurde ein vom Vorsprechenden mitunterfertiger Aktenvermerk angelegt. Noch am selben Tag erließ der Landeshauptmann von Tirol eine Berufungsvorentscheidung, mit welcher der Bescheid vom 18. 10. 1995 behoben wurde. Die Antragsgegnerin beantragte fristgerecht, die Berufung dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten als zuständigem Entscheidungsorgan zweiter Instanz vorzulegen; dieser wies mit Bescheid vom 12. 4. 1996 den Vorlageantrag ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid vom 2. 11. 1995. Der dagegen von der Antragsgegnerin erhobenen Beschwerde gab der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 20. 2. 1997 Folge und hob den Bescheid vom 12. 4. 1996 wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde mit der Begründung auf, die von der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 18. 10. 1995 erhobene Berufung sei weder schriftlich noch in einer der der Schriftform gleichzuhaltenden Formen eingebracht worden; damit liege keine zulässige Berufung vor, über die zu entscheiden gewesen wäre. Die vermeintliche Berufung hätte vielmehr als unzulässig zurückgewiesen werden müssen. Mit Ersatzbescheid vom 26. 3. 1997 wies der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten deshalb die Berufung der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 18. 10. 1995 als unzulässig zurück.
Mit ihrem am 3. 6. 1997 beim Erstgericht überreichten Antrag begehrt die Antragstellerin, gestützt auf § 20 Abs 3 BStG, die Neufestsetzung der im Bescheid vom 18. 10. 1995 zugesprochenen Enteignungsentschädigung und bringt zur Rechtzeitigkeit vor, daß der Bescheid vom 18. 10. 1995 erst infolge Zurückweisung ihrer Berufung im Verwaltungsverfahren durch den Ersatzbescheid vom 26. 3. 1997 rechtskräftig geworden sei.
Die Antragsgegnerin wendet dagegen ein, daß die im § 20 Abs 3 BStG normierte Frist zur Anrufung des Gerichtes längst abgelaufen sei, und begehrt die Zurückweisung des Antrags.
Das Erstgericht wies den Antrag als verspätet mit der Begründung zurück, der Bescheid vom 18. 10. 1995 sei spätestens im November 1995 rechtskräftig geworden, da eine unzulässige Berufung den Eintritt der Rechtskraft eines Bescheides nicht hindere.
Rechtliche Beurteilung
Dem gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs der Antragstellerin gab das Rekursgericht nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000.- übersteige und der Revisionsrekurs zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin, mit dem sie eine Sachentscheidung durch das Rekursgericht, in eventu durch das Erstgericht, anstrebt.
Die Antragsgegnerin beantragt, dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben.
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil sich das Rekursgericht nicht auf eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einem vergleichbaren Sachverhalt stützen konnte. Er ist auch berechtigt.
Gemäß § 20 Abs 3 BStG ist gegen die Entscheidung des Landeshauptmannes über die Notwendigkeit, den Gegenstand und den Umfang der Enteignung die Berufung an das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten zulässig. Eine Berufung bezüglich der Höhe der im Verwaltungswege zuerkannten Entschädigung ist unzulässig. Doch steht es jedem der beiden Teile frei, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des Enteignungsbescheides die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung bei jenem Bezirksgericht zu begehren, in dessen Sprengel sich der Gegenstand der Enteignung befindet. Mit Anrufung des Gerichts tritt die verwaltungsbehördliche Entscheidung außer Kraft.
Ein Bescheid ist in folgenden Fällen formell rechtskräftig, kann also von den Parteien durch ordentliche Rechtsmittel nicht mehr bekämpft werden: wenn er von der letzten Instanz erlassen worden ist; mit ungenützem Ablauf der den Parteien zur Verfügung stehenden Rechtsmittelfrist; mit Rechtswirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts; mit Rechtswirksamkeit der Zurückziehung eines eingebrachten Rechtsmittels; nicht hingegen erst mit rechtskräftiger Zurückweisung einer unzulässigen Berufung (Walter/Mayer, Grundriß des Verwaltungsverfahrensrechts6 Rz 455 mit Nachweisen der RSp des VwGH). Die Erhebung einer nicht oder nicht mehr zulässigen Berufung hindert demnach den Eintritt der Rechtskraft des Bescheides nicht (VwSlg 9727 A). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach sowohl im Zivilprozeß als auch im Verwaltungsverfahren nur rechtzeitig erhobene, zulässige Rechtsmittel geeignet sind, den Eintritt der Rechtskraft zu hindern (Fasching LB**2 Rz 1494; SZ 25/298; JBl 1965, 524; SZ 57/158).
Als Fall einer unzulässigen Berufung im Enteignungsverfahren wurde etwa der Fall angesehen, in dem sich das Rechtsmittel nur gegen die Höhe der Entschädigungssumme richtete und damit dem Rechtsmittelausschluß des § 15 Abs 3 BStGaF (als Vorgängerbestimmung des § 20 Abs 3 zweiter Satz BStGnF) unterlag (JBl 1965, 524). In dem zu SZ 37/157 = ZVR 1965/182 = ÖVA 1967, 21 entschiedenen Fall bezog sich die Berufung hingegen auf die Enteignung als solche, und der Umstand, daß die (grundsätzlich zulässige) Berufung infolge Präklusion von Einwendungen im konkreten Fall zurückgewiesen wurde, vermochte den Aufschub des Eintritts der Rechtskraft durch die Erhebung des zulässigen Rechtsmittels nicht zu verhindern.
Im vorliegenden Fall verstieß die mündliche Berufung der Antragstellerin im Verwaltungsverfahren gegen die Vorschrift des § 13 Abs 2 AVG, wonach Rechtsmittel schriftlich einzubringen sind; der aufgenommene Aktenvermerk über das mündliche Anbringen des Vertreters der Antragstellerin beim Amt der Tiroler Landesregierung ist nicht einmal eine Niederschrift iS des § 14 Abs 1 AVG (die ihrerseits als mündlich anzusehen ist). Das formungültige Rechtsmittel war deshalb unzulässig. Entscheidende Bedeutung kommt aber hier dem Umstand zu, daß die Verwaltungsbehörde erster Instanz in Erledigung des formungültigen Rechtsmittels mittels Berufungsvorentscheidung ihren Bescheid vom 18. 10. 1995 behoben hat, womit dieser - worauf die Antragstellerin zutreffend hinweist - aus dem Rechtsbestand ausgeschieden ist. Daß diese Erledigung als fehlerhaft infolge eines Erkenntnisses des VwGH durch die Verwaltungsbehörde zweiter Instanz später wieder beseitigt worden ist, ändert nichts daran, daß bis zur Wiederherstellung des fälschlich aufgehobenen Bescheides vom 18. 10. 1995 durch den Ersatzbescheid vom 26. 3. 1997 kein fristauslösender Bescheid iS des § 20 Abs 3 BStG bestanden hat.
Die Frist des § 20 Abs 3 BStG beginnt zwar grundsätzlich mit Eintritt der Rechtskraft des Enteignungsbescheides (das ist hier der Bescheid vom 9. 12. 1994) zu laufen; beim vorliegenden Sachverhalt wurde dieser Fristenlauf aber ausnahmsweise erst durch den Bescheid vom 18. 10. 1995 ausgelöst, da infolge der "Neufestsetzung" der Entschädigungssumme mittels dieses Bescheides die Parteien erst mit dessen Erlassung beschwert sein konnten. Der am 26. 3. 1997 wieder zum Rechtsbestand erhobene Enteignungsbescheid vom 18. 10. 1995 konnte daher auch erst ab diesem Zeitpunkt den Fristenlauf des § 20 Abs 3 BStG auslösen. Die Einbringung des Antrags auf Festsetzung der Enteignungsentschädigung am 3. 6. 1997 bei Gericht erfolgte damit fristgerecht.
Dem Revisionsrekurs war deshalb Folge zu geben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 20 Abs 5 BStG iVm § 44 Abs 2 EisenbEG und § 52 Abs 1 ZPO per analogiam.
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