OGH 11Os11/98

OGH11Os11/9816.2.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Februar 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schmucker und Dr.Habl als weitere Richter, in Gegenwart der Richterin Mag.Hradil als Schriftführerin in der beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 1 c Vr 11262/95 anhängigen Strafsache gegen Dr. Ernst W***** wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 1.August 1997, AZ 19 Bs 277/97, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dr.Ernst W***** wurde in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Dr.Ernst W***** wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12.Juni 1997, GZ 1 c Vr 11262/95-307, des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren verurteilt.

Danach hat Dr.Ernst W***** in Wien und anderen Orten in der Zeit vom 7. September bis 12.Oktober 1993 als Geschäftsführer der S*****GmbH in insgesamt 38 Angriffen mit unrechtmäßigem Bereicherungsvorsatz Bedienstete der in Luxemburg etablierten Ba***** durch zeitgleich einander nur am Handelstag kompensierende Ankaufs- und Verkaufsaufträge von Wertpapieren, wobei er durch Zwischenschaltung der in Wien etablierten Makler L***** den Eindruck von Vermittlungsgeschäften erweckte und vorgab, bei den Verkaufsaufträgen sei auf der Gegenseite ein potenter, zahlungsfähiger seriöser Käufer vorhanden, sohin durch Täuschung über Tatsachen zur teilweisen Erfüllung bzw Ausführung der Ankaufs- und Verkaufsaufträge im eigenen Namen und nur auf Rechnung der S***** GmbH verleitet, wodurch das genannte Geldinstitut einen Schaden in der Höhe von mindestens 273,298.670 S erlitt.

Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung, die Anklagebehörde Berufung erhoben. Über die Rechtsmittel wurde noch nicht entschieden.

Zu diesem Verfahren befindet sich Dr.Ernst W***** seit 13.Oktober 1995 aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1 StPO) in Untersuchungshaft.

Mit Beschluß vom 23.Juli 1997 (ON 319/XIII) ordnete der Vorsitzende die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem genannten Haftgrund an.

Der dagegen vom Angeklagten erhobenen Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 1.August 1997, AZ 19 Bs 277/97 (ON 322/XIII des Vr-Aktes), nicht Folge gegeben und ausgesprochen, daß die Untersuchungshaft aus dem genannten Haftgrund fortzusetzen ist. Der angefochtene Beschluß wurde dem (anwaltlich vertretenen) Angeklagten am 5.Dezember 1997 (persönlich) zugestellt. Nachdem Dr.Ernst W***** am 13.Dezember 1997 einen selbst verfaßten und als "Grundrechtsbeschwerde" bezeichneten Schriftsatz beim Erstgericht eingebracht und unter einem den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gestellt hatte, dieser Antrag mit Beschluß vom 19. Dezember 1997 abgewiesen und dem gewählten Verteidiger am 23. Dezember 1997 zugestellt worden war, erhob der Angeklagte sodann am 29.Dezember 1997 - wortident - eine - ebenfalls nicht vom Verteidiger unterschriebene - Grundrechtsbeschwerde beim Obersten Gerichtshof. Im Zuge des Verbesserungsverfahrens (§ 3 Abs 2 GRBG) brachte der Wahlverteidiger nunmehr (fristgerecht) - neuerlich wortgleich - die Grundrechtsbeschwerde ein, womit dem Mängelbehebungsauftrag Rechnung getragen ist (vgl 13 Os 142/97).

Rechtliche Beurteilung

Die Grundrechtsbeschwerde, in welcher der dringende Tatverdacht und das Vorliegen von Haftgründen bestritten sowie die unverhältnismäßige Dauer der Untersuchungshaft gerügt wird, ist jedoch nicht im Recht.

Bei Prüfung des von der Beschwerde in Frage gestellten dringenden Tatverdachtes (§ 180 Abs 1 StPO) ist davon auszugehen, daß in erster Instanz ein - wenngleich nicht rechtskräftiger - Schuldspruch gefällt wurde. Der Tatverdacht, der zur Begründung der Haftverhängung herangezogen worden war, hat sich somit verdichtet und entspricht jedenfalls der vom Gesetz geforderten Dringlichkeit (Mayrhofer/Steininger GRBG § 2 Rz 39). Die Beurteilung, ob das angefochtene Urteil mit formellen und/oder materiellen Mängeln behaftet ist und inwieweit Einwände in der dem Obersten Gerichtshof vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde berechtigt sind, bleibt dem Nichtigkeitsverfahren vorbehalten, weswegen sich das gegen das Urteil erhobene Vorbringen einer Erörterung im Grundrechtsbeschwerdeverfahren entzieht.

Entgegen der in der Grundrechtsbeschwerde vertretenen Ansicht liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität der Auslieferung, der darin erblickt wird, daß das angeklagte Delikt im Auslieferungsvertrag genannt sein muß, nicht vor. Der Beschwerdeführer wurde gemäß Art II Z 18 des geltenden Auslieferungsvertrages zwischen der Republik Österreich und Vereinigten Staaten von Amerika (wonach unter anderem folgende strafbare Handlungen auslieferungsfähig sind: Erwerb von Geld, Wertpapieren oder anderes Vermögen auf Grund falscher Vorspiegelungen oder Annahme von Geld, Wertpapieren oder anderen Vermögen in Kenntnis des Umstandes, daß das angenommene unrechtmäßig erworben worden ist, wenn der auf diese Weise erworbene oder angenommene Geldbetrag oder Vermögenswert 100 Dollar oder den österreichischen Gegenwert übersteigt - vgl Linke/Epp/Dokoupil/Felsenstein, Internationales Strafrecht S 770) wegen der im Spruch genannten Handlungen ausgeliefert. Damit hat er aber jedenfalls eine nach dem Auslieferungsvertrag zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika als auslieferungsfähig bezeichnete strafbare Handlung zu verantworten, weshalb dem Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit (Prinzip der identen Norm) Genüge getan ist. Danach kommt es nämlich nur darauf an, ob der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegende Sachverhalt nach dem Recht sowohl des ersuchenden wie auch des ersuchten Staates mit gerichtlicher Strafe bedroht ist. Daß hingegen die den Gegenstand der Auslieferung bildende Tat in beiden Rechtsbereichen derselben Deliktstype unterstellt werde (Identität der Deliktsbezeichnung), ist nicht erforderlich.

Im übrigen ist der Argumentation des Beschwerdeführers noch entgegenzuhalten, daß eine Auslieferung zur Strafverfolgung und Bestrafung durch den ersuchten Staat der Sache nach die Aufgabe des diesem Staat gegen den Ausgelieferten zustehenden Strafverfolgungsrechtes bedeutet. Wenn zwischen zwei Staaten durch einen Vertrag die gegenseitige Auslieferung von Personen unter bestimmten Voraussetzungen (hier: auf Grund des Auslieferungsvertrages zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika nach Maßgabe des in Art II dieses Vertrages angeführten Deliktskataloges) zugesichert wird, so besagt es keineswegs, daß die Auslieferung einer Person nur bei Vorliegen der vertraglich festgesetzten Voraussetzungen gebilligt werden darf. Ein Auslieferungsvertrag begrenzt nämlich in der Regel nur den Umfang der vertraglichen Verpflichtungen der Vertragspartner zur Auslieferung; er steht aber einer Auslieferung über den durch den Auslieferungsvertrag gezogenen Umfang hinaus keineswegs entgegen. Ob somit den ersuchten Staat eine vertragliche Verpflichtung zur Auslieferung trifft, ist im österreichischen Strafverfahren (nach Erwirkung der Auslieferung) nicht zu prüfen, weil Auslieferungsverträge nur Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsstaaten begründen, was bedeutet, daß es den USA grundsätzlich freisteht, die Auslieferung einer Person auch wegen eines strafbaren Sachverhaltes zu bewilligen, der keiner der in Art II des Auslieferungsvertrages zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika angeführten Deliktstypen entspricht (Linke/Epp/Dokoupil/Felsenstein aaO § 11 Erl 1, EvBl 1992/40, SSt 57/88).

Der Beschwerde zuwider hat der Gerichtshof zweiter Instanz (zusätzlich unter Verweis auf die ausführliche Begründung zweier früherer Beschwerdeentscheidungen vom 16.November 1995, ON 105/V sowie vom 30.August 1996, ON 223/X) jene im § 180 Abs 2 StPO geforderten bestimmten Tatsachen angeführt, welche - in ihrer Gesamtheit betrachtet - auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes die Annahme des (zu Recht) herangezogenen Haftgrundes zu tragen vermögen. Die vom Beschwerdeführer dagegen ins Treffen geführten Argumente enthalten nichts, was zum einen nicht schon in den vorangegangenen Entscheidungen der Untergerichte berücksichtigt worden wäre und zum anderen seinen Standpunkt entscheidend stützen könnte.

Die Beschwerdekritik gegen die fortbestehende Fluchtgefahr ist schon insoweit verfehlt, als sie zunächst die vom Oberlandesgericht herangezogenen Begründungstatsachen nach der Tat (Flucht ins Ausland mit der Freundin unter Zurücklassung der Familie in Österreich, hohe grenzüberschreitende Mobilität auf Grund des Besitzes eines venezuelanischen Reisepasses, Vermögen im Ausland, erhöhter Fluchtanreiz durch die in erster Instanz verhängte sechsjährige Freiheitsstrafe) aus dem Gesamtgefüge herausreißt - und isoliert betrachtend - den Fortbestand dieses Haftgrundes verneint.

Die solcherart auf Grund der Größe der dem Beschwerdeführer mutmaßlich bevorstehenden Strafe untermauerte Fluchtgefahr bleibt davon unberührt, daß er im April 1995 (nach Ausstellung des internationalen Haftbefehls) angeblich einen Konsulentenvertrag mit der U***** abgeschlossen hat, zumal die strafrechtlichen Konsequenzen seiner Verantwortung zur damaligen Zeit schon allein wegen der nicht prognostizierbaren Erhebungserfolge der Sicherheitsbehörde in keiner Weise abzuschätzen waren.

Auch die Behauptung, der Beschwerdeführer habe sich aus beruflichen Gründen im Ausland aufgehalten und regelmäßig seine Familie in Österreich besucht, vermag den Haftgrund im Hinblick auf den fünf Jahre übersteigenden Sanktionsrahmen des hier aktuellen Verbrechens nicht zu entkräften (§ 180 Abs 3 StPO), ganz davon zu schweigen, daß unter Berücksichtigung der den Beschwerdeführer treffenden enormen Schadenersatzforderungen im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der Geschäftstätigkeit von "geordneten Lebensverhältnissen" nicht gesprochen werden kann.

Der angefochtenen Haftentscheidung ist schließlich auch darin beizupflichten, daß bei realitätsbezogener Betrachtung die Intensität der Fluchtgefahr durch das gelindere Mittel einer - mit dem Betrag von 500.000 S angebotenen - Sicherheitsleistung nicht gebannt werden kann.

Soweit die Beschwerde auch Verstöße gegen Art 3 und8 EMRK behauptet, ist sie ebenfalls nicht im Recht:

Denn andere Grundrechte werden prinzipiell nicht vom GRBG erfaßt, mögen sie auch in einem weiten Sinn einen rechtlich anerkannten Aspekt der "persönlichen Freiheit" des Menschen betreffen, weshalb auf die bezüglichen Einwände "unmenschlicher Behandlung" sowie die Belastung der beruflichen Existenz und der familiären Bindungen des Angeklagten durch die Aufrechterhaltung der Haft nicht einzugehen war (Mayrhofer/Steininger GRBG § 2 RN 4).

Ausgehend vom erstinstanzlichen Schuld- und Strafausspruch (14 Os 52,114/96, 13 Os 17-19/97, 14 Os 19/97 ua) kann schließlich keine Rede davon sein, daß die Dauer der Untersuchungshaft zum Zeitpunkt der angefochtenen Haftentscheidung (rund: 22 Monate) zur Bedeutung der Sache oder der zu erwartenden, rechtskräftig bestimmten Strafe außer Verhältnis gestanden wäre (siehe insgesamt Mayrhofer/Steininger aaO § 2 Rz 23, Mayerhofer StPO4 § 193 Anm 2 E 8, 10, 10 a und b). Überlegungen über die Erfolgsaussichten der vom Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde bzw der das Strafausmaß bekämpfenden Berufungen sind nicht anzustellen, weil damit diesem Rechtsmittelverfahren vorgegriffen würde.

Dr.Ernst W***** wurde daher durch den angefochtenen Beschluß in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde (ohne Kostenausspruch, § 8 GRBG) abzuweisen war.

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