OGH 6Ob11/98f

OGH6Ob11/98f29.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Gerlinde M*****, vertreten durch Dr.Hannes Pramer, Rechtsanwalt in Wien, wider den Gegner der gefährdeten Partei Herbert M*****, vertreten durch Dr.Susanne Michalek, Rechtsanwältin in Wien, wegen einstweiliger Verfügung nach § 382b EO, infolge ordentlichen Revisionsrekurses des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgerichtes vom 24. Oktober 1997, GZ 7 R 87/97t-23, womit infolge Rekurses des Gegners der gefährdeten Partei der Beschluß des Bezirksgerichtes Tulln vom 22. September 1997, GZ 1 C 80/97g-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Gegner der gefährdeten Partei hat der gefährdeten Partei die mit 4.871,04 S (darin 811,84 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Parteien sind miteinander verheiratet. Noch vor Einbringung einer Scheidungsklage stellte die Frau am 12.6.1997 einen Sicherungsantrag. Dem Mann möge das Verlassen der Ehewohnung aufgetragen und die Rückkehr in die Wohnung verboten werden. Dem Sicherungsantrag wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 19.6.1997 stattgegeben (ON 6). Die Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung wurde mit drei Monaten ab Zustellung der einstweiligen Verfügung festgesetzt. Das Erstgericht nahm als bescheinigt an, daß es zwischen den Parteien öfters zu Streitigkeiten gekommen sei, wobei der Antragsgegner ein aggressives Verhalten an den Tag gelegt und mit der Anwendung körperlicher Gewalt gedroht habe. Anläßlich einer Auseinandersetzung am 18.5.1997 habe der Mann der Frau ins Gesicht geschlagen und sie an der Oberlippe verletzt. Am 10.6.1997 sei es neuerlich zu einem Streit gekommen, in dessen Verlauf der Mann die Frau mit einem ca 10 kg schweren Fitneßgerät bedroht habe. Die Frau empfinde Angst vor der Aggressivität ihres Ehegatten und habe die konkrete Befürchtung, daß sie auch in Zukunft bedroht oder geschlagen werden könnte. Die einstweilige Verfügung erwuchs in Rechtskraft.

Vor Ablauf der dreimonatigen Frist stellte die Frau den Antrag, die Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung bis zur rechtskräftigen Erledigung des mittlerweile anhängig gewordenen Scheidungsverfahrens zu verlängern. Sie habe Anfang September 1997 die Scheidungsklage eingebracht. Die bei Erlassung der einstweiligen Verfügung festgestellte Gefährdung bestehe nach wie vor und sei wegen der bevorstehenden Scheidung noch größer geworden.

Das Erstgericht verlängerte, ohne den Antragsgegner gehört zu haben, die Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung bis zur rechtskräftigen Beendigung des beim Erstgericht anhängigen Scheidungsverfahrens. Es stellte fest, daß die Frau weiterhin Angst vor der Aggressivität ihres Ehegatten empfinde und im Hinblick auf das Scheidungsverfahren die konkrete Befürchtung hege, daß er sie abermals bedrohen oder schlagen werde.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragsgegners nicht Folge. Daß dieser vor der Beschlußfassung nicht gehört worden sei, stelle keine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens dar. Es liege im Ermessen des Gerichtes, ob dem Gegner der gefährdeten Partei die Gelegenheit eingeräumt werde, sich zum Antrag zu äußern. Die Äußerungsmöglichkeit sei immer dann regelmäßig zu verwehren, wenn besondere Dringlichkeit geboten sei. Hier wäre die Wirksamkeit der einstweiligen Verfügung am 25.9.1997 abgelaufen. Danach wäre eine Verlängerung der einstweiligen Verfügung unzulässig gewesen. Eine besondere Dringlichkeit sei daher vorgelegen. Die Rechtskraft der einstweiligen Verfügung verbiete die Nachprüfung der formellen und materiellen Bewilligungsvoraussetzungen anläßlich der Entscheidung über den Verlängerungsantrag. Nur eine nachträgliche Änderung wesentlicher Umstände sei zu berücksichtigen. Für eine solche Änderung ergebe sich aus dem Akteninhalt aber kein Hinweis. Es wäre dem Antragsgegner unbenommen gewesen, die Aufhebung oder Einschränkung der einstweiligen Verfügung gemäß § 399 EO zu beantragen. Da ein solcher Antrag nicht gestellt worden sei, bestehe auch kein Grund, einen Wegfall der Gefährdung anzunehmen. Wenn während der Geltungsdauer einer einstweiligen Verfügung nach § 382b Abs 4 EO ein Ehescheidungsverfahren anhängig gemacht werde, sei die Verlängerung der einstweiligen Verfügung zulässig.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Zur Rechtsfrage, ob eine nach § 382b Abs 4 EO mit drei Monaten befristete einstweilige Verfügung verlängert werden könne, fehle eine oberstgerichtliche Rechtsprechung.

Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Antragsgegner die Abänderung dahin, daß der Antrag auf Verlängerung der einstweiligen Verfügung abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragstellerin beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht erkannten Grund zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch nicht berechtigt.

Die Anfechtbarkeit des Konformatbeschlusses ist zu bejahen. Ein Beschluß über die Verlängerung einer einstweiligen Verfügung kommt der Erlassung einer neuen einstweiligen Verfügung gleich und rechtfertigt die analoge Anwendung des § 402 Abs 1 EO. Der Rechtsmittelausschluß nach § 528 Abs 1 Z 2 ZPO findet daher nicht statt. Das Rekursverfahren ist zweiseitig (4 Ob 2241/96d).

Auf das vorliegende Sicherungsverfahren, das am 12.6.1997 mit dem Antrag der Klägerin eingeleitet wurde, sind die Bestimmungen der EO idF des am 1.5.1997 in Kraft getretenen Bundesgesetzes zum Schutz vor Gewalt in der Familie, GeSchG (BGBl 1996/759), anzuwenden. Die inhaltlichen Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung regelt § 382b EO, das Verfahren ist neben den allgemeinen Bestimmungen der EO für das Sicherungsverfahren im § 382c EO geregelt. Weder in dieser Gesetzesstelle noch in den allgemeinen Bestimmungen ist die Verlängerung einer einstweiligen Verfügung normiert. Der Oberste Gerichtshof erachtet allerdings schon seit der Entscheidung ZBl 1927/229 in ständiger Rechtsprechung die zeitliche Verlängerung einer einstweiligen Verfügung für zulässig. Der Antragsteller habe nur zu behaupten und zu bescheinigen, daß die einstweilige Verfügung innerhalb der gesetzten Frist den durch sie beabsichtigten Zweck nicht erreichen habe können. Ob die Voraussetzungen für die Erlassung der einstweiligen Verfügung zur Zeit ihrer Erlassung vorgelegen seien, sei nicht mehr zu prüfen. Nachträgliche Änderungen entscheidungswesentlicher Umstände, welche die Zulässigkeit der einstweiligen Verfügung in Frage stellten, seien aber sehr wohl zu berücksichtigen (4 Ob 2241/96d mwN). Fraglich und hier zu entscheiden ist es, ob diese Grundsätze auch auf eine nach § 382b EO erlassene und nach dem Gesetz mit höchstens drei Monaten befristete einstweilige Verfügung angewendet werden können. Nach Abs 4 leg cit kann die einstweilige Verfügung ohne zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit einem Scheidungsverfahren (oder einem anderen in der zitierten Norm angeführten Verfahren) erlassen werden, wie dies schon nach der aufgehobenen alten Rechtslage (§ 382 Abs 2 EO idF BGBl 1990/96) der Fall war. Die Opfer von Gewalt oder Bedrohung durch einen nahen Angehörigen sollen nicht - wie bei anderen einstweiligen Verfügungen - zum Einbringen einer Klage gezwungen werden. Als Ausgleich dafür ist die zeitliche Begrenzung der einstweiligen Verfügung vorgesehen (RV 252 BlgNR 20.GP 8 f). Die Bestimmung der Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung obliegt gemäß § 382b Abs 4 EO dem Gericht. Bei einer Antragstellung im Zusammenhang mit einem schon (oder gleichzeitig) eingeleiteten Hauptverfahren kann das Gericht eine längere Geltungsdauer, etwa bis zum Ende des Hauptverfahrens, bestimmen (RV aaO 9). Die inhaltlichen Voraussetzungen der einstweiligen Verfügung sind in den beiden Anwendungsfällen (mit oder ohne Zusammenhang mit einem Hauptverfahren) identisch, ebenso der Gesetzeszweck (Schutz vor Gewalt in der Familie). Der Gefährdete muß die Gewalt oder Drohung sowie die Unzumutbarkeit weiteren Zusammenlebens (nach der alten Rechtslage mußte sogar Unerträglichkeit vorliegen) sowie das allgemeine Erfordernis eines dringenden Wohnbedürfnisses nachweisen. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist dem Gegner das Verlassen der Wohnung aufzutragen und eine Rückkehr zu verbieten. Schon aus der Identität der inhaltlichen Voraussetzungen ergibt sich, daß auch eine im Rahmen der gesetzlich angeordneten Höchstdauer erlassene einstweilige Verfügung vor Einleitung eines Hauptverfahrens im Sinne der bisherigen Rechtsprechung in ihrer Geltungsdauer verlängert werden darf. Es wäre ein Wertungswiderspruch, die Verlängerungsmöglichkeit nur dann einzuräumen, wenn von Anfang an schon ein Zusammenhang mit einem Hauptverfahren bestand, bei nachträglicher Klageeinbringung aber zu verwehren und den Gefährdeten auf einen neuen Sicherungsantrag zu verweisen, bei dem alle Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung neuerlich nachgewiesen werden müßten. Ein Antrag auf Verlängerung einer vor Einleitung eines Hauptverfahrens nach § 382b EO mit höchstens drei Monaten befristeten einstweiligen Verfügung ist grundsätzlich zulässig. Der Gefährdete muß auch nicht die schon für den Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung bejahten Voraussetzungen neuerlich bescheinigen, wohl aber den Sachverhalt, daß sich die entscheidungswesentlichen Umstände nicht nachträglich geändert haben. Der Umfang dieser Bescheinigungspflicht ergibt sich zunächst aus dem Akteninhalt, also nach den festgestellten Umständen des Einzelfalls. Bei Gewalttätigkeiten und gefährlichen Drohungen in der Familie, denen mittels einstweiliger Verfügung begegnet werden soll, ist eine Zukunftsprognose erforderlich. Es könnte nun aus der im Gesetz vorgesehenen Befristung von drei Monaten geschlossen werden, der Gesetzgeber nehme an, daß nach Ablauf der verfügten Geltungsdauer und dem weiteren Umstand, daß vom Gefährdeten kein Hauptverfahren eingeleitet wurde, der Zweck der einstweiligen Verfügung erreicht worden und ein Zusammenleben der Parteien nunnmehr wieder zumutbar sei. Der Gefährdete hätte also Gegenteiliges zu bescheinigen. Die Frage der Bescheinigungslast braucht hier aber nicht näher untersucht werden, weil die Gefährdete ja eine Scheidungsklage eingebracht hat und darauf ihre Befürchtung weiterer gewalttätiger Handlungen ihres Gatten gründet. Dieser Argumentation haben sich die Vorinstanzen angeschlossen und eine Zumutbarkeit der Rückkehr des Antragsgegners in die Wohnung verneint. Dagegen führt der Revisionsrekurswerber keine konkreten Gründe ins Treffen. Er verweist auf keinen geänderten Sachverhalt außer dem der verstrichenen Zeit der Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung. Ihm ist die Erwägung des Rekursgerichtes entgegenzuhalten, daß sich aus dem reinen Zeitablauf noch keine relevante Änderung des Sachverhalts ergibt, wenn feststeht, daß in der Zwischenzeit eine Scheidungsklage erhoben wurde. Daß die Gefahr neuerlicher Gewaltanwendung oder einer gefährlichen Drohung weggefallen wäre, wird im Revisionsrekurs nicht näher ausgeführt. Ein solches Vorbringen unterläge auch dem Neuerungsverbot. Der Antragsgegner releviert nur den Umstand, daß ihm vor der bekämpften Verlängerung der einstweiligen Verfügung das rechtliche Gehör verweigert worden sei und verweist dazu auf die Bestimmung des § 382c EO, wonach der Gegner vor Erlassung der einstweiligen Verfügung nur dann nicht anzuhören sei, wenn eine weitere Gefährdung der Antragstellerin unmittelbar drohe. Eine solche Gefährdung sei nicht festgestellt worden. Abgesehen davon, daß die zitierte Gesetzesstelle nur demonstrativ anführt, daß eine Anhörung des Antragsgegners bei unmittelbar drohender Gefährdung entfallen könne (also durchaus auch andere Fälle denkbar sind), macht der Rekurswerber mit seinem Vorbringen in Wahrheit nur einen Verfahrensmangel erster Instanz geltend, den das Rekursgericht behandelt und verneint hat. Daran ist der Oberste Gerichtshof gebunden (vgl für das Revisionsverfahren SZ 62/157; für das Rekursverfahren Kodek in Rechberger, ZPO Rz 1 zu § 528 mwN). Die Vorinstanzen haben eine Fortdauer der Gefährdung der Klägerin insbesondere wegen deren Klageeinbringung bejaht. Dieser Annahme liegt eine entsprechende Sachverhaltsfeststellung, an die der Oberste Gerichtshof gebunden ist, zugrunde. Eine Entkräftung der daraus abzuleitenden rechtlichen Schlußfolgerungen wäre nur bei einer Gegenbescheinigung durch den Antragsgegner möglich, wofür auch bei der Verlängerung einer einstweiligen Verfügung ohne Anhörung des Gegners jedenfalls ein Aufhebungsantrag (§ 399 EO), allenfalls aber auch das Widerspruchsverfahren zur Verfügung steht, nicht aber - wegen des Neuerungsverbotes - das Rekursverfahren.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf § 393 Abs 2 EO idF des GeSchG.

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