OGH 4Ob2/98t

OGH4Ob2/98t27.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt W*****, vertreten durch den Bürgermeister Karl B*****, dieser vertreten durch Dr. Peter Posch und Dr. Ingrid Posch, Rechtsanwälte in Wels, wider die beklagte Partei H***** Gesellschaft mbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr. Helmut Greil, Rechtsanwalt in Wels, wegen S 1,214.721,55 sA, infolge Revisionsrekurses der Beklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 3. Oktober 1997, GZ 1 R 208/97g-13, mit dem der Beschluß des Landesgerichtes Wels vom 27. Juni 1997, GZ 3 Cg 314/96b-9, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 23.319,-- bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung (darin S 3.886,50 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Gemeinderat der Klägerin beschloß 1977, den öffentlichen Schlachthof nach Maßgabe eines mit der Beklagten abzuschließenden Baurechtsvertrages zu privatisieren. Im Baurechtsvertrag vom 23.8./24.8.1977 stellte die Klägerin der Beklagten ein Grundstück für die Errichtung eines Schlachthofes zur Verfügung. Gleichzeitig erklärte sich die Klägerin bereit, bei Festsetzung sämtlicher Gebühren für den Schlachthof der Beklagten auf deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen.

Die Grundlagen der Verrechnung wurden im Mai 1979 in einem Amtsbericht festgehalten. Den Verhandlungen über den Baurechtsvertrag sei die Annahme zugrundegelegen, daß die Vieh- und Fleischbeschau von Bediensteten des Magistrates der Klägerin durchgeführt wird. Um die Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Schlachthof L***** zu gewährleisten, sollten sich die Beschaugebühren an jenen des Schlachthofes L***** orientieren. Die in der Verordnung des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 8.9.1978, LGBlOÖ 1978/55, genannten Gebühren dürften von Tierärzten eingehoben werden, die außerhalb von Schlachthöfen in Fleischhauereien Vieh und Fleisch beschauen. Die Kosten der Klägerin würden demnach durch geringere als die in der Verordnung genannten Gebühren gedeckt sein. Das Land Oberösterreich habe der Klägerin auf Rückfrage mitgeteilt, daß nicht daran gedacht sei, die Verordnung zu ändern; die Klägerin könne aber, wie die Stadt L*****, niedrigere kostendeckende Gebühren einheben. Als Vorauszahlung scheine es gerechtfertigt, zunächst die Hälfte der in der Verordnung festgesetzten Gebühr einzuheben.

Aufgrund dieses Amtsberichtes beschloß der Gemeinderat der Klägerin am 12.6.1979 einstimmig, daß

a) für die Vieh- und Fleischbeschau und für die Trichinenbeschau, die von der Klägerin im Schlachthof der Beklagten durchgeführt wird, derzeit jeweils 50 % der Gebühren, die in der Verordnung LGBl 1978/55 festgelegt sind, zu entrichten sind,

b) mit Ende des Jahres eine Abrechnung in der Weise zu erfolgen hat, daß der der Klägerin aufgelaufene Personal- und Sachaufwand durch Nachzahlung abgedeckt wird,

c) allfällige Überzahlungen der Beklagten rückzuverrechnen sind.

Bis 1991 lagen die von der Klägerin verrechneten Beträge jeweils unter jenen, die sie der Beklagten als Gebühren hätte vorschreiben können; sie erreichten auch nicht 50 % der in der Verordnung LGBlOÖ 1978/55 festgesetzten Gebühren. Eine Festsetzung durch Bescheid unterblieb einvernehmlich. Ab 1992 überstieg der von der Klägerin behauptete tatsächliche Aufwand 50 % der Gebühren. Die Klägerin verrechnete ihren Aufwand der Beklagten; die Beklagte zahlte aber nach wie vor nur 50 % der Gebühren.

Die Rückstände der Beklagten waren Gegenstand von Gesprächen zwischen den Streitteilen. Am 27.6.1995 vereinbarte der Bürgermeister der Klägerin mit dem Geschäftsführer der Beklagten einen Nachlaß von 35 %; den Aktenvermerk über die Vereinbarung unterfertigten der Bürgermeister, der Vizebürgermeister und zwei Stadträte. Die sich nach Abzug von 35 % ergebende Forderung der Klägerin liegt unter jenem Betrag, den die Klägerin nach der Verordnung LGBlOÖ 1978/55 als Gebühr für die Fleischuntersuchung vorschreiben könnte.

Die Klägerin begehrt S 1,214.721,55 sA. Die Beklagte habe sich verpflichtet, 65 % der rückständigen Fleischbeschaugebühren von S 15,755.911,62 zu zahlen. Die Beklagte habe statt S 10,241.342,55 nur S 9,026.621,-- gezahlt, so daß noch S 1,214.721,55 offen seien. Die Streitteile hätten vereinbart, daß die Beklagte der Klägerin jenen Aufwand zu ersetzen habe, der der Klägerin als Personal- und Sachaufwand für die Vieh- und Fleischbeschau erwachse. Solange der Aufwand unter den Gebühren der Vieh- und Fleischbeschaugebührenverordnung gelegen sei, habe die Klägerin der Beklagten die Überzahlungen refundiert. Als die Aufwendungen in den Gebühren keine Deckung mehr gefunden hätten und die Klägerin den Mehraufwand der Beklagten zusätzlich bekannt gegeben habe, habe sich die Beklagte geweigert, die vereinbarten Zahlungen zu leisten. In der Zeit von 1992 bis 1995 seien Rückstände von S 15,755.911,62 anerlaufen. Die Rückstände ergäben sich nicht nur aus vorliegenden Bescheiden, sondern aus der Gesamtabrechnung für diese Zeitspanne. Der Nachlaß sei "auf sämtliche offenen Forderungen" gewährt worden. Die Klägerin mache keine Gebühren geltend, sondern verlange den Ersatz des Personal- und Sachaufwandes für die Fleischbeschau.

Die Beklagte wandte ein, daß der Rechtsweg unzulässig sei. Die Klägerin mache Gebühren für die Fleischbeschau geltend. Die Fleischbeschau sei ein hoheitlicher Verwaltungsakt. Die Gebühr sei durch Bescheid vorzuschreiben. In der Sache selbst brachte die Beklagte vor, daß die Klägerin der Kostenstelle "Fleischbeschau" überhöhte und damit in keinem Zusammenhang stehende Leistungen zugerechnet habe.

Das Erstgericht hob das Verfahren ab Anordnung der Zustellung der Klage als nichtig auf und wies die Klage zurück. Die öffentlichen Abgaben seien durch die Finanzbehörden vorzuschreiben und einzuheben. Die Steuerschuld verliere auch durch allfällige Vereinbarungen mit dem Steuerschuldner ihren öffentlich-rechtlichen Charakter nicht. Die Gebühren für die Fleischbeschau seien Bundesabgaben; schon daraus folge, daß der Rechtsweg unzulässig sei. Die Klägerin behaupte keinen die Gebührensätze der Verordnung LGBlOÖ 1978/55 übersteigenden Anspruch; ob für einen solchen Anspruch der Rechtsweg zulässig wäre, sei daher nicht zu beurteilen.

Das Rekursgericht hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug dem Erstgericht auf, das gesetzmäßige Verfahren über die Klage fortzusetzen. Das Rekursgericht sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Bei der Vorschreibung und Eintreibung der Gebühren für die Fleischbeschau werde die Gemeinde im Rahmen der Hoheitsverwaltung tätig. Die Gebühren blieben trotz Vereinbarungen zwischen Abgabengläubiger und Abgabenschuldner eine Abgabenschuld. Die Klägerin habe sich jedoch im Baurechtsvertrag verpflichtet, bei der Festsetzung sämtlicher die Baurechtsberechtigte betreffenden Gebühren auf deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen. Ob diese Vereinbarung zulässig gewesen sei, könne offen bleiben; die Klägerin habe die Vereinbarung jedenfalls als Privatrechtssubjekt geschlossen. Nach dem Klagevorbringen habe der bisher vorgeschriebene Betrag (= Hälfte der Beschaugebühren) ab 1991 die Kosten nicht mehr gedeckt. In der Folge habe die Klägerin der Beklagten einen Nachlaß von 35 % auf alle Forderungen gewährt, wobei die Bemessungsgrundlage strittig geblieben sei. Die Klägerin stütze ihr Begehren auf eine Vereinbarung, die sie als Privatrechtssubjekt mit der Beklagten geschlossen habe, um ihren die vorgeschriebenen Beschaugebühren übersteigenden Mehraufwand abzudecken. Für dieses Begehren sei der Rechtsweg zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs ist zulässig, weil keine Rechtsprechung zur Frage besteht, ob für eine vom Abgabengläubiger behauptete Vereinbarung, dem Abgabenschuldner nicht die in einer Verordnung festgesetzten Gebühren, sondern den tatsächlichen Aufwand zu verrechnen, der Rechtsweg zulässig ist; der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.

Die Beklagte verweist darauf, daß Abgaben auch dann mit Bescheid festzusetzen seien, wenn ihre Höhe zwischen Abgabengläubiger und Abgabenschuldner vereinbart werde. In dem im Zusammenhang mit dem Baurechtsvertrag ergangenen Gemeinderatsbeschluß habe sich die Klägerin selbst ermächtigt, eine Vereinbarung über eine Abgabenschuld abzuschließen. Ihre Forderung sei aber dennoch eine Abgabenschuld geblieben. Die Klägerin habe für die Jahre 1992 bis 1994 Kostenbescheide erlassen; könnte sie ihre Forderung auch einklagen, so würde sie für eine Leistung über zwei Titel verfügen.

Für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges ist in erster Linie das Klagebegehren und darüber hinaus der Klagesachverhalt (die Klagebehauptungen) maßgebend. Es kommt auf die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruches an. Danach richtet sich, ob ein privatrechtlicher Anspruch im Sinn des § 1 JN erhoben wird, über den die Zivilgerichte zu entscheiden haben (stRsp ua SZ 64/57 = JBl 1992, 108 mwN; Mayr in Rechberger, ZPO vor § 1 JN Rz 6 mwN).

Die Fleischuntersuchung ist eine hoheitliche Aufgabe (1 Ob 51/97z). Für die Untersuchung ist gemäß § 47 Abs 1 Fleischuntersuchungsgesetz, BGBl 1982/522, idF vor der Novelle BGBl 1994/118, vom Verfügungsberechtigten eine Gebühr zu entrichten. Die Höhe dieser Gebühr ist vom Landeshauptmann durch Verordnung unter Bedachtnahme auf den damit verbundenen Sach- und Zeitaufwand und die Art der Tiere in einem solchen Ausmaß festzusetzen, daß die den Gemeinden und Fleischuntersuchungsorganen tatsächlich entstandenen Kosten voll ersetzt werden (§ 47 Abs 2 leg cit). Nach § 48 leg cit finden bei der Bemessung, Einhebung und der zwangsweisen Einbringung der im § 47 geregelten Gebühren das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz und das Verwaltungsvollstreckungsgesetz Anwendung. Das Fleischuntersuchungsgesetz wurde 1989, 1993 und 1994 novelliert; während die Novellen BGBl 1989/252 und BGBl 1993/257 die hier maßgebenden Bestimmungen unberührt ließen, wurde § 48 leg cit mit der Novelle BGBl 1994/118 ersatzlos aufgehoben; § 47 leg cit wurde geändert. Diese Bestimmungen der am 17.2.1994 kundgemachten Novelle BGBl 1994/118 sind am Ersten des auf die Kundmachung folgenden neunten Monats in Kraft getreten.

Die im Fleischuntersuchungsgesetz, BGBl 1982/522, vorgesehene Gebühr ist eine Abgabe, die durch Hoheitsakt vorzuschreiben und einzutreiben ist. Die Klägerin hat Bescheide erlassen, in denen sie der Beklagten die Gebühren vorgeschrieben hat. Nach den Klagebehauptungen macht die Klägerin im vorliegenden Verfahren jedoch nicht die durch Bescheid vorgeschriebenen Gebühren, sondern jenen Aufwand geltend, der ihr für die Fleischuntersuchungen erwachsen ist und den sie nach Abzug des mit der Beklagten vereinbarten Nachlasses und der von dieser geleisteten Zahlung noch zu fordern hat. Während nämlich die Beklagte der Auffassung ist, der Klägerin aufgrund der Vereinbarung vom 27.6.1995 65 % der mit Bescheid vorgeschriebenen Gebühren für die Jahre 1992 bis 1995 zu schulden, und die sich daraus ergebende Forderung der Klägerin auch beglichen hat, legt die Klägerin der Abrechnung den ihr in diesem Zeitraum erwachsenen, die vorgeschriebenen Gebühren übersteigenden Personal- und Sachaufwand zugrunde. Die Forderung der Klägerin stützt sich demnach einerseits auf die im Zusammenhang mit dem Baurechtsvertrag geschlossene Vereinbarung, der Beklagten nicht die in der Verordnung LGBlOÖ 1978/55 vorgesehenen Gebühren, sondern ihren tatsächlichen Personal- und Sachaufwand zu verrechnen, und andererseits auf die Vereinbarung vom 27.6.1995, der Beklagten einen Nachlaß von 35 % zu gewähren. Die Bemessungsgrundlage dieser Vereinbarung ist zwischen den Parteien strittig. Behauptete Anspruchsgrundlage sind demnach privatrechtliche Vereinbarungen, für die der Rechtsweg offensteht; die Änderung des § 47 und die Aufhebung des § 48 Fleischuntersuchungsgesetz durch die Novelle BGBl 1994/118 sind für die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges für den davon betroffenen Forderungsteil ohne Bedeutung, weil auch insoweit maßgebend ist, daß die Klägerin einen privatrechtlichen Anspruch behauptet. Die Zulässigkeit derartiger Vereinbarungen ist im derzeitigen Verfahrensstadium nicht zu prüfen.

Der Revisionsrekurs mußte erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50, 52 Abs 1 ZPO.

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