OGH 11Os163/97

OGH11Os163/9713.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.Jänner 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Poech als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ljubica Z***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 30.Juli 1997, GZ 7 Vr 1073/96-21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr.Bierlein, der Angeklagten und des Verteidigers Dr.Stelzer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die Freiheitsstrafe auf 15 (fünfzehn) Monate herabgesetzt und hievon gemäß § 43 a Abs 3 StGB ein Teil im Ausmaß von 10 (zehn) Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtmsittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ljubica Z***** des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 (erster Fall) StGB (1) sowie des (damit in Tateinheit verwirklichten) Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 (erster Fall) StGB (2) schuldig erkannt.

Darnach hat sie seit zumindest Anfang 1992 bis Oktober 1993 in Königsdorf in zahlreichen Angriffen durch Betasten ihrer am 23.Juni 1981 geborenen Tochter Silvia S***** im Gentialbereich sowie an den "sich entwickelnden" Brüsten

(zu 1) eine unmündige Person und

(zu 2) ihr minderjähriges Kind

zur Unzucht mißbraucht.

Der Schöffensenat stützte seine maßgeblichen Feststellungen - unter ausdrücklicher Ablehnung der leugnenden Verantwortung der Beschwerdeführerin, welche die belastenden Bekundungen ihrer Tochter auf Absetzungstendenzen aus dem Familienverband zurückzuführen trachtete (US 4 f) - vornehmlich auf die Angaben des wiederholt als Zeugin vernommenen tatbetroffenen Mädchens, dessen Schilderungen in ihrem wesentlichen Kern für glaubwürdig erachtet wurden. Dabei ließen sich die Tatrichter insbesonders von dem in der Hauptverhandlung von Silvia S***** gewonnenen persönlichen Eindruck in Verbindung mit dem Inhalt anderer in diesem Zusammenhang für bedeutsam erachteter Erkenntnisquellen - darunter den Ausführungen des psychologischen Sachverständigen Mag.Holger E***** (ON 6 iVm 279 ff), den damit im Einklang stehenden Angaben der Zeugin Birgit B***** (275 ff) und der Aussage der Zeugin Sigrid B***** (v.a. über das von der Beschwerdeführerin auch nach Unterbringung ihrer Tochter im SOS-Kinderdorf Burgenland bekundete Interesse an deren körperlichen Entwicklung - 75 f, 265 ff, insbes 273) - leiten (US 5 f).

Die Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 5, 5 a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welche jedoch in keinem Punkt begründet ist.

Rechtliche Beurteilung

Das Vorbringen zu den formellen Nichtigkeitsgründen (Z 5, 5 a) zielt im Ergebnis (lediglich) darauf ab, der Zeugin Silvia S***** die ihr seitens der Tatrichter zugebilligte Aussageverläßlichkeit abzusprechen und der eigenen (leugnenden) Darstellung zum Durchbruch zu verhelfen.

In der Mängelrüge (Z 5) wendet Ljubica Z***** zunächst ein, daß das Erstgericht seine Urteilsannahmen zu Unrecht auf das Gutachten des Sachverständigen Mag.Holger E***** gegründet habe, weil der genannte Experte während des gesamten Verfahrens keine als "Gutachten" (iS der Strafprozeßordnung) zu wertende Aussage getroffen, sondern lediglich seine persönliche Meinung über die Glaubwürdigkeit des Mädchens wiedergegeben habe.

Mag.E***** hat im Rahmen seiner Vernehmung als Sachverständiger in der Hauptverhandlung jedoch - der Beschwerde zuwider - nicht nur den Inhalt der (über Auftrag des Untersuchungsrichters im Vorverfahren vorgenommenen) Vernehmung der Silvia S***** (ON 6) erörtert, sondern ferner aus dem solcherart aufgenommenen Befund Schlußfolgerungen auf die Persönlichkeitsstruktur und Aussageehrlichkeit des Mädchens gezogen (281 ff), deren Beurteilung im übrigen (ebenso wie die Prüfung der Schlüssigkeit einer Expertise) der Beweiswürdigung des Schöffensenates oblegen ist (Mayerhofer StPO4 § 126 E 1; § 258 E 121, 123). Demgemäß hatten die Ausführungen den Charakter eines Sachverständigengutachtens iS des § 124 StPO (Foregger/Kodek StPO6 Erl zu § 124). Mangels Aufzählung der einzelnen Beweismittel in der Strafprozeßordnung kommt als Erkenntnisquelle im übrigen jedes Mittel in Betracht, dem die Eignung der Ergründung der Wahrheit innewohnt (Mayerhofer aaO § 3 E 25 f; Foregger/Kodek aaO § 116 Erl I). Die Bekundungen des psychologischen Sachverständigen Mag.E***** stellen daher - sogar unabhängig von der Richtigkeit ihrer semantischen Einordnung im Urteil - jedenfalls eine taugliche Beweisgrundlage dar.

Zu der unter dem Vorwurf einer Unvollständigkeit der Entscheidungsgründe geforderten Erörterung bestimmter, vermeintlich die lügenhafte Veranlagung der Silvia S***** belegender (vor dem Landesgendarmeriekommando für Burgenland - Kriminalabteilung - zustande gekommener) Beweisdetails (nämlich Passagen in der Verantwortung der Angeklagten - 217 ff - sowie in der Aussage des Darko S***** - 209 ff) - aus welchen die Nichtigkeitswerberin lediglich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht eingeräumten Schuldberufung (unter spekulativen Annahmen) die Glaubwürdigkeit ihrer Tochter in Zweifel zu ziehen sucht - war das Erstgericht bei der von ihm zu beachtenden gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten. Die von der Angeklagten ins Treffen geführte angebliche Motivation des Opfers für die behauptete Falschbezichtigung fand im Rahmen der Beweiswürdigung ohnedies eine ausdrückliche Erörterung (US 4).

Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang das Unterbleiben der Befragung des Darko S***** und der Roswitha Sp***** als Zeugen in der Hauptverhandlung bemängelt, fehlt ihr aus der Sicht des in diesem Umfang der Sache nach relevierten Nichtigkeitsgrundes der Z 4 mangels entsprechender Antragstellung in der Hauptverhandlung die prozessuale Legitimation zur Geltendmachung einer Verfahrensrüge. Dies trifft gleichermaßen auf die von der Angeklagten weiters reklamierte zusätzliche Fragestellung an Mag.Holger E***** und die Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen zur Beurteilung von Alkoholkonsumgewohnheiten zu.

Auch die - zum Teil die Einwände der Mängelrüge wiederholende - Tatsachenrüge (Z 5 a), mit welcher die Nichtigkeitswerberin der Sache nach einmal mehr nur eine andere, für sie günstigere Würdigung der Angaben der Zeugin Silvia S***** anstrebt, versagt: Damit werden nämlich keine sich aus den Akten ergebende erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen aufgezeigt; müssen sich doch solche Zweifel unter Zugrundelegung des Akteninhalts bei der erstinstanzlichen Urteilsfällung entweder aus schwerwiegenden, die Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitsforschung (§§ 3, 232 Abs 2, 254 StPO) vernachlässigenden Verfahrensmängeln ergeben oder auf der Außerachtlassung von Beweisresultaten beruhen, die sich bei einer lebensnahen, an allgemeinen Erfahrungen orientierenden Beurteilung mit dem als erwiesen angenommenen Sachverhalt nicht oder nur schwer in Einklang bringen lassen. Der zur Überzeugung der Tatrichter von der Richtigkeit einer belastenden Aussage eines Zeugen führende kritisch-psychologische Vorgang als solcher - den die Beschwerdeführerin mit Beziehung auf die Zeugin S***** teils unter Bezugnahme auf unerhebliche Aspekte (wie auf den zwischen den Tathandlungen und deren erstmaliger Offenbarung seitens des Opfers gelegenen Zeitraum oder auf das Unterbleiben von sexuellen Übergriffen seitens der Angeklagten auf ihre anderen Kinder), teils unter hypothetischen Erwägungen (wie mit dem Hinweis auf das Verborgenbleiben der Taten vor den übrigen Familienmitgliedern oder den physischen Status des Opfers zur Tatzeit) zu erschüttern sucht - ist jedoch einer Anfechtung unter dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund entzogen. Ebensowenig ist eine Beschwerdeargumentation zulässig, die sich auf verfahrensfremde Tatsachen oder Beweismittel stützt.

Wahrscheinlichkeitsüberlegungen, inwieweit der Nichtigkeitswerberin bei ihrem bisher ordentlichen Lebenswandel das inkriminierte Verhalten zuzutrauen sei, haben als nach Art einer Schuldberufung vorgebrachter Einwand bei Prüfung der Tatsachenrüge gleichfalls außer Betracht zu bleiben.

Die weiters reklamierte Unterlassung der zeugenschaftlichen Befragung von zwei Halbgeschwistern des Opfers vermag eine Außerachtlassung der Pflicht des Gerichtes zur amtswegigen Erforschung der Wahrheit in einem Maße, daß dadurch die Überzeugungskraft der Basis für den Schuldspruch wesentlich berührt würde, ebenfalls nicht aufzuzeigen.

Die (auf Z 9 lit a gestützte) Rechtsrüge läßt mangels Vergleichs des festgestellten Urteilssachverhalts mit dem darauf angewendeten Strafgesetz eine prozeßordnungsgemäße Darstellung vermissen. Bei der - unter Wiedergabe punktuell herausgegriffener (und damit aus dem Sinnzusammenhang gerissener) Urteilspassagen aufgestellten - Behauptung von Feststellungsmängeln zur subjektiven Tatseite in Ansehung des Schuldspruchfaktums 1) (Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen) negiert die Angeklagte das der Entscheidung zugrunde gelegte gesamte Tatsachensubstrat, demzufolge ihr (für die Verwirklichung des hier aktuellen ersten Deliktsfalles des Tatbestandes nach § 207 Abs 1 StGB gar nicht erforderlicher - Leukauf/Steininger Komm3 § 207 RN 12) dolus directus (§ 5 Abs 2 StGB) in bezug auf sämtliche Deliktsmerkmale angelastet wird (US 4 oben).

Schließlich geht auch die Subsumtionsrüge (Z 10) fehl, mit der die Beschwerdeführerin die Annahme echter Idealkonkurrenz zwischen dem Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen und dem Vergehen des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses bekämpft.

Nach gefestigter Judikatur ist eintätiges Zusammentreffen zwischen den (hier aktuellen jeweils ersten) Deliktsfällen des § 207 Abs 1 StGB und des § 212 Abs 1 StGB zu bejahen, weil die Ahndung sämtlicher Komponenten des verwirklichten Tatunrechts nur durch (zusätzliche) Unterstellung des Sachverhaltes unter den Tatbestand des § 212 StGB gewährleistet wird; stellt der Mißbrauch des durch besonderes Vertrauen und Verantwortung gekennzeichneten natürlichen oder rechtsgeschäftlichen Autoritätsverhältnisses doch ein weiteres Unrechtselement dar, das durch einen Schuldspruch allein wegen des (allgemeinen) Unzuchtsdeliktes nach § 207 Abs 1 StGB nicht zur Gänze erfaßt werden kann (Leukauf/Steininger aaO RN 30; Mayerhofer/Rieder StGB4 E 22, jeweils zu § 207; Pallin in WK § 207 Rz 14 und § 212 Rz 17; EvBl 1996/16). Bei ihrem Hinweis auf das in den beiden Bestimmungen unterschiedlich festgesetzte Schutzalter des Tatobjekts verkennt die Beschwerdeführerin, daß der in § 212 Abs 1 StGB geschützte Opferkreis - minderjährige Personen (also solche, die das 19. Lebensjahr noch nicht vollendet haben - § 74 Z 3 StGB) - zweifelsfrei (auch) Unmündige (vor Vollendung ihres 14.Lebensjahres stehende Personen - § 74 Z 1 StGB) einschließt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über die Angeklagte nach §§ 28, 207 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten, wobei das Zusammentreffen von zwei Straftatbeständen als erschwerend, der bisher unbescholtene Lebenswandel aber als mildernd gewertet wurden.

Der auf eine Herabsetzung des Strafmaßes und die Anwendung der Bestimmungen über die bedingte Strafnachsicht anstrebenden Berufung der Angeklagten kommt insoweit Berechtigung zu, als die Behauptung weiterer Milderungsgründe moniert wird: so ist der Berufungswerberin zuzugestehen, daß die Tathandlungen schon vor längerer Zeit begangen wurden und sie sich seither wohlverhalten hat (§ 34 Z 18 StGB). Hingegen ist eine mit dem enthemmenden Einfluß von Alkohol begründete Strafmilderung nach Lage des Falles durch den dadurch dokumentierten Mangel an sozialem Verantwortungsbewußtsein ausgeschlossen (vgl Mayerhofer/Rieder StGB4 § 35 E 3). Ebensowenig kommt der reduzierten kognitiven Leistungsfähigkeit der Angeklagten der Stellenwert einer Verstandesschwäche im Sinne des außerdem reklamierten Milderungsgrundes nach § 34 Z 1 StGB zu.

Bei Abwägung der solcherart ergänzten Strafzumessungsgründe entspricht eine Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten der personalen Täterschuld und dem Unwert der Tat.

Wenngleich eine gänzliche bedingte Nachsicht dieser Strafe angesichts des vorliegenden Schuld- und Unrechtsgehaltes sowie aus generalpräventiven Überlegungen nicht in Betracht kommt, ist im Hinblick auf die bisherige Unbescholtenheit der Berufungswerberin, den bereits länger zurückliegenden Tatzeiten und dem seitherigen Wohlverhalten die Erwartung gerechtfertigt, daß die Strafzwecke durch die Anordnung einer teilbedingten Nachsicht der Freiheitsstrafe erreicht werden können.

In diesem Umfang war daher der Berufung Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung ist in § 390 a StPO begründet.

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