OGH 10ObS425/97s

OGH10ObS425/97s16.12.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Danzl sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr.Anton Wladar (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rudolf G*****, vertreten durch Dr.Alois Eichinger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21.August 1997, GZ 9 Rs 135/97g-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 20.November 1996, GZ 21 Cgs 145/96h-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Sozialrechtssache wird an das Erstgericht zurückverwiesen und diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Revisionskosten bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 29.2.1996 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 23.8.1995 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension mangels Vorliegens von Berufsunfähigkeit ab.

Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage stellte der Kläger das Begehren, ihm die beantragte Berufsunfähigkeitspension in gesetzlicher Höhe ab 23.8.1995 zu gewähren.

Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei zur Gewährung der Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.9.1995 (eine Abweisung des Mehrbegehrens für den Zeitraum ab dem 23.8.1995 erfolgte weder spruch- noch begründungsmäßig, blieb jedoch unbekämpft, sodaß dieser Anspruchsteil als aus dem weiteren Verfahren ausgeschieden zu gelten hat und es bei diesem Hinweis verbleiben kann). Es traf hiezu - zusammengefaßt - folgende Feststellungen:

Der am 12.6.1943 geborene Kläger ist seit 1963 im Lebensmittelhandel tätig, und zwar zunächst als Verkäufer, zeitweise als Filialleiter und während der letzten sieben Jahre vor Antragstellung als Kommissionierer; als solcher hatte er die Waren herzurichten, zu sortieren und auf Vollständigkeit sowie Übereinstimmung mit der Bestellung zu kontrollieren; dabei hatte er Waren mit einem Gewicht bis zu 20, 30 kg anzuheben.

Aufgrund seiner im einzelnen festgestellten Leidenszustände (insbesondere massive Sehleistungseinschränkungen, Übergewichtigkeit, koronare Herzkrankheit und verstärkte Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule) kann der Kläger nur mehr leichte und mittelschwere Arbeiten in jeder Körperhaltung, ausgenommen Arbeiten im Dauergehen, verrichten; ausgeschlossen sind Arbeiten in ständig gebückter Haltung sowie in praller Sonne, des weiteren Arbeiten, für die ein beidäugiges Sehen bzw ein besonders genaues Sehen erforderlich ist. Der Kläger kann daher Büroarbeiten nur mehr zur Hälfte und keine Bildschirmarbeiten ausüben; schwere Arbeiten sind gänzlich ausgeschlossen. Eine gegenseitige Leidenspotenzierung ist nicht gegeben (dies seit Antragstellung).

Aufgrund dieser Leidenszustände stehen dem Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort vorherrschenden aktuellen Arbeitsbedingungen keine kalkülsentsprechenden Berufstätigkeiten zur Verfügung - dies deshalb, weil im Rahmen der Berufsausübung erhöhte Ermüdung oder erhöhte Fehlerhäufigkeit nicht toleriert wird; diesbezüglich wäre ein besonderes Entgegenkommen des Dienstgebers erforderlich. Allerdings käme für den Kläger eine Halbtagesbeschäftigung in Form eines 4 Stunden-Arbeitstages, insbesondere in Form einer Telefonistentätigkeit, in Betracht. Solche Tätigkeiten sind der Verwendungsgruppe 2 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten zuzuordnen, was der während der letzten 15 Jahre vom Kläger ausgeübten Tätigkeit entspricht. Durch die Ausübung einer solchen Teilzeitbeschäftigung wird an Entgelt üblicherweise die Lohnhälfte eines gesunden Vollzeitbeschäftigten erzielt. Eine solche Halbtagesbeschäftigung ist dem Kläger allerdings konkret deshalb nicht möglich, weil er dazu zur Vermeidung von Konzentrations- und Ermüdungserscheinungen ebenfalls der Einhaltung üblicher Arbeitspausen bedürfte.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, daß der Kläger berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG sei. Zwar sei ihm eine Arbeitsleistung von höchstens vier Stunden täglich möglich, dies jedoch nur unter Einhaltung der üblichen Arbeitspausen; zumal ein gesetzlicher Anspruch auf Einhaltung von Pausen bei einer Teilzeitbeschäftigung von vier Stunden täglich nicht bestehe, dem Kläger eine solche Arbeitsleistung jedoch nur unter Einhaltung derartiger Arbeitspausen erbringbar sei, sei dem Kläger die Ausübung des Verweisungsberufes als Telefonist nicht mehr möglich, weil üblicherweise von Arbeitgebern bei einer solchen Teilzeitbeschäftigung in einem derart geringen Zeitausmaß das Erfordernis der Einhaltung auch bloß kurzfristiger Pausen nicht toleriert werde.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung Folge und änderte das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Ohne Abführung einer Berufungsverhandlung änderte es die Feststellung des Erstgerichtes, der Kläger bedürfe auch bei Ausübung einer Teilzeittätigkeit zur Vermeidung von Konzentrations- und Ermüdungserscheinen der Einhaltung üblicher Arbeitspausen, dahingehend ab, daß es das Vorliegen von Anhaltspunkten dafür, daß beim Kläger bei Verrichtung einer Halbtagsbeschäftigung erhöhte Ermüdbarkeit auftritt und/oder eine erhöhte Fehlerhaftigkeit der Arbeit auftreten könnte, ablehnte.

In rechtlicher Hinsicht folgerte das Berufungsgericht - ausgehend von dieser geänderten Sachverhaltsgrundlage -, daß der Kläger in der Lage sei, die Teilzeitbeschäftigung (eines Telefonisten) uneingeschränkt, also auch ohne das Erfordernis einer Arbeitspause, zu verrichten, sodaß ein Entgegenkommen des Dienstgebers nicht erforderlich sei. Da Arbeitsplätze der angeführten Art in ausreichender Zahl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorkämen, sei der Kläger nicht im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG berufsunfähig und damit das Klagebegehren abzuweisen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Unabhängig von der in der Revision relevierten Frage, ob das Berufungsgericht tatsächlich berechtigt war, von Feststellungen des Erstgerichtes ohne Abführung einer Berufungsverhandlung samt Beweiswiederholung abzugehen (§§ 498, 488 Abs 4 ZPO), erweist sich nämlich bereits die Tatsachengrundlage insgesamt erörterungs- und ergänzungsbedürftig. Ungeklärt ist nämlich, was unter dem vom Erstgericht zugrundegelegten Umstand der "üblichen" (gemeint möglicherweise "medizinisch empfohlenen") Arbeitspausen, bezogen auf die Person und das Leistungskalkül des Klägers, konkret zu verstehen ist, Da der Kläger durch die Ausübung einer vierstündigen Teilzeitbeschäftigung die Lohnhälfte eines gesunden Vollzeitbeschäftigten zu erzielen in der Lage wäre, hat das Erstgericht ein Verweisungshindernis nur im Erfordernis solcher "üblicher" Pausen erblickt. Nach § 11 des Arbeitszeitgesetzes (AZG) idgF ist die Arbeitszeit, wenn die Gesamtdauer der üblichen Arbeitszeit mehr als sechs Stunden beträgt, durch eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde zu unterbrechen, welche - im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebes oder bei Notwendigkeit aus betrieblichen Gründen - auch in zwei Ruhepausen von je einer Viertelstunde oder drei Ruhepausen von je 10 Minuten gewährt werden kann; nach Abs 5 leg cit sind unter Umständen auch Verkürzungen der Ruhepause auf mindestens 15 Minuten (insgesamt) zugelassen. Besondere Pausenregelungen für Personen mit Teilzeitarbeit (iS des § 19d AZG) sieht das Gesetz hingegen nicht vor. Daß einem Arbeitnehmer dennoch kurzzeitige Pausen (etwa zum Zwecke des Aufsuchens einer Toilette) zuzugestehen sind, wird hiedurch jedoch nicht ausgeschlossen. Sollten vom Erstgericht solche Unterbrechungen mit dem (auch vom Berufungsgericht nicht näher hinterfragten) Ausdruck "üblicher" Pausen gemeint sein, bedarf es hiezu jedoch weder eines besonderen Entgegenkommens eines Arbeit-(Dienst-)gebers (vgl hiezu auch SSV-NF 10/116), noch wäre damit dann aber auch ein Verweisungshindernis verbunden. Der (augenärztliche) Sachverständige hat nämlich ausdrücklich ausgeführt, daß nur über das Ausmaß von vier Stunden Tagesarbeit hinausgehende Arbeiten zu "erheblichen Ermüdungserscheinungen" des Klägers führen würden (AS 63), wie dies sodann auch vom Berufungsgericht unterstellt wurde. Insoweit liegt aber eine für die abschließende rechtliche Beurteilung relevante Widersprüchlichkeit vor, wenn einerseits festgestellt wurde, daß für den Kläger (auch ohne sozialen Abstieg und ohne Verletzung der Lohnhälfte) eine Halbtagesbeschäftigung als Telefonist in Form eines 4-Stunden-Arbeitstages leistungskalkülmäßig möglich ist, andererseits jedoch ein solcher Verweisungsberuf zufolge eines "üblichen" Pausenerfordernisses wiederum unzumutbar sei; die vom Berufungsgericht (ohne Beweiswiederholung) gemachten Ausführungen betreffend das Fehlen von Anhaltspunkten erhöhter Ermüdbarkeit - und zwar mit oder ohne ein solches Pausenerfordernis - bei Verrichtung einer Halbtagesbeschäftigung stehen damit gleichfalls in Widerspruch und bedürfen somit ebenfalls einer näheren Aufklärung.

Da es zur Abklärung der aufgezeigten Feststellungsmängel einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache im aufgezeigten Umfange spruchreif zu machen, waren die Urteile beider Vorinstanzen aufzuheben und die Sache insoweit an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO. Kosten des Berufungsverfahrens sind dem Kläger (mangels Erstattung einer Berufungsbeantwortung und Abführung einer Berufungsverhandlung nicht erwachsen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte