OGH 11Os125/97

OGH11Os125/972.12.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 2.Dezember 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kubiczek als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ilhan H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Ilhan H*****, Mevlüt H*****, Rahime H***** und Mustafa H***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Jugendschöffengericht vom 23.Mai 1997, GZ 20 Vr 926/96-31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden der am 5.Jänner 1978 geborene, zur Tatzeit somit noch jugendliche Ilhan H*****, seine Eltern Mevlüt und Rahime H***** sowie sein Onkel Mustafa H***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (Punkt I des Urteilssatzes) und des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (III), Ilhan (II 2) und Mevlüt (II 1) H***** außerdem des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105, 106 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach haben am 22.Juli 1996

(zu I) sämtliche Angeklagte als Mittäter Fadime D***** auf die im Spruch detailliert angeführte Weise mit schwerer, gegen sie gerichtete Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit und durch Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gewalt für Leib und Leben zur Vornahme des Beischlafes mit Ilhan H***** genötigt und

(zu III) Mevlüt und Ilhan H***** im Anschluß daran andere durch Drohung mit dem Tode zu Unterlassungen, nämlich jeweils zur Abstandnahme von der Erstattung einer Strafanzeige, zu nötigen versucht, und zwar

1) Mevlüt H***** (b) in L***** und H***** Meryem D***** durch die telephonische Äußerung, "sie hätten ihre Tochter Fadime D***** entführt, falls sie die Sache der Polizei anzeige, werde ihre Tochter sterben" und

(c) in L***** Fadime D***** durch die Äußerung, falls sie wegen der zum Faktum I geschilderten Tathandlung Strafanzeige erstatte, werde er ihre ganze Familie umbringen, sowie

2) Ilhan H***** in L***** Fadime D***** durch die Äußerung, falls sie wegen der zum Faktum I geschilderten Tathandlung Strafanzeige erstatte, werde er sie umbringen, er werde sein ganzes Leben opfern, um sie zu töten.

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die gemeinsam und undifferenziert ausgeführte, auf die Gründe der Z 1, 4, 5a, 8 und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Soweit eingangs der Beschwerde eine Befangenheit des Vorsitzenden des Schöffengerichtes deshalb für möglich gehalten und daraus der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 1 StPO abgeleitet wird, weil dieser Richter die Annahme eines ihm nach der Hauptverhandlung übergebenen Schreibens abgelehnt hat, in welchem Fadime D***** ihre am 18.Jänner 1997 erfolgte Verehelichung mit Ilhan H***** bekannt gab und erklärte, in Zukunft die Aussage verweigern und dieses Aussageverweigerungsrecht auch rückwirkend geltend machen zu wollen, genügt der Hinweis darauf, daß dem Beschwerdevorbringen Umstände, die eine Befangenheit des Vorsitzenden zu begründen vermögen, von vornherein nicht zu entnehmen sind, zudem aber auch eine erwiesene Befangenheit selbst dann, wenn sie bereits vor Urteilsfällung vorgelegen hätte, den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 1 StPO nicht herstellen würde.

Zu Unrecht erblicken die Beschwerdeführer in der Ablehnung der Anträge auf Zulassung der Frage an die Zeugin Sermin G*****, welche Schwierigkeiten sie in der Vergangenheit mit Mustafa H***** gehabt habe, der Vernehmung dieser Zeugin über die Grundlage ihrer Feindschaft mit diesem Angeklagten und der Einholung der diesbezüglichen Strafakten sowie der Vernehmung des Psychiaters Dr.Thomas S***** über die psychischen Leiden und zum Gegenstand der (ärztlichen) Behandlung der Meryem D*****, und des Rechtsanwaltes Dr.Hubert Fitz "zum Gegenstand der behaupteten Einigung" einen Nichtigkeit begründenden Verfahrensmangel (Z 4).

Der erstgenannte Antrag wurde nicht vom Schöffengericht, sondern vom Vorsitzenden abgelehnt, ohne daß der Verteidiger eine Beschlußfassung des Senates über die Zulässigkeit der in Rede stehenden Frage gefordert hätte, womit die Beschwerdeführer mangels eines hierüber ergangenen Zwischenerkenntnisses insoweit zur Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde gar nicht legitimiert sind (Mayerhofer, StPO4 § 281 Z 4 E 6). Die Ablehnung des daran anknüpfenden Antrages auf Vernehmung der Zeugin Sermin G***** über die Grundlage ihrer Feindschaft mit Mustafa H***** und auf Beischaffung "diesbezüglicher Akten der Staatsanwaltschaft Feldkirch" (S 387) begründet schon deshalb keinen Verfahrensmangel, weil das Beweisthema von einem Umstand, nämlich dem Bestehen einer Feindschaft zwischen der Zeugin und dem Viertangeklagten ausgeht, welcher weder behauptet wurde noch sonst sich aus den Verfahrensergebnissen ergibt, zumal die bloße Bejahung der Frage, ob es mit Mustafa H***** schon einmal Schwierigkeiten gegeben habe (S 348), für eine solche Annahme keinesfalls ausreicht.

Zu Recht verfiel auch der nicht weiter substantiierte Antrag auf Vernehmung des Psychiaters Dr.S***** "zum Gegenstand der psychischen Leiden und zum Gegenstand der Behandlung" der Zeugin Meryem D***** (S 387) der Ablehnung. Ein Beweisantrag muß außer Beweisthema und Beweismittel noch angeben, inwieweit das bei Durchführung des beantragten Beweises nach Ansicht des Antragstellers zu erwartende Ergebnis der Beweisaufnahme für die Schuldfrage von Bedeutung ist und aus welchen Gründen erwartet werden kann, daß auch tatsächlich das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erzielt werden kann (vgl Mayerhofer aaO E 19). Die Unterlassung der Anführung dieser Umstände, die in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht mehr nachgeholt werden können (Mayerhofer aaO E 41) - vorliegend wurde nicht einmal angegeben, welche Tatsachen durch den beantragten Zeugen bewiesen werden sollten - schließt die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes aus (vgl Mayerhofer aaO E 18).

Gleiches gilt schließlich für den Beweisantrag auf Vernehmung des Rechtsanwaltes Dr.F*****, welchem ebenfalls nicht zu entnehmen ist, inwieweit von seiner Durchführung eine erfolgversprechende Bereicherung der zur Wahrheitserforschung führenden Prämissen zu erwarten ist (s Mayerhofer aaO E 19b).

Mit dem Vorbringen zur Tatsachenrüge (Z 5a) vermag der Beschwerdeführer erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundeliegenden entscheidenden Tatsachen nicht zu erwecken, zumal damit lediglich die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes nach Art einer im Rahmen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes unzulässigen Schuldberufung bekämpft wird.

Die zum Urteilsfaktum I reklamierte Anklageüberschreitung (Z 8), welche die Beschwerdeführer darin verwirklicht sehen, daß sie, obgleich nur des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB angeklagt, wegen des schwerer pönalisierten Verbrechens nach Abs 1 verurteilt wurden, liegt nicht vor. Sie wäre nur dann gegeben, wenn die Angeklagten eines Verbrechens schuldig erkannt worden wären, das nicht Gegenstand der Anklage war. Gegenstand der Anklage ist aber ein bestimmtes Ereignis, das irgendeinen nach Ansicht des Anklägers strafbaren Erfolg herbeigeführt hat. Falls sich der inkriminierte Vorgang nach den Beweisergebnissen in Einzelheiten anders zugetragen hat als vom Ankläger angenommen, hat das Gericht den festgestellten Sachverhalt auch dann dem darauf anzuwendenden Gesetz zu subsumieren, wenn sich dieses von dem in der Anklage bezeichneten unterscheidet. Nur wenn das Beweisverfahren ein Tatgeschehen zu Tage bringt, das von dem unter Anklage stehenden derart verschieden ist, daß es keinesfalls als inkriminiert angesehen werden kann, wäre eine Verurteilung von einer Modifizierung oder Ausdehnung der Anklage abhängig (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 8 E 8, 10).

Davon kann vorliegend keine Rede sein, wurde doch das unter Anklage gestellte, mit dem Urteilssachverhalt idente Verhalten vom Schöffengericht nur rechtlich anders beurteilt. Damit wurde aber die Anklage nicht überschritten (vgl Mayerhofer aaO E 6).

Es wurde hiedurch aber auch nicht gegen das durch die EMRK garantierte Recht auf ein faires Verfahren (Art VI) verstoßen. Die Wahrung des von den Beschwerdeführern reklamierten Rechtes auf Waffengleichheit ist wesentliches Ziel der Bestimmung des Art VI Abs 3 lit d EMRK; sie sichert dem Angeklagten das Recht zu, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken. Daß die von der Anklage abweichende rechtliche Beurteilung des inkriminierten Sachverhaltes der zitierten Vorschrift oder sonstigen ein faires Verfahren sichernden Bestimmungen zuwiderlaufen könnte, ist weder zu erkennen noch läßt es sich den Beschwerdeausführungen entnehmen.

Nicht nachvollziehbar ist das zur Begründung für den letztlich noch relevierten Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO erstattete Vorbringen, mit welchem Feststellungsmängel zur subjektiven Tatseite deshalb geltend gemacht werden, weil der Zweitangeklagte den "Gegenstand nicht als Offizialdelikt" verstanden habe. Die Erledigung dieses Einwandes kann mit dem Hinweis auf die Unerheblichkeit dieser Frage ihr Bewenden haben.

Auf den abschließenden Vorwurf, das Gericht habe sich "mit einem möglichen Rechtsirrtum, der möglichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhaltes" nicht befaßt, konnte mangels jeglicher Substantiierung nicht eingegangen werden.

Insgesamt kann daher von einem "flagrant verfehlten Urteil", wie der Verteidiger in seiner gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten Stellungnahme sich auszudrücken veranlaßt sah, keine Rede sein.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als offenbar unbegründet, teils als nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285 i StPO).

Die Kostenentscheidung ist in § 390 a StPO begründet.

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