Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Urteilsfällung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und der Revision sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 20.5.1996 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab, weil er nicht invalid im Sinne des § 255 ASVG sei.
Mit seiner Klage stellte er das Begehren auf Zuerkennung derselben im gesetzlichen Ausmaß ab 1.3.1996.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte ua fest, daß der am 5.10.1945 geborene Kläger bisher als Hilfsarbeiter gearbeitet hat. Aufgrund der im einzelnen festgestellten Leidenszustände ist er nur mehr in der Lage, geistig einfache, leicht überschaubare Tätigkeiten sowie körperlich leichte und mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen, im Freien und in geschlossenen Räumen, bei Vermeidung von Unterkühlungen und Durchnässungen 8 Stunden täglich ohne überdurchschnittliche Arbeitspausen zu verrichten. Zu vermeiden sind Arbeiten unter besonderem Zeitdruck wie zB Akkordarbeiten und Fließbandarbeiten sowie Schichtarbeiten. Ferner sollen häufige Bückbelastungen und Überkopfarbeiten sowie Arbeiten in länger vorgebückter Körperhaltung vermieden werden. Das Heben und Tragen von Lasten ist bis zu 10 kg, fallweise bis 15 kg zumutbar. Gehbelastungen sollen ein Drittel der Arbeitszeit nicht übersteigen; bezüglich des Anmarschweges zur Arbeitsstätte bestehen keine Beschränkungen.
In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, daß die Pensionsvoraussetzungen des Klägers gemäß § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen seien. Innerhalb seiner Leistungsgrenzen wäre er zB auf leichte und mittelschwere Verpackungsarbeiten in der Industrie, die nicht unter Akkordbedingungen, sondern auch unter Zeit-Lohnbedingungen angeboten würden und nicht am Fließband, sondern an Verpackungstischen, die höhenverstellbar sind und bei denen die Arbeitshaltung zwischen Sitzen und Stehen gewählt werden könne, verweisbar. Damit lägen die Voraussetzungen für die begehrte Invaliditätspension bei ihm nicht vor.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und schloß sich auch der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an. Für einen Berufsschutz des Klägers im Sinne des § 255 Abs 1 oder 2 ASVG als "Holzarbeiter" mangle es an den Voraussetzungen; insbesondere sei ein derartiger Lehrberuf auch nicht in der Lehrberufsliste angeführt. Seien aber die Voraussetzungen zur begehrten Invaliditätspension nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen, dann sei auch die Verweisung auf den Beruf eines Adjustierers oder Verpackers mit den vom Erstgericht festgestellten Anforderungen unbedenklich.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung dahingehend abzuändern, daß seiner Klage stattgegeben werde; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Das Rechtsmittel ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen allerdings nicht vor. Dies bedarf gemäß § 510 Abs 3 dritter Satz ZPO keiner näheren Begründung. Feststellungsmängel (zur Anzahl offener Arbeitsstellen für den angenommenen Verweisungsberuf) sind der Rechtsrüge zuzuordnen.
Die Beurteilung, ob Invalidität im Sinne des § 255 ASVG vorliegt, ist eine Rechtsfrage (SSV-NF 10/14). Daß dabei die Voraussetzungen für die Gewährung der Invaliditätspension beim Kläger, der bisher ausschließlich als Hilfsarbeiter gearbeitet hat, nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen sind, wie dies auch von den Vorinstanzen geschehen ist, wird in der Revision nicht mehr in Frage gestellt. In diesem Fall ist aber das Verweisungsfeld mit dem gesamten Arbeitsmarkt ident (SSV-NF 1/4, 2/109, 6/56, 10 ObS 2385/96z uva). Ob in den Verweisungsberufen freie Arbeitsplätze zur Verfügung stehen und ob es einem Kläger gelingen wird, tatsächlich einen Arbeitsplatz zu erlangen, ist für die Frage der Verweisbarkeit hiebei ohne Bedeutung (SSV-NF 2/5, 14 und 34; 10 ObS 107/97a). Entgegen der Ansicht im Rechtsmittel reicht grundsätzlich ein einziger nach dem medinischen Leistungskalkül mögliche Verweisungsberuf aus (10 ObS 178/97t, 10 ObS 261/97y). Neben dem von den Vorinstanzen für maßgeblich erachteten Verweisungsberuf eines Verpackungsarbeiters oder Adjustierers stehen auch jene eines Portiers oder eines (Büro-)Boten zur Verfügung, mit denen jedenfalls keine Akkord-, Fließband- oder Schichtarbeitseinsätze verbunden sind. Daß für Pendeln oder Anmarschwege Einschränkungen bestünden, ist im Verfahren (bisher) nicht hervorgekommen, sodaß auch hieraus grundsätzlich kein Verweisungshindernis abgeleitet werden kann. Trotzdem ist die Sozialrechtssache noch nicht (im Sinne einer Bestätigung der Urteile der Vorinstanzen) entscheidungsreif.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates (SSV-NF 6/82, 7/76, 10/14) ist ein Versicherter nämlich vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wenn bei ihm mit großer Wahrscheinlichkeit jährlich Krankenstände von (insgesamt) 7 oder mehr Wochen zu erwarten sind. Ob dies beim Kläger, der dies sowohl in der Berufung als auch in der Revision behauptet, der Fall ist, kann noch nicht beurteilt werden, weil nach Inhalt der Prozeßakten dem Revisionsgericht hiefür erheblich scheinende Tatsachen weder in erster Instanz noch vom Berufungsgericht erörtert und festgestellt wurden. Hiezu sind bereits in erster Instanz ausreichende Tatumstände vorgekommen, die eine Erörterung und Feststellung zu erwartender Krankenstände indiziert hätten. Schon die im angefochtenen Bescheid erwähnten Diagnosen von ua Mehrfachverletzungen (Querfortsatzbrüchen) im Lendenwirbelbereich samt Bandscheibenauswirkungen machen Krankenstände wahrscheinlich. In seinem Gutachten vom 13.9.1996 hat der medizinische Sachverständige für Orthopädie und orthopädische Chirurgie ausdrücklich ausgeführt, daß sich der Kläger zum damaligen Zeitpunkt bereits seit mindestens Februar 1996 (somit rund 7 Monate) im "Krankheitszustand" (gemeint wohl: Krankenstand) befunden habe. Auch im Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sind mehrfache stationäre Aufenthalte in unterschiedlichen Abteilungen angeführt. Im Hinblick auf diese schon in erster Instanz vorgekommenen Tatumstände, die auf längere Krankenstände hinweisen, sind deren Wahrscheinlichkeit und näheren Umstände - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - zu erörtern und festzustellen.
Dazu sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben; die Sache ist an das Prozeßgericht erster Instanz zur Verhandlung und Urteilsfällung zurückverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASVGG.
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