OGH 1Ob324/97x

OGH1Ob324/97x25.11.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert H*****, vertreten durch Dr.Karl-Heinz Plankel und Dr.Herwig Mayrhofer, Rechtsanwälte in Dornbirn, wider die beklagte Partei Robert K*****, vertreten durch Dr.Karl Schelling, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen S 99.550,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 27.Mai 1997, GZ 2 R 143/97p-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 18.Februar 1997, GZ 2 C 1698/95t-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das berufungsgerichtliche Urteil wird aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Am 10.8.1994 unternahm der Kläger gemeinsam mit dem Beklagten eine Bergtour auf den Piz Buin, bei der der Kläger etwa 100 m weit über Schnee und Eis abrutschte und sich dabei erheblich verletzte.

Der Kläger begehrt vom Beklagten Schadenersatz im Gesamtbetrag von S

99.550. Der Beklagte habe durch sein Verhalten den Anschein eines erfahrenen Bergführers erweckt, weshalb sich der Kläger ihm anvertraut habe. Er habe die Beistellung der Kletterhilfen und die Auswahl der Ausrüstungsgegenstände übernommen und die Route gewählt. Dem Beklagten sei bekannt gewesen, daß der Kläger über keine Berg-, insbesondere über keine Kletter- oder Gletschererfahrung verfügt habe. Er habe behauptet, die Tour sei eine ungefährliche Wanderung, was sich letztlich als unrichtig herausgestellt habe. Der Kläger sei an einer Stelle abgestürzt, die dem Beklagten als gefährliche Schlüsselstelle bekannt gewesen sei. Dennoch habe er die für den Kläger nötige Unterstützung beim Abstieg (über ein Schneefeld), insbesondere die Sicherung durch ein Seil, unterlassen. Für den Beklagten sei auch erkennbar gewesen, daß der Kläger ungeeignet bekleidet und ausgerüstet gewesen sei. Der Beklagte hafte gemäß § 1299 ABGB.

Der Beklagte wendete ein, weder ausdrücklich noch schlüssig eine Führertätigkeit für den Kläger übernommen zu haben. Er verfüge über keine besondere Bergerfahrung und habe sich auch nicht bereit erklärt, für die Ausrüstung zu sorgen. Keinesfalls habe er den Kläger zur Bergtour überredet. Der Kläger sei an einer ungefährlichen Stelle aus unerklärlichen Gründen ausgerutscht, während der Beklagte gerade im Begriffe gewesen sei, vorsichtshalber Harscheisen anzulegen. Er habe den Kläger angewiesen, bis zur Beendigung dieser Vorkehrung stehenzubleiben und sich an dem ihm zur Verfügung gestellten Pickel festzuhalten, doch habe der Kläger diese Anweisung nicht eingehalten und sich weiterbewegt. Der Kläger sei abgestürzt, noch ehe eine Seilsicherung hätte überhaupt vorgenommen werden können. Im übrigen sei der Beklagte kein ausgebildeter Bergführer, der durch Verwendung eines Seils mit fixer Sicherung den Absturz des Klägers und damit dessen Verletzungen hätte verhindern können. Jedenfalls treffe den Kläger das weitaus überwiegende Verschulden am Absturz.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte fest, der Beklagte, ein "begeisterter Bergsteiger", und der Kläger, ein "begeisterter Wanderer", seien übereingekommen, gemeinsam eine Bergtour zu unternehmen. Der Beklagte habe sich nie als Bergführer ausgegeben. Ursprünglich sei kein genaues Ziel genannt worden, im Laufe der Tour hätten die Streitteile beschlossen, den Piz Buin zu besteigen. Der Beklagte habe einen leichten Auf- und Abstieg, der grundsätzlich nicht als gefährliche Route bezeichnet werden könne, ausgewählt, und die Streitteile seien abwechselnd vorangegangen. Die Ausrüstung der Streitteile sei für die gewählte Route ausreichend gewesen. Vor der Absturzstelle, wo der Fels in das Schneefeld übergeht, habe der Beklagte vorsichtshalber Harscheisen anlegen wollen. Währenddessen sei der Kläger ausgerutscht und über eine Wegstrecke von etwa 100 m über Schnee und Eis abgerutscht.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Übernahme der Spitze einer Gruppe im Zuge einer Bergtour bewirke für sich noch nicht, daß diese Person als "Führer" zu betrachten sei. Nur wenn jemand aus Gefälligkeit die Führung übernehme, den Routenverlauf kenne und später auftretende, für weniger Erfahrene nicht erkennbare Gefahren oder Schwierigkeiten verschweige oder einen Bergunerfahrenen unter dem Vorwand, die Bergtour sei ungefährlich, zu einer schwierigen Tour überrede, käme eine Haftung in Betracht. Die vom Beklagten gewählte Route sei relativ gefahrlos zu bewältigen. Der Umstand, daß sich der Beklagte nie als Führer deklariert habe und daß die Parteien abwechselnd vorangegangen seien, spräche gegen eine Führung aus Gefälligkeit, weshalb der Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB nicht anzuwenden sei. Aufgrund des Ausbildungsstands der Streitteile sei die Verwendung eines Seils nicht geboten gewesen; der Absturz hätte aber nur durch eine solche Maßnahme verhindert werden können. Die Tatsache, daß keine Steigeisen verwendet wurden, sei dem Beklagten nicht anzulasten, weil deren Gebrauch entsprechende Schulung und Übung vorausgesetzt hätte. Der Kläger habe seinen Absturz allein verschuldet.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Trotz Vorliegens von Feststellungs- und Verfahrensmängeln sei die Abweisung des Klagebegehrens zu Recht erfolgt, weil selbst dann, wenn der Beklagte als "Tourenführer aus Gefälligkeit" zu qualifizieren wäre, dessen Haftung verneint werden müsse. Der Kläger habe nicht behauptet, wodurch der Beklagte den Anschein eines erfahrenen Bergführers erweckt habe. Er habe auch keine seiner Aussage entsprechende Behauptung, daß er dem Beklagten vor dem Absturz gesagt habe, er werde ohne Verwendung von Harscheisen "abgehen wie eine Rakete", und daß der Beklagte sinngemäß entgegnet habe, er solle sich nicht so anstellen, es wäre ohne weiteres möglich, rückwärts Schritt für Schritt über dieses Schneefeld zu gehen, aufgestellt, sodaß insofern auch kein Feststellungsmangel vorliege. Ein "abwechselndes Vorangehen" der Streitteile habe tatsächlich nicht stattgefunden; diese Feststellung des Erstgerichts sei so wie mehrere andere Feststellungen nicht ausreichend begründet. Daß die Ausrüstung für die Besteigung des Piz Buin nicht ausreichend gewesen sei, habe das Beweisverfahren allerdings nicht ergeben. Die Gefahr des Abrutschens auf Schnee und Eis sei allgemein bekannt; das hätte auch dem Kläger angesichts der Steilheit des Geländes selbst ohne Hochgebirgserfahrung bekannt sein müssen, insbesondere weil er bereits beim Aufstieg hätte erkennen können und müssen, daß gefährliche Stellen vorhanden gewesen seien. Selbst wenn der Beklagte als Tourenführer aus Gefälligkeit anzusehen wäre, scheide dessen Haftung aus, weil der Kläger, dem die Gefährlichkeit der Absturzstelle habe bekannt sein müssen, dafür eigenverantwortlich gewesen sei. Der Kläger habe den Weg zum Gipfel des Piz Buin "offenbar" problemlos bewältigt und dabei entsprechende Trittsicherheit bewiesen. Es sei für ihn kein Problem gewesen, aufgrund vorhandener tiefer Fußstapfen im Schnee- bzw Eisfeld, über das der Kläger letztlich abrutschte, aufzusteigen. Auf eine fachgerechte Anseilung durch den Beklagten habe der Kläger nicht vertrauen dürfen, und von ihm sei derartiges auch gar nicht behauptet worden.

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht verweist auf die "Eigenverantwortlichkeit" des Klägers, dem die Gefährlichkeit der Absturzstelle habe bekannt sein müssen. Nun mag es zutreffen, daß jedem einigermaßen geübten Wanderer die Gefährlichkeit des Begehens von Schnee- und Eisfeldern bekannt ist und läßt auch die Schilderung des Klägers über den Gesprächsverlauf unmittelbar vor dem Absturz darauf schließen, daß ihm die Gefährlichkeit des Abstiegs tatsächlich bekannt war. Es hieße allerdings überspitztem Formalismus das Wort reden, wollte man - wie das Gericht zweiter Instanz - vom Kläger eine mit seiner Parteienaussage nahezu wörtlich korrespondierende Behauptung über den Gesprächsverlauf vor dem Absturz verlangen; der Kläger hat vorgebracht, er habe sich dem Beklagten "zur Gänze anvertraut" und der Beklagte habe ihm gegenüber behauptet, daß es sich bei der Tour um eine ungefährliche Wanderung handle; weiters hat der Kläger behauptet, der Beklagte habe die notwendige Unterstützung des Klägers beim Abstieg unterlassen. Angesichts dieser Behauptungen hätten sich die Vorinstanzen mit der Aussage des Klägers über den Gesprächsverlauf unmittelbar vor dem Absturz auseinandersetzen müssen. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines Feststellungsmangels auch nur deshalb verneint, weil der Kläger keine "entsprechende Behauptung" aufgestellt habe. Schon allein aus diesem Grund bedarf das Verfahren zweiter Instanz einer Ergänzung.

Zutreffend rügt der Kläger auch, das Berufungsgericht habe (vom Erstgericht unterlassene) Feststellungen getroffen, ohne eine Beweiswiederholung oder Beweisergänzung durchzuführen. So hat es festgestellt, der Kläger habe den Weg zum Gipfel, also den Aufstieg, problemlos bewältigt, er habe über eine entsprechende Trittsicherheit verfügt und es sei für ihn aufgrund vorhandener tiefer Fußstapfen kein Problem gewesen, über das Schnee- bzw Eisfeld aufwärts zu gehen. Dem Kläger sei als erfahrenem Wanderer bekannt gewesen, daß der Abstieg über ein Schneefeld gefährlicher sei als der Aufstieg. All diese Darlegungen sind vom Urteil des Erstgerichts abweichende (zusätzliche) Feststellungen und nicht aus den erstinstanzlichen Feststellungen gezogene tatsächliche Schlußfolgerungen; das Gericht zweiter Instanz hätte diese Feststellungen nur nach einer Beweiswiederholung oder -ergänzung treffen dürfen (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 2 und 4 zu § 488, Rz 1 zu § 498, jeweils mwN). Ohne diese zusätzlichen Feststellungen verbleibt aber zu wenig sachliches Substrat, um verläßlich beurteilen zu können, ob die Eigenverantwortlichkeit des Klägers die Haftung des Beklagten namentlich für den Fall, daß er als Tourenführer aus Gefälligkeit anzusehen wäre, ausschlösse. Die aufgezeigten Mängel des Berufungsverfahrens sind entscheidungsrelevant; das Berufungsgericht wird sich mit den vom Kläger behaupteten und vom Gericht zweiter Instanz grundsätzlich auch bejahten Feststellungs- und Begründungsmängeln der erstgerichtlichen Entscheidung ausführlich auseinandersetzen müssen; seine Ansicht, eine Verfahrensergänzung gemäß § 496 Abs 3 ZPO käme mit Rücksicht auf den erheblichen Mehraufwand an Kosten nicht in Betracht, ist nicht verständlich, zumal zwei der fünf Zeugen ohnehin im Rechtshilfeweg vernommen wurden und sich demnach auch das Berufungsgericht mit der Verlesung dieser Aussagen begnügen kann. Gerade in einem Fall wie dem vorliegenden erscheint es geboten, zur Vermeidung eines weiteren Rechtsgangs gemäß § 496 Abs 3 ZPO vorzugehen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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