OGH 5Ob380/97m

OGH5Ob380/97m11.11.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Floßmann, Dr.Ehmayr, Dr.Baumann und Dr.Hradil als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Erika H*****, 2. Josef S*****, 3. Ingrid S*****, 4. Hans‑Jürgen K*****, 5. Gertrude K*****, 6. Helmut K*****, 7. Karin K*****, 8. Leopold R*****, 9. Carmen R*****, 10. Rosa E*****, 11. Sieglinde T*****, 12. Erwin H*****, 13. Christine H*****, 14. Andreas K*****, 15. Heidemarie K*****, 16. Wolfgang V*****, 17. Elfriede V*****, 18. Hubert S*****, 19. Elfriede S*****, 20. Hans‑Dieter F*****, 21. Isabella F*****, 22. Kurt Z*****, 23. Elisabeth Z*****, 24. Loretta S*****, 25. Andrea H*****, 26. Waltraud T*****, 27. Ursula T*****, alle T*****weg *****, alle vertreten durch Dr.Gerhard Strobich, Rechtsanwalt in Trofaiach, wider die beklagte Partei Silvia E*****, vertreten durch Dr.Kurt Konopatsch, Dr.Sonja Jutta Sturm‑Wedenig, Rechtsanwälte in Leoben, wegen Unterlassung (Streitwert S 60.000) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 27.Mai 1997, GZ 1 R 42/97m‑9, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Leoben vom 11.November 1996, GZ 9 C 438/96v‑4, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Berufung wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, es zu unterlassen, in der Wohnung top Nr. 7 im Haus T*****, einen Ordinationsbetrieb zu führen bzw führen zu lassen, abgewiesen wird.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit S 44.672,60 (darin S 4.465,40 Umsatzsteuer und S 17.880 Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind Miteigentümer der Liegenschaft EZ ***** GB ***** mit dem Wohnhaus T*****weg 3. Mit ihren Miteigentumsanteilen ist Wohnungseigentum an bestimmten Objekten verbunden. Keiner der im Hause T*****weg Nr. 3, aber auch im anrainenden Haus T*****weg Nr. 1 gelegenen Wohnungen war bisher als Geschäftsraum oder als Arztordination benutzt worden. In den bezughabenden Kauf‑ und Wohnungseigentumsverträgen hatten sich die damaligen Wohnungseigentumsbewerber gleichlautend verpflichtet, zur Wahrung des Hauscharakters und im Interesse der Gemeinschaft die Wohnungen ausschließlich für Wohnzwecke oder nur für solche Geschäftstätigkeiten zu gebrauchen, die üblicherweise in Wohnungen ausgeübt werden. Jene Kauf‑ und Wohnungseigentumsverträge, welche die benachbarten, von derselben Wohnbaugesellschaft errichteten Häuser T*****weg 5 und 7 betreffen, enthalten in diesem Zusammenhang zusätzlich eine demonstrative Aufzählung gestatteter geschäftlicher Tätigkeiten in den Wohnungen, nämlich "zB Ordination, Büro, Kanzlei, Studio, Atelier usw". Im benachbarten Haus T*****weg Nr. 7 wird im Parterre dieses Hauses eine Arztordination betrieben. Die auf den allgemeinen Teilen der Objekte T*****weg Nr. 1 und 3 gelegenen Tiefgaragenparkplätze sind jeweils einer Wohneinheit zugewiesen. In der Nähe des Hauses T*****weg Nr. 3 gibt es - vor allem während der Stoßzeiten - kaum öffentliche Parkplätze. Für den T*****weg selbst besteht ein allgemeines Fahrverbot, ausgenommen Zustelldienste und "Zufahrt zum Arzt". Die Beklagte erwarb 117/3617stel Anteile an der genannten Liegenschaft, verbunden mit dem Wohnungseigentum an der Wohnung 7. Diese rund 115 m2 große Wohnung liegt im 2. Stock des Hauses. Um die Wohnung zu erreichen, muß über die allgemeinen Teile des Hauses (Stiegenhaus, Lift) zugegangen werden. Das Eigentum der Beklagten war zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung in erster Instanz noch nicht verbüchert. In dieser Wohnung führt der Mann der Beklagten seit Oktober 1996 als praktischer Arzt mit Kassenvertrag an fünf Wochentagen eine Ordination. Die Ordination wird täglich von etwa 20 bis 30 Patienten frequentiert.

Im Prozeß stellten die Kläger ein Unterlassungsbegehren, mit dem sie der Beklagten gebieten wollten, in der Wohnung Nr. 7 im Hause T*****weg Nr. 3, *****, keine Arztordination zu führen bzw führen zu lassen. Dazu brachten sie im wesentlichen vor, bisher seien die Wohnungen im Hause ausschließlich zu Wohnzwecken gebraucht worden. Die von der Beklagten eigenmächtig vorgenommene Widmungsänderung beeinträchtige gerechtfertigte Interessen. Wegen der nur über die allgemeinen Teile des Hauses erreichbaren Arztordination werde die Besucheranzahl im Haus markant ansteigen. Dies verursache nicht allein Mehrkosten, sondern führe auch zu Lärmbelästigungen. Außerdem sei die vorhandene Infrastruktur (Zufahrtswege, Parkplätze) für eine Arztordination gar nicht ausreichend. Schließlich müßten sich die Hausbewohner vor Kontakten mit erkrankten Personen fürchten.

Die Beklagte wandte vor allem ein, das Führen von Arztordinationen in Wohnungen sei im städtischen Bereich völlig üblich. Die in der Wohnung betriebene Arztordination widerspreche auch nicht den im Kauf‑ und Wohnungseigentumsvertrag übernommenen Pflichten. Schließlich würden Interessen der anderen Wohnungseigentümer in Wahrheit gar nicht beeinträchtigt. Das Führen der Arztordination sei für die Beklagte außerdem existenznotwendig und daher in deren überwiegendem Interesse.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ausgehend von den eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Feststellungen interpretierte es § 13 Abs 2 WEG und §§ 523, 829 ABGB. Es meinte, wegen der seit Oktober 1996 in der Wohnung Nr. 7 im Hause T*****weg 3 geführten Arztordination müßten die anderen Miteigentümer erhebliche Mehrbelastungen auf sich nehmen. Neben der Beanspruchung von Parkplätzen begegneten sie vermehrt wohnungsfremden Personen. Die Wohnungen im Hause T*****weg 3 seien bisher auch noch nie als Arztordination benutzt worden, in den bezughabenden Kauf‑ und Wohnungseigentumsverträgen sei das Führen einer Arztordination auch nicht ausdrücklich gestattet. Unabhängig, ob später die rechtsgestaltende Entscheidung des Außerstreitrichters die Widmungsänderung und den Betrieb einer Arztordination gestatten werde, sei schon jetzt eine erhebliche Interessenbeeinträchtigung der Miteigentümer bewiesen. Dies hätte es nötig gemacht, vor der Widmungsänderung die Zustimmung der anderen Miteigentümer einzuholen. Das unterbliebene Bemühen um das Einholen dieser Zustimmung zeige die Widmungsänderung als eigenmächtig. Gegen diese Eigenmacht könnten sich die Wohnungseigentümer aber mittels Unterlassungsklage wehren. Das Bestreiten des Unterlassungsanspruches durch die Beklagte, die das Erstgericht als "außerbücherliche" Eigentümerin bezeichnete, mache die Wiederholungsgefahr evident.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge, sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt S 50.000 übersteigt, und erklärte die ordentliche Revision - mangels der gesetzlichen Voraussetzungen - für nicht zulässig. Es führte zur Rechtsrüge folgendes aus:

Zuerst müsse der von den Parteien, aber auch vom Erstgericht gepflogenen primären Rechtsauslegung anhand der Bestimmung des § 13 WEG entgegengetreten werden. Denn nur die Miteigentümer (Wohnungseigentümer) seien Subjekt der Rechte und Pflichten des § 13 WEG. Wohnungseigentum werde aber erst durch die Eintragung in das Grundbuch erworben. Nach den Urteilsfeststellungen und nach der in der Berufungsverhandlung vorgenommenen Außerstreitstellung habe die Beklagte aufgrund des Kaufvertrags vom Oktober 1996 erst im März 1997, also schon nach Schluß der mündlichen Streitverhandlung in erster Instanz das Miteigentum verbunden mit dem Wohnungseigentum an der Wohnung Nr. 7 erworben. Es bleibe kein Grund, die Regelungen des § 13 WEG auch auf den - dem Gesetz jedenfalls für die hier in Rede stehende Erwerbsart fremden - "außerbücherlichen" Eigentümer anzuwenden. All jene Gesetzesauslegungen, die darauf abstellen, die Beklagte als zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung in erster Instanz bloß obligatorisch Berechtigte und die klagenden Miteigentümer stünden zueinander in Rechtsgemeinschaft, seien daher kritisierbar. Schließlich sei auch hervorgestrichen, daß im vorliegenden Prozeß die Frage einer nach den §§ 13, 26 WEG zu beantwortenden Duldungspflicht der Wohnungseigentümer zum Betrieb einer Arztordination in der Wohnung top Nr. 7 nicht beantwortet werden könne. Im vorliegenden Rechtsstreit dürfe nicht einmal als Vorfrage in die ausschließliche Entscheidungskompetenz des Außerstreitrichters eingegriffen werden.

Im Klagsvorbringen machten die Kläger aber auch ganz allgemein Eingriffe der Beklagten in ihr (durch den Wohnungseigentumsvertrag erworbenes) Nutzungsrecht, also in ihr Eigentum geltend. Die Abwehr derartiger Eingriffe regle § 523 ABGB. Die Klage richte sich gegen jeden Störer. Hier sei die Beklagte - abgestellt auf den Zeitpunkt des Verhandlungsschlusses in erster Instanz - nicht (Mit‑)Eigentümer der Liegenschaft gewesen. Sie führe auch nicht selbst den im Prozeß inkriminierten Ordinationsbetrieb. Ihr Ehegatte sei aber mit ihrem Willen als Arzt in der Wohnung top Nr. 7 tätig und sie habe aufgrund des Kaufvertrages vom Oktober 1996 - abgestellt auf den Verhandlungsschluß in erster Instanz - ein obligatorisches Eigentumsanwartschaftsrecht, also auch Verfügungsmacht, die behauptete Störung abstellen zu können. Nach den Feststellungen befänden sich im Hause bisher weder Geschäftsräume noch Arztpraxen; die Wohnungen seien vor Aufnahme der Tätigkeit des Mannes der Beklagten stets allein zu Wohnzwecken gebraucht worden. Auf den zur Liegenschaft gehörigen Flächen bestehe für jede Wohneinheit nur ein einzelner Parkplatz, auf den öffentlichen Flächen sei ein Parkraum vor allem während der Stoßzeiten "rar". Für den Zufahrtsweg sei ein allgemeines Fahrverbot mit dem Zusatz "ausgenommen Arztbesuch" (gemeint die Ordination in einem der Nachbarhäuser) verordnet worden. Indem nun mit dem Willen der Beklagten in der im 2. Stock des Hauses gelegenen Wohnung Nr. 7 eine während der Arbeitswoche täglich von 20 bis 30 Patienten besuchte Arztordination geführt werde, habe die Beklagte die bisherige Gebrauchsordnung massiv umgestoßen. Damit habe sie zugleich in Eigentumsrechte der Kläger eingegriffen, weil deren Interessenbeeinträchtigung aus den vom Erstgericht zutreffend genannten Gründen ohne weiteres als möglich betrachtet werden müsse. Derartige eigenmächtige Eingriffe müßten die Kläger nicht dulden. Der in der Berufung gemachte Versuch, den Vorwurf der rechtswidrigen Eigenmacht durch den Hinweis auf den Text in den bezughabenden Wohnungseigentumsverträgen zu zerstreuen, scheitere. Bereits der vom Erstgericht festgestellte Vertragstext rechtfertige nicht die Annahme, die Eigentümer hätten das Führen einer Arztordination im Hause als selbstverständlich erwartbar und durch den Vertragstext vorgegeben ansehen müssen. Zudem bleibe der Einwand, die Eigentümer hätten sich nach dem tatsächlichen Gebrauch der Wohnungen tatsächlich nur zu Wohnzwecken zu einer entsprechenden einverständlichen Auslegung des Vertrages verstanden, was dann die eigenmächtige Aufnahme des Betriebs einer Arztpraxis nicht mehr selbstverständlich gestatte. Wie bereits ausgeführt, dürfe im vorliegenden Prozeß über die Frage einer allfälligen Duldungspflicht nicht abgesprochen werden. Diese Entscheidung bleibe ausschließlich dem Verfahren nach den §§ 13, 26 WEG vorbehalten. Hier maße sich die Beklagte das Recht an, in der Wohnung eine Arztordination zu führen und dabei mögliche Interessen der Kläger zu beeinträchtigen. Diese Eigenmacht sei rechtswidrig und daher mittels Klage nach § 523 ABGB abwehrfähig. Die Wiederholungsgefahr sei aus den vom Erstgericht judikaturkonform angeführten Gründen jedenfalls gegeben.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig; sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsmittelwerberin macht zusammengefaßt geltend, nach dem Inhalt des Wohnungseigentumsvertrages sei in der Eigentumswohnung der Betrieb der Ordination eines praktischen Arztes als Geschäftstätigkeit, die üblicherweise in einer Wohnung ausgeübt werde, zulässig. Hierauf habe sie bei Ankauf der Miteigentumsanteile vertrauen dürfen. Wenn bereits im Wohnungseigentumsvertrag eine Widmung festgelegt sei und wenn eine Wohnung im Sinne dieser Widmung verwendet werde, liege keine Widmungsänderung im Sinne des § 13 Abs 2 WEG vor, demzufolge auch kein rechtswidriger Eingriff der Beklagten in die Miteigentumsrechte der Kläger.

Dem ist im wesentlichen zuzustimmen.

Sobald die (Widmungs‑)Änderung eines Wohnungseigentumsobjektes schutzwürdige Interessen anderer Wohnungseigentümer verletzen könnte, muß zwar mangels Zustimmung aller Miteigentümer vom jeweiligen Wohnungseigentümer (inzwischen der Beklagten, bei Schluß der Verhandlung erster Instanz ihren Rechtsvorgängern) die Genehmigung des Außerstreitrichters gemäß § 13 Abs 2 WEG eingeholt werden. Bis zur Rechtskraft der Genehmigung kann der Ändernde im Rechtsweg auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wie dies die Kläger getan haben. Die Genehmigungsfähigkeit ist vom Streitrichter (auch als Vorfrage) nicht zu prüfen (vgl Würth in Rummel2 § 13 WEG Rz 5 mwN).

All dies setzt freilich voraus, daß überhaupt eine Widmungsänderung vorliegt. Die Prüfung der - bereits in der Klage angeführten - vertragsmäßigen Widmung (d.h. der Genehmigungsbedürftigkeit) im Wege der Vertragsauslegung ist dem Streitrichter nicht verwehrt. Nach Auffassung des erkennenden Senates kann im vorliegenden Fall - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - kein Zweifel daran bestehen, daß die Führung der Ordination eines praktischen Arztes "eine solche geschäftliche Tätigkeit, die üblicherweise in einer Wohnung ausgeübt wird", im Sinne des Punktes X der Wohnungseigentumsverträge darstellt. Daß in den die Nachbarhäuser betreffenden Verträgen nach einer entsprechenden Vertragsklausel ua eine Ordination als Beispielsfall angeführt wurde, macht keinen entscheidenden Unterschied, weil damit nur Selbstverständliches ausgesagt wurde. Daß bisher alle Objekte zu Wohnzwecken genutzt wurden, stellt noch keine Vertragsänderung dar. Eine Widmungsänderung wurde mit dem Betrieb einer Arztpraxis also überhaupt nicht vorgenommen, weshalb es auch keiner Genehmigung des Außerstreitrichters (auf Antrag des jeweiligen Wohnungseigentümers) samt Prüfung von Interessensbeeinträchtigungen bedurfte.

Im Hinblick auf die klare Vertragslage erweist sich das Unterlassungsbegehren der Kläger somit als nicht berechtigt. Die Urteile der Vorinstanzen waren daher im Sinne der Abweisung dieses Begehrens abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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