Spruch:
I. Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird teilweise Folge gegeben;
es werden der (im übrigen aufrecht bleibende) Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage 1 und das darauf beruhende Urteil, welches im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch, "wobei die Tat eine Schwangerschaft der Sara A***** zur Folge hatte", und in der darauf gegründeten rechtlichen Beurteilung der Tat als Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 2, Abs 2 zweiter Fall StGB sowie demzufolge auch in den Aussprüchen über die Strafe (einschließlich der Vorhaftanrechnung), über die Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg und über den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft aufgehoben;
im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen, dem aufgetragen wird, den unberührt gebliebenen Teil des Wahrspruchs der Entscheidung mitzugrunde zu legen (§ 349 Abs 2 StPO).
II. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im übrigen sowie die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsan- waltschaft werden verworfen.
III. Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und der öffentliche Ankläger - dieser auch mit seiner Beschwerde - auf die zu I. getroffene Entscheidung ver- wiesen.
IV. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die auf den erfolglos gebliebenen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde entfallenden Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Ramadan K***** (im zweiten Rechtsgang abermals) des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt, weil er Ende Jänner/Anfang Februar 1994 in Wien mit der am 2.März 1980 geborenen - sohin zur Tatzeit unmündigen - Sara A***** den außerehelichen Beischlaf unternommen hat, wobei die Tat eine Schwangerschaft der Genannten zur Folge hatte. Gemäß § 366 Abs 2 StPO wurde die Privatbeteiligte Sara A***** mit ihren Entschädigungsansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Ferner wies das Erstgericht den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht ab.
Hingegen wurde der Angeklagte zufolge Ver- neinung der auf das in Tateinheit begangene Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB gerichteten Haupt- frage 2 vom weiteren Anklagevorwurf, er habe Ende Jänner/Anfang Februar 1994 in Wien (zu ergänzen: außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB) Sara A***** mit Gewalt, nämlich durch Versetzen eines Schlages gegen den Kopf, zur Duldung des Beischlafs genötigt, - allerdings im Hinblick auf die von der Anklage angenommene Idealkonkurrenz verfehlt (vgl Mayerhofer StPO4 § 259 E 61 mwN) - gemäß § 336 StPO freigesprochen.
Die Geschworenen hatten die (anklagekonform gestellte) Hauptfrage 1 nach dem Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB bejaht, hingegen - wie erwähnt - die auf das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB gerichtete Hauptfrage 2 verneint. Weitere Fragen wurden ihnen nicht gestellt.
Die auf Z 3, 5 und 8 des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten richtet sich gegen den Schuldspruch. Der öffentliche Ankläger wendet sich mit seiner auf Z 8 leg cit gegründeten Nichtigkeits- beschwerde gegen den Freispruch des Angeklagten und strebt einen zusätzlichen Schuldspruch wegen "des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 StGB" an.
Beide Prozeßparteien fechten den Strafausspruch mit Berufung an; der Staatsanwalt beschwert sich auch gegen die Abweisung seines Antrages auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht.
Nur der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten (ON 102) kommt teilweise Berechtigung zu.
Mit dem nominell auf § 345 Abs 1 Z 3 (der Sache nach jedoch Z 4) StPO gestützten Einwand rügt der Beschwerdeführer, daß die (in der Hauptverhandlung zu Recht nicht verlesenen) Protokolle über die im Vorverfahren und im ersten Rechtsgang erfolgten Vernehmungen der Zeugin Sara A***** entgegen der Bestimmung des § 322 StPO in das Beratungszimmer der Geschworenen geschafft wurden (289/II), die somit bei ihrer Beratung auch in diese Vernehmungsprotokolle Einsicht nehmen konnten.
Rechtliche Beurteilung
Der bezeichnete Nichtigkeitsgrund wurde indes schon mangels Verlesung dieser nichtigen Urkunden in der Hauptverhandlung nicht verwirklicht. Da hingegen eine nach dem Inhalt des Verhandlungsprotokolls tatsächlich unterlaufene Verletzung des im § 322 StPO geregelten Vorganges im Katalog des § 345 Abs 1 Z 4 StPO nicht angeführt ist, kommt auch dieser Nichtigkeitsgrund nicht in Frage (13 Os 39/89, 14 Os 8/92); die der Ordnungsvorschrift des § 322 StPO widersprechende Überlassung von in der Hauptverhandlung (aus welchen Gründen immer) nicht verlesenen Vernehmungsprotokolle an die Laienrichter stellt auch keinen anderen Nichtigkeitsgrund dar (vgl Mayerhofer aaO § 322 E 2 mwN, § 345 Z 4 E 6). Von all dem abgesehen berufen sich die Laienrichter in ihrer - differenzierte Beweiswürdigungserwägungen enthaltenden - Niederschrift (§ 331 Abs 3 StPO) gar nicht auf die in Rede stehenden unverwertbaren Aussagen, sodaß außerdem unzweifelhaft erkennbar ist, daß dieser Vorgang keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß hatte.
Zu Unrecht erblickt der Angeklagte eine entscheidungswesentliche Beeinträchtigung seiner Verteidi- gungsrechte (Z 5) in der Abweisung mehrerer von seinem Verteidiger zunächst in der Hauptverhandlung vom 16. April 1997 gestellter (119 i verso/II) und in der Hauptverhandlung vom 23.April 1997 unverändert aufrecht erhaltener Beweisanträge (277 f/II) durch den Schwurge- richtshof.
Die begehrten Vernehmungen einerseits der Polizeibeamtin Barbara V*****, nach deren Bericht vom 27.Oktober 1994 Sara A***** auf Grund ihrer sehr guten körperlichen Entwicklung schon damals den Eindruck einer bereits Zwanzigjährigen erweckte (23/I), andererseits der Untersuchungsrichterin Dr.Christiana M*****, die in einem Aktenvermerk vom 3.Juli 1995 ihren persönlichen Eindruck festgehalten hatte, daß das Alter der Sara A***** infolge ihrer Erscheinung ("groß, stark entwickelt") keineswegs mit bloß 15 Jahren, sondern eher mit 17 oder 18 Jahren einzuschätzen sei (94/I), zielten auf die "Ermöglichung der Ausübung des Fragerechtes" dahin ab, "welche genauen Wahrnehmungen diese beiden genannten Zeuginnen bezüglich des äußeren Erscheinungsbildes seinerzeit 1994 und 1995 gemacht haben" (119 i verso/II).
Da nun schon dem Inhalt der (im wesentlichen aktenkonform wiedergegebenen) schriftlichen Vermerke der beiden Zeuginnen hervorgeht, daß die Verfasserinnen Sara A***** auf Grund ihrer eingehend beschriebenen äußeren Erscheinung für älter hielten als sie tatsächlich war, wäre es - um die Erheblichkeit der Beweisanträge prüfen zu können - Sache des Antragstellers gewesen, sogleich konkret darzutun, welche "genauen Wahrnehmungen" darüber hinaus von den Zeuginnen noch zu erfragen gewesen wären. Zufolge Unterlassung einer nach Lage der besonderen Dinge unbedingt notwendig gewesenen Spezifizierung seines Beweisantrages läuft das Begehren im Kern bloß auf die Aufnahme unzulässiger Erkundungsbeweise hinaus, durch deren Abweisung sich der Nichtigkeitswerber nicht für beschwert erachten kann (vgl Mayerhofer aaO § 281 Z 4 E 88 bis 90).
Aber auch der weitere Antrag des Angeklagten auf zeugenschaftliche Einvernahme des Atif G***** verfiel im Ergebnis zu Recht der Ablehnung (281/II).
Dieser Zeuge sollte bestätigen, daß die Schwester [der Sara A*****] Asma A***** ihm in einem Brief mitgeteilt hat, daß sie [Asma] nun 1995 maturiert habe, und ihn dabei gefragt habe, welche Universität sie im selben Herbst besuchen solle; ferner daß Sara und Asma A***** und deren Mutter in einem Gespräch [1994] erwähnt hätten, daß beide Töchter (Asma und Sara) im Folgejahr (1995) auf die Universität gehen würden (119 i verso iVm 277/II).
Den vorgebrachten Beweisthemen zufolge sollte der Zeuge G***** demnach von in den Jahren 1994 und 1995 erhaltenen Mitteilungen über (angebliche) Schulabschlüsse und beabsichtigte Universitätsstudien der Asma und Sara A***** berichten, die zwar für Atif G***** Schlüsse zugelassen hätten, daß Sara A***** damals nicht mehr im unmündigen Alter war. Dem Beweisantrag ist jedoch in keiner Weise zu entnehmen, welche Bedeutung die behaupteten Wahrnehmungen dieses Zeugen für die Meinungsbildung des Angeklagten K***** zur Tatzeit (Ende Jänner oder Anfang Februar 1994) über das wahre Alter des Mädchens gehabt haben sollten, der nach Ergebnissen des Beweisverfahrens andere Erkenntnisquellen über das Alter der Sara A***** hatte. Daher gebricht es auch diesem Antrag an der gebotenen Konkretisierung von Gründen für die vom Schwurgerichtshof vorzunehmende Tauglichkeitsprüfung, inwiefern der genannte Zeuge einen wesentlichen Beitrag zur sachdienlichen Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen beitragen hätte können.
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die Familie des Tatopfers hätte sich wegen der Schande eines vorehelichen Geschlechtsverkehrs gegen ihn "verschworen", und solcherart die ihn belastenden Aussagen in Zweifel zu setzen sucht, begibt er sich auf das ihm im Nichtigkeitsverfahren gegen kollegialgerichtliche Urteile verwehrte Gebiet des Versuches einer Bekämpfung der Beweis- würdigung.
Im bisher aufgezeigten Umfang war daher die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zu verwerfen.
Im Recht ist der Beschwerdeführer hingegen mit seiner Instruktionsrüge (Z 8), sodaß es nicht notwendig ist, auch auf die - dasselbe Rechtsmittelziel verfolgenden (aller- dings unbegründeten) - Einwände in der Fragestellungsrüge (Z 6) einzugehen.
Die den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung weist bei den Erläuterungen des strafsatzerhöhenden Umstandes der Schwangerschaft des Opfers als Folge des unternommenen Beischlafs tatsächlich eine Unvollständigkeit auf, welche im vorliegenden Fall einer Unrichtigkeit gleichkommt. Sie beschränkt sich nämlich im Ergebnis nur auf die Zitierung der gesetzlichen Regelung des § 206 Abs 2 zweiter Fall StGB, weshalb sie geeignet war, die juristisch unerfahrenen Laienrichter in Irrtum darüber zu führen, daß diese Qualifikation nicht bloß eine verschuldensunabhängige Erfolgshaftung des Täters darstellt. Insoweit wäre daher in der Rechtsbelehrung zu erläutern gewesen, daß die aktuelle Tatfolge als strafsatzändernde Qualifikation dem Täter gemäß § 7 Abs 2 StGB nur dann zugerechnet werden kann, wenn er sie wenigstens fahrlässig herbeigeführt hat (Leukauf/Steininger Komm3 § 206 RN 9). Damit wäre es im gegebenen Zusammenhang auch geboten gewesen, die Begriffsmerkmale der Fahrlässigkeit zu erläutern (vgl Mayerhofer aaO § 312 E 19 a, 21).
In diesem Umfang ist die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten sonach erfolgreich.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft
(ON 104):
Eine Unrichtigkeit der vom Vorsitzenden ver- faßten Rechtsbelehrung (Z 8) erblickt die Beschwerdeführerin in den Ausführungen, daß die Begehung einer Vergewaltigung an Sara A***** mit schwerer Gewalt, nämlich durch Verabreichung eines Betäubungsmittels "bzw" durch Versetzen eines (Bewußtlosigkeit des Tatopfers bewirkenden) Schlages gegen den Kopf, wegen der unangefochten gebliebenen, durch die Geschworenen bereits im ersten Rechtsgang erfolgten Verneinung der darauf gerichteten Hauptfrage 1 nicht mehr Gegenstand des Verfahrens im zweiten Rechtsgang sei; dadurch seien nach Auffassung des öffentlichen Anklägers, welche im Gegensatz dazu eine solche Begehungsweise auch im nunmehrigen Verfahrensgang für verfahrensgegenständlich hält und ihr lediglich im Hinblick auf das Verbot der reformatio in peius die Eignung zur Bewirkung einer Verurteilung wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB abspricht, die Geschworenen über die Grundlagen des inkriminierten Deliktes nach § 201 Abs 2 StGB getäuscht worden, weil sie "Getränk bzw insbesondere Schlag" als Urteilsgrundlage ausschließen mußten; bei sachgerechter Rechtsbelehrung hätten sie aber auch die Hauptfrage 2 bejaht.
Dieser Beschwerdeeinwand, welcher allein an die allgemeinen einleitenden Ausführungen der Instruktion anknüpft und die besonderen Darlegungen zur Hauptfrage 2 unbeachtet läßt, geht fehl. Für seine Erledigung genügt der Hinweis, daß die Rechtsbelehrung - der Beschwerde zuwider - keine Passage enthält, wonach die Bejahung der - im zweiten Verfahrensgang - in der Hauptfrage 2 bezeichneten Gewaltan- wendung (Versetzen eines Schlages gegen den Kopf) trotz einer diesbezüglichen Überzeugung der Geschworenen nicht in Betracht kommen sollte. Die Nichtigkeitswerberin unterstellt somit der Belehrung einen Inhalt, der ihr nicht einmal andeutungsweise zu entnehmen ist, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen war.
Die Nichtaufnahme einer Schuldfrage nach dem Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB in das Fragenschema hinwieder war allein schon deshalb geboten, weil die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 16.Jänner 1997, GZ 15 Os 200, 201/96-6, den im ersten Rechtsgang ergangenen (unangefochten gebliebenen) diesbezüglichen Wahrspruch zur verneinten Hauptfrage 1 ausdrücklich aufrechtgelassen und nur den Wahrspruch bezüglich der Schuldfragen in Richtung der (idealkon- kurrierenden) Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB aufgehoben hat. Demnach war eine nochmalige Verhandlung und Entscheidung bloß im Umfang dieser Kassation zulässig, ohne daß sich diese Einschränkung aus dem Umfang der Urteilaufhebung im ersten Rechtsgang oder aus dem Aspekt des Verschlechterungsverbots ergab.
Sonach war in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, jedoch unter Verwerfung jener des öffentlichen Anklägers wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.
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