OGH 9Ob290/97f

OGH9Ob290/97f22.10.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer, Dr. Steinbauer, Dr. Spenling und Dr. Hradil als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr. Heribert Schar ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei T***** HandelsgesmbH, *****, vertreten durch Dr. Günther Riess, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 714.394,19 sA (Rekursinteresse S 563.684,78 sA), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 25. Juni 1997, GZ 4 R 120/97x-11, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Die von der beklagten Partei erhobene Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 17.950,68 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin S 2.991,78 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Der in der Revisionsrekursbeantwortung enthaltene Antrag, die Klage zur Gänze zurückzuweisen, wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 21.546,93 bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin S 3.591,15 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Gegenstand sowohl des Vorprozesses 10 Cg 311/94i des Erstgerichtes als auch dieses Verfahrens waren von der damals beklagten und nun klagenden Partei behauptete Ansprüche aus Verlegearbeiten in einem Einkaufszentrum als Subunternehmer der damals klagenden und jetzt beklagten Partei. Im Vorprozeß hatte die dort klagende und jetzt beklagte Partei von ihrer Gegnerin S 897.861,68 sA begehrt. Sie habe der (damals) beklagten (und nun klagenden) Partei eine Akontozahlung von S 1,3 Mio geleistet, die ihr - weil die Abrechnung der Arbeiten einen geringeren Werklohn ergeben habe und die erbrachte Leistung mangelhaft sei - im Umfang des Klagebetrages zurückzuzahlen sei. Die damals beklagte und jetzt klagende Partei wendete ein, ihre Leistungen ordnungsgemäß erbracht zu haben. Sie bezifferte ihre Ansprüche mit insgesamt S 1,863.684,78, weshalb ihr über die bereits erhaltene Akontozahlung weitere S 563.684,78 zustünden, die sie als Gegenforderung einwende. Mit Urteil vom 24. 7. 1995 erkannte das Erstgericht im Vorprozeß die Klageforderung mit S 885.861,30 als zu Recht, die Gegenforderung aber als nicht zu Recht bestehend und verpflichtete die (damalige) Beklagte, der (damaligen) Klägerin S 885.861,30 sA zu zahlen. Das Gesamtausmaß der von der (damaligen) Beklagten erbrachten Arbeiten bewertete es mit S 884.034,02 und errechnete unter Berücksichtigung von der Leistung anhaftenden Mängeln eine Werklohnforderung von S 414.128,72. Mit der Akontozahlung von S 1,3 Mio habe die (damalige) Klägerin daher eine Überzahlung in Höhe des Zuspruches geleistet. Die von der (damaligen) Beklagten zum Nachweis ihrer Gegenforderung angebotenen Beweise hatte das Erstgericht nicht aufgenommen, weil diese Forderung von der (damaligen) Beklagten nicht nachvollziehbar aufgeschlüsselt worden sei. Es erachtete als nicht feststellbar, ob die (damalige) Beklagte über die festgestellten Arbeiten hinaus weitere Arbeiten erbracht habe.

Nunmehr begehrt die im Vorprozeß Beklagte als Klägerin von ihrer Gegnerin S 714.349,19 sA. Sie bezifferte ihren aus dem Bauvorhaben resultierenden Gesamtanspruch nunmehr mit (nurmehr) S 1,775.235,01 sA. Hievon seien ihr im Vorprozeß, in dem über ihre Arbeiten lediglich aufgrund der Angaben ihrer Gegnerin entschieden worden sei, nur S 884.034,02, unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer daher S 1,060.840,82, zugestanden worden. Die nun begehrte Differenz betreffe ihre im Vorprozeß nicht geltend gemachten Arbeiten; sie habe erst jetzt die nötigen Unterlagen für eine Gesamtabrechnung erhalten.

Die (nunmehrige) Beklagte erhob ua die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache. Die Klageforderung sei ident mit der im Vorprozeß erhobenen Gegenforderung, über die bereits rechtskräftig abgesprochen worden sei. In Höhe der im Vorprozeß zugesprochenen S 885.861,30 stehe daher die Rechtskraftwirkung der Vorentscheidung Ansprüchen der (nunmehrigen) Klägerin entgegen, sodaß die auf Zuspruch von S 714.394,19 sA gerichtete Klage zurückzuweisen sei. Die mit der Gegenforderung des Vorprozesses geltend gemachten Ansprüche seien mit den nunmehr geltend gemachten ident; die nunmehr geltende gemachten Beträge seien sogar geringer als jene des Vorprozesses.

Das Erstgericht wies die Klage im Umfang von S 563.684,78 zurück. In dieser Höhe decke sich der nunmehr geltend gemachte Betrag mit der im Vorprozeß eingewendeten und mit Rechtskraftwirkung entschiedenen Gegenforderung. Insofern liege daher das Prozeßhindernis der entschiedenen Sache vor.

Das nur von der Klägerin angerufene Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es stellte aus den im Akt erliegenden Urkunden fest, daß die im Vorprozeß von der damaligen Beklagten und nunmehrigen Klägerin nicht näher aufgeschlüsselt geltend gemachten Arbeiten nunmehr - detailliert aufgeschlüsselt - Gegenstand der nunmehrigen Klage seien. Die Rechtskraftwirkung der Entscheidung des Vorprozesses über die Gegenforderung stehe der selbständigen Einklagung dieser Forderung entgegen. Diese "Einmaligkeitswirkung" bestehe aber nur soweit, als zwischen den Parteien ein gleiches Begehren anhängig gemacht werde, also nur im Umfang der Gegenforderung des Vorprozesses. Dies übersehe die Beklagte mit ihrem in der Rekursbeantwortung eingenommenen Standpunkt, daß die Rechtskraftwirkung die gesamte Forderung der (nunmehrigen) Klägerin umfasse, weil sie in ihrer Gesamtheit Gegenstand des Vorprozesses gewesen sei. Das Klagebegehren des Vorprozesses sei aber mit dem nunmehrigen Begehren nicht ident, sodaß insofern keine "Einmaligkeitswirkung" bestehe. Soweit die (materielle) Rechtskraft nur als Bindungswirkung auftrete, komme es aber nicht zur Zurückweisung der Klage. Vielmehr sei eine neuerliche Sachentscheidung - jedoch unter Bindung an die rechtskräftig beurteilte Vorfrage - zu treffen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil sich das Rekursgericht an der Rechtsprechung des OGH orientiert habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß iS des Auftrages an das Erstgericht, das Verfahren durchzuführen, abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben, hilfsweise, aus Anlaß des Rekurses die gesamte Klage zurückzuweisen bzw. den Vorinstanzen diese Rechtsansicht zu überbinden.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil die angefochtene Entscheidung nicht mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in Einklang steht. Er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie das Rekursgericht richtig erkannt hat, ist zwischen der (hier maßgebenden) Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft, die eine neuerliche Verhandlung und Entscheidung über die bereits entschiedene Hauptfrage verhindert, und der Bindungswirkung zu unterscheiden, die den Folgeprozeß zwar nicht unzulässig macht, dem Richter des Folgeprozesses aber verbietet, die im Vorprozeß - als Hauptfrage - rechtskräftig entschiedene Vorfrage selbständig zu beurteilen (Rechberger in Rechberger, ZPO, Rz 3 zu § 411; JBl 1994, 482; SZ 52/151 ua). Die Einmaligkeitswirkung liegt nur dann vor, wenn der Streitgegenstand der neuen Klage und der Urteilsgegenstand des schon vorliegenden Urteiles gleich sind, also sowohl das Begehren inhaltlich dasselbe (oder bloß ein quantitatives Minus) fordert, was bereits rechtskräftig zuerkannt oder aberkannt wurde, als auch - unter Zugrundelegung der zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie - die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen den im Prozeß festgestellten entsprechen. Dasselbe gilt, wenn das begriffliche Gegenteil (aber nur die reine Negation) des rechtskräftig entschiedenen Anspruches begehrt wird (Rechberger aaO Rz 7 u. 8; JBl 1994, 482 ua).

Im Vorprozeß war zwar aufgrund des Klagebegehrens und der dagegen eingewendeten Gegenforderung der gesamte zwischen den Parteien strittige Bereich der Forderung der nunmehrigen Klägerin Verfahrensgegenstand. Ausschlußwirkung könnte aber - wie das Rekursgericht richtig erkannt hat - nur der Entscheidung über die Gegenforderung (soweit sie mit der nunmehrigen Klageforderung ident ist) zukommen, weil die Entscheidung über die seinerzeitige Klageforderung mit dem nunmehrigen Begehren nicht ident ist und auch nicht dessen begriffliches Gegenteil darstellt.

Daß die Entscheidung über den Bestand oder Nichtbestand einer vom Beklagten eingewendeten Gegenforderung die Rechtskrafteinrede begründet, entspricht der Rechtsprechung (SZ 68/31; RS-Justiz RS0041281). Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Erhebung der in Rede stehenden Gegenforderung inhaltlich von vornherein verfehlt war: Die Klageforderung des Vorprozesses zielte auf Rückzahlung der durch die Leistung der damals Beklagten nicht gedeckten Differenz auf die bereits angezahlten S 1,300.000,- ab. Dagegen eine Gegenforderung auf Bezahlung des S 1,300.000 übersteigenden Werklohnes einzuwenden, war sinnlos, weil bei Zutreffen des klägerischen Standpunktes die Gegenforderung nicht berechtigt sein konnte bzw. im Falle der Berechtigung der Gegenforderung die Klageforderung nicht zu Recht bestehen konnte, sodaß eine stattgebende Entscheidung über die Gegenforderung von vornherein nicht möglich war. Dessenungeachtet kann bei der Beurteilung der Ausschlußwirkung der Entscheidung über die Gegenforderung nur auf den tatsächlichen Inhalt des erstgerichtlichen Urteiles abgestellt werden.

Im Sinne der oben dargestellten Rechtslage kann aber die Einmaligkeitswirkung der Entscheidung über die Gegenforderung von vornherein nur zum Tragen kommen, soweit die Gegenforderung des Vorprozesses mit der nunmehrigen Klageforderung ident ist, was aber nur teilweise der Fall ist:

Im Vorprozeß hatte die dort beklagte und jetzt klagende Partei ihre Ansprüche mit insgesamt S 1,863.684,78 beziffert. Ihre damals eingewendete (und rechtskräftig verneinte) Gegenforderung von S 563.684,78 stellte die Differenz zwischen der behaupteten Gesamtforderung und einer Anzahlung ihrer Gegnerin von S 1,300.000,-

dar. Im nunmehrigen Verfahren beziffert die Klägerin (Beklagte des Vorprozesses) ihre Ansprüche mit insgesamt nur mehr S 1,775.235,01, also um S 88.449,77 niedriger als im Vorprozeß. Die von ihr nunmehr geltend gemachten S 714.349,19 sA stellen die Differenz zwischen dem im Vorprozeß erfolgten Zuspruch an ihre Gegnerin (zuzüglich Ust) und ihrer nunmehr behaupteten Gesamtforderung dar. Damit wird aber deutlich, daß die Gegenforderung des Vorprozesses mit der nunmehrigen Klageforderung nur teilweise ident ist. In der (als nicht zu Recht bestehend erachteten) Gegenforderung sind nämlich auch jene S 88.449,77 enthalten, um die die nunmehrige Klägerin ihre Ansprüche mittlerweile reduziert hat. Im Umfang dieser S 88.449,77 ist daher die Gegenforderung mit der nunmehrigen Klageforderung nicht ident. Die Ausschlußwirkung der Vorentscheidung könnte daher von vornherein nur hinsichtlich des restlichen Teiles der Gegenforderung bestehen, also hinsichtlich S 475.235,01.

Auch in diesem Umfang erweist sich aber die Zurückweisung der Klage als unzutreffend:

Die Gegenforderung wurde im Vorprozeß deshalb als nicht zu Recht bestehend festgestellt, weil der Erstrichter diese Forderung nicht "als nachvollziehbar und schlüssig" geltend gemacht ansah und deswegen die von der damals Beklagten angebotenen Beweise zum Nachweis dieser Forderung nicht aufnahm. Die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache ist aber nach ständiger Rechtsprechung dann nicht begründet, wenn die Klage des Vorprozesses mangels Schlüssigkeit abgewiesen wurde und die neue Klage nunmehr schlüssig ist (Ris-Justiz RS0041402). Nichts anderes kann bei der Beurteilung der Ausschlußwirkung der Entscheidung über eine Gegenforderung gelten: Wurde daher - wie hier - die Gegenforderung wegen Unschlüssigkeit nicht als zu Recht bestehend anerkannt, kann der klageweisen Geltendmachung dieser nunmehr schlüssig begründeten Forderung die Einwendung der rechtskräftig entschiedenen Sache nicht entgegen gehalten werden. Daran ändert auch nichts, daß das Erstgericht im Vorprozeß über die dort festgestellten Arbeiten der dort Beklagten hinausgehende Arbeiten als nicht feststellbar erachtete. Soweit diese Feststellung die Gegenforderung betrifft, wurde sie unter Hinweis auf die Unschlüssigkeit des Vorbringens zur Gegenforderung und auf das dadurch bedingte Unterbleiben der Aufnahme der von der (damals) Beklagten beantragten Beweise getroffen. Die Gegenforderung wurde daher wegen der Unschlüssigkeit des zu ihrer Begründung erstatteten Vorbringens als nicht zu Recht bestehend festgestellt, sodaß iS der dargestellten Rechtsprechung die klageweise Geltendmachung dieser Forderung mit nunmehr schlüssigen Behauptungen möglich ist.

Die in der Revisionsrekursbeantwortung ins Treffen geführte Rechtsprechung, wonach im Falle der rechtskräftigen Stattgebung einer auf einen bestimmten Rechtsgrund gestützten Klage in einem Folgeprozeß zwischen denselben Parteien der Einwendung weiterer im Vorprozeß nicht vorgebrachter (oder nicht bewiesener), aber damals bereits entstandener Tatsachen durch den Beklagten das Prozeßhindernis der Rechtskraft entgegensteht (JBl 1996, 525 ua), steht mit dem hier erzielten Ergebnis nicht in Widerspruch, weil es hier nicht um weitere Einwendungen der nunmehrigen Klägerin gegen den im Vorprozeß rechtskräftig bejahten Anspruch der nunmehrigen Beklagten, sondern um die Rechtskraftwirkung einer im Vorprozeß geltend gemachten, mit der damaligen Klageforderung nicht identen Gegenforderung geht. Diese Gegenforderung wurde aber wegen Unschlüssigkeit abgewiesen, weshalb - wie dargelegt - ihre klageweise Geltendmachung mit nunmehr schlüssigen Behauptungen möglich ist.

Wie weit im Hinblick auf die Bindungswirkung der im Vorprozeß getroffenen Entscheidung über das Klagebegehren in der im nunmehrigen Verfahren zu treffenden Entscheidung eine neuerliche Beurteilung möglich ist, ist hier nicht zu prüfen.

Eine Sachentscheidung über den in der Rekursbeantwortung enthaltenen Eventualantrag auf gänzliche Zurückweisung der Klage ist nicht möglich, weil die Beklagte die Entscheidung des Erstgerichtes über die (nur) teilweise Zurückweisung der Klage - und damit inhaltlich über die teilweise Abweisung der Einrede der Rechtskraft - nicht bekämpft hat. Dieser Eventualantrag ist daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten zweiter und dritter Instanz gründet sich - die Klägerin ist in einem Zwischenstreit siegreich geblieben - auf die §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. In erster Instanz sind keine gesonderten Kosten des Verfahrens über die Prozeßeinrede der Beklagten entstanden.

Stichworte