OGH 10ObS360/97g

OGH10ObS360/97g15.10.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfiitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wilhelm Hackl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helmut P*****, vertreten durch Dr.Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.Juni 1997, 8 Rs 106/97p-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15.Jänner 1997, GZ 21 Cgs 246/95i-28, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen die mit S 4.058,88 (hierin enthalten S 676,48 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 14.7.1945 geborene Kläger arbeitete nach Absolvierung der Pflichtschule zunächst von 1962 bis 1965 als KFZ-Mechanikerlehrling, wobei er die Lehrabschlußprüfung mit Erfolg ablegte. In weiterer Folge war er bis 1980 als KFZ-Mechaniker sowie in den letzten vier Jahren als KFZ-Schlosser tätig. Von 1981 bis 1995 war er schließlich als KFZ-Kundendienstberater berufstätig und Vorgesetzter von neun Mitarbeitern. Seither ist er ohne Beschäftigung und steht derzeit im Bezug einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung. Beim zuletzt ausgeübten Beruf eines KFZ-Kundendienstberaters handelt es sich in der Regel um gelernte KFZ-Mechaniker mit praktischer Erfahrung, abhängig von der Größe und jeweiligen Organisation des Betriebes. Sie werden insbesondere in größeren KFZ-Werkstätten eingesetzt, wobei ihre Hauptaufgabe in der Auftragsannahme von Kunden mit technischen Problemen ihrer Kraftfahrzeuge besteht. Sie besichtigen die Fahrzeuge, versuchen erste Beurteilungen vorzunehmen, beraten bei dieser Gelegenheit die Kunden, geben Kostenschätzungen bezüglich erforderlicher Reparaturen ab, erstellen auch verbindliche schriftliche Kostenvoranschläge, halten die Art der durchzuführenden Reparaturen in schriftlicher Form als Auftrag fest, leiten diese an den Werkstättenleiter weiter, treffen Terminvereinbarungen, übergeben nach erfolgter Reparatur die Fahrzeuge wieder an die Kunden, sind teilweise auch mit der Endkontrolle betraut und führen unter Umständen auch Probefahrten durch.

Aufgrund der vom Erstgericht im einzelnen festgestellten Leidenszustände (schwerpunktmäßig Herzrhythmusstörung, deformierende Spondylose der Brust- und Lendenwirbelsäule, Zustand nach Kniegelenksoperation rechts samt Spreizfuß) sind dem Kläger nur noch leichte Arbeiten zu ebener Erde zumutbar; mittelschwere und schwere Arbeiten scheiden aus. Die Tätigkeiten sind im Sitzen, Gehen und Stehen mit gelegentlichem Haltungswechsel zumutbar; ebenso Arbeiten feinerer Natur mit den Händen sowie das Bedienen von EDV-Anlagen, Telefonanlagen und ähnlichen. Der Überkopfgriff ist möglich; auch eine Steighilfe kann verwendet werden, sofern sich der Kläger anhalten kann. Hebe- und Tragearbeiten sollten nicht mehr als zwei Stunden eines Arbeitstages betragen; Nässe und Kälteexposition sind zu vermeiden. Ebenso sind nicht zumutbar Arbeiten in nach vorne gebeugter oder gebückter Körperhaltung sowie Arbeiten in knieender und hockender Stellung oder Tätigkeiten auf unebenem Boden, Geländern, Stiegen, Treppen und Leitern. Überkopfarbeiten scheiden aus. Die Tätigkeiten sollen in geschlossenen Räumen ausgeübt werden.

Soweit Akkord- und Fließbandarbeiten ausscheiden, sind dem Kläger nur mehr leichtere Arbeiten im normalen Arbeitstempo zumutbar. Krankenstände von insgesamt von sechs Wochen pro Jahr sind zu erwarten.

Mit Bescheid vom 19.6.1995 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 8.2.1995 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab.

In seiner Klage stellte der Kläger das Begehren auf Gewährung derselben in der gesetzlichen Höhe ab dem gesetzlichen Stichtag sowie auf Zuerkennung einer vorläufigen Leistung von S 14.000 monatlich.

Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei zur Zahlung der Berufsunfähigkeitspension in der gesetzlichen Höhe ab dem 1.3.1995 sowie zur Erbringung einer vorläufigen Leistung in der Höhe von S 14.000 monatlich bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides. Es beurteilte den eingangs (zusammengefaßt) wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahingehend, daß der Kläger aufgrund seines Leistungskalküles nicht mehr in der Lage sei, seine Tätigkeit als KFZ-Kundendienstberater weiter auszuüben und der berufskundliche Sachverständige keine Verweisungstätigkeiten nennen habe können, die mit diesem Leistungskalkül in Einklang zu bringen seien. Der Kläger sei daher im Sinne des § 273 ASVG berufsunfähig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Abweichend vom Erstgericht führte das Berufungsgericht (in rechtlicher Hinsicht) aus, daß für den Kläger der Verweisungsberuf eines Fakturisten offenstehe; dessen Berufsbild sei allgemeinkundig und finde sich sowohl im Kollektivvertrag der Handelsangestellten als auch jenem für Angestellte des Gewerbes und der Industrie. Es handle sich hiebei um einfache Tätigkeiten, deren Bewältigung trotz ihres teilweise kaufmännischen Charakters dem Kläger nach kurzer Einarbeitungszeit möglich sein müsse, da allein seine Angestellteneigenschaft auf die Fähigkeit zur Bewältigung höherer Aufgabenstellungen hinweise. Es sei auch allgemeinkundig, daß Fakturisten mit normalem Arbeitstempo das Auslangen fänden und in ganz Österreich zumindest 100 Arbeitsplätze vorhanden seien, bei denen ein forciertes Arbeitstempo zumindest zu den seltenen und daher unbeachtlichen Ausnahmefällen zähle. Damit sei der Kläger aber nicht berufsunfähig im Sinne des § 273 ASVG.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen ist davon auszugehen, daß für den Kläger nur ein einziger Verweisungsberuf, nämlich der eines - vom Berufungsgericht ohne Beweisergänzung oder -wiederholung von Amts wegen aus dem Gutachten des berufskundlichen Sachverständigen herangezogenen - Fakturisten leistungskalkülmäßig offensteht. Hiebei handelt es sich aber um einen ausschließlich kaufmännischen Beruf (siehe hiezu ausführlich Berufslexikon des Arbeitsmarktservice Österreich, Band 2/1997, 137 f). Der Kläger war jedoch von seiner Ausbildung und maßgeblichen Tätigkeit als KFZ-Kundendienstberater (entsprechend den Feststellungen der Vorinstanzen) in einem Beruf mit weit überwiegender technischer Qualifikation tätig. Eine solche Verweisung auf eine völlig anders gelagerte Sparte hat der Oberste Gerichtshof jedoch bislang nicht für zulässig erachtet. Auch in der Entscheidung 10 ObS 2045/96z wurde bei einem Kundendienstleiter und -berater mit weit überwiegender technischer Qualifikation eine Verweisung nur auf den Beruf eines Garantiesachbearbeiters für zulässig (und ohne sozialen Abstieg zumutbar) erachtet, weil es sich auch beim Verweisungsberuf um einen eindeutig technischen Beruf handelte. Demgemäß kann es aber auch unerörtert bleiben (zumal auch die Revision hiezu keine Ausführungen enthält), ob nicht der Anspruch des Klägers unter Umständen nach dem Invaliditätsbegriff des § 255 Abs 1 ASVG zu beurteilen wäre, weil er trotz seiner Versicherung als Angestellter allenfalls eine Arbeitertätigkeit (mit Berufsschutz) verrichtet hat (vgl SSV-NF 10/46).

Da die Sozialrechtssache somit im Sinne der Klagsstattgebung bereits entscheidungsreif ist, war in Stattgebung der Revision das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die von diesem zuerkannte vorläufige Zahlung nach § 89 Abs 2 ASGG entsprach in ihrer Höhe dem Antrag des Klägers in erster Instanz, sodaß sich auch hiezu weitergehende Ausführungen erübrigen.

Die Kostenentscheidung ist in § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG begründet.

Stichworte