Spruch:
Dem Rekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Das Urteil des Erstgerichtes wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, daß es zu lauten hat:
Es wird festgestellt, daß die von der beklagten Partei dem Kläger aufgrund der Arbeitsunfälle vom 23.6.1983 und 11.2.1993 gewährte Versehrtenrente für die weitere Dauer der Unterbrechung des Maßnahmenvollzuges nach § 21 Abs 2 StGB ab dem 10.Dezember 1995 nicht ruht.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 676,48 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 22.4.1996 anerkannte die Beklagte in Punkt 1. den Unfall vom 1.2.1993 als Arbeitsunfall und den Anspruch auf Versehrtenrente ab 21.3.1993 an. Für die Folgen dieses Unfalles sowie eines Unfalles vom 23.6.1983 werde eine Gesamtrente als Dauerrente gemäß § 209 Abs 1 ASVG gewährt. Im Punkt 2. des Bescheides stellte die Beklagte die Versehrtenrente vom 22.6.1994 bis 31.1.1995 bzw die Gesamtdauerrente ab 1.2.1995 für die Dauer der Strafhaft bzw für die weitere Dauer der Anhaltung in der Maßnahme gemäß § 21 Abs 2 StGB ruhend.
Vom 26.Februar 1994 bis 21.Juni 1994 befand sich der Kläger in Untersuchungs-, danach bis 26.Mai 1995 in Strafhaft. Unmittelbar daran anschließend war er bis zum Ablauf des 9.Dezember 1995 im Landeskrankenhaus R***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher im Sinne des § 21 Abs 2 StGB untergebracht. Bei der Verurteilung rechnete ihm das Schöffengericht die erlittene Untersuchungshaft auf die verhängte Freiheitsstrafe von 15 Monaten zur Gänze an. Mit Beschluß des Landesgerichtes F***** vom 7.11.1995 wurde erstmals die Unterbringung des Klägers in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher in der Zeit vom 10.12.1995 bis 9.1.1996 unterbrochen. Ab diesem Zeitpunkt wurde - zumindest bis zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz - jeden Monat regelmäßig vom Vollzugsgericht ein gleichartiger Beschluß für den Folgemonat gefaßt.
Der Kläger begehrt die Auszahlung der Versehrtenrente aufgrund der beiden Unfälle für die weitere Dauer der Unterbrechung des Maßnahmenvollzuges.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger nach wie vor in der Ansatlt angehalten werde.
Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, dem Kläger aufgrund der Folgen der Arbeitsunfälle vom 23.Juni 1983 und vom 21. März 1993 (richtig 1.2.1993) für die Zeit ab dem 10.Dezember 1995 eine Versehrtenrente von 70 vH der Vollrente als Dauerrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.
Es vertrat die Rechtsansicht, daß der Kläger, der sich auch noch seit dem 10.Dezember 1995 stationär im Landeskrankenhaus R***** befindet und dort therapeutisch behandelt wird, dort nächtigt und auch dort stationär verpflegt wird, nicht mehr als "angehalten" im Sinne des § 89 ASVG anzusehen sei.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht. Es teilte zwar die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß nicht allein die Tatsache, daß der Maßnahmenvorzug aufrecht sei, die Beurteilung der Person als "angehalten" zulasse. Damit eine Person als angehalten gelte, müsse sie gegen ihren Willen in einer Anstalt untergebracht und verwahrt sein. Dabei sei nicht entscheidungswesentlich, ob der therapeutische Zweck im Vordergrund stehe oder nicht, weil gerade die therapeutische Behandlung beim Maßnahmenvollzug von wesentlicher Bedeutung sei. Die Rechtssache sei noch nicht entscheidungsreif, weil sich den Feststellungen nicht entnehmen lasse, ob sich der Kläger freiwillig im Landeskrankenhaus aufhalte oder sich trotz der Unterbrechung gegen seinen Willen in dieser Anstalt, wenn auch im "gelockerten" Vollzug" aufhalten müsse. Im fortzusetzenden Verfahren sei abzuklären, ob sich der Kläger freiwillig oder gerichtlich verfügt nach wie vor stationär in der Anstalt befinde.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Rekurs gegen diese Entscheidung zulässig sei.
Gegen den Aufhebungsbeschluß richtet sich der Revisionsrekurs (richtig Rekurs) der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Die beklagte Partei stellt in der Rekursbeantwortung den Antrag, dem Rekurs der klagenden Partei nicht Folge zu geben.
Der Rekurs des Klägers ist berechtigt, weil es auf die Frage, ob sich der Kläger freiwillig oder über gerichtliche Verfügung im Landeskrankenhaus Rankweil aufhält, nicht ankommt.
Rechtliche Beurteilung
§ 89 Abs 1 Z 1 ASVG normiert ein Ruhen der Leistungsansprüche in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung für die Dauer der Verbüßung einer Freiheitsstrafe oder der Anhaltung des Anspruchsberechtigten in den Fällen der §§ 21 Abs 2, 22 und 23 StGB, sohin in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher, für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher und für gefährliche Rückfallstäter (Teschner/Widlar ASVG 61.ErgLfg, 529).
Über die Anordnung der Anstaltsunterbringung nach § 21 Abs 2 StGB, sohin bei zurechnungsfähigen Rechtsbrechern ist zugleich und neben dem Strafausspruch im Urteil zu entscheiden. Die Anordnung der Unterbringung bildet einen Teil des Strafausspruches. Die auf unbestimmte Zeit angeordnete Unterbringung ist auf die Strafe anzurechnen (Leukauf/Steininger KommzStGB3 Rz 25 zu § 21; Eder-Rieder, Die freiheitsentziehenden vorbeugenden Maßnahmen 94).
Die Unterbrechung der Unterbringung ist in § 166 Z 2 StVG geregelt, wobei § 99 StVG mit den in § 166 Z 2 StVG angeführten Maßgaben dem Sinne nach anzuwenden ist. Nach § 99 Abs 4 StVG ist die Zeit der Unterbrechung in die Strafzeit einzurechnen. Eine Ausnahme ist für den Fall des Widerrufes und der nicht rechtzeitigen Rückkehr vorgesehen. Die sinngemäße Anwendung des § 99 StVG auf die Unterbrechung der Unterbringung hat zur Folge, daß die Unterbrechungszeit grundsätzlich wie Zeiten der Unterbringung und sohin der Anhaltung nach § 21 Abs 2 StGB letzten Endes auf die Strafzeit anzurechnen ist. Die Unterbringung in der Anstalt dient sowohl der Sicherung der Gesellschaft als auch der Resozialisierung des Täters (Triffterer, StGB Komm Rz 59 zu § 21) und ist daher solange zu vollziehen, wie es ihr Zweck erfordert (Leukauf/Steininger aaO Rz 27 zu § 21). Wenn daher der Zweck der Unterbringung nicht in der Strafzeit erreicht werden kann, sind nach deren Ablauf die Zeiten der im Strafurteil auf unbestimmte Zeit angeordneten Unterbringung (= Anhaltung) sowie auch die Unterbrechungszeiten Unterbringungszeiten, wenn sich auch erst im nachhinein herausstellt, ob sie letztlich einzurechnen sind. Die Bestimmung des § 99 Abs 4 StVG ist der Bestimmung des § 38 StGB über die Anrechnung der Vorhaft ähnlich.
Gemäß dem nach § 166 Z 2 StVG sinngemäß anzuwendenden § 99 Abs 1 Z 2 letzter Satz StVG darf eine Unterbrechung nur gewährt werden, wenn Unterkunft und Unterhalt des Strafgefangenen für die Zeit der Unterbrechung gesichert sind. Nach den Feststellungen nächtigt der Kläger im Landeskrankenhaus und wird dort stationär verpflegt. Nach § 167 a Abs 3 StVG trägt der Bund die Pflegegebühren (Kapferer/Steiner, Zur Unterbringung geistig abnormer Rechtsbrecher RdM 1995, 104), ohne daß diese Gesetzesbestimmung zwischen einer Unterbrechung nach § 21 Abs 1 und § 21 Abs 2 StGB unterscheidet. Der Angehaltene hat aber auch nach § 166 Z 1 StVG Anspruch auf ärztliche, insbesondere psychiatrische, psychotherapeutische, psychohygienische und erzieherische Betreuung.
Grund der Ruhensbestimmung bei Leistungen aus der Krankenversicherung im Falle der Haft war, daß während derselben Naturalleistungen ohnehin nicht erbracht werden können und für Geldleistungen die innere Begründung, nämlich den durch die Erkrankung verursachten Verlust des Arbeitsentgelts zu ersetzen, fehlt (Teschner/Widlar ASVG
61. ErgLfg 530; 599 BlgNR 7.GP, 40). Durch die Ruhenswirkung sollen Doppelleistungen vermieden werden (Nofz in Hauck, Sozialgesetzbuch SGB V, Rz 39, 46 zu K § 16). Das Ziel der Ruhensbestimmungen besteht darin, Leistungen nicht zu gewähren, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist. Der Grund für den Wegfall dieses Sicherungsbedürfnisses kann der Bezug einer anderen funktionsgleichen Leistung sein. Der Anspruch auf Leistung bleibt in diesem Fall bestehen, nur die Leistungspflicht wird für die Dauer des Ruhensgrundes sistiert (Schrammel in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 8.ErgLfg 169).
Dies trifft auf die Zeiten der Haftverbüßung sowie auf die Zeit der Anhaltung in einer in "§ 21 Abs 2, 22, 23 StGB angeführten Anstalten zu.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits zum Ruhen von Leistungsansprüchen
während der U-Haft ausgesprochen (SSV-NF 9/74), daß nach dem Wortlaut
des § 89 Abs 1 ASVG die Leistungsansprüche in allen Sparten ruhen,
solange der Anspruchsberechtigte.... eine Freiheitsstrafe ....
verbüßt (Z 1), in der Krankenversicherung überdies für die Dauer der
Untersuchungshaft (Z 2) oder .... angehalten wird. Schon aus der
Gegenüberstellung dieser Bestimmungen ergibt sich, daß die Leistungsansprüche aus der Unfall- und Pensionsversicherung für die Dauer der Untersuchungshaft nicht ruhen. § 89 ASVG, der das Ruhen eines erworbenen Leistungsanspruches anordnet, verbietet eine ausdehnende Auslegung. Eine solche würde aber vorgenommen, wenn die Untersuchungshaft als Strafhaft gewertet wird. Die Anrechnungsbestimmung des § 38 StGB ist eine strafrechtliche Bestimmung, durch die die Dauer der zu verbüßenden Freiheitsstrafe verkürzt wird. Diese strafrechtliche Anrechnungsbestimmung hat keinerlei Auswirkungen auf die Auslegung der Wortfolge "solange der Anspruchsberechtigte.... eine Freiheitsstrafe verbüßt" im § 89 Abs 1 ASVG, bei dem es sich um eine Norm des Sozialversicherungsrechts handelt. Solange sich der Anspruchsberechtigte in Verwahrungs- oder Untersuchungshaft befindet, verbüßt er keine Freiheitsstrafe.
Gleiche Überlegungen müssen auch für das in dieser Gesetzesstelle normierte Ruhen der Leistungsansprüche für die Zeiten der Anhaltung in einer in § 21 Abs 2, 22 und 23 StGB genannten Anstalten gelten.
Die Zeiten der Unterbrechung sind nach den §§ 166, 99 Abs 4 StVG in die Strafzeit einzurechnen, was aber nichts daran ändert, daß in der Zeit der Unterbrechung der Anspruchsberechtigte nicht angehalten wird und sich erst nach Bewilligung der Unterbrechung, sohin im nachhinein herausstellt, ob die Unterbrechung zu widerrufen ist, so daß erst danach feststeht, ob diese Zeiten nicht einzurechnen sind. Auch dies spricht so wie der Wortlaut der Bestimmung dafür, daß während der Zeit der unwiderrufenen Unterbrechung nicht angehalten wird.
Während bei Leistungen aus der Krankenversicherung das Sicherungsbedürfnis während der Untersuchungshaft weggefallen ist, ist dies bei Zeiten der Unterbrechung nicht der Fall. Diese Zeiten, zu welchem Zweck auch immer die Unterbrechung bewilligt wird, sind nicht Zeiten der Anhaltung, sondern werden nur, falls kein Widerruf erfolgt, in diese eingerechnet. Daher hat der Anspruchsberechtigte in Unterbrechungszeiten keinen Anspruch auf eine während der Anhaltung oder der Strafhaft gewährte funktionsgleiche Leistung. Sein Unterhalt und seine Versorgung, die durch den Mangel an Freizügigkeit während der hoheitlichen Freiheitsbeschränkung bei Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der Anhaltung in der Anstalt geleistet werden, lebt während der Unterbrechung im vollen Ausmaß auf; er hat selbst dafür zu sorgen. Dafür spricht, daß eine Unterbrechung nur gewährt werden kann (§ 99 Abs 1 Z 2 StVG), wenn Unterkunft und Unterhalt für diese Zeit gesichert sind. Dieser Bestimmung bedürfte es nicht, wenn die Unterbrechung der Unterbringung oder Anhaltung gleichzuhalten wäre, weil dann Unterkunft und Unterhalt ohnehin gesichert wären.
Es kommt daher nicht darauf an, ob der Kläger sich freiwillig oder unfreiwillig zur therapeutischen Behandlung im Landeskrankenhaus aufhält. Maßgeblich ist vielmehr ausschließlich die bewilligte Unterbrechung im Sinne der §§ 166, 99 StVG.
Der dem Verfahren zugrundeliegende Bescheid wurde nur im Ruhensausspruch (Pkt 2) angefochten und ist daher nur in diesem Umfang außer Kraft getreten (SSV-NF 1/18, 4/78, 10 ObS 295/92, 10 ObS 202/95). Im Umfang seines Punktes 1 (Anerkennung des Unfalles als Arbeitsunfall und des Anspruches auf Versehrtenrente sowie des Ausspruches über die Gesamtrente als Dauerrente), der sich inhaltlich vom angefochtenen Teil trennen läßt, hat im Sinne des § 71 Abs 1 ASGG ein Außerkrafttreten nicht stattgefunden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
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