OGH 6Ob70/97f

OGH6Ob70/97f25.9.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Univ.Doz.Dr.Hubertus S*****, Rechtsanwalt, ***** als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der P***** Baugesellschaft mbH, ***** wider die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, 6021 Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2, vertreten durch Dr.Hans-Peter Ullmann und Dr.Stefan Geiler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 1,354.081,61 S, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 19.November 1996, GZ 1 R 254/96d-17, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 29.Juli 1996, 14 Cg 41/96s-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 23.697,-- S (darin 3.949,50 S USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 13.12.1995 wurde über das Vermögen der P*****-Baugesellschaft mbH das Konkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt. Innerhalb der letzten 6 Monate vor Konkurseröffnung zahlte die Gemeinschuldnerin an die Beklagte folgende Beträge als Abschlag auf offene Beitragsforderungen:

21.8.1995 404.621,74 S

6.10.1995 460.960,93 S

10.11.1995 488.498,94 S

1.354.081,61 S

Gegen die Gemeinschuldnerin wurden bereits 1994 9 Exekutionen geführt, die sich 1995 mehrten. Die Beklagte führte in diesen beiden Jahren 13 Exekutionen zur Hereinbringung von im Durchschnitt 2 bis 3 Monate vor den Exekutionsanträgen fällig gewordenen monatlichen Sozialversicherungsbeiträgen, die sich in einer Höhe von je rund 70.000,-- S bis 550.000,-- S bewegten. Alle Exekutionen wurden nach Zahlung der Gemeinschuldnerin vor Durchführung eines Verwertungsverfahrens - überwiegend kam es nicht einmal zu Pfändungen - eingestellt. Zugunsten der Bauarbeiterurlaubskasse wurden 1995 8 Exekutionen bewilligt, daneben behingen im Jahr 1995 10 weitere Exekutionen anderer betreibender Parteien beim Bezirksgericht Silz. Ein halbes Jahr vor Konkurseröffnung waren zahlreiche offene Forderungen fällig, ebenso zu den Zeitpunkten der zwei weiteren Zahlungen. Ab Oktober 1995 erhielten die Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin keine Löhne und Gehälter mehr. Eine Rückfrage der Beklagten beim Bezirksgericht Silz hätte ergeben, daß auch die Bauarbeiterurlaubskasse und zahlreiche andere Gläubiger laufend Exekutionen führten. Eine Akteneinsicht in die von der Beklagten betriebenen Exekutionsverfahren, insbesondere in die Berichte des Vollstreckers und in das Exekutionsregister, hätten ergeben, daß zahlreiche andere Exekutionen vorhanden waren. Im Konkurs hat die Beklagte insgesamt rund 2,4 Mio S angemeldet. Der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin beantragte die Konkurseröffnung persönlich; als Gründe für die Insolvenz nannte er schlechte Auftragslage sowie den durch die Baukonjunktur und Konkurrenz durch Großfirmen bedingten Preisverfall. In der Masse befinden sich derzeit rund 800.000,-- S, die zur Befriedigung aller Gläubiger nicht ausreichen. Durch ein Obsiegen des Masseverwalters in diesem Verfahren kann sich die Quote der Gläubiger erhöhen.

Der Kläger begehrt die Rückzahlung von 1,354.081,61 S, gestützt auf die Anfechtungstatbestände des § 31 Abs 1 Z 2 und § 30 Abs 1 Z 3 KO. Die Beklagte habe zur Hereinbringung der Sozialversicherungsbeiträge bereits seit Jahren Exekutionen führen müssen, die Gemeinschuldnerin habe erst aufgrund der bewilligten Fahrnisexekutionen Zahlung geleistet. Die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Gemeinschuldnerin sei mindestens 1/2 Jahr vor Konkurseröffnung eingetreten und der Beklagten bekannt gewesen. Jedenfalls aber liege verschuldete Unkenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit vor, zumal sie aus den hohen Beträgen, zu deren Hereinbringung sie laufend Exekutionen habe führen müssen, bei Anwendung der gebotenen und zumutbaren Sorgfalt die Zahlungsunfähigkeit hätte erkennen müssen. Die exekutiv betriebenen Forderungen der Beklagten seien von der Gemeinschuldnerin in Begünstigungsabsicht bezahlt worden, um die Exekutionen zur Einstellung zu bringen und weitere Zwangsmaßnahmen, insbesondere Insolvenzanträge, zu verhindern. Durch die Zahlungen sei die Beklagte mit ihren Forderungen voll befriedigt worden, an andere Gläubiger habe nicht mehr geleistet werden können, daher liege einerseits Begünstigungsabsicht auf seiten der Gemeinschuldnerin vor, andererseits aber zumindest deren verschuldete Unkenntnis auf seiten der Beklagten. Die Anfechtung sei auch befriedigungstauglich.

Die Beklagte bestritt sowohl die Kenntnis als auch die fahrlässige Unkenntnis von einer allfälligen Zahlungsunfähigkeit und Begünstigungsabsicht; das Dienstgeberkonto der Gemeinschuldnerin sei völlig unauffällig gewesen. Bei exekutiven Schritten habe die Gemeinschuldnerin in den meisten Fällen, noch bevor es zu einer Pfändung gekommen sei, Zahlung geleistet. Daher habe die Beklagte nicht wissen können, ob gegebenenfalls noch weitere betreibende Gläubiger vorhanden seien. Bei dieser Sachlage sei sie auch zu weiteren Erkundungen nicht verpflichtet gewesen.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte nach dem Klagebegehren. Ausgehend von den weiteren Feststellungen, daß die spätere Gemeinschuldnerin spätestens seit Mitte 1995 zahlungsunfähig gewesen und die Zahlungsunfähigkeit dem Geschäftsführer zu diesem Zeitpunkt auch subjektiv erkennbar gewesen sei, müsse sich der Geschäftsführer zum Zeitpunkt der gegenständlichen Zahlungen an die Beklagte bewußt gewesen sein, daß noch andere Gläubiger vorhanden seien, die Zahlung erst später erhalten würden. Der Geschäftsführer habe es daher in Kauf genommen und sich damit abgefunden, daß andere Gläubiger gleich alter oder älterer fälliger Forderungen keine Befriedigung erhielten. Die Beklagte habe vom 7.10.1994 bis zur Konkurseröffnung insgesamt 14 Fahrnisexekutionen beantragt, in sämtlichen Fällen sei noch vor dem Vollzug oder am Tage des Vollzuges die offene Forderung bezahlt worden. Im Wege der Akteneinsicht hätte die Beklagte aber schließen müssen, daß neben ihr auch noch andere Gläubiger Exekution führten; dies hätte auch eine Rückfrage beim Bezirksgericht Silz bestätigt. Die betriebenen Forderungen seien nicht geringfügig, die Beklagte daher zu weiteren Nachforschungen verpflichtet gewesen. Es seien somit alle Voraussetzungen der § 31 Abs 1 Z 2 KO und auch § 30 Abs 1 Z 3 KO erfüllt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.

Für die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen über den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, der Kenntnis des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin von einer Zahlungsunfähigkeit und seiner Begünstigungsabsicht fehle es an ausreichendem Sachverhalts- und Feststellungssubstrat. Insoweit sei das Urteil mit Begründungsmängeln behaftet und das Verfahren mangelhaft geblieben; aus rechtlichen Gründen erübrige sich aber eine Verfahrensergänzung.

Zahlungsunfähigkeit sei gegeben, wenn der Schuldner fällige Schulden in angemessener Frist nicht erfüllen könne oder wenn ein auch nicht überschuldeter Schuldner fällige Schulden mangels bereiter Zahlungsmittel nicht zahlen und auch die dazu erforderlichen Mittel voraussichtlich nicht alsbald beschaffen könne. Auf Zahlungsunfähigkeit sei zu schließen, wenn der Schuldner trotz Eintreibungsversuchen mit seinen Zahlungen mehreren Gläubiger gegenüber zögerlich bleibe. Demgegenüber liege nur eine Zahlungsstockung vor, wenn die erforderlichen Zahlungsmittel beschafft werden könnten. Eine Gleichstellung der Kenntnis des Anfechtungsgegners, daß gegen den Schuldner einige Exekutionen anhängig seien, mit der Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit werde von der Judikatur abgelehnt, jedoch dem Anfechtungsgegner die Verpflichtung zu Nachforschungen über die Zahlungsfähigkeit des Schuldners auferlegt, dies aber dann nicht, wenn die betriebenen Forderungen geringfügig, die Verkaufsverfahren noch vor dem Verkauf durch Zahlung oder Abschluß von Ratenübereinkommen eingestellt worden seien und der Schuldner schon früher häufig Exekutionen ausgesetzt gewesen sei, ohne zahlungsunfähig zu sein. Der Oberste Gerichtshof habe auch die Meinung vertreten, daß bei Zahlungsstockungen zuerst mit der Zahlung von Forderungen der Gebietskrankenkasse, Sozialversicherungsanstalten oder des Fiskus zugewartet werde. Die beklagte Gebietskrankenkasse habe bereits Beiträge über einen Zeitraum von rund zwei Jahren immer wieder exekutiv verfolgt, ohne daß es zu Pfändungen gekommen wäre, weil die Gemeinschuldnerin zuvor Zahlung geleistet habe. Dem Sozialversicherungsträger sei es nicht in jedem Fall zumutbar, die Liquidität eines Beitragsschuldners durch nähere Prüfung seiner Geschäftsunterlagen zu erheben, er müsse es jedoch als Alarmzeichen werten, wenn die Höhe der rückständigen, exekutiv zu betreibenden Beträge in kurzer Zeit rasch ansteige. Die Tatsache häufiger Exekutionen lasse zunächst nur den Schluß auf eine schlechte Zahlungsmoral des Schuldners zu, sei aber nicht unbedingt ein Anzeichen für Zahlungsunfähigkeit. Dem Kläger sei im vorliegenden Fall der von ihm zu erbringende Beweis für eine verschuldete Unkenntnis der Beklagten von einer allfälligen Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin nicht gelungen. Trotz immer wieder eingeleiteter Exekutionen sei in keinem einzigen Fall die Durchführung eines Verkaufes notwendig geworden, die Höhe der rückständigen, exekutiv betriebenen Beiträge sei auch nicht in kurzer Zeit rasch angestiegen, schon bei den ersten Exekutionen im Jahr 1994 seien Beträge über 400.000 S betrieben und kurzfristig gezahlt worden. Die Exekutionsführung eines Sozialversicherungsträgers habe auch nicht den gleichen Stellenwert als Indikator für Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wie die eines anderen Gläubigers, weil es dem Sozialversicherungsträger möglich sei, durch Ausfertigung von Rückstandsausweisen rasch einen Exekutiontitel zu erlangen. Aus dem gesamten Zahlungsverhalten der späteren Gemeinschuldnerin sei die Beklagte, insbesondere auch im Hinblick auf die gerichtsbekannt eher schleppende Zahlungsweise im Baugewerbe, nicht zu weiteren Nachforschungen über die wirtschaftliche Lage der Gemeinschuldnerin gehalten gewesen. Es sei ihr daher ein fahrlässiges Verhalten durch Unterlassen von Erkundungen nicht vorwerfbar. Damit aber scheide jedenfalls auch eine fahrlässige Unkenntnis von einer allfälligen Begünstigungsabsicht der späteren Gemeinschuldnerin aus und das Klagebegehren sei abzuweisen.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine höchstgerichtliche Judikatur zu der Frage fehle, ob eine Verpflichtung des Gläubigers zu Nachforschungen über die Zahlungsfähigkeit des Schuldners bestehe, wenn die über einen längeren Zeitraum exekutiv betriebenen Forderungen nicht geringfügige Beträge betreffen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes ist die Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Das Berufungsgericht hat die vom Obersten Gerichtshof entwickelten Grundsätze zur Lösung der Rechtsfrage, ob dem Anfechtungsgegner eine verschuldete Unkenntnis von einer (allfälligen) Zahlungsunfähigkeit vorwerfbar ist, zutreffend dargestellt und ohne Rechtsirrtum gelöst.

Die Frage, welche Nachforschungen im einzelnen notwendig und

zweckmäßig gewesen wären, um beim Anfechtungsgegner die Vermutung der

Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin entstehen zu lassen, stellt

keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar. Die

Beurteilung, ob fahrlässiges Verhalten vorliegt, hängt immer von der

gegebenen Gesamtsituation im Einzelfall ab. Der Oberste Gerichtshof

hat vielfach darauf hingewiesen, daß die Tatsache häufiger

Exekutionen zunächst nur den Schluß auf eine schlechte Zahlungsmoral des Schuldners erlaubt, aber nicht unbedingt ein Anzeichen für das Fehlen liquider Mittel zur Schuldentilung ist. Gerade wenn es der Schuldner über einen längeren Zeitraum bei rückständigen Beiträgen auf Exekutionsanträge ankommen läßt, die, dann aber noch, bevor es zu einer Pfändung kommt, jedenfalls aber bevor ein Verwertungsverfahren eingeleitet ist, tatsächlich Vollzahlung leistet und deshalb bei der mit Automationsunterstützung arbeitenden Beklagten als "unauffällig" eingestuft wird, kann einem Sozialversicherungsträger ohne Vorliegen weiterer Krisenindikatoren das Unterlassen weiterer Nachforschungen über Anzeichen von Zahlungsunfähigkeit des Schuldners noch nicht als Verschulden angerechnet werden. Es ist gerichtsbekannt, daß die Gebietskrankenkassen und Bauarbeiterurlaubs- und Abfertigungskassen, die schon wegen der Vielzahl säumiger Beitragsschuldner auf automationsunterstützte Arbeit angewiesen sind, schon bei einem signifikanten Ansteigen oder über einen längeren Zeitraum rückständigen Beitragsschulden, also deutlichen Alarmfaktoren für einen Gläubiger, um den Druck auf den Schuldner zu erhöhen, sehr rasch Konkursanträge stellen. Im vorliegenden Fall war nicht einmal eine Ratenvereinbarung erforderlich. An einen Sozialversicherungsträger kann nicht ein so strenger Maßstab angelegt werden wie an eine "Hausbank", der von vornherein vielfältige Informationen über ihren Schuldner zur Verfügung stehen. Es ist ihm auch aus wirtschaftlicher Sicht nicht zumutbar, generell eine Beitragsprüfung seiner Schuldner vorzunehmen, solange sich die Rückstände trotz notwendiger Exekutionsführungen etwa in gleichbleibender Höhe halten (hier im Regelfall jeweils ein Monatsbeitrag) und ohne Verwertungsverfahren schon unmittelbar nach Zustellung der Exekutionsbewilligung abgedeckt werden. Gerade in der Baubranche, die auch wegen der saisonbedingten Schwankungen und unregelmäßigen Honorareingänge oft für eine schleppende Zahlungsweise bekannt ist, kann in Fällen wie dem vorliegenden ohne zusätzliche Krisenindikatoren vom Sozialversicherungsträger noch von Zahlungsstockungen ausgegangen werden, ohne daß eine Einsicht in das Exekutionsregister des für das Unternehmen zuständigen Gerichtes zu fordern ist.

Der Ausspruch über die Kosten der Revisionsbeantwortung, in der auf die Unzulässigkeit der Revision ausdrücklich hingewiesen wurde, beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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