OGH 12Os105/97

OGH12Os105/9728.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.August 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic, Dr.Holzweber und Dr.Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Wais als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Oswald O***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13.Februar 1997, GZ 4 c Vr 10519/96-35, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlaß wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Oswald O***** wurde mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 (zu ergänzen: erster Fall) StGB schuldig erkannt, weil er in Wien unmündige Personen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbrauchte, indem er (1.) im November 1995 die am 10.August 1983 geborene Yvonne K***** an der Scheide betastete und "am Oberkörper streichelte" sowie im Frühjahr 1996 die am 11.März 1983 geborene Jacqueline T***** "zuerst am Rücken streichelte" und ihr die Brüste massierte.

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5 a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist berechtigt.

Überdies konnte sich der Oberste Gerichtshof aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde davon überzeugen (§ 290 Abs 1 StPO), daß dem Schuldspruch (zu 2.) ein nicht geltend gemachter Feststellungsmangel (Z 9 lit a) anhaftet:

Rechtliche Beurteilung

Der im Tatbestand des § 207 Abs 1 erster Fall StGB pönalisierte Mißbrauch zur Unzucht erfordert die nicht bloß flüchtige und sexual sinnbezogene Berührung einer zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörigen Körperpartie des Opfers, wogegen sexuell indifferente Handlungen für sich allein noch nicht genügen (Leukauf/Steininger Komm3 § 207 RN 5, 6 und 7).

Ersichtlich infolge Vernachlässigung der insoweit für die objektive Tatbestandsmäßigkeit unabdingbaren Differenzierung durch das Erstgericht wird (zu 2.) im Urteilsspruch - als Basis der rechtlichen Beurteilung (US 10) - das (für sich allein objektiv deliktsuntaugliche) "Streicheln am Rücken" sowie das Massieren der Brüste des unmündigen Tatopfers inkriminiert, im Widerspruch dazu werden in den Entscheidungsgründen jedoch lediglich ein Massieren am Bauch "bis zum Brustansatz" sowie ein Streicheln bzw Massieren an den Schultern und am Rücken, demnach Handlungen festgestellt (US 5 und 6), welche in objektiver Hinsicht die Verbrechensvollendung keinesfalls, einen Versuch nicht ohneweiteres zu tragen vermögen. Daß das Erstgericht dazu auf der inneren Tatseite (über das den hier aktuellen Deliktsfall betreffende Minimalerfordernis bloßen - eine spezifische Ausrichtung auf sexuelle Lustbefriedigung im übrigen gar nicht voraussetzenden, Leukauf-Steininger aaO RN 12 - Vorsatzes hinaus) eine entsprechende Täterabsicht konstatiert hat (US 6), läßt den dargelegten objektiven Feststellungsmangel unberührt.

Ein ähnlicher, wenngleich wegen einer - diesfalls auch festgestellten - weiteren realkonkurrierenden Unzuchtshandlung nicht subsumtionshindernder Widerspruch, haftet im übrigen auch dem Urteilsfaktum 1. an, indem das Schöffengericht das im Urteilsspruch (wie in der rechtlichen Beurteilung - US 10) unter anderem als tatbestandsmäßig bezeichnete Streicheln der Unmündigen Yvonne K***** "am Oberkörper" in den dazu getroffenen Konstatierungen überhaupt nicht erwähnt, sondern ausschließlich ein Streicheln und Massieren am Rücken und Bauch (teilweise "bis zur Scheide, jedoch nicht weiter") sowie ein Betasten der Scheide feststellt (US 4 und 5).

Zudem liegen die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Begründungsmängel (Z 5) vor:

Die Beurteilung des Erstgerichtes, wonach die Angaben der Yvonne K***** vor der Polizei mit jenen vor dem Untersuchungsrichter von geringfügigen Korrekturen abgesehen im wesentlichen, jene von Jacqueline T***** zur Gänze übereinstimmten (US 7 und 8), ist angesichts der in beiden Fällen bestehenden gravierenden Aussagedivergenzen nicht nachvollziehbar:

Während Yvonne K***** vor der Sicherheitsbehörde behauptet hatte (35, 37), der Angeklagte habe sie unter anderem an der (entblößten) Brust und zwischen den Beinen gestreichelt, berichtete sie in ihrer Aussage vor dem Untersuchungsrichter (ON 22), der Beschwerdeführer sei ihr "mit der Hand nicht so hoch hinaufgefahren, daß er ihre Brüste massiert habe", er habe sie (an zwei verschiedenen Anlässen) am Bauch abwärts "bis zur Scheide", in einem Fall allerdings nur knapp bis zum Beginn der Schamhaare, "also weniger weit" massiert.

Auch Jacqueline T***** schränkte ihre Angaben vor der Polizei, vom Beschwerdeführer unterhalb des Pyjamas unter anderem "vorne an der Brust und zwischen den Beinen" gestreichelt worden zu sein (41, 43), vor dem Untersuchungsrichter (ON 23) dahingehend ein, der Angeklagte habe sie vorne "bis zum Ansatz der Brüste", im übrigen nur an den Schultern, am Rücken (bis zum Gesäß) und am Bauch massiert.

Unter Berücksichtigung der dargelegten objektiven Tatbestandsvoraussetzungen folgt daraus, daß die Aussagen der beiden Kinder vor dem Untersuchungsrichter - abgesehen von der hinsichtlich der Berührung des Genitalbereiches nicht eindeutigen Aussage der Yvonne K***** - jedenfalls als Grundlage für das vollendete Verbrechen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB nicht ausreichen. Im erneuerten Verfahren wird das Erstgericht demnach unter Einbeziehung der Aussagen von Martina S*****, im Sinne einer vollständigen Sachverhaltsgrundlage auch der Zeugin Karin R***** (33), unter Mitberücksichtigung des vom vernehmenden Polizeibeamten festgehaltenen persönlichen Eindrucks der Unzuchtsopfer (37, 43) und des nach Lage des Falles zu deren Schulfreundin Nicole T***** durch die Verhaftung des Angeklagten und ihre Heimeinweisung als Folge der Anzeige nachträglich aufgetretenen Interessenkonfliktes jene Erwägungen anzugeben haben, aus welchen es die Angaben der Kinder vor der Polizei für weniger glaubwürdig erachtet als jene - in den entscheidenden Punkten konform abgeänderten - vor dem Untersuchungsrichter.

Aus den aufgezeigten Gründen erweist sich die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung als unumgänglich (§ 285 e StPO).

Damit ist die Berufung des Angeklagten gegenstandslos.

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