OGH 9ObA141/97v

OGH9ObA141/97v27.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Steinbauer und Dr.Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Heinrich Basalka und Josef Weiss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Notburga Brigitte M*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Miller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei T***** Reise und Touristik GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Hans Bichler und Mag.Edgar Zrzavy, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 278.839,86 brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.Dezember 1996, GZ 10 Ra 227/96t-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7.Dezember 1995, GZ 20 Cga 131/94v-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 21.636,40 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 3.599,40 Umsatzsteuer und S 40 Barauslagen) sowie die Kosten des Revisionsverfahrens von S 26.210 (darin enthalten S 2.160 Umsatzsteuer und S 13.250 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrt einschließlich eines Abrechnungsrestbetrages von S 3.761 entlassungsabhängige Ansprüche von insgesamt S 278.893,86 brutto.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren im Hinblick darauf, daß die Klägerin berechtigt entlassen worden sei, weil sie als Chefreiseleiterin für Tunesien Reiseabrechnungen zum Schaden der beklagten Partei gefälscht und weisungswidrig die Begrüßungscocktails der Gäste nicht nach Bons, sondern pauschal abgerechnet habe.

Fest steht, daß die Klägerin vom 2.4.1977 mit Unterbrechungen bis zu ihrer Entlassung am 13.1.1994 bei der Beklagten beschäftigt war. Zuletzt war sie Chefreiseleiterin für Tunesien und damit Vorgesetzte mehrerer Reisebetreuer. Ihr oblag die Leistungskontrolle der Vertragspartner, die Mitarbeiterführung und Ausbildung, die Kontrolle des Berichtswesens, die Mitarbeit und Vorbereitung für den Hoteleinkauf, die Führung des Spesenkontos und der Kasse, die Entgegennahme der Abrechnungen der Reisebetreuer, die Verwaltung der lokalen Einnahmen usw. Die Klägerin trat ihren Dienst in Tunesien nicht unmittelbar nach Weggang der bisher dort tätigen Mitarbeiterin an. Sie wurde von der Beklagten als geeignete Person angesehen, die über ausreichende Erfahrung für die Aufgabe verfügte und die dort die vorhandenen Mißstände beseitigen sollte. Das Verhältnis zwischen der Klägerin und den dort tätigen zwei weiteren Reiseleiterinnen war von Anfang an gespannt und nicht als gut zu bezeichnen. Zur Zeit ihres Eintreffens in Tunesien am 18.11.1993 arbeitete die Beklagte mit zwei tunesischen Reiseagenturen zusammen, mit denen unterschiedliche Provisionsvereinbarungen bestanden. Weiters war in Tunesien eine Cocktailabrechnung über die jedem Gast gewährten Begrüßungs-Cocktails zu führen, die je nach Hotel preislich unterschiedlich gestaltet waren. Die Abrechnung sollte nach Originalbelegen erfolgen. Der Klägerin wurden die unterschiedlichen Prozentsätze für die Abrechnung der Provisionen weder bei ihrer Ankunft in Tunesien noch in Wien bekanntgegeben. Man stellte ihr auch keine Unterlagen zur Verfügung. Im Büro der Beklagten fand sie lediglich eine Lade mit ungeordneten Belegen vor, die teils in französischer oder arabischer Sprache geschrieben waren, sodaß ihr eine Zuordnung dieser Belege nicht möglich war. Eine der Mitarbeiterinnen ging einige Tage nach Ankunft der Klägerin auf Urlaub. Ihre Abrechnung der Ausflugsstatistik vom 1.11. bis 20.11. bzw 13.11.1993 machte sie nicht mehr. Als die Klägerin Anfang Dezember 1993 in Zusammenarbeit mit der zweiten Angestellten die noch ausständigen Abrechnungen in Angriff nahm, wurde ihr von dieser mitgeteilt, daß die von der beurlaubten Angestellten vorgelegten Abrechnungen nicht richtig seien. Da der Klägerin die genauen Abrechnungsprozentsätze nicht bekannt waren, wies sie die Mitarbeiterin an, die Abrechnung so zu machen, wie es immer gemacht werde. Sie unterfertigte daraufhin die von der Mitarbeiterin verfaßten Abrechnungen im Namen der abwesenden Mitarbeiterin. Nachdem die Mitarbeiterin, die im Auftrag der Klägerin für die Abwesende die Abrechnungen verfertigt hatte, nach Wien zurückgekehrt war, setzte sie Harald M***** in Kenntnis, daß von der Klägerin Abrechnungen unrichtig vorgenommen worden seien. Die zuständige Einsatzleiterin flog am 6.1.1994 nach Tunis und übergab der Klägerin am 7.1.1994 das bereits vorbereitete Entlassungsschreiben. Durch die korrigierte Ausflugsstatistik ergibt sich eine Differenz von S 2.372 zu Ungunsten der Beklagten. Die Cocktailabrechnung hat die Klägerin pauschal mit einem Betrag von S 20 je Hotelgast vorgenommen und nicht nach Originalbelegen durchgeführt.

Das Erstgericht sprach der Klägerin mit Ausnahme eines überhöhten Zinsenbegehrens den in der Klage begehrten Betrag zu.

Es vertrat die Rechtsansicht, daß nicht jede Ordnungswidrigkeit bereits einen Entlassungsgrund bilde. Es sei vielmehr erforderlich, daß der Dienstnehmer Interessen des Dienstgebers so schwer verletze, daß diesem eine weitere Zusammenarbeit auch nicht für die Zeit der Kündigungsfrist zugemutet werden könne. Im Hinblick darauf, daß die Klägerin nach Tunesien geschickt wurde, um Mißstände auszuräumen, sie 1977 bis 1994 ohne Beanstandungen beschäftigt gewesen sei, sei eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung für die beklagte Partei nicht gegeben gewesen.

Das Berufungsgericht wies in Stattgebung der Berufung der beklagten Partei, mit Ausnahme des Anspruches auf den restlichen Abrechnungsbetrag von S 3.761 brutto sA, das Klagebegehren ab.

Rechtlich führte es aus, daß die Unterlassung von Informationen an die Klägerin und die widerwillige Mitarbeit der in Tunesien befindlichen Angestellten sie nicht von der Einholung der unerläßlichen Informationen über die Abrechnung entbunden haben, die leicht hätte beschafft werden können. Die zu Ungunsten der Beklagten falsch ausgestellten Reiseabrechnungen habe sie mit dem Namen einer in Urlaub befindlichen Mitarbeiterin unterfertigt, obwohl sie sich selbst Klarheit über die Provisionssätze hätte verschaffen müssen. Der Dienstgeber habe vertrauen können, daß sie in ihrer Funktion als Chefreiseleiterin dem Unternehmen keinen wirtschaftlichen Nachteil zufüge. In der Parteienvernehmung habe sie zugegeben, daß ihr schon hätte auffallen müssen, daß nur ein Provisionssatz in Rechnung komme. Sie habe aber die ganze Abrechnungssache los werden wollen. Obgleich die Klägerin nach Beendigung des Telefonates, mit dem die Einsatzleiterin ihren Besuch in Tunesien ankündigte, eine unrichtige Abrechnung vermutete, habe sie keine Aufklärung des Sachverhaltes herbeigeführt. Es wäre ihr auch zumutbar gewesen, bei der Abrechnung der Begrüßungs-Cocktails Rücksprache mit ihrem Vorgesetzten zu halten. Im Hinblick auf die von der Klägerin bei der Beklagten ausgeübten Funktion sei dieser, ungeachtet ihrer langen Dienstzugehörigkeit, die Fortsetzung des Dienstverhältnisses auch für die Dauer der Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, das angefochtene Urteil auch durch Zuspruch der restlichen entlassungsabhängigen Ansprüche abzuändern.

Die beklagte Partei stellt den Antrag, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Richtig ist, daß bei einer Angestellten mit einer größeren Vertrauensstellung ein strengerer Maßstab hinsichtlich der Vertrauensunwürdigkeit anzulegen ist als bei Dienstnehmern mit bloß untergeordneter Tätigkeit. Es entscheidet aber nicht das subjektive Empfinden des Dienstgebers, sondern ein objektiver Maßstab, der nach der Verkehrsauffassung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles anzuwenden ist, ob der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit verwirklicht wurde (Arb 10.636, 11.382; 9 ObA 106, 107/95). Dabei ist entscheidend, ob das Fehlverhalten der Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise als so schwerwiegend angesehen werden muß, daß das Vertrauen des Arbeitgebers so erschüttert wird, daß ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (Arb 11.374).

Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes, daß eine Zuordnung der von der Klägerin vorgefundenen Belege nicht möglich war, gibt die von der Klägerin weisungswidrig vorgenommene Pauschalabrechnung der Begrüßungs-Cocktails auch vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens noch keinen Anlaß für die objektiv gerechtfertigte Befürchtung, daß die Angestellte ihren Pflichten auch weiterhin nicht mehr getreulich nachkommen werde (Kuderna, Entlassungsrecht2, 86). Nicht die Absicht weisungswidrigen Verhaltens, sondern objektive Umstände waren Anlaß für die Pauschalabrechnung.

Soweit das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung die vom Erstgericht übernommenen Feststellungen durch Einfließenlassen von Beweisergebnissen unzulässigerweise dahin ergänzte, daß der Klägerin die Unrichtigkeit der Provisionsabrechnung hätte auffallen müssen, sie die Abrechnungssache los werden wollte und sie in keiner Weise überprüft habe, so ändert dies nichts an der richtigen Rechtsansicht des Erstgerichtes.

Bei der Abrechnung der Ausflugsstatistik für die auf Urlaub befindliche Angestellte ist davon auszugehen, daß es grundsätzlich Sache des Dienstgebers gewesen wäre, die auf einen neuen Dienstposten bestellte Klägerin über die Provisionsprozentsätze aufzuklären, weil sie doch diese Abrechnungsmodalitäten zu übernehmen hatte und sie nicht von ihr eingeführt worden sind. Daß sie bei dem zwischen ihr und den Mitarbeiterinnen bestehenden Spannungsverhältnis, den vorgefundenen ungeordneten Belegen und der Mitteilung der Mitarbeiterin, daß die Abrechnung der auf Urlaub befindlichen Mitarbeiterin nicht richtig sei, sich darauf verließ, daß über ihre Weisung, die Abrechnung so zu machen, wie es immer gemacht werde, eine richtige Abrechnung erstellt werde, ist daher kein gravierendes Fehlverhalten. Strengere Anforderungen an leitende Angestellte sind ua nämlich deshalb anzustellen, weil einem leitenden Angestellten in der Regel ein umfassenderer Einblick in die Betriebs- und Geschäftsstruktur gewährt und ihm vom Arbeitgeber mehr anvertraut wird, als einem Angestellten in untergeordneter Position (9 ObA 208- 210/91).

Die Klägerin wurde jedoch ohne die unbedingt erforderlichen Informationen "vor Ort" geschickt und sie war gerade im Anfangsstadium der Mitarbeiterin gutgläubig ausgeliefert. Soweit diese selbst eine falsche Abrechnung erstellte und dann offenbar in Kenntnis derselben den Dienstgeber auf die Unrichtigkeit dieser von ihr verfaßten Abrechnung hinwies, ohne der Klägerin, der sie ja selbst unmittelbar unterstellt war, dies vorher bekanntzugeben, so betraf dies kein das Vertrauensverhältnis zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer beeinträchtigendes Verhalten der Klägerin.

Es ist wohl richtig, daß die Klägerin sich die nötigen Informationen hätte verschaffen können und auch den Dienstgeber über die vorgefundene Lage hätte informieren müssen und die Abrechnung nicht mit dem Namen einer abwesenden Angestellten hätte unterfertigen dürfen. Doch kann dies alles im Hinblick auf ihre bisherige lange Dienstzeit, ihr Wohlverhalten und den Umstand, daß offensichtlich Mißstände an ihrer Dienststelle in Tunesien geherrscht haben, und daß sie eine gewisse Einarbeitungszeit zur Sichtung und Analyse der Mißstände gebraucht hätte, nicht überbewertet werden. Weder ist eine Schädigungsabsicht der Klägerin hervorgekommen noch handelt es sich um ein besonders schwerwiegendes Vetrauensunwürdigkeit nach sich ziehendes Verhalten. Die Weiterleitung der Abrechnung der abwesenden Angestellten mit ihrem Namen ist wohl unkorrekt, jedoch begründet ungeschicktes Verhalten oder mangelnde Eignung für einen Dienstposten, ohne der Angestellten in der Einarbeitungszeit bei vorhandenen Mißständen die Möglichkeit zu geben, Fehler zu korrigieren, nicht sofort einen Entlassungsgrund. Die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bis zum nächsten Kündigungstermin war daher gegeben.

Das Urteil des Erstgerichtes war daher zur Gänze wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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