OGH 13Os96/97

OGH13Os96/976.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.August 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Rouschal, Dr.Habl und Dr.Ratz als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Freundorfer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Alain Jean Andre V***** ua wegen des teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens nach §§ 12 Abs 1, 2 und 3 SGG, 15 StGB und eines Finanzvergehens über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Alain Jean Andre V***** und Mariano C*****-R***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft betreffend die genannten Angeklagten und Manuel Edgardo L*****-J***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11.September 1996, GZ 4 a Vr 5820/96-138, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiß, der Angeklagten Alain Jean Andre V*****, Mariano C*****-R*****, Manuel Edgardo L*****-J***** sowie der Verteidiger Dr.Helge Doczekal, Mag.Richard Strobl und Dr.Corvin Hummer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Alain Jean Andre V***** und gemäß § 290 Abs 1 StPO auch in bezug auf Manuel Edgardo L*****-J*****, Mariano C*****-R***** und Jorge Hernan C***** werden der Schuld- und Strafausspruch nach dem Finanzstrafgesetz aufgehoben.

Im übrigen werden die Nichtigkeitsbeschwerden des Alain Jean Andre V***** und des Mariano C*****-R***** verworfen.

Sämtlichen Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Alain Jean Andre V***** und Mariano C*****-R***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Alain Jean Andre V*****, Manuel Edgardo L*****-J*****, Mariano C*****-R***** und Jorge Hernan C***** wurden des teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens nach § 12 Abs 1, Abs 2 erster Fall, Abs (richtig) 3 Z 2 und Z 3 SGG sowie § 15 StGB (zu I.) und des damit idealkonkurrierenden Finanzvergehens des Schmuggels nach §§ 35 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG (zu II.) schuldig erkannt.

Darnach haben V***** und C*****-R*****, die Nichtigkeitsbeschwerde erhoben haben, in Wien und anderen Orten gewerbsmäßig als Mittäter und jeweils als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung solcher Straftaten

I. den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer (über-)großen Menge, und zwar 3,6 kg Kokain, aus Kolumbien ausgeführt, nach Österreich eingeführt und in die Schweiz auszuführen versucht, nämlich

(1.) Alain Jean Andre V***** am 24.Juni 1996 in Wien-Schwechat, indem er das Kokain in einem Koffer und in seinen Schuhen versteckt mit dem Flugzeug nach Österreich transportierte, und

(3.) Mariano C*****-R***** am 30.Juni 1996 in Wien-Schwechat, indem er den Koffer mit dem Kokain abholte, um das Kokain gemeinsam mit Alain Jean Andre V***** in die Schweiz auszuführen;

II. durch die zu I. beschriebene Tat eingangsabgabepflichtige Waren vorsätzlich unter Verletzung einer zollrechtlichen Stellungs- oder Erklärungspflicht dem Zollverfahren entzogen.

V***** und C*****-R***** machen die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO, V***** auch jenen der Z 9 lit a und b geltend.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Alain Jean Andre

V*****:

I.

Rechtliche Beurteilung

Dem Urteil haften Begründungsmängel (Z 5) nicht an. Bei den das Vorleben des Angeklagten betreffenden Feststellungen ist das Erstgericht einerseits ohnehin auf dessen Angaben eingegangen, andrerseits ist damit keine entscheidende Tatsache betroffen, ist es doch weder für das Erkenntnis in der Schuldfrage maßgebend noch vermag es auf die Unterstellung der Tat unter das Gesetz oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluß zu üben.

Dem Beschwerdevorbringen zuwider hat das Erstgericht auch nicht festgestellt, daß dem Angeklagten V***** der wahre Zweck seiner von einem Kolumbianer namens "Lucho" vermittelten Kolumbienreise, nämlich auf seiner Rückreise nach Europa als Drogenkurier zu fungieren, bekannt war. Vielmehr ging das Erstgericht davon aus, daß der Angeklagte diese Möglichkeit "zumindest ernstlich für möglich hielt und sie dennoch gewollt hinnahm" (US 13). Diese Annahme begründet das Erstgericht zureichend damit, daß der Beschwerdeführer und seine Gattin von einem ehemaligen Zellengenossen (der zur selben Zeit wie er in Frankreich eine mehrjährige Freiheitsstrafe wegen Suchtgiftdelikte verbüßt hatte) nach Kolumbien eingeladen worden waren und sie daraufhin in Europa sämtliche Lebensbeziehungen abgebrochen hatten, sodaß ein Kontakt mit Straftätern aus dem Suchtgiftmilieu in Kolumbien nahelag (abermals US 13).

Ob der Angeklagte nach seiner unter Mitnahme von Kokain erfolgten Rückreise nach Europa in Ungarn ihm bereits bekannte Personen als Drogenkuriere anwerben sollte oder ob ihm Namen der in Ungarn anzuwerbenden Kuriere von "Lucho" mitgeteilt wurden, betrifft gleichfalls keine entscheidende Tatsache. Zudem stellt das Erstgericht ohnehin klar, daß es der geänderten Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung keinen Glauben schenkt, weil bei der polizeilichen Vernehmung eine erfahrene Gerichtsdolmetscherin übersetzte, sodaß das behauptete Mißverständnis bei der Übersetzung nicht glaubwürdig ist (US 14).

Die unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit a (sachlich Z 10) des § 281 Abs 1 StPO erfolgte Bekämpfung der Annahme der gewerbsmäßigen Tatbegehung (§ 12 Abs 2 erster Fall SGG) gelangt mangels einer von sämtlichen Urteilstatsachen ausgehenden Argumentation nicht zur prozeßordnungsgemäßen Darstellung, räumt der Beschwerdeführer doch selbst ein, daß konstatiert wurde, seine Absicht sei darauf gerichtet gewesen, sich durch die fortlaufende Begehung ähnlich gelagerter Delikte zumindest eine zusätzliche Einnahmsquelle zu sichern (vgl US 12 und 16).

Dieser Feststellung haftet aber auch kein Begründungsmangel an. Denn aus den im Urteil beschriebenen Begleitumständen der Tat konnte das Erstgericht durchaus ohne Verstoß gegen die Denkgesetze die bekämpfte Urteilsannahme ableiten.

Soweit in den Beschwerdausführungen und insbesondere unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO ein Rechtsirrtum wegen Nichtannahme eines entschuldigenden Notstandes (§ 10 Abs 1 StGB) behauptet wird, bekämpft der Angeklagte lediglich nach Art einer unzulässigen Schuldberufung die Beweiswürdigung des Erstgerichtes, das seiner diesbezüglichen Verantwortung mit ausführlicher und durchaus plausibler Begründung (US 12, 13) keinen Glauben schenkte.

Der unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Einwand, die Qualifikation der Begehung des Suchtgiftverbrechens als Mitglied einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen (§ 12 Abs 3 Z 2 SGG) sei zu Unrecht angenommen worden, weil "laut aktuellster Rechtsprechung eine derartige Organisation erst ab 10 Personen anzunehmen ist", zu den vier Angeklagten aber maximal noch drei bis vier weitere Personen hinzuzurechnen wären, geht ins Leere, zumal sich das Erstgericht über die genaue Personenanzahl der hier in Rede stehenden "Suchtgiftschmuggelorganisation" gar nicht festlegte. Aus den Urteilsgründen geht jedoch hervor, daß neben den vier Angeklagten noch weiters zahlreiche Personen als Mitglieder dieser Organisation tätig waren, wie Leonardo R*****-V***** und "L*****" (US 9), Julio C*****-C***** (US 10), eine gewisse "Gloria", (V***** S 67/I und S 7/III sowie L*****-J***** S 27/III), "Marta" (V***** S 8/III) und "Ines" (V***** S 69/I und S 9/III sowie L*****-J***** S 37/III) sowie ein "Raul" (S 28,29/III).

Eine größere Zahl von Menschen ist etwa ab 10 anzunehmen. Es handelt sich dabei jedoch nur um einen Richtwert, weshalb unter Umständen auch 8 oder 9 Personen für die Annahme einer Verbindung einer größeren Zahl von Personen genügen (vgl Leukauf/Steininger StGB3 § 246 RN 5 a, § 280 RN 4 a sowie SSt 55/28 und 58/26). Der erstgerichtlichen Annahme, daß sämtliche Angeklagte als Mitglieder einer Verbindung einer größeren Zahl von Menschen zur Begehung solcher Straftaten gehandelt haben (US 4, 10, 16), haften somit weder ein Feststellungsmangel noch ein Rechtsirrtum an.

Insoweit war diese Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.

Zutreffend zeigt der Angeklagte aber unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO einen Rechtsirrtum des Erstgerichtes in Ansehung des Punktes II. des Schuldspruches auf. Seit dem mit 1. Jänner 1995 erfolgten Beitritt Österreichs zur Europäischen Union ist nämlich ein nach diesem Zeitpunkt aus einem Drittland nach Österreich gebrachtes Suchtgift mangels einer Sonderbestimmung nach dem dritten Satz des Artikels 212 ZK (= Zollkodex der EU) grundsätzlich nicht mehr Gegenstand eines Finanzvergehens nach §§ 35 ff FinStrG (EvBl 1996/142 = JBl 1997, 192).

II.

Dieser letztgenannte Nichtigkeitsgrund, den die anderen Angeklagten nicht geltend gemacht haben, kommt auch diesen zugute. Ihr Schuldspruch wegen des (in Tateinheit mit dem Verbrechen nach § 12 SGG begangenen) Finanzvergehens des Schmuggels nach §§ 35 Abs 1, 38 Abs 1 lit a FinStrG erfolgte gleichfalls zu Unrecht.

Dieser verfehlte Schuldspruch, wie der darauf gegründete Strafausspruch sämtlicher Angeklagten war daher, in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten V***** sowie gemäß § 290 Abs 1 StPO aus deren Anlaß auch hinsichtlich aller anderen Mitangeklagten zu beheben.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Mariano

C*****-R*****:

Der Angeklagte wendet sich mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde gegen die Annahme der Tatbegehung als Mitglied einer größeren Zahl von Menschen (§ 12 Abs 3 Z 2 SGG).

Soweit er unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO das Fehlen einer Feststellung moniert, Mitglied einer derartigen Verbindung zu sein, übergeht er die Konstatierung, daß sich sämtliche Angeklagte - somit auch er - der Organisation, die solche Straftaten (Suchtgiftein- und Suchtgiftausfuhr betreffend mehrerer in zwei verschiedenen Erdteilen gelegenen Staaten) in großem Stil begeht, angeschlossen und ihre Arbeitskraft dieser zur Verfügung gestellt haben (US 16).

Daß dem Erstgericht bei Annahme der Qualifikation auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß ihr etwa 10 Personen angehören müssen, kein Rechtsirrtum unterlaufen ist und dieser Feststellung auch kein Begründungsmangel im Sinn der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO anhaftet, wurde bereits erörtert.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Zu den Berufungen:

Das Schöffengericht verurteilte V***** und L*****-J***** nach dem Suchtgiftgesetz zu je vier und C*****-R***** zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe.

Es wertete bei den Angeklagten die mehrfache Verbrechensqualifikation und die weit über der Menge des § 12 Abs 3 Z 3 SGG liegende Suchtgiftmenge sowie das Handeln aus reiner Gewinnsucht, ohne selbst süchtig zu sein, als erschwerend, als mildernd hingegen, daß die Tat teilweise beim Versuch geblieben ist, und die Sicherstellung einer nicht unbeträchtlichen Suchtgiftmenge, bei V***** außerdem dessen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung und bei L*****-J***** und C*****-R***** das umfassende und auch reumütige Geständnis sowie deren bisher ordentlicher Lebenswandel.

Diesen Strafausspruch bekämpfen V***** und C*****-R***** sowie die Staatsanwaltschaft betreffend die beiden Genannten und L*****-J*****.

Keinen der Berufungen kommt jedoch Berechtigung zu.

Die Staatsanwaltschaft reklamiert für ihre Forderung nach Straferhöhung bei allen drei Angeklagten weder einen zusätzlichen Erschwerungsgrund noch den Wegfall eines Milderungsgrundes. Die Milderungsgründe, daß die Tat teilweise beim Versuch geblieben und das Suchtgift überwiegend sichergestellt werden konnte, sind ebensowenig formeller Natur wie das reumütige und zur Wahrheitsfindung beitragende Geständnis. Die berufsmäßige Organisation zur Begehung dieser Taten findet in der angenommenen Qualifikation der Bandenbildung bereits ihren nachhaltigen Niederschlag. Die Behauptung wiederum, daß aus spezialpräventiven Gründen den Angeklagten vor Augen geführt werden müßte, daß sie auf diese Weise und auf Kosten der Gesundheit anderer nicht viel Geld verdienen dürfen, fehlt eine entscheidende Feststellung im Urteil, nämlich daß es sich um führende Bandenmitglieder gehandelt hätte.

Der Berufung des V***** ist zu entgegnen, daß das Schöffengericht seiner Aussage, die wesentlich zur Wahrheitsfindung beitrug, ohnehin maßgebliches (nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sogar überhöhtes) Gewicht beigemessen hat.

Reumütig war sein Geständnis allerdings nicht, weil der von ihm behauptete Entschuldigungsumstand nicht aus rechtlichen, sondern aus tatsächlichen Gründen nicht vorlag, und zwar auch nicht in der Form, daß dies einem Schuldausschließungsgrund zumindest nahe kommt. Untergeordnet war V***** bei der Tat nicht tätig, daß er eine führende Rolle gehabt hätte, wurde aber ohnehin nicht angenommen. Die sicherheitsbehördlichen Erhebungen über seine Vorstrafen ergaben allerdings eine massive Belastung in Frankreich, was allein schon gegen seine Behauptung spricht, er habe sich in Kolumbien in drückender Notlage befunden.

Auch C*****-R***** kann in seiner Berufung bezüglich der verhängten Freiheitsstrafe nach dem Suchtgiftgesetz keine zusätzlichen Milderungsgründe oder fälschlich angenommene Erschwerungsgründe aufzeigen. Er hielt sich in der Schweiz auf und gab an, 4.300 sfr monatlich zu beziehen, sodaß von einer drückenden Notlage schon deshalb keine Rede sein kann. Sein reumütiges Geständnis wurde nicht nur genannt, sondern auch ausführlich gewürdigt, seine Tathandlungen begründen keine untergeordnete Rolle im Rahmen der bandenmäßigen Begehung des Suchtgiftverbrechens.

Auf Grund der Eliminierung (§ 290 StPO) der Strafe nach dem Finanzstrafgesetz war auf seine diesbezügliche Berufung nicht mehr einzugehen.

Insgesamt erweist sich daher die vom Erstgericht verhängte Freiheitsstrafe nach dem Suchtgiftgesetz nicht nur tat- und tätergerecht, sondern auch im Verhältnis zueinander ausgewogen, weshalb den Berufungen ein Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a Abs 1 StPO.

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