Spruch:
Das Gesetz ist verletzt worden
1. durch den Vorgang, daß der Beschluß auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und einer bedingten Entlassung vom 24.Oktober 1994, GZ 14 E Vr 343/94-23 des Landesgerichtes St.Pölten, nicht unverzüglich den mit den Vorentscheidungen befaßt gewesenen Gerichten mitgeteilt (hier: nicht in den die Vorentscheidungen betreffenden Akten der selben Gerichtsabteilung ersichtlich gemacht) wurde, in der Bestimmung des § 494 a Abs 7 StPO;
2. durch die Beschlüsse des Landesgerichtes St.Pölten a) vom 12.Juli 1996, GZ 14 E Vr 49/92-34, mit dem ein Strafteil endgültig nachgesehen wurde;
b) vom 15.Juli 1996, GZ 14 BE 11/92-10, mit dem die bedingte Nachsicht eines Strafrestes für endgültig erklärt wurde;
in dem sich aus § 494 a Abs 4 StPO iVm § 43 Abs 2 StGB bzw aus §§ 17 Abs 4, 180 Abs 1 StVG iVm § 48 Abs 3 StGB ergebenden Verbot, nach aufrechter (wenn auch nicht rechtskräftiger) Beschlußfassung über den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht oder einer bedingten Entlassung nochmals in der selben Sache zu entscheiden.
Die unter 2/a) und b) bezeichneten Beschlüsse werden aufgehoben.
Text
Gründe:
Mit noch nicht rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes St.Pölten vom 24.Oktober 1994, GZ 14 E Vr 343/94-23, wurde Manfred M***** des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich faßte das Landesgericht St.Pölten den Beschluß, die bedingte Nachsicht des Strafteiles von sechs Monaten der zu AZ 14 E Vr 49/92 des Landesgerichtes St.Pölten verhängten (insgesamt neunmonatigen) Freiheitsstrafe sowie die zu AZ 14 BE 11/92 des Landesgerichtes St.Pölten verfügte bedingte Entlassung zu widerrufen (§ 53 Abs 1 StGB, § 494 a Abs 1 Z 4 StPO).
Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte Manfred M***** Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an. Die Zustellung des Urteils konnte infolge häufigen Aufenthaltswechsels des Angeklagten erst am 4. November 1996 bewirkt werden. Das zu AZ 21 Bs 101/97 des Oberlandesgerichtes Wien anhängige Berufungsverfahren ist noch offen.
Da im Verfahren AZ 14 E Vr 343/94 des Landesgerichtes St.Pölten die Verständigung derjenigen Gerichte, deren Vorentscheidungen vom Widerruf betroffen waren (§ 494 a Abs 7 StPO), unterblieb (hier wäre nur die Ersichtlichmachung der Widerrufsentscheidung in den die Vorentscheidungen betreffenden Akten der selben Gerichtsabteilung erforderlich gewesen !), sah das Landesgericht St.Pölten mit Beschluß vom 12.Juli 1996, GZ 14 E Vr 49/92-34, den bedingt nachgesehenen Strafteil von sechs Monaten endgültig nach und erklärte mit Beschluß vom 15.Juli 1996, GZ 14 BE 11/92-10, die Entlassung des Manfred M***** aus den zu AZ U 86/89 und U 29/90 jeweils des Bezirksgerichtes Melk verhängten Freiheitsstrafen für endgültig.
Rechtliche Beurteilung
Die dem Landesgericht St.Pölten im Verfahren AZ 14 E Vr 343/94 unterlaufene Unterlassung der Ersichtlichmachung des Widerrufes der bedingten Strafnachsicht zu AZ 14 E Vr 49/92 und der bedingten Entlassung zu AZ 14 BE 11/92 verletzt das Gesetz im § 494 a Abs 7 StPO. Die nach dieser Gesetzesstelle gebotene unverzügliche Verständigung soll sicherstellen, daß das ohne Eingreifen der Regelung des § 494 a StPO zuständige Gericht von einer seine Vorentscheidung betreffenden Verfügung Kenntnis erhält und nicht seinerseits eine Entscheidungskompetenz in Anspruch nimmt. Dieser Zweck kann nur dann erreicht werden, wenn die Verständigung sogleich nach der Beschlußfassung ohne Rücksicht darauf erfolgt, ob diese Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist oder nicht. Solcherart wäre hier vermieden worden, daß der Vertretungsrichter in Unkenntnis der Widerrufsentscheidungen über die endgültige Nachsicht Beschlüsse faßt.
Diese Beschlüsse des Landesgerichtes St.Pölten vom 12.Juli 1996, GZ 14 E Vr 49/92-34, mit dem der bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe von sechs Monaten endgültig nachgesehen wurde, sowie vom 15.Juli 1996, GZ 14 BE 11/92-10, mit dem die Entlassung des Manfred M***** aus den mit den Urteilen des Bezirksgerichtes Melk U 86/89 und U 29/90 verhängten Freiheitsstrafen für endgültig erklärt wurde, verletzen das Gesetz in dem sich aus §§ 494 a Abs 4 StPO iVm § 43 Abs 2 StGB sowie aus §§ 17 Abs 4, 180 Abs 1 StVG iVm § 48 Abs 3 StGB ergebenden Verbot, nach aufrechter (wenn auch nicht rechtskräftiger) Beschlußfassung über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht bzw der bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe nochmals in dieser Sache zu entscheiden.
Der - nach §§ 43 Abs 2 und 48 Abs 3 StGB der endgültigen Nachsicht der Strafe (bzw ihres Teiles oder Restes) entgegenstehende - Widerrufsbeschluß unterliegt nämlich schon vor Eintritt seiner Rechtskraft nur noch der Behebung oder Abänderung im Wege der in den Prozeßgesetzen vorgesehenen Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe. Er ist somit ab seiner Verkündung (§ 494 a Abs 4 StPO) insoweit mit einer Bindungswirkung ausgestattet, als weder das erkennende Gericht noch ein anderes Gericht ohne vorangegangene Kassation dieses Beschlusses über den Entscheidungsgegenstand neuerlich absprechen darf (EvBl 1989/64). Die Feststellungsbeschlüsse des Landesgerichtes St.Pölten vom 12.Juli 1996, GZ 14 E Vr 49/92-34, und vom 15.Juli 1996, GZ 14 BE 11/92-10, konnten somit den schon vorher durch das zuständige Gericht wirksam beschlossenen Widerruf der bedingten Strafnachsicht und der bedingten Entlassung nicht beseitigen.
Obwohl diese Beschlüsse daher für Manfred M***** keinerlei Rechtswirkung entfalten können, waren sie aus Gründen der Rechtsklarheit aufzuheben (Mayerhofer StPO4 § 494 a E 20 b).
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