Spruch:
Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben und es werden
1. das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch der Angeklagten wegen Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG (A) und im Strafausspruch, demzufolge auch
2. der Beschluß auf Widerruf der dem Günther M***** gewährten bedingten Strafnachsicht aus dem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 6.November 1995, GZ 35 Vr 2.904/95-10,
aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die beiden Angeklagten, der Angeklagte Günther M***** auch mit seiner Beschwerde, auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten Günther M***** fallen auch die Kosten des Verfahrens über seine Rechtsmittel zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten Günther M***** und Roland N***** des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG (A), der Angeklagte M***** auch des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG (B) schuldig erkannt.
Darnach haben
A) Günther M***** und Roland N***** zwischen Oktober 1994 und Juni 1995 in Kempten, Innsbruck und anderen Orten im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge, nämlich mindestens 600 Ecstasy-Tabletten aus Deutschland aus- und nach Österreich eingeführt, wobei sie einen Teil dieser Tabletten an Hans S***** und namentlich nicht bekannte Abnehmer (durch Verkauf) in Verkehr setzten;
B) Günther M***** am 28.Juni 1996 in Innsbruck außer den Fällen der §§ 12 und 14 a SGG den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, nämlich ca 2 Gramm Kokain, erworben und besessen.
Da die von Punkt A des Schuldspruches umfaßten Ecstasy-Tabletten nicht sichergestellt und daher auch nicht auf ihre chemische Zusammensetzung untersucht werden konnten, nahm das Erstgericht - zugunsten der Angeklagten - an, daß diese Tabletten die Substanzen MBDB oder MDE enthielten. In rechtlicher Hinsicht führte es ua aus:
"Gemäß § 1 Abs 2 der Suchtgiftverordnung 1979 unterliegen den Bestimmungen des Suchtgiftgesetzes und der Suchtgiftverordnung die in den Anhängen IV und V zu dieser Verordnung angeführten psychotropen Stoffe, die im Sinne des § 1 Abs 3 des Suchtgiftgesetzes als Suchtgifte gelten. In diesen Anhängen IV und V sind zwar die Substanzen Amphetamin, MDA, MDMA und MMDA konkret angeführt, nicht jedoch MDE und MBDB, wohl aber ua die Äther der in diesen Anhängen angeführten Suchtgifte. Nach den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen können die Substanzen MDE und MBDB als eine Art Äther des Amphetamin, des MDA, des MDMA und des MMDA bezeichnet werden, weshalb auf diese Art und Weise MDE und MBDB sehr wohl als Suchtgifte im Sinne des Suchtgiftgesetzes anzusehen sind. Im übrigen sind MDE und MBDB ebenso wie MDA und MDMA Abkömmlinge des Amphetamin und zeigen pharmakologisch annähernd gleiche Wirkungsqualitäten" (US 11/12).
Rechtliche Beurteilung
Den Schuldspruch wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG (A) bekämpfen die Angeklagten mit getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden aus den Gründen der Z 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO, den Strafausspruch fechten sie mit Berufung, der Angeklagte M***** den ihn betreffenden Widerrufsbeschluß mit Beschwerde an.
Die Nichtigkeitsbeschwerden sind berechtigt.
Welche Stoffe und Zubereitungen als Suchtgifte iS des Suchtgiftgesetzes 1951 gelten, bestimmt § 1 SGG. Darnach sind Suchtgifte im Sinn dieses Gesetzes zunächst Stoffe und Zubereitungen, die durch die Einzige Suchtgiftkonvention vom 30.März 1961 zu New York, BGBl 531/1978, idF des Protokolls vom 25.März 1972 zu Genf, BGBl 531/1978, Beschränkungen hinsichtlich der Erzeugung (Gewinnung und Herstellung), des Besitzes, Verkehrs, der Ein-, Aus- und Durchfuhr, der Gebarung oder Anwendung unterworfen sind (Abs 1). Abs 2 sieht vor, daß die Stoffe und Zubereitungen, die als Suchtgifte nach Abs 1 unter das genannte Bundesgesetz fallen, sowie neue psychotrope Substanzen im Sinne des Abs 3 durch Verordnung bezeichnet werden. In Abs 3 werden bestimmte Stoffe namentlich angeführt, die - wie auch ihre Salze und sämtliche Zubereitungen - Suchtgifte darstellen. Gemäß § 1 Abs 4 SGG unterliegen nach Maßgabe der Vorschriften der Einzigen Suchtgiftkonvention und des erwähnten Bundesgesetzes auch Mohnstroh und Cannabispflanze den in Abs 1 angeführten Beschränkungen.
In Ausführung des § 1 Abs 2 SGG wurde die - inzwischen mehrfach novellierte - Suchtgiftverordnung 1979 (SGV), BGBl 390, erlassen. Diese stellt in § 1 Abs 1 zunächst klar, daß die in den Anhängen I bis III zu dieser Verordnung angeführten Stoffe und Zubereitungen den Bestimmungen der Einzigen Suchtgiftkonvention, des Suchtgiftgesetzes und dieser Verordnung unterliegen. § 1 Abs 2 SGV bestimmt, daß ferner die in den Anhängen IV und V zu dieser Verordnung angeführten psychotropen Stoffe, die im Sinne des § 1 Abs 3 SGG als Suchtgifte gelten, den Bestimmungen des Suchtgiftgesetzes und der Suchtgiftverordnung unterliegen.
Während sich die Suchtgiftqualität der in § 1 Abs 1 und Abs 3 SGG genannten Substanzen somit unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und ihrer Erwähnung in der Suchtgiftverordnung bloß deklaratorische Bedeutung zukommt, hat die Aufzählung der sogenannten "neuen psychotropen Substanzen im Sinne des Abs 3" in den Anhängen IV und V zur Suchtgiftverordnung konstitutive Bedeutung (Foregger/Litzka SGG2 Erl I, Kodek SGG Anm 2, je zu § 1). Durch die Zuordnung der zuletzt erwähnten Substanzen zu den Suchtgiften mittels Verordnung hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen, daß solche Substanzen ständigen Änderungen und Ergänzungen unterliegen (Kodek aaO Anm 4).
Von einer Definition des Suchtgiftbegriffes hat das Suchtgiftgesetz 1951 idgF daher - im Gegensatz zur Fassung vor der Suchtgiftgesetznovelle 1977 - Abstand genommen (vgl Foregger/Litzka aaO, Kodek aaO Anm 2). Der Gesetzgeber hat vielmehr die Methode bevorzugt, die einzelnen als Suchtgifte geltenden Stoffe und Zubereitungen im Gesetz selbst zu nennen oder durch Verordnung bestimmen zu lassen, weshalb diesen umfangreichen Aufzählungen taxativer Charakter zukommt.
Unbestritten ist, daß die verfahrensgegenständlichen Substanzen MDE und MBDB weder in Anhang IV noch in Anhang V zur Suchtgiftverordnung namentlich aufgezählt sind. Allerdings werden in Ergänzung der namentlichen Aufzählungen der Suchtgifte in beiden Anhängen jeweils auch die Isomere der angeführten Suchtgifte, deren Ester, Äther und Molekülverbindungen, ihre Salze, einschließlich der möglichen Salze der angeführten Ester, Äther und Molekülverbindungen, die Salze der Isomere sowie sämtliche Zubereitungen der angeführten Suchtgifte (mit gewissen Einschränkungen) diesen gleichgestellt.
Das Erstgericht ist nun, folgend dem Gutachten des Institutes für gerichtliche Medizin der Universität Innsbruck, davon ausgegangen, daß es sich bei den fraglichen Substanzen MDE und MBDB um eine Art Äther des Amphetamin, des MDA, des MDMA und des MMDA handelt, was aber für deren Beurteilung als Suchtgift nicht ausreicht, weil - worin den Beschwerdeführern beizupflichten ist - "eine Art Äther" der Umschreibung laut den Anhängen IV und V zur Suchtgiftverordnung eben nicht entspricht.
Infolge dieses Rechtsirrtums hat sich das Erstgericht aber nicht mit der Frage befaßt, ob MDE oder MBDB nicht einem der anderen erwähnten Derivate der dort namentlich angeführten Suchtgifte zuzuzählen sind.
Für eine abschließende Beurteilung dieser Rechtsfrage fehlt es aber dem Obersten Gerichtshof an einer ausreichenden Tatsachengrundlage, weshalb im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang eine Erneuerung des Verfahrens anzuordnen war (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO), im Zuge dessen wegen der Schwierigkeit der Begutachtung eine weitere chemische Expertise einzuholen sein wird.
Damit sind die Berufungen und die Beschwerde gegenstandslos.
Die Kostenentscheidung ist in § 390a StPO begründet.
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