OGH 11Ns2/97

OGH11Ns2/9727.5.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.Mai 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Marte als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Helmut L***** wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB, AZ 24 E Vr 1991/95 des Landesgerichtes Linz, über die Anzeige der Befangenheit aller Richter des Oberlandesgerichtes Linz zur Entscheidung gemäß § 74 Abs 2 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Anzeige der Befangenheit der Richter des Oberlandesgerichtes Linz und dessen Präsidenten ist gerechtfertigt.

Das Verfahren zur Entscheidung gemäß § 74 Abs 2 StPO über die Anzeige der Befangenheit aller Richter des Landesgerichtes Linz wird dem Oberlandesgericht Wien übertragen.

Text

Gründe:

Beim Landesgericht Linz behängt zum AZ 24 E Vr 1991/95, E Hv 206/96, ein Strafverfahren gegen Helmut L*****, in welchem die Staatsanwaltschaft Linz am 18.November 1996 (ON 39) Strafantrag erhob. Demnach soll L***** das Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB dadurch begangen haben, daß er im Laufe des Jahres 1995 in einem an den (damaligen) Richter des Landesgerichtes Linz, Dr.Andreas M*****, gerichteten Schreiben behauptete, Alfred P***** habe ihm mitgeteilt, er sei von Staatsanwalt Mag.F***** und weiters anläßlich seiner Besprechung vom 12.Juni 1995 vom Richter Dr.M*****, Staatsanwalt Mag.F***** und dem Richter des Oberlandesgerichtes Linz, Dr.Alois J*****, unter Zusicherung von ungerechtfertigten Begünstigungen, nämlich, daß seine (P*****s) Strafe von drei auf zwei Jahren herabgesetzt werde, wenn er bei seinen L***** belastenden Angaben bleibe (zu einer falschen Beweisaussage vor Gericht bestimmt worden) und so die Richter Dr.M*****, Dr.J***** und den Staatsanwalt Mag.F***** dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt haben, daß er sie einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt (§ 302 Abs 1 StGB) falsch verdächtigt habe, wobei er gewußt habe, daß die Verdächtigungen falsch seien; die angelasteten Handlungen seien mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht gewesen.

Der Präsident des Landesgerichtes Linz legte den bezughabenden Akt gemäß § 74 Abs 2 StPO dem Oberlandesgericht vor, da sich sämtliche Richter des Landesgerichtes Linz für die Durchführung der Hauptverhandlung als befangen anzeigten, wobei darauf hingewiesen wurde, daß zwei der drei von der inkriminierten Verleumdung betroffenen Personen, nämlich Dr.Alois J***** und Dr.Andreas M***** (zwischenzeitig) Richter des Oberlandesgerichtes Linz sind. Im Strafantrag wurde auch ihre Ladung zur zeugenschaftlichen Vernehmung beantragt.

Das Oberlandesgericht Linz legte diesen Antrag dem Obersten Gerichtshof mit dem Antrag auf Zuweisung der Strafsache an einen Gerichtshof außerhalb des Sprengels des Oberlandesgerichtes vor, da angesichts der Zugehörigkeit zweier (im weiteren Sinn) Tatgeschädigter zum Gremium der Richter des Oberlandesgerichtes Linz schon das Gebot, für unbefangene Betrachter selbst den objektiven Anschein der Voreingenommenheit der zur Entscheidung aufgerufenen Richter zu vermeiden, es erfordere, die Entscheidung über die vom Präsidenten des Landesgerichtes Linz vorgelegten Befangenheitsanzeigen dem Oberlandesgericht Linz abzunehmen.

Zwischenzeitig haben (mit einer Ausnahme) sämtliche ab 1.Mai 1997 noch beim Oberlandesgericht diensthabenden Richter ihre Befangenheit im Hinblick auf private oder langjährige kollegiale freundschaftliche Kontakte zu den obgenannten Richtern des Oberlandesgerichtes Linz angezeigt.

Rechtliche Beurteilung

Befangenheit liegt vor, wenn ein Richter an eine Rechtssache nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantritt (11 Ns 14/90, 11 Ns 3/88, 14 Os 141/87, 11 Ns 20/86 ua), somit eine Hemmung zu unparteiischer Entscheidung durch sachfremde psychologische Motive gegeben ist (Mayerhofer StPO4 § 72 E 5; JBl 1990,122; RZ 1989/110; EvBl 1988/153; EvBl 1988/43 ua). Den unmittelbaren Zugang zur Erkenntnis eines solchen inneren Zustandes hat naturgemäß der betreffende Richter selbst (11 Ns 14/90, 8 Ob 546/82, 6 Ob 549/78). Es kommt jedoch nicht nur darauf an, ob er sich befangen fühlt oder nicht, es genügt grundsätzlich schon der Anschein einer Befangenheit, wofür freilich zureichende Anhaltspunkte gegeben sein müssen, die geeignet sind, bei einem verständig würdigenden Beurteiler die volle Unbefangenheit des Richters in Zweifel zu ziehen (s. erneut EvBl 1988/153; 11 Ns 14/90; 13 Ns 6/94).

Der Umstand, daß zwei Richter dieses Gerichtshofes durch die Verleumdung tatbetroffen sind, bietet einen zureichenden Anhaltspunkt dafür, daß auch bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler der Anschein einer Befangenheit der Richter dieses Gerichtshofes entstehen kann. Dabei ist in Rechnung zu stellen, daß der richterliche Personalstand des Oberlandesgerichtes Linz nicht allzu groß ist und dieser Gerichtshof grundsätzlich in Senaten zu judizieren hat, sodaß notwendigerweise eine Vielzahl beruflicher Kontakte zwischen den Richtern gegeben ist. Dies läßt somit den Anschein zu, es könnten die zur Erledigung der Rechtsmittel zuständigen Richter des Oberlandesgerichtes Linz aus psychologischen Motiven heraus nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit an die Sache herantreten.

Es war daher die Anzeige der Befangenheit der Richter des Oberlandesgerichtes Linz als gerechtfertigt zu erkennen und die anstehende Entscheidung gemäß § 74 Abs 2 StPO einem anderen Oberlandesgericht, und zwar aus Zweckmäßigkeitsgründen dem Oberlandesgericht Wien, zu übertragen.

Stichworte