Spruch:
Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben; es werden der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht Leoben verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden Andreas E***** und Michael P***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil sie in der Nacht zum 1. April 1996 in Leoben im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter Siegfried K***** dadurch vorsätzlich getötet hatten, daß sie mit Fäusten und Bohnenstangen wuchtig auf seinen Kopf einschlugen, ihm Fußtritte gegen das Gesicht versetzten, eine 11 kg schwere Metallplatte auf seinen Kopf fallen ließen, ihm mit einem Messer 16 Stich- und Schnittwunden zufügten, ihn im bewußtlosen Zustand und unzureichend bekleidet, trotz der damals herrschenden tiefen Außentemperaturen von rund minus 2 bis minus 5 Grad Celsius in ein Biotop warfen und ihn dort hilflos zurückließen, ohne für seine dringend erforderliche ärztliche Betreuung zu sorgen, sodaß er schließlich erfror.
Die Geschworenen bejahten die anklagekonform (für beide Angeklagte gemeinsam) gestellte Hauptfrage nach Mord und ließen demnach folgerichtig die (ebenfalls für beide Angeklagte zusammengefaßte) außerdem vorgelegte Eventualfrage nach vorsätzlicher schwerer Körperverletzung mit tödlichem Ausgang unbeantwortet.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Schuldspruch erhoben die Angeklagten (in getrennten Rechtsmittelschriften) Nichtigkeitsbeschwerden, die sie jeweils auf die Z 6 und 8, der Angeklagte E***** zudem auf Z 12 und der Angeklagte P***** überdies auf Z 10 a des § 345 Abs 1 StPO stützen; die Strafaussprüche bekämpfen sie mit Berufung.
Beiden Beschwerden kommt schon aus dem erstgenannten Nichtigkeitsgrund (Z 6) - im Ergebnis - Berechtigung zu.
Nach Meinung des Angeklagten E***** wäre der Schwurgerichtshof gemäß § 314 StPO verpflichtet gewesen, eine weitere Eventualfrage nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung gemäß § 87 Abs 2 zweiter Fall StGB in das Fragenschema aufzunehmen, weil er keinen Tötungsvorsatz gehabt habe, sondern "höchstens die Absicht, das Opfer K***** am Körper zu verletzen", und weil sich aus dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen ergebe, daß nicht die Gewalteinwirkungen, sondern Erfrierung und Unterkühlung des Opfers zu dessen Tod geführt hätten.
Der Angeklagte P***** hinwieder führt ins Treffen, er habe in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht, die im Falle ihrer Richtigkeit eine rechtliche Beurteilung seiner Tathandlungen - nämlich K***** einen Faustschlag und einen Fußtritt in den Brustkorbbereich versetzt, diesen im Zusammenwirken mit P***** durch Schläge mißhandelt und den durch Schläge und Messerstiche E*****s Verletzten in eine hilflose Lage gebracht zu haben und dem Mitangeklagten behilflich gewesen zu sein, das bewußtlose Opfer in das Biotop zu werfen, wobei ihm klar gewesen sei, daß K***** nicht mehr aus eigener Kraft aus dem Biotop kommen, vielmehr wegen der kalten Nacht erfrieren könne - "als Vergehen der Körperverletzung nach den §§ 83 bzw 84 StGB in Idealkonkurrenz mit dem Verbrechen der Aussetzung nach dem § 82 StGB, bzw als Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB in Verbindung mit § 12 3.Fall StGB" zulassen könnten. Demnach wäre nach seinem Vorbringen in der Hauptverhandlung die Stellung zusätzlicher Eventualfragen der bezeichneten Art indiziert und erforderlich gewesen.
In der Hauptverhandlung bekannten sich beide Angeklagte nach dem Vortrag der Anklage durch den Staatsanwalt ausdrücklich nicht des Mordes, "wohl aber des Verbrechens der schweren Körperverletzung mit tödlichem Ausgang" schuldig (135/III).
Bei der Vernehmung zur Sache verantwortete sich der Angeklagte E***** - unter Bezugnahme auf seine Angaben vor dem Untersuchungsrichter (65 ff,151 ff/I) - im wesentlichen (zusammengefaßt wiedergegeben) dahin, P***** habe während einer wörtlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und K***** diesen mit einem Prügel auf den Kopf geschlagen; im Verlaufe einer daran anschließenden Rauferei teils in, teils vor der Hütte hätten beide das am Boden liegende Opfer mit Fäusten und Fußtritten attackiert; auf dessen Androhung hin, sie anzeigen zu wollen, habe P***** erst mit einen Bohnenstange, dann mit einem abgebrochenen Stück weiter auf K***** eingeschlagen, während er selbst eine 11 kg schwere runde Eisenplatte sicher zweimal auf dessen Kopf habe fallen lassen; P***** habe ihm plötzlich ein blutiges Messer in die Hand gedrückt und gesagt "tu auch was"; daraufhin habe er K***** - zwar mehrmals, aber keinesfalls 16mal und nicht fest - in den Hals gestochen; nach einer neuerlichen Aufforderung durch den Mitangeklagten habe er dem Opfer einen Bauchstich versetzt; durch alle diese Stiche habe er K***** nicht töten, sondern (nur) verletzen wollen; mit dem Vorschlag P*****s, K***** "heimzudrehen" (umzubringen), sei er nicht einverstanden gewesen, habe ihm aber geholfen, die gemeinsame Idee zu verwirklichen und das schwerst verletzte Opfer in ein Biotop zu legen, damit es niemand so schnell finden könne; dabei habe sich K***** noch bewegt; Hilfe habe er aus Angst vor Entdeckung nicht herbeigeholt; beim Verlassen der Gartenanlage habe er zurückgeschaut und wahrgenommen, daß sich K***** noch bewegt habe (135 ff/III).
Michael P***** brachte in der Hauptverhandlung vor, er habe K***** zunächst außerhalb der Hütte mit einem Faustschlag zu Boden gestreckt, weil dieser Anstalten gemacht habe, ihn zu ohrfeigen; einer Warnung E*****s zufolge sei er einem bevorstehenden Angriff K*****s mit einem Holzprügel und durch einen Fußtritt in den Brustbereich zuvorgekommen; nach seinem Eindruck habe der Mitangeklagte den K***** "abgewatscht" und zumindest zweimal eine runde Platte auf dessen Kopf fallen lassen; sodann habe er (E*****) ihm mit der Aufforderung "schneid ihm die Gurgel durch" ein Messer in die Hand gedrückt, welches er ihm aber wieder unbenützt zurückgegeben habe; E***** habe dann gesagt, sie müßten das Opfer "heimdrehen" (umbringen), um eine Anzeige zu verhindern; er habe ihm über dessen Vorschlag auch geholfen, K***** in das Biotop zu werfen, wo ihm E***** vor seinen Augen mit einem Messer in den Hals gestochen habe; es sei ihm klar gewesen, daß K***** nicht mehr aus eigener Kraft aus dem Biotop kommen werde, vielmehr wegen der kalten Nacht erfrieren könne; trotzdem hätten sie ihn vor allem deshalb verlassen, weil er sich ja aufgerichtet habe, als sie die Gartenanlage verlassen hätten (155 ff/III).
Nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Univ.Ass.Prof.Dr.R***** (191 ff/III) erlitt K***** in einem "Kampf auf Leben und Tod" schwerste Verletzungen an Kopf, Händen, Armen, Schulterblättern, Gesäß und Oberschenkeln sowie 16 Stich- und Schnittverletzungen im Gesichts- und Halsbereich und einen Stich in den Bauch, die aber für sich allein nicht tödlich gewesen seien; der Tod sei durch Unterkühlung (Erfrieren) eingetreten; bei rechtzeitiger ärztlicher Hilfe unmittelbar nach der Tat wäre das bewußtlose Opfer zu retten gewesen.
Demnach wurden in der Hauptverhandlung konkrete Tatsachen (also keineswegs bloß abstrakt denkbare Möglichkeiten und Mutmaßungen) vorgebracht, die es - wären sie nach der allein den Geschworenen zukommenden Beweiswürdigung als erwiesen angenommen worden - in den Bereich der näheren Möglichkeit gerückt hätten, daß die den Angeklagten in der Hauptfrage zur Last gelegte Tat unter andere Strafgesetze fiel, die milder sind als die in der Anklageschrift angeführte Norm des § 75 StGB für das Verbrechen des Mordes. Der Schwurgerichtshof wäre daher bei der gegebenen Tatsachengrundlage - ungeachtet dessen, daß keine der Prozeßparteien eine Ergänzung des Fragenschemas beantragt hatte - verpflichtet gewesen, den Laienrichtern durch Stellung entsprechender (zusätzlicher) Eventualfragen (für jeden Angeklagten gesondert) Gelegenheit zu geben, sich mit allen für die rechtliche Beurteilung der Tat erheblichen, im Beweisverfahren hervorgekommenen Umständen zu befassen und sie hiedurch zu einer ausdrücklichen Erklärung zu veranlassen, ob und welche dieser Tatsachen sie als wahr oder unwahr annehmen (vgl Mayerhofer StPO4 § 314 E 1, 2 f, 16 a ff, 22, 26 uvam).
Im Sinne dieser Darlegungen hätte der Fragenkatalog vorliegend (neben der Haupt- und Eventualfrage) noch um die weiteren Eventualfragen (für beide Angeklagten, aber für jeden getrennt) erweitert werden müssen, und zwar nach absichtlicher schwerer Körperverletzung gemäß § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und nach Aussetzung gemäß § 82 Abs 1 und Abs 3 StGB; darüber hinaus aber auch noch um die Eventualfragen nach absichtlicher schwerer Körperverletzung gemäß § 87 Abs 1 StGB in Realkonkurrenz mit Aussetzung gemäß § 82 Abs 1 und Abs 3 StGB sowie nach vorsätzlicher schwerer Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 und Z 3 StGB in Realkonkurrenz mit Aussetzung gemäß § 82 Abs 1 und Abs 3 StGB.
Da der Schwurgerichtshof die nach den Verfahrensergebnissen gebotene vollständige Fragestellung an die Geschworenen unterlassen hat, war - in Übereinstimmung mit dem Antrag der Generalprokuratur - den Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Folge zu geben, der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil gemäß §§ 285 e, 344 StPO bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben; die Angeklagten waren demnach mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung zu verweisen, ohne daß es eines Eingehens auch auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitswerber bedurfte.
Für eine vom Angeklagten P***** für sich überdies reklamierte Eventualfragestellung nach Beitragstäterschaft gemäß § 12 dritter Fall StGB zum Verbrechen des Mordes oder zum Verbrechen der Aussetzung hingegen bot das Vorbringen in der Hauptverhandlung keine Grundlage.
Im erneuerten Verfahren wird der Schwurgerichtshof das gesamte in der neu durchgeführten Hauptverhandlung vorgebrachte Tatsachensubstrat (Mayerhofer aaO E 29 a) sorgfältig zu prüfen und den Geschworenen ein dementsprechend vollständiges Fragenschema (mit vollständiger und richtiger Rechtsbelehrung) zur Entscheidung vorzulegen haben.
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