OGH 15Os48/97 (15Os49/97)

OGH15Os48/97 (15Os49/97)22.5.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 22.Mai 1997 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Rouschal, Dr.Schmucker und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Marte als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Balint T***** wegen des teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens nach §§ 12 Abs 1, Abs 2, Abs 3 Z 3 SGG, 15 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 17. Dezember 1996, GZ 3 Vr 465/96-109, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gleichzeitig mit dem Urteil gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO gefaßten Beschluß nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch laut Punkt A I 1 und A II, sowie demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich des Widerrufsbeschlusses gemäß § 494 a StPO und der Vorhaftanrechnung, jedoch unter Aufrechterhaltung des Ausspruchs auf Einziehung nach § 13 Abs 1 SGG) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im übrigen wird zurückgewiesen.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung und Beschwerde auf den kassatorischen Teil dieser Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die auf den erfolglos gebliebenen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde entfallenden Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Balint T***** des - teils in der Entwicklungsstufe des Versuchs gebliebenen - Verbrechens nach §§ 12 Abs 1, Abs 2 und Abs 3 Z 3 SGG, 15 StGB (A I 1 und 2, II) und des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG (B) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien und Niederösterreich

(zu A) gewerbsmäßig den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer "so großen Menge, daß ihre Weitergabe geeignet war, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen entstehen zu lassen", wobei er die Tat "in Beziehung auf eine das Fünfundzwanzigfache der im § 12 Abs 1 SGG angeführten Suchtgiftmenge ausmachende Menge beging" (richtig: ... die Tat mit Beziehung auf ein Suchtgift beging, dessen Menge zumindest das Fünfundzwanzigfache der in Abs 1 angeführten Menge ausmacht),

(I) eingeführt und in Verkehr gesetzt, indem er (1) ca im November 1995 900 Stück "Ecstasy" an den abgesondert verfolgten Ulrich Öh***** und Ahmet Öz***** verkaufte; (2) im Jänner 1996 in drei Angriffen rund 22.850 Stück "Ecstasy" nach Österreich einführte;

(II) einzuführen versucht, indem er um den 30.Jänner 1996 in Holland 5.000 Stück "Ecstasy" zum Zweck der Einfuhr nach Österreich kaufte;

(zu B) außer den Fällen der §§ 12 und 14 a SGG von Oktober 1995 bis 4. Februar 1996 Suchtgift, nämlich "Ecstasy", Kokain und LSD zur Eigenkonsumation erworben und besessen.

Rechtliche Beurteilung

Nur den Schuldspruch zum Faktum A I und II - mit Ausnahme des 4.850 Stück Ecstasy-Tabletten betreffenden Teiles in A I 2 (s. den Rechtsmittelantrag "das angefochtene Urteil aufzuheben, Balint T***** zum Faktum A II freizusprechen und die Strafsache hinsichtlich der Fakten A I mit Ausnahme des 4.850 Stück Tabletten betreffenden Teiles zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen") - bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Zutreffend moniert der Beschwerdeführer in seiner gegen den Schuldspruch zu Faktum A I 1 gerichteten Mängelrüge (Z 5), daß das Erstgericht die bezüglichen Feststellungen auf ein in der Hauptverhandlung nicht vorgekommenes Beweismittel stützt. Die Tatrichter gründeten die Annahme, der Angeklagte habe im November 1995 900 Stück Ecstasy-Tabletten aus der Wohnung des abgesondert verfolgten Patrick L***** genommen und an die ebenfalls abgesondert verfolgten Ulrich Öh***** und Ahmet Öz***** verkauft, auf die vor der Gendarmerie (99/II) abgelegte Aussage des Patrick L***** (US 8). Diese Aussage wurde in der Hauptverhandlung nicht verlesen (vgl HV-Prot. 287/II). Damit wurde aber das in § 258 Abs 1 StPO festgelegte Gebot, daß das Gericht bei der Urteilsfeststellung nur auf das Rücksicht zu nehmen hat, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist, verletzt, weil es sich zur Begründung seiner Entscheidung auf Tatsachen- und Beweisergebnisse stützte, welche nicht unmittelbar in der Hauptverhandlung vorgeführt wurden (Mayerhofer StPO4 § 258 E 7). Die Berücksichtigung von Beweismitteln, die laut Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls nicht im Sinne des § 258 StPO zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurden, stellt den Nichtigkeitsgrund der Z 5 her (Mayerhofer aaO § 281 Z 5 E 118).

Sollte indes mit der - ersichtlich nicht in einem Zug mit dem übrigen Text geschriebenen Passage, wonach "aus dem Akt d.wesentl. Feststellungen getroffen" wurden (288/II) auch eine Verlesung der in Rede stehenden Aussage gemeint sein, dann wäre dies angesichts der als berechtigt erkannten Aussageentschlagung des Zeugen L***** (272/II) eine nichtigkeitsbedrohte (§ 252 Abs 4 StPO) Umgehung der Bestimmung des § 252 Abs 1 StPO, worauf der Beschwerdeführer ebenfalls zutreffend hinweist.

Hingegen erweist sich die Mängelrüge im übrigen als nicht berechtigt.

Entgegen der Behauptung unzureichender Begründung hinsichtlich der Konstatierung der Gewerbsmäßigkeit haben die Tatrichter diese mit dem Hinweis auf die Art und den Umfang der Geschäfte in Form regelmäßig und organisiert stattfindender Schmuggelaktionen im Zusammenhang mit der Absicht des Beschwerdeführers, diesen Handel in Zukunft fortzusetzen und sich durch diese Tätigkeit sein Taschengeld monatlich kräftig aufzubessern (US 7), logisch begründet (US 11). Eine mit einer denkrichtigen Begründung versehene Feststellung einer Tatsache kann jedoch nicht als unzureichend begründet bekämpft werden. Auf die Behauptung, daß aus den vorliegenden Umständen auch andere Schlüsse gezogen werden könnten und daß die des Urteils nicht zwingend seien, kann der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht gestützt werden (Mayerhofer aaO E 144, 145 mwN).

Soweit der Beschwerdeführer das auf die polizeiliche Untersuchung gestützte Analyseergebnis der sichergestellten 4850 Tabletten als "weder verständlich noch eindeutig" bezeichnet und daraus einen Begründungsmangel hinsichtlich der vom Erstgericht festgestellten (Suchtgift-)Menge zum Nachteil des Angeklagten abzuleiten versucht, führt er die Nichtigkeitsbeschwerde nicht prozeßordnungsgemäß aus, weil er in seinem Rechtsmittelantrag ausdrücklich - wie bereits eingangs dargelegt - die Anfechtung dieses Schuldspruchteiles ausgenommen hat.

Die Rechtsrügen zum Faktum A I 2 entbehren einer gesetzmäßigen Ausführung.

Unter Heranziehung des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO vermißt der Beschwerdeführer im Urteil Feststellungen dahin, "wie die anderen (erg.: 18.000 - im Gegensatz zu den beschlagnahmten 4.850 Stück) Ecstasy-Tabletten beschaffen waren, von welcher Sorte sie waren bzw sein sollen oder ob sie überhaupt unter die Suchtgifte des § 1 SGG fallen". Unter Bezug auf Z 10 leg. cit reklamiert er ebenfalls mit dem Hinweis auf die Konstatierung zum Faktum A II, der Angeklagte habe die Einfuhr einer "anderen" Sorte von Ecstasy-Tabletten geplant und es gebe eine Reihe von amphetaminfreien und damit legal erwerb- und einführbare Ecstasy-Tabletten, mangelnde Feststellungen über die Amphetaminhältigkeit und den Reinheitsgrad der im übrigen vom Spruch (zu A I 2) umfaßten Tabletten.

Die erfolgreiche Geltendmachung materiellrechtlicher Nichtigkeitsgründe verlangt jedoch unabdingbar ein Festhalten am gesamten Urteilssachverhalt, dessen Vergleichung mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und den Nachweis, daß dem Erstgericht bei Beurteilung dieses Tatsachensubstrates ein Rechtsfehler oder/und ein beweis- mäßig indizierter Feststellungsmangel für die verläßliche Beurteilung der Tat unterlaufen ist. Eine Nichtigkeitsbeschwerde ist daher nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt, wenn sie eine im Urteil festgestellte Tatsache bestreitet, sich auf eine Tatsache stützt, die im Urteil nicht festgestellt ist, oder wenn sie einen im Urteil konstatierten Umstand verschweigt.

Gerade in diesem prozeßordnungswidrigen Vorgang verfällt der Rechtsmittelwerber, indem er die eindeutige Urteilsfeststellung des Erstgerichtes, daß es sich bei den 18.000 Stück Ecstasy-Tabletten (ebenso wie bei den sichergestellten) um Suchtgift gehandelt hat (US 7 iVm US 11), eine Feststellung, die im Rahmen der Mängelrüge nicht bekämpft wird. Eine darüber hinausgehende, vom Beschwerdeführer vermißte Darlegung der Beschaffenheit war angesichts des engen zeitlichen und räumlichen Zusammen- hangs wie überhaupt der im Urteil näher beschriebenen, stets gleichartigen Tatmodalität entbehrlich.

Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) in ihren Ausführungen von einer "anderen Sorte" von Ecstasy-Tabletten spricht, die auch amphetaminfrei sein könnten, geht sie gleichfalls nicht vom festgestellten Urteilssachverhalt aus, hat doch das Erstgericht - wie bereits in Erledigung der Argumentation zur Z 9 lit a zum Faktum A I 2 angeführt - unmißverständlich dargelegt, daß es sich bei den zu diesem Faktum genannten (weiteren 18.000) Tabletten um dem Suchtgiftgesetz unterliegende verbotene Stoffe gehandelt hat.

Bei seinen weiteren Ausführungen zu diesem Nichtigkeitsgrund, "das Erstgericht wäre verpflichtet gewesen, Feststellungen dazu zu treffen, welche Amphetaminhältigkeit und welchen Reinheitsgrad die übrigen vom Spruch umfaßten Tabletten hatten bzw hätten sollen", übergeht der Beschwerdeführer erneut die ausdrücklichen Konstatierungen, daß es sich bei den nicht untersuchten Tabletten um "Suchtgift" handelte (US 7) und daß alle vom Schuldspruch umfaßten Ecstasy-Tabletten insgesamt eine übergroße Menge Suchtstoffe beinhalteten (Urteilsspruch, der mit den Entscheidunsgründen eine Einheit bildet).

Er macht daher mit seiner Argumentation sachlich in Wahrheit einen Begründungsmangel dieser Urteilsannahmen geltend, der aber ebenfalls nicht vorliegt.

Die Untersuchung von weniger als einem Viertel der vom Schuldspruch zu Faktum A I 2 erfaßten Tabletten hat nämlich eine Reinsubstanz von 208 Gramm Amphetamin HCI ergeben (wobei wegen der Inhomogenität des Untersuchungsmaterials sicherheitshalber ein Zu- oder Abschlag von 44,1 Gramm vorgenommen wurde - 621 ff/I). Bei einer festgestellten Mindestreinsubstanz von 164 Gramm HCL ergibt sich geradezu zwingend, daß selbst bei Annahme einer überaus schlechten Qualität der übrigen vom Schuldspruch erfaßten Tabletten eine übergroße Menge an Reinsubstanz (mindestens 250 Gramm) erreicht wird; schon die Untersuchung der sichergestellten Menge (weniger als ein Viertel der Gesamtmenge) hat ergeben, daß diese die Qualifikationsvoraussetzung zu zwei Drittel erreicht. Bei der gegebenen Fallgestaltung handelt es sich um ein derart großes Quantum von Ecstasy-Tabletten, bei dem schon nach der forensischen Erfahrung die "Übermenge" geradezu auf der Hand liegt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher, soweit sie sich gegen den Schuldspruch zu Punkt A I 2 richtet, zurückzuweisen.

Als berechtigt erweist sich allerdings der Einwand in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) bezüglich Schuldspruchsfaktum A II. Hier spricht das Erstgericht von Ecstasy-Tabletten "einer anderen Sorte", denen das vom Schuldspruch zu A I 2 erfaßte "Suchtgift" ausdrücklich gegenübergestellt wird (US 10 unten, 11 oben). Diese Urteilspassage steht der zweifelsfreien Annahme der Suchtgiftqualität der von diesem Versuchsfaktum erfaßten Tabletten im Hinblick auf die Argumentation des Beschwerdeführers, daß es auch nicht amphetaminhältige Tabletten namens Ecstasy gibt, entgegen. Diesbezüglich haften dem Urteil in der Tat Feststellungsmängel an, die die Rechtsfrage ungeklärt lassen, ob es sich bei den gegenständlichen (weiteren) 5.000 Tabletten um dem § 1 der Suchtgiftverordnung unterliegendes Suchtgift (und welcher Art und Qualität) handelt. Zu Feststellungen über die weitere Beschaffenheit der 5.000 Tabletten (Art und Reinsubstanz welchen Suchtstoffes) wäre das Schöffengericht schon deshalb gehalten gewesen, da einerseits als "Ecstasy" bezeichnete Tabletten im Handel sind, die nicht in die verbotenen Wirkstoffe nach der Suchtgiftverordnung einzureihen und demgemäß nicht als Suchtgift anzusehen sind, zum anderen der Angeklagte anläßlich des Geschäftes am 28.Jänner 1997 auch die Beschaffung "anderer" Tabletten verlangt hat. Dieser Feststellungsmangel macht - ebenso wie der Begründungsmangel zum Faktum A I 1 - die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung unvermeidbar, sodaß gemäß § 285 e StPO der zum Vorteil des Angeklagten ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde im bezeichneten Umfange Folge zu geben, das Urteil wie im Spruch zu beheben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen war (§ 285 e StPO).

Zum erneuerten Verfahren ist darauf hinzuweisen, daß - unter der (im zweiten Rechtsgang zu klärenden) Voraussetzung, daß die 5.000 Ecstasy-Tabletten zu Faktum A II dem § 1 SGG unterliegen (und welcher Qualität sie sind) - die bisherigen Feststellungen, wonach der Angeklagte die in Rede stehenden Tabletten bereits fix bestellt, bezahlt und auch schon den zum Schmuggelversteck ausgesuchten Fernsehapparat bestellt hat, nicht ausreichen, um verläßlich die Ausführungsnähe zum - hier in Frage kommenden - Tatbild der Ausfuhr aus den Niederlanden (und Einfuhr über Deutschland nach Österreich) beurteilen zu können. Kommt es doch auf den örtlichen, zeitlichen und manipulativen Zusammenhang mit der beabsichtigten Tatausführung - hier: des vom Angeklagten damit beauftragten Lorenzo C***** (vgl 281 f/II) - an, wozu angemerkt sei, daß der Angeklagte diesfalls als Bestimmungstäter anzusehen wäre. Subsidiär käme eine Unterstellung unter den Tatbestand des § 14 a SGG (als Bestimmungstäter) in Betracht, wobei diesfalls im Hinblick auf § 65 Abs 1 Z 1 StGB zu untersuchen wäre, ob im Tatortland eine idente Strafbestimmung besteht.

Durch die Teilaufhebung des Urteils (auch im Strafausspruch) ist der Berufung des Angeklagten wie auch seiner Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß der Boden entzogen.

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