OGH 12Os31/97 (12Os32/97)

OGH12Os31/97 (12Os32/97)24.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.April 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Holzmannhofer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Stephan W***** wegen des Vergehens nach § 88 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Strafbezirksgerichtes Wien vom 8.Dezember 1993, GZ 8 U 401/92-24, und des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 29.September 1994, AZ 13 a Bl 775/94, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Raunig, des Verteidigers Dr.Niebauer, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 9.Dezember 1993, GZ 8 U 401/92-24, soweit Stephan W***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, und das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 29.September 1994, AZ 13 a Bl 775/94, verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 38 Abs 2 StVO iVm § 38 Abs 5 StVO und § 88 Abs 1 StGB.

Das bezirksgerichtliche Urteil im bezeichneten Umfang und das Urteil des Berufungsgerichtes werden aufgehoben.

Zur neuen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung wird die Sache nunmehr an das Bezirksgericht Meidling verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem - auch einen hier nicht relevanten rechtskräftigen Teilfreispruch enthaltenden - Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 9.Dezember 1993, GZ 8 U 401/92-24, wurde Stephan W***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen fuhr Stephan W***** am 21. Dezember 1991 in Wien mit seinem Personenkraftwagen in der Ruckergasse stadteinwärts, um an der ampelgeregelten Kreuzung mit der Ratschkygasse nach links abzubiegen. In Ausführung dieses Abbiegemanövers fuhr er zunächst bei für seine Fahrtrichtung blinkendem grünem Ampellicht in die Kreuzung ein und hielt sein Fahrzeug infolge Gegenverkehrs vor dem Kreuzungsmittelpunkt an. Nach dem Passieren mehrerer Kraftfahrzeuge nahm er zwar auch noch die Annäherung des gleichfalls entgegenkommenden, von Franz S***** gelenkten Personenkraftwagens wahr, der aber noch 50 bis 70 m vom Kreuzungsmittelpunkt entfernt war. Da die Ampel inzwischen für den Gegenverkehr Rotlicht zeigte, vertraute Stephan W***** darauf, daß der entgegenkommende Fahrzeuglenker noch vor der Kreuzung anhalten werde. Er entschloß sich deshalb zur Fortsetzung des Linksabbiegemanövers, wobei er seine Aufmerksamkeit primär dem Fußgängerverkehr auf der Fahrbahn und nicht dem Fahrverhalten des Franz S***** zuwandte. Dieser setzte allerdings - ohne vor der Kreuzung anzuhalten - seine Fahrt mit der unverminderten Geschwindigkeit von 70 km/h fort, weshalb es im Kreuzungsbereich zu einer Kollision beider Fahrzeuge kam. Im Unfallszeitpunkt zeigte die Ampel sowohl für die (ursprüngliche) Fahrtrichtung des Stephan W***** als auch für den Gegenverkehr bereits Rotlicht. Franz S***** erlitt bei der Fahrzeugkollision Verletzungen, die mit einer Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit von mehr als dreitägiger Dauer verbunden waren.

Das Bezirksgericht beurteilte das Fahrverhalten des Stephan W***** als Verstoß gegen die Vorrangregel des § 38 Abs 2 dritter Satz StVO, wonach beim Einbiegen nach links den entgegenkommenden geradeaus fahrenden sowie den entgegenkommenden nach rechts einbiegenden Fahrzeugen der Vorrang zu geben ist. Dabei stützte es sich - ohne aber auf die spezifische Rechtslage bei Rotlicht für den Gegenverkehr einzugehen - undifferenziert auf den von der Judikatur (allerdings bloß für sonstige Fälle) vertretenen Grundsatz der Geltung der erwähnten Vorrangregel ohne Unterschied ob das entgegenkommende Fahrzeug zu Recht oder zu Unrecht in die Kreuzung eingefahren ist.

Dieser Rechtsauffassung schloß sich im wesentlichen auch das Landesgericht für Strafsachen Wien an, das als Berufungsgericht mit Urteil vom 29.September 1994, AZ 13 a Bl 775/94 (ON 32 des U-Aktes), der gegen den Schuld- und Strafausspruch des Strafbezirksgerichtes Wien gerichteten Berufung des Stephan W***** (wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe) nicht Folge gab. Dabei ging auch das Berufungsgericht davon aus, daß W***** trotz des Rotlichts für den Gegenverkehr wartepflichtig und dementsprechend verhalten gewesen wäre, die gesamte Verkehrslage einschließlich des Gegenverkehrs aufmerksam zu beobachten.

Rechtliche Beurteilung

Die im Ergebnis konformen Rechtsauffassungen sowohl des Strafbezirksgerichtes Wien als auch das Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Berufungsgericht stehen - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend geltend macht - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Die Vorrangregel des § 38 Abs 2 dritter Satz StVO gilt nämlich nicht zugunsten des die Kreuzung bei Ampelrotlicht für seine Fahrtrichtung geradeaus übersetzenden Fahrzeuglenkers. Rotlicht gilt gemäß § 38 Abs 5 StVO als Zeichen für "Halt" das (unbeschadet der hier nicht greifenden Bestimmungen des Abs 7 dieser Gesetzesstelle und des § 53 Z 10 a StVO) durch unbedingtes Anhalten an den im § 38 Abs 1 StVO bezeichneten Stellen zu beachten ist. Da sohin bei Rotlicht nicht § 38 Abs 2 StVO, sondern ausschließlich § 38 Abs 5 StVO gilt, kommt einem Verkehrsteilnehmer, der gegen das in der zuletzt angeführten Bestimmung statuierte absolute Anhaltegebot verstoßen hat, ein Vorrang gar nicht zu (zu diesem Fragenkomplex Messiner, StVO9, § 38 E 15, 16 und 63). Davon ausgehend kann aber von einem im Unfallszeitpunkt aktuellen Vorrang des Franz S***** gegenüber Stephan W***** keine Rede sein.

Letzterer durfte vielmehr grundsätzlich im Rahmen des § 3 StVO auf die Respektierung seiner Vorfahrt durch Franz S***** vertrauen und entsprechend seiner Verpflichtung zur möglichst raschen Räumung der Kreuzung nach links abbiegen (§ 38 Abs 2 StVO). Ob er in der konkreten Situation bei Anwendung gebotener Sorgfalt das infolge Mißachtung des Rotlichtes straßenverkehrsordnungswidrige Fahrverhalten des Franz S***** rechtzeitig (unter den Vertrauensgrundsatz ausschaltenden Modalitäten) hätte erkennen müssen, läßt sich auf der Basis der erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilen.

Bei dieser Sachlage war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes infolge zum Nachteil des Stephan W***** unrichtiger Anwendung des § 38 Abs 2 StVO spruchgemäß mit (Teil-)Kassierung der in Rede stehenden Urteile vorzugehen und eine entsprechende partielle Verfahrenserneuerung - vor dem nunmehr seit Inkrafttreten der Neuorganisation der Wiener Bezirksgerichte zuständigen Bezirksgericht Meidling - anzuordnen.

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