OGH 2Ob112/97b

OGH2Ob112/97b24.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 20.Oktober 1985 geborenen Jürgen R*****, vertreten durch den Unterhaltssachwalter Bezirkshauptmannschaft St.Pölten, dieser vertreten durch Dr.Georg Krasser, Rechtsanwalt in Wien, infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgericht vom 18.Dezember 1996, GZ 10 R 396/96d-110, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 25.September 1996, GZ 2 P 2031/95v-107, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Aufgrund des Beschlusses des Erstgerichtes vom 5.9.1990 hat der Vater des am 20.10.1985 geborenen mj.Jürgen ab 1.2.1990 zum Unterhalt seines Sohnes monatlich einen Beitrag von S 2.150 zu bezahlen. Der mit Beschluß vom 14.3.1988 gewährte Unterhaltsvorschuß wurde mit Beschluß vom 19.12.1990 auf diesen Betrag angehoben und bis 28.2.1991 gewährt. Mit den Beschlüssen vom 27.2.1991 und 11.2.1994 wurden die Unterhaltsvorschüsse über die jeweiligen Endigungszeitpunkte hinaus weitergewährt und zwar bis 28.2.1997.

Am 24.7.1996 teilte der Unterhaltssachwalter mit, daß der Vater des Minderjährigen seit 13.5.1996 inhaftiert sei und sich in einer Justizvollzugsanstalt in Deutschland befinde. Er stellte den Antrag, dem Kind einen Haftvorschuß gemäß § 4 Z 3 UVG zu gewähren. Das Erstgericht wies diesen Antrag ab.

Das vom Unterhaltssachwalter angerufene Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht verwies auf die Bestimmung des § 4 Z 3 UVG, wonach Vorschüsse zu gewähren seien, wenn dem Unterhaltsschuldner aufgrund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als ein Monat im Inland die Freiheit entzogen werde und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen könne. Auch durch den EU-Beitritt habe Österreich seine Eigenstaatlichkeit nicht verloren, so daß der Inlandsbegriff des § 4 Z 3 UVG nicht auf die Territorien aller EU-Mitgliedsstaaten erstreckt werden könne. Die Gesetzesmaterialien zur UVG-Novelle 1980 legten die Motive des Gesetzgebers offen, die Haftvorschüsse auf die Kinder solcher Strafgefangener zu beschränken, die sich aufgrund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren im Inland in einer Einrichtung des Strafvollzugswesens befinden. Wenn es auch aus der Sicht der Kinder keinen Unterschied mache, ob sich der Unterhaltsschuldner in einem inländischen oder ausländischen Gefängnis befinde, so erscheine im Hinblick auf die geäußerten Motive des Gesetzgebers auch aus der Sicht der zahlungspflichtigen Republik Österreich eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt. Zu dieser Ansicht sei auch der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung RZ 1995/48 gelangt. Es gebe sohin gerechtfertigte Gründe für die Ungleichbehandlung der Kinder unterhaltspflichtiger Häftlinge nach dem UVG, sodaß der Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt sei.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Unterhaltssachwalters mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß der beantragte Haftvorschuß bewilligt werde; in eventu wird beantragt, das Verfahren zu unterbrechen und den Verfassungsgerichtshof um Prüfung des § 4 Z 3 UVG zu ersuchen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Der Unterhaltssachwalter macht in seinem Rechtsmittel geltend, daß seit Wirksamkeit des EU-Beitrittes Österreichs alle jene inländischen Gesetzesmaterialien, die eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gleicher Tatbestände innerhalb der EU vorsehen, in einer neuen - erweiterten - Lesart betrachtet werden müßten oder als verfassungswidrig anzusehen seien. Da die Mitgliedschaft Österreichs in der EU auch durch innerstaatliches Verfassungsrecht abgesichert sei, hätte das Landesgericht auch unter diesem Gesichtspunkt die Möglichkeit einer Prüfung gemäß Art 140 B-VG gehabt.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden:

Gemäß § 4 Z 3 UVG idF der UVG-Novelle 1980 BGBl 1980/278 sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn dem Unterhaltsschuldner aufgrund einer Anordnung in einen strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen wird und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann. Wie der Oberste Gerichtshof in

der Entscheidung vom 30.5.1991, 1 Ob 563/94 (= SZ 67/100 = EFSlg

75.679 = JBl 1995, 259 = ÖA 1995, 62 = RZ 1995/48 = ZfRV 1994, 248)

ausgeführt hat, ist der Haftrichtsatzvorschuß des § 4 Z 3 UVG nur bei Freiheitsentzug im Inland zu gewähren. Nach den Gesetzesmaterialien zur UVG-Novelle 1980 (EBzRV 276 BlgNR 15.GP, 9 f) sei die Einbeziehung der Kinder Strafgefangener in den Leistungskatalog des UVG nicht nur rechts- und sozialpolitisch geboten, sondern auch rechtssystematisch und rechtsdogmatisch vertretbar gewesen. Die Kinder der Strafgefangenen seien ebenfalls unschuldige Opfer der begangenen Straftaten, die Fürsorge und Beachtung verdienten. Den Staat treffe daher schon nach dem Gesichtspunkt der ihm obliegenden Pflicht zur Unterhaltssicherung auch die Pflicht, entweder für eine entsprechende Entlohnung der im Strafvollzug arbeitenden Strafgefangenen oder dafür zu sorgen, daß sie auf andere Weise ihrer Unterhaltspflicht genügen können. Diese Überlegungen machten es freilich notwendig, die Regelung auf die Kinder solcher Strafgefangener zu beschränken, die sich aufgrund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren im Inland in einer Einrichtung des Strafvollzugswesens befinden. Die Haft eines Unterhaltsschuldners aufgrund einer Anordnung in einem Verwaltungsstrafverfahren oder im Ausland und die in diesem Zusammenhang erbrachten Arbeitsleistungen vermögen keine Leistungen aus Bundmitteln zu begründen. Es sei daher dem Gesetzestext und auch dem unverkennbaren Willen des Gesetzgebers zu entnehmen, daß der Haftrichtsatzvorschuß nach § 4 Z 3 UVG nur bei Freiheitsentzug im Inland zu gewähren sei.

Dieser Ansicht schließt sich auch der erkennende Senat an. Auch der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union vermag zu keiner anderen Auslegung der zwingenden Bestimmung des § 4 Z 3 UVG führen. Wie das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, wurde auch durch den EU-Beitritt Österreichs die Eigenstaatlichkeit nicht aufgehoben; vielmehr handelt es sich bei der EU um eine Staatenverbindung auf völkervertraglicher Grundlage (s hiezu Thun-Hohenstein/Cede, Europarecht**2 47), und ist die EU sogar verpflichtet, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten (Art F Abs 1 EUV).

Die Gewährung eines Haftrichtsatzvorschusses nur bei Freiheitsentzug im Inland verstößt auch nicht gegen das Gleichheitsgebot, weil dieser Bestimmung die Fiktion eines Verhältnisses von Leistung (Arbeit in der Haft) und Gegenleistung (Unterhaltsvorschuß) zugrundeliegt (Haselberger, UVG Rz 12 zu § 4). Die Arbeit, die bei einer Haft im Ausland geleistet wird, kommt aber nicht dem österreichischen Staat zugute.

Es bestehen daher gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 4 Z 3 UVG keine Bedenken. Ist aber von dieser Bestimmung auszugehen, so sind die Voraussetzungen für die Gewährung des beantragten Haftvorschusses nicht erfüllt (RZ 1995/48).

Dagegen wird im Revisionsrekurs im übrigen auch nichts vorgebracht. Dem Revisionsrekurs war somit keine Folge zu geben.

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