OGH 11Os54/97

OGH11Os54/9715.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.April 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner und Dr.Zehetner als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Brandstätter als Schriftführerin, in der beim Landesgericht Eisenstadt zum AZ Vr 46/97 anhängigen Strafsache gegen Sadi T***** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1, 2 und 3 Z 3 SGG und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 5. März 1997, AZ 23 Bs 67/97 (ON 70 des Vr-Aktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Sadi T***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten an den Beschwerdeführer in der Höhe von 9.600 S (darin enthalten 1.600 S Umsatzsteuer) auferlegt.

Text

Gründe:

Der am 21.April 1974 geborene türkische Staatsangehörige Sadi T***** wurde am 9.Jänner 1997 wegen des Verdachtes der Begehung eines Verbrechens nach dem Suchtgiftgesetz festgenommen (ON 17). Nach Einleitung der Voruntersuchung wegen §§ 12 Abs 1, 2 und 3 Z 3 SGG (S 1 o) wurde über ihn am 11.Jänner 1997 die Untersuchungshaft gemäß § 180 Abs 1 und 2 Z 1, 2 und 3 lit b StPO verhängt (ON 19 und 21).

Mit Beschluß vom 30.Jänner 1997 wurde die Voruntersuchung auf § 16 Abs 1 und 2 Z 1 SGG (S 1 r verso) und mit Beschluß vom 6.Februar 1997 auf "§§ 107 Abs 1 und 2, 105, 106 StGB, 36 WaffG" (S 1 t verso) ausgedehnt, ohne daß diese Entscheidungen bisher dem Beschuldigten kundgemacht wurden.

In der Haftverhandlung vom 13.Februar 1997 beschloß die Untersuchungsrichterin die Fortsetzung der Untersuchungshaft gemäß § 180 Abs 1 und 2 Z 2 und 3 lit b StPO.

Mit dem angefochtenen Beschluß gab das Oberlandesgericht der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschuldigten nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft bis längstens 5.Mai 1997 aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO an.

Bei dieser Entscheidung ging das Beschwerdegericht davon aus, daß Sadi T***** "im wesentlichen" verdächtig sei, am 9.Jänner 1997 in Wr.Neustadt gewerbsmäßig Suchtgift in (zumindest) einer großen Menge, nämlich ca 250 Gramm "Speed" (enthaltend Amphetamine) oder 60 bis 80 Gramm Kokain an einen verdeckten Fahnder zu verkaufen (in Verkehr zu setzen) versucht zu haben.

Zu den zusätzlich in Untersuchung gezogenen Fakten, die an sich eine Haftverhängung rechtfertigen könnten, nahmen weder das Erst- noch das Beschwerdegericht Stellung und wurden diese damit nicht Inhalt der Haftbeschlüsse.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes gerichteten Grundrechtsbeschwerde, die das Vorliegen des Haftgrundes und den dringenden Tatverdacht bestreitet, kommt insbesondere im letzteren Punkt Berechtigung zu.

Dringender Tatverdacht ist ein höherer Grad von Wahrscheinlichkeit, daß der Beschuldigte die ihm angelastete Straftat begangen hat. Ein Verdacht kann immer nur auf Grund einer Schlußfolgerung aus Tatsachen entstehen. Ein Verdacht besteht also, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. "Verdacht" ist mehr als eine bloße Vermutung. Es ist die Kenntnis von Tatsachen, aus denen nach der Lebenserfahrung auf die Begehung eines Vergehens oder Verbrechens geschlossen werden kann (Mayerhofer StPO4 § 180 E 8 und 8 ab).

Vorliegend wurde Sadi T***** am 9.Jänner 1997 in Wr.Neustadt im Besitz von 1,75 Gramm "Speed" und 1,86 Gramm Kokain betreten, nachdem er vorher die Lieferung von rund 250 Gramm "Speed" und 60 bis 80 Gramm Kokain zugesagt hatte. Dazu wird von den erhebenden Beamten vermutet, daß der Beschuldigte das versprochene Suchtgift möglicherweise beim Mitbeschuldigten Güngör A***** deponiert hat, der den Besitz aber bestreitet und bei dem es bisher auch nicht gefunden werden konnte.

Den Verdacht einer ausführungsnahen Handlung zu § 12 SGG stützt das Beschwerdegericht auf diese Vermutung der ermittelnden Beamten, die "durchaus wahrscheinlich" erscheine und andererseits "liege auch eine andere Deponierung nahe". Tatsachen, auf die sich diese Vermutung gründet, konnte das Oberlandesgericht aber nicht anführen und ergeben sich solche auch nicht aus dem (bisherigen) Akteninhalt.

Die angeführten Umstände, die auf reinen Vermutungen beruhen, vermögen - unvorgreiflich ihrer abschließenden Würdigung durch das erkennende Gericht - einen dringenden Tatverdacht zu einem versuchten Verbrechen nach § 12 SGG in der Entwicklungsstufe des Versuchs nicht zu begründen, sondern lediglich einen solchen für ein Vergehen nach § 16 Abs 1 SGG.

Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO durch das Oberlandesgericht widerspricht daher der Bestimmung des § 452 Z 3 StPO, wonach die Untersuchungshaft bei einer in die Zuständigkeit eines Bezirksgerichtes fallenden strafbaren Handlung nur wegen Flucht- oder Verdunkelungsgefahr verhängt werden darf.

Da die dem Beschuldigten durch Ausdehnung der Voruntersuchung weiter angelasteten strafbaren Handlungen in die Haftbeschlüsse keinen Eingang fanden, war auf sie im Sinne einer nachprüfenden Kontrolle der angefochtenen Entscheidung nicht weiter einzugehen.

Durch die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft durch den in Beschwerde gezogenen Beschluß des Oberlandesgerichtes wurde demnach Sadi T***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt (§ 2 Abs 1 GRBG).

Die Kostenersatzpflicht des Bundes gründet sich auf § 8 GRBG.

Gemäß § 7 Abs 2 GRBG sind die Gerichte verpflichtet, mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich einen der Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes entsprechenden Zustand herzustellen.

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