OGH 13Os202/96

OGH13Os202/9619.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.März 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Mayrhofer, Dr.Ebner, Dr.Rouschal und Dr.Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Miljevic als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mario D***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Schöffengericht vom 7.August 1996, GZ 15 Vr 882/95-42, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mario D***** wurde des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB schuldig erkannt, weil er Mitte Dezember 1994 in Traismauer Gülsen G***** mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er sie auf ein Bett warf, ihr die Strumpf- und Unterhose auszog und ihre Hände über dem Kopf festhielt, zur Duldung des Beischlafs nötigte.

Rechtliche Beurteilung

Die aus § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5 und 5 a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist schon aus dem erstgenannten Grunde berechtigt.

Zutreffend reklamiert diese nämlich das Fehlen eines die - nach § 252 Abs 1 StPO nur ausnahmsweise zulässige - Verlesung der Aussagen der Zeuginnen Biljana D***** (ON 13) und Margot H***** (ON 15) in der (gemäß § 276 a StPO wiederholten) Hauptverhandlung vom 7.August 1996 (ON 70) rechtfertigenden Umstandes.

Aus der Protokollierung: "Verlesen wird der gesamte Akteninhalt. Verteidiger beantragt die Verlesung der S. 99 und ./1 S. 4, weiters die Verlesung der S. 268 HV-Protokoll, Seite fünf vom 13.September 1995, AS 269, S 274, ./1, die Seiten werden verlesen." (worunter die genannten Zeugenprotokolle nicht fallen, 337), kann auch keine konkludente Zustimmung des Angeklagten iS des § 252 Abs 1 Z 4 StPO zur Verlesung der erwähnten Protokolle entnommen werden:

Denn dafür reicht in der Regel das widerspruchslose Hinnehmen einer nach § 252 Abs 1 StPO unzulässigen Verlesung allein (selbst durch einen anwaltlich vertretenen Angeklagten) noch nicht aus (14 Os 15,16/96). Ist doch der Beschwerdeführer - anders als nach § 281 Abs 1 Z 2 StPO - nach §§ 252 Abs 1, 281 Abs 1 Z 3 StPO nicht verpflichtet, sich durch ausdrückliche Verwahrung (EvBl 1983/81) gegen die Verlesung erst die formelle Legitimation für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes zu verschaffen. Zwar ist, weil § 252 Abs 1 Z 4 StPO eine ausdrückliche Einverständniserklärung nicht verlangt, auch eine konkludente Zustimmung zur Verlesung möglich (vgl EvBl 1994/138 und JBl 1995, 537), doch ist dazu erforderlich, daß über das bloße Unterbleiben eines Widerspruches hinaus (den Akten) konkrete Anhaltspunkte zu entnehmen sein müssen, die unmißverständlich auf ein Verlesungseinverständnis schließen lassen (14 Os 15,16/96, vgl auch 14 Os 146/96).

Dies ist hier nicht der Fall, sodaß die Verwertung der Aussagen nicht zulässig war. Da das Erstgericht dies aber getan hat, indem es auf bedenkliche Verhaltensweisen des Angeklagten gegenüber seinen Lehrmädchen schloß (s insbes US 12 und 15), war die Geltendmachung der Nichtigkeit iS des § 281 Abs 3 StPO auch nicht ausgeschlossen. Hinzugefügt sei, daß der "einverständliche" Vortrag der "bisherigen Verfahrensergebnisse" im unmittelbaren Anschluß an die gemäß § 276 a StPO verfügte Neudurchführung der Hauptverhandlung (s. S 330), die Protokolle über die Vernehmungen der beiden genannten Zeuginnen keinesfalls erfaßt haben kann, weil diese nicht in den vorangehenden Hauptverhandlungen sondern vom Untersuchungsrichter (nicht unter den Voraussetzungen des § 162 a StPO) (s ON 13 und ON 14) erstellt worden waren.

Durch die unzulässigen Verlesungen wurde der Angeklagte auch in dem durch Art 6 Abs 3 lit d MRK garantierten Recht zur Fragestellung an die Belastungszeugen beeinträchtigt.

Angesichts der vorliegenden Urteilsnichtigkeit ist eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unerläßlich, sodaß - in Übereinstimmung mit der Ansicht der Generalprokuratur - bereits bei der nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch zu erkennen war (§ 285 e StPO), ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedurfte.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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