OGH 4Ob60/97w

OGH4Ob60/97w11.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundesarbeitskammer, ***** vertreten durch Dr.Heinz Kosesnik-Wehrle, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei G***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Gernot Franz Herzog, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren S 450.000,--), infolge der Revisionsrekurse beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 18. Dezember 1996, GZ 4 R 309/96f-10, womit der Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 24.Oktober 1996, GZ 6 Cg 332/96v-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Beiden Revisionsrekursen wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei S 11.430,-- als auf den abweisenden Teil entfallende Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin S 1.905,-- Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die auf den stattgebenden Teil entfallenden Kosten des Revisionsrekursverfahrens hat die klagende Partei vorläufig und die beklagte Partei endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Beklagte, die ihren Sitz in S***** hat, betreibt einen Versandhandel mit Sammelmünzen und mit Medaillen. Unter Verwendung eines blauen Briefumschlages in der Größe von 22 cm x 11 cm mit folgenden Aufdruck:

versendet sie folgendes Werbeschreiben:

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches begehrt die klagende Bundesarbeitskammer, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten:

a) Schriftstücke an Verbraucher zu senden, wenn diese den Eindruck einer behördlichen Postsendung erwecken, insbesondere wenn diese als "Zuweisungs-Bescheinigung" und "Auswahl-Bescheid" bezeichnet sind und insbesondere, wenn hiezu Kuverts verwendet werden, die amtlichen Kuverts für die eigenhändige Zustellung nachgestaltet sind, sofern diese Postsendungen bloße Werbeaussendungen enthalten;

b) in Werbebriefen an Verbraucher die Behauptungen aufzustellen, daß "verbürgte Ansprüche des Verbrauchers verfallen", wenn er den "Auswahl-Bescheid" nicht innerhalb von 10 Tagen zurücksendet, oder sinngleiche Behauptungen aufzustellen.

Die Werbeaktion der Beklagten verstoße gegen §§ 1 und 2 UWG. Die Empfänger des Werbeschreibens würden in unzumutbarer Weise belästigt, weil ihnen suggeriert werde, daß es sich um ein behördliches Schriftstück handle. Sie würden dazu veranlaßt, sich mit dem Schreiben vorrangig zu befassen. Mit der Ankündigung, daß ein "verbürgter Anspruch" des Empfängers verfalle, wenn er nicht binnen 10 Tagen auf die Zusendung antworte und bestelle, werde psychischer Kaufzwang ausgeübt, weil damit dem Kunden die ruhige Prüfung des Angebotes unmöglich gemacht werde.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsbegehrens. Sie täusche in keiner Weise eine amtliche Sendung vor und übe keinen Kaufzwang aus.

Das Erstgericht gab dem Verbotsbegehren zu lit a statt und wies das zweite Verbotsbegehren (lit b) ab. Der Durchschnittsinteressent gewinne auf Grund der Aufmachung des Kuverts den Eindruck einer behördlichen Sendung; das erzeuge in ihm eine als unangenehm empfundene Spannung. Dadurch gelinge es der Beklagten, Verbraucher anzusprechen, die sich sonst mit der Werbeaussendung nicht befassen würden. Die Beklagte übe aber mit der Setzung einer Frist von 10 Tagen keinen psychischen Kaufzwang aus.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Wenn auch der mündige Verbraucher bei näherem Hinsehen erkennen werde, daß es sich um eine bloße Werbesendung handle, gewinne er doch bei erster oberflächlicher Betrachtung den Eindruck, ein behördliches Schriftstück in Händen zu halten; durch diese Täuschung werde er zum Öffnen und Lesen veranlaßt. Da diese Veranlassung durch Täuschung, somit durch unlautere Mittel, erfolge, sei das Verbotsbegehren lit a gerechtfertigt.

Psychischer Kaufzwang liege dann vor, wenn der Unternehmer Interessenten in eine derartige psychische Zwangslage bringe, daß sie sich einem Geschäftsabschluß nur schwer entziehen könnten, insbesondere wenn sie es als unanständig oder zumindest peinlich empfänden, nichts zu kaufen. Die - an sich jeder Werbung immanente - psychische Beeinflussung sei immer dann unzulässig, wenn der Druck so stark sei, daß ein aus sachlichen Gründen nicht gewollter Geschäftsabschluß nur noch schwer vermeidbar erscheine. Ein solcher Druck könne in der Fristsetzung von 10 Tagen zur Annahme eines Anbotes zum bevorzugten Kauf einer Münze zum Sonderpreis von S 97,50 nicht erkannt werden. Daß das Schriftstück beim ersten Ansehen den Anschein eines amtlichen Charakters erwecke, führe nicht dazu, daß der Verbraucher vermeinen müßte, zur Vermeidung von Rechtsnachteilen innerhalb von 10 Tagen eine Bestellung machen zu müssen.

Rechtliche Beurteilung

Die von beiden Parteien erhobenen Revisionsrekurse sind zwar zulässig, weil ein vergleichbarer Sachverhalt noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes war; sie sind aber nicht berechtigt.

I. Zum Revisionsrekurs der Beklagten:

Die Beklagte hält auch in dritter Instanz daran fest, daß ihr Werbebrief gar nicht geeignet sei, den Empfänger über Herkunft und Bedeutung des Werbebriefes zu täuschen. Auch ein einfacher Verbraucher wisse, daß amtliche, eigenhändig zuzustellende Sendungen nicht in einen Postkasten eingeworfen werden. Die Verwendung färbiger Briefumschläge sei durchaus gängig. Da Blau die Firmenfarbe der Beklagten sei, müsse ihr das Verwenden blauer Kuverts zugebilligt werden. Die Aufschrift des Kuverts als "Zuweisungs -bescheinigung und Auswahl -bescheid" vermöge ebensowenig eine amtliche Eigenschaft vorzutäuschen. Dem kann nicht gefolgt werden:

Sowohl der Briefumschlag als auch der darin enthaltene Werbebrief sind offenbar ganz bewußt der Gestaltung amtlicher Bescheide nachempfunden. Zwar wird der Begriff des "Bescheids" auch in der Alltagssprache gebraucht - so etwa im Zusammenhang mit Wortverbindungen wie "Bescheid geben" oder "Bescheid wissen" -; das ändert aber nichts daran, daß "Bescheid" die allgemein bekannte Bezeichnung der verwaltungsbehördlichen Entscheidungen ist. Durch die Verwendung des Begriffes "Auswahl-Bescheid" entsteht damit auf den ersten Blick der Eindruck, es liege eine behördliche Erklärung vor. Der Ausdruck "Zuweisungsbescheinigung" löst - zumindest für Angehörige der älteren Generation - die Assoziation zu behördlichen Maßnahmen wie etwa der Zuweisung von Wohnraum oder Lebensmittelkarten udgl aus. Daß Blau zur Ausstattung der Beklagten gehört, ist ohne Bedeutung. Bei Betrachtung des Kuverts kann der Leser keine Verbindung zur Beklagten, deren Name nirgends auf dem Briefumschlag zu lesen ist, herstellen. Der blaue Farbton wird selbstverständlich auch nicht für sich allein der Beklagten zugeordnet und eine solche Verkehrsdurchsetzung dieses Farbtons als Ausstattung (§ 9 Abs 3 UWG) demgemäß auch nicht behauptet.

Ein mündiger und verständiger Verbraucher wird nach Durchlesen des Textes der "Zuweisungsbescheinigung" wohl erfassen, daß es sich dabei nicht um den Bescheid einer Behörde, sondern um die Werbeschrift eines privaten Unternehmens handelt. Aus dem Briefumschlag vermag er dies jedoch nicht - zumindest nicht sicher - zu erkennen. Ein Empfänger, der schon öfters blaue Briefe von Behörden bekommen hat, muß ja noch lange nicht daraus, daß der Brief der Beklagten nicht mittels Rückscheines zugestellt wurde, den Schluß ziehen, es könne deshalb kein amtliches Schreiben sein. Nicht jede amtliche Verständigung erfolgt mit Rückschein. Daß aber etwa blaue Kuverts nur in Verbindung mit einer eigenhändigen Zustellung verwendet würden, kann nicht als selbstverständliche Annahme jedermanns angesehen werden.

Wie schon das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt ein Verstoß gegen die guten Sitten ua dann vor, wenn Kundenfang mittels Täuschung betrieben wird (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht19, 406 ff Rz 4 ff zu § 1 dUWG; Köhler/Piper UWG 129 Rz 8 zu § 1 dUWG; Fitz/Gamerith, Wettbewerbsrecht 65). In diese Gruppe sind die Fälle des "Hereinlegens" (Baumbach/Hefermehl aaO 409 Rz 12) einzuordnen. Das liegt zB dann vor, wenn jemand unter irgendeinem Vorwand in den Laden gelockt wird, um ihn dort zum Kauf von Waren zu überreden, an deren Ankauf er nicht gedacht hat; oder wenn eine gewöhnliche Werbeschrift als "Extrablatt" überschrieben wird; wenn jemandem, der ein Grundstück sucht, vorgespiegelt wird, man biete ein solches an, ihm aber dann eröffnet, man habe zwar kein Grundstück, aber unerhört billige Möbel, oder wenn etwa ein briefliches Warenangebot mit der Aufschrift "Zahlungsbefehl" versehen wird, um den Empfänger zum Öffnen und Lesen zu veranlassen (Baumbach/Hefermehl aaO).

Durch die Gestaltung des Kuverts wird der Empfänger hier mit viel größerer Wahrscheinlichkeit zum Öffnen und Lesen veranlaßt, als wenn er von Anfang an wüßte, daß ihm die Beklagte ein Angebot macht. Das gleiche gilt aber auch für die Aufmachung des Textes, der im Hinblick auf seine Überschrift und das unten groß gedruckte Wort "Auswahl -bescheid" zunächst noch immer den Eindruck bestehen läßt, es handle sich um eine amtliche Sache.

Da die Beklagten die von ihnen angestrebte Aufmerksamkeit des Publikums durch dessen Täuschung herbeizuführen trachten, verstoßen sie gegen die guten Sitten.

Diese Vorgangsweise hat Ähnlichkeit mit den Fällen, in welchen ein Unternehmer in Verletzung des Offenkundigkeitsgrundsatzes eine Werbemaßnahme so tarnt, daß sie als solche den Umworbenen nicht erkennbar ist. Ankündigungen und Anpreisungen müssen nämlich als solche zu erkennen sein, kann doch der Umworbene, der gar nicht mit einer Werbebotschaft rechnet, besonders leicht überrumpelt werden (MR 1988, 208 - Erlagscheinwerbung I; ÖBl 1989, 74 - Erlagscheinwerbung III je mwN aus dem Schrifttum; ÖBl 1995, 64 - Fachbuchverlag). Mag auch im vorliegenden Fall der größere Teil des Publikums vor einem allfälligen Kaufentschluß noch erfassen, daß ihm ein Werbeschreiben vorliegt, so verstößt es doch auch schon gegen die guten Sitten, wenn die Ankündigung zunächst noch nicht eindeutig als Werbung zu erkennen ist.

Da schon aus diesem Grund das beanstandete Verhalten als sittenwidrig zu verbieten ist, braucht nicht mehr auf die Frage eingegangen zu werden, ob das Ausmaß der Belästigung mit jenem vergleichbar ist, daß mit einer Telegrammwerbung verbunden ist (dazu ÖBl 1996, 275 - Gesundes Schlafen).

Die Beklagte kann auch mit ihrem Hinweis auf "Artikel 37" (gemeint offenbar: Artikel 30) EGV nichts gewinnen. Sie hat dazu behauptet, daß sie die beanstandete Werbung gemeinsam mit ihrer in Deutschland ansässigen Stammgesellschaft durchführe. Daß sie aber die für den österreichischen Markt in österreichischen Schilling angebotenen Medaillen aus Deutschland einführte, hat sie nicht behauptet. Schon deshalb ist nicht zu erkennen, inwieweit das von der Klägerin angestrebte Verbot eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung (Artikel 30 EGV) sein sollte. Im übrigen wäre aber die beanstandete Werbung auch nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland als sittenwidrig unzulässig (vgl Baumbach/Hefermehl aaO Rz 12, wo der durchaus ähnliche Fall der Aufschrift "Zahlungsbefehl" auf einem brieflichen Warenangebot als Beispiel für sittenwidriges Hereinlegen angeführt wird).

Mit Recht haben daher die Vorinstanzen dem Verbotsbegehren zu lit a stattgegeben.

II. Zum Revisionsrekurs der Klägerin:

Die Klägerin meint, die in Postskriptum des Schreibens der Beklagten angeführte Fristsetzung bewirke psychischen Kaufzwang.

Eines der Mittel sittenwidrigen Kundenfanges ist das Ausüben psychischen Kaufzwanges (Koppensteiner, Wettbewerbsrecht**2 II 188; Fitz/Gamerith aaO 66). Psychischer Kaufzwang wird dann angenommen, wenn der Unternehmer Interessenten in eine derartige psychische Zwangslage bringt, daß sie sich einem Geschäftsabschluß nur schwer entziehen können, insbesondere wenn sie es als unanständig oder zumindest peinlich empfinden, nichts zu kaufen (Koppensteiner aaO; ÖBl 1978, 69 - Parfumerie - Gewinnspiel; ÖBl 1981, 12 - Yamaha-Chopper-Spiel; ÖBl 1990, 11 - Supermarkt - Gratisgabe uva). Psychischer Kaufzwang in diesem Sinn kann auf ganz verschiedene Weise zustandekommen. Sehr bedeutsam ist die Form des Kontaktes zwischen dem werbenden Unternehmer und dem Interessenten. So wird es viel eher als peinlich empfunden, dem Unternehmer oder seinen Angestellten gegenüber ein Angebot abzulehnen, als auf ein schriftliches Offert nicht einzugehen.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Empfängern die Möglichkeit einer schriftlichen Bestellung eingeräumt. Nach Meinung der Klägerin liegt der psychische Kaufzwang darin, daß den Empfängern des Schreibens eine Frist von 10 Tagen eingeräumt wurde, widrigenfalls ihr "verbürgter Anspruch" (auf den günstigen Einkaufspreis) verfalle. Damit werde dem Kunden die ruhige Prüfung des Angebotes unmöglich gemacht. Das werde durch den "behördlichen Eindruck" verstärkt. Dem ist folgendes zu erwidern:

Das beanstandete Postskriptum wird der Empfänger in aller Regel erst dann zu Gesicht bekommen, wenn er den vorangegangenen Werbebrief gelesen hat. Dann ist dem Leser aber - wie zum Revisionsrekurs der Beklagten schon ausgeführt wurde - in aller Regel klar geworden, daß er es entgegen dem zunächst erweckten Anschein nicht mit einer behördlichen Mitteilung zu tun hat. Er kann im übrigen auch deshalb nicht befürchten, daß er behördliche Sanktionen infolge seiner Säumigkeit zu befürchten habe, weil ganz klar zum Ausdruck gebracht wird, daß bei Nichteinhaltung der Frist von 10 Tagen (nur) sein Anspruch auf die Olympia-Medaille "verfalle".

Aus welchen Gründen sich ein Leser des Schreibens unter Druck gesetzt fühlen sollte, ist nicht zu erkennen. Für ihn braucht es in keiner Weise peinlich zu sein, von den Angebot nicht Gebrauch zu machen und den Bestellschein wegzuwerfen. Zieht er aber den Kauf einer solchen Medaille in Erwägung, dann hat er genügend Zeit, seinen Entschluß zu überlegen. Er wird ja nicht mit der Aufforderung überrumpelt, sofort zu bestellen, widrigenfalls eine günstigere Gelegenheit für immer vorübergehe; vielmehr wird ihm eine Frist von 10 Tagen eingeräumt.

Die Abweisung des Sicherungsbegehrens zu lit b erweist sich damit als berechtigt.

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Beschlusses.

Der Ausspruch über die den abweisenden Teil betreffenden Kosten der Beklagten gründen sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 Abs 1, § 52 ZPO, jener über die den stattgebenden Teil betreffenden Kosten der Klägerin auf § 393 Abs 1 EO und der Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 Abs 1, § 52 ZPO.

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