OGH 9ObA47/97w

OGH9ObA47/97w5.3.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter MR Mag.Heinrich Lahounik und DDr.Wolfgang Massl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Compagnie I*****, vertreten durch Dr.Bernhard Hainz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Gerhard S*****, Schlafwagenschaffner, *****, vertreten durch Dr.Georg Freimüller ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Zustimmung zur Entlassung, hilfsweise Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. November 1996, GZ 10 Ra 228/96i-67, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4. Dezember 1995, GZ 22 Cga 187/94v-54, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes über das Klagehauptbegehren als Teilurteil mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, daß es wie folgt zu lauten hat:

"Das Klagehauptbegehren auf Zustimmung zur Entlassung der beklagten Partei vom 14.September 1994 wird abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 11.435,40 bestimmten Kosten der Revision (darin enthalten S 1.905,90 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist seit 27.4.1976 - mit einer Unterbrechung vom 31.3.1981 bis 28.3.1982 - bei der Klägerin als Arbeiter beschäftigt. Er wurde zunächst als Buffet-Verkäufer, dann als Liegewagenbegleiter und seit Februar 1984 als Schlafwagenschaffner eingesetzt. 1988 wurde er in den Betriebsrat der Arbeiter des Betriebes "Fahrdienst" und kurz darauf zum Vorsitzenden des Zentralbetriebsrates im Unternehmen der Klägerin gewählt. Seit 29.3.1988 ist der Beklagte gemäß § 117 ArbVG vom Dienst freigestellt.

Das Klima zwischen dem Betriebsrat und der Unternehmensleitung der Klägerin ist angespannt. Beim Erstgericht sind zahlreiche Verfahren im Zusammenhang mit Entlassungen von Dienstnehmern der Klägerin wegen "Schwarzverkaufes" anhängig.

Die Klägerin begehrt in ihrer Klage, ihr die Zustimmung zur am 14.9.1994 erfolgten Entlassung des Beklagten zu erteilen. Seit 1990 hätten sich verbale Ausfälle des Beklagten sowohl gegen Organe des Unternehmens der Klägerin als auch gegenüber Mitarbeitern gehäuft. Der Bogen dieser Ausfälle habe sich von Beschimpfungen ("Arschloch", "Vollidioten") über Verspottungen ("Hypnotiseure", "Motiveure", "Astrologen"), Vorwürfen mangelnder Qualifikation oder des Intrigantentums gegenüber Vorgesetzten oder Mitarbeitern bis hin zu schlechtem Benehmen gespannt. Mitarbeiter hätten Beschwerden und Interventionsersuchen um Schutz vor Beleidigungen durch den Beklagten sowohl an die Betriebsleitung als auch an den Angestelltenbetriebsrat herangetragen. Mahnungen und Verwarnungen durch den Dienstgeber hätten keine Änderung im Verhalten des Beklagten bewirkt. Die durch dieses Verhalten verursachten Verunsicherungen und die Vergiftung des Betriebsklimas hätten dazu geführt, daß notwendige organisatorische Reformen ins Stocken geraten seien, womit der Beklagte in unzulässiger Weise in die Betriebsführung eingegriffen habe.

Zur Entlassung des Beklagten am 14.9.1994 sei es gekommen, weil er den Kontrollor Leopold K***** im Zusammenhang mit dessen Aussage in einem Arbeitsgerichtsverfahren in Gegenwart mehrer Mitarbeiter der falschen Zeugenaussage beschuldigt habe. Dieser Vorwurf stelle eine erhebliche Ehrverletzung und damit einen Entlassungsgrund im Sinne des § 122 Abs 1 Z 5 ArbVG dar. Nach Anhörung des Betriebsrates sei daher die Entlassung ausgesprochen worden.

Im weiteren Verlauf des Verfahrens erhob die Klägerin die Eventualbegehren auf Zustimmung zur Entlassung des Beklagten vom 3.2.1995 bzw auf Zustimmung zu seiner Kündigung. Der Beklagte habe Manipulationen am Computer des Betriebsrates vorgenommen, wodurch es zur Beschädigung von Daten gekommen sei. An der Anschlagtafel des Arbeiterbetriebsrates aufgehängte Rundschreiben seien beschädigt oder unkenntlich gemacht worden. Am 14.11.1994 sei der Magazinleiter Johann S***** in einem anonymen telefonischen Anruf bedroht worden. Die in der Folge getätigten polizeilichen Ermittlungen hätten sich auf den Beklagten konzentriert, seien jedoch mangels eindeutiger Nachweisbarkeit eingestellt worden. Am 3.2.1995 habe die Klägerin aus einem Rundschreiben des Arbeiterbetriebsrates von einer Privatanklage des mittlerweile zum Vorsitzenden des Arbeiterbetriebsrates bestellten Martin H***** gegen den Beklagten erfahren. Nachfragen hätten ergeben, daß der Beklagte nach seiner Abwahl als Betriebsratsvorsitzender seinen Nachfolger durch Äußerungen gegenüber Mitarbeitern schwer verunglimpft habe. Der Beklagte habe behauptet, daß H***** einem teuren Hobby nachgehe und verschuldet sei, da er regelmäßig ca zwei- bis dreimal pro Woche ein Bordell besuche und sich dort abartigen sexuellen Praktiken hingebe. Weiters habe der Beklagte seinen Nachfolger als wahnsinnig und schizophren bezeichnet. Dabei sei es dem Beklagten ausschließlich darum gegangen, seinen Nachfolger zu diskreditieren. Nach Anhörung des Betriebsrates sei daher am 3.2.1995 neuerlich die Entlassung ausgesprochen worden.

Der Beklagte beantragte, sämtliche Klagebegehren abzuweisen. Die von der Klägerin relevierten Vorfälle lägen - mit Ausnahme der behaupteten Äußerung gegenüber dem Kontrollor K***** - so lange zurück, daß sie - sollten sie überhaupt zutreffen - die ausgesprochene Entlassung nicht rechtfertigen könnten. In zwei Fällen hätten sich Angaben K*****s, die zur Entlassungen von Kollegen geführt hätten, in gerichtlichen Verfahren nicht als glaubwürdig erwiesen. Am 11.9.1994 habe der Beklagte das in einem von einer entlassenen Dienstnehmerin gegen die Klägerin angestrengten Verfahren ergangene Berufungsurteil gelesen. In entscheidungswesentlichen Punkten sei im erstinstanzlichen Verfahren Aussage gegen Aussage gestanden. Aufgrund ausführlicher Vernehmung der Beteiligten seien das und das Berufungsgericht zur Ansicht gelangt, daß der Klägerin geglaubt werden könne. Der Beklagte habe in der Folge zu seinem Erstaunen Leopold K***** als Supervisor bei Kassatätigkeiten angetroffen. In Anspielung an das Berufungsurteil habe er ihm mitgeteilt, daß die betroffene Dienstnehmerin auch in zweiter Instanz gewonnen habe und seine (des K*****) Aussagen nicht so glaubwürdig gewesen wären. In der Folge habe er K***** eine Kopie des Gerichtsurteiles ausgefolgt. Dieser habe nie Zeichen von Betroffenheit oder Beleidigung gezeigt.

Auch die Entlassung vom 3.2.1995 sei ungerechtfertigt. Ein gegen den Beklagten wegen Datenbeschädigung eingeleitetes Strafverfahren sei gemäß § 90 StPO eingestellt worden. Der Beklagte habe weder etwas beschädigt, noch Daten gelöscht. Die von seinem Nachfolger H***** in Form einer Privatanklage inkriminierten Äußerungen seien in dieser Form nicht gefallen. Der Beklagte habe lediglich gegenüber zwei Kollegen auf eindringliches Fragen geantwortet, er wisse zu viel über das Privatleben seines Nachfolgers. Eine etwaige Beleidigung H*****s habe zu keiner schwerwiegenden Störung des persönlichen Kontaktes zwischen der Klägerin und dem Beklagten führen können. Der Klägerin sei nur daran gelegen, ein engagiertes und ihr unliebsames Mitglied des Betriebsrates loszuwerden.

Das Erstgericht erteilte (in Stattgebung des Eventualbegehrens) die Zustimmung zur Entlassung des Beklagten vom 3.2.1995 und wies "das Mehrbegehren" (richtig: das Klagehauptbegehren) auf Zustimmung zur Entlassung vom 14.9.1994 ab. Zur Abweisung des Hauptbegehrens - nur diese ist Gegenstand des Revisionsverfahrens - traf es folgende wesentliche Feststellungen:

Seit Jahren befleißigt sich der Beklagte gegenüber Mitarbeitern der Klägerin eines jenseits herrschender Umgangsformen liegenden Tones. Dies führte zu Beschwerden von Bediensteten und Ersuchen um Abhilfe sowohl bei dem - hiefür wohl nicht zuständigen - Vorsitzenden des Angestelltenbetriebsrates, als auch bei leitenden Angestellten der Klägerin. Demonstrativ für dieses seit etwa 1990 gesetzte Verhalten sind folgende Vorkommnisse anzuführen:

1992 oder 1993 traf der Beklagte in einem Bahnhofsbüro auf einen sogenannten "Standkontrollor", der bei abfahrenden Zügen Warenstandskontrollen vornehmen sollte, aber nicht zur Kontrolle jedes Zuges verpflichtet und gelegentlich auch mit Büroarbeiten befaßt war. Zu diesem Kontrollor äußerte sich der Beklagte mit den Worten "Du fette Sau, sitz nicht herum, schleich Dich hinaus zu Deiner Arbeit". Der Standkontrollor wandte sich daraufhin mit einer Beschwerde an den Vorsitzenden des Angestelltenbetriebsrates. Ein ähnlicher Sachverhalt (Beschimpfungen von Angestellten durch den Beklagten) hatte bereits 1990 zu einem Beschwerdebrief an den Vorsitzenden des Angestelltenbetriebsrates geführt. Der Brief wurde von elf Bediensteten gezeichnet. In einem Telefonat mit dem damaligen Personalchef der Klägerin am 8.6.1991 gab der Beklagte folgende Äußerungen ab: "Herr Doktor, wenn Sie als Kontrollore lauter Vollidioten haben, einschließlich der Standkontrolle, dann .......". Am 21.6.1991 versuchte der Beklagte, den Personalchef telefonisch zu erreichen. Dieser führte jedoch Aufnahmegespräche und bat deshalb seine Sekretärin, Telefongespräche nicht durchzustellen und jedem Anrufer einen Rückruf anzubieten. Der Beklagte meinte daraufhin, er lasse sich dies nicht bieten und kam in Begleitung des Vorsitzenden des Angestelltenbetriebsrates in die Firmenleitung. Dort riß er, ohne sich anzumelden, die Bürotür auf und stand plötzlich im Personalbüro. Obwohl er sah, daß der Personalchef beschäftigt war, ließ er sich für einige Zeit nicht bewegen, das Büro zu verlassen. Gegenüber der Sekretärin erklärte er, daß diese "in der in der Firma üblichen intriganten Art" agiere. Nachdem der Beklagte gegenüber dem Personalchef den Vorwurf des Wortbruches wiederholt hatte, erklärte dieser das Gespräch für beendet.

Am 17.7.1991 richtete der Klagevertreter eine schriftliche Verwarnung an den Beklagten, in der er die Entlassung androhte.

Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt wurden bei der Klägerin beschäftigte Kellner durch Kaffeemaschinen verbrüht. Eveline M*****, die 1989 anläßlich einer Betriebsratswahl gegen den Beklagten kandidiert hatte, war damals Standkontrollorin und hatte die Aufgabe, den Warenstand in den Waggons zu kontrollieren und auf Sauberkeit zu achten. Eine Kontroll-, Reparatur- oder Überwachungspflicht in bezug auf Kaffeemaschinen kam ihr nicht zu. Der Beklagte fragte sie, ob sie sich die Kaffeemaschinen in einem bestimmten Zug angeschaut habe. Nachdem sie dies verneint hatte, sagte er zu ihr in Gegenwart zweier angestellter Personen: "Du bist doch das größte Arschloch".

Die eben geschilderten und andere Ausfälle des Beklagten gegenüber Dienstnehmern standen in tatsächlichem oder vermeintlichem Zusammenhang mit einer Betriebsratstätigkeit des Beklagten.

Der seit 1978 bei der Klägerin beschäftigte Leopold K***** ist seit 1990 im Angestelltenverhältnis als Kontrollor tätig. Am 11.9.1994 wurde er an der Kassa am Wiener Westbahnhof eingeschult. Im Kassenraum befanden sich neben K***** und dem ihn einschulenden Kollegen fünf dem K***** unterstellte Mitglieder des Personals. Plötzlich kam der Beklagte mit einer weiteren Mitarbeiterin in den Raum und sagte unter Anspielung auf einen Arbeitsgerichtsprozeß "sinngemäß" zu K*****, dieser hätte dort eine falsche Zeugenaussage gemacht, er (der Beklagte) wundere sich, daß so jemand in der Firma als Kontrollor tätig sei. Etwas später übergab der Beklagte eine Kopie des Protokolles aus dem Gerichtsakt an K*****. K*****, der durch den Vorfall tief betroffen war, verfaßte darüber ein Protokoll und informierte seinen Vorgesetzten. Am 14.9.1994 sprach daraufhin die Klägerin nach internen Erhebungen und nach Anhörung des Betriebsrates, der sich einstimmig gegen die Entlassung aussprach, die Entlassung des Beklagten aus.

Am 16.9.1994 wurde die vorliegende Klage überreicht.

Das Erstgericht vertrat dazu die Rechtsauffassung, daß die Äußerungen des Beklagten gerade noch entschuldbar im Sinne der Mandatsschutzklausel des § 120 Abs 1 ArbVG seien. Der juristisch nicht gebildete Beklagte habe dem Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien (13 Cga 256/93y) entnehmen können, daß der Aussage des K***** nicht gefolgt worden sei und habe dies unzutreffend in Richtung einer Falschaussage des K***** ausgelegt.

Die (nicht den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildende) Entlassung des Beklagten vom 3.2.1995 erachtete das Erstgericht hingegen als berechtigt.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung der Klägerin die klageabweisende Entscheidung über das Hauptbegehren in ein der Entlassung vom 14.9.1994 zustimmendes Teilurteil ab. Die Entscheidung über die Berufung des Beklagten gegen die Stattgebung des (ersten) Eventualbegehrens behielt das Berufungsgericht der Endentscheidung vor.

Es vertrat die Rechtsauffassung, daß bereits der Vorfall vom 11.9.1994 (Vorwurf der falschen Zeugenaussage gegenüber K*****) die Zustimmung des Gerichtes zur Entlassung des Beklagten rechtfertige. Das Erstgericht habe festgestellt, daß sich der Beklagte gegenüber Mitarbeitern eines jenseits herrschender Umgangsformen liegenden Tones befleißige und habe auch demonstrativ einige dieser gravierenden Vorkommnisse aufgezählt. Alle diese Vorfälle könnten zwar zur Begründung der Entlassung vom 14.9.1994 nicht mehr herangezogen werden, gäben aber Aufschluß über die Persönlichkeit des Beklagten und seine Haltung gegenüber dem Dienstgeber und Mitarbeitern. Die Beleidigung des Kontrollors K***** durch den Beklagten könne nicht dadurch entschuldigt werden, daß der Beklagte juristisch nicht gebildet sei. Einen infolge Rechtsunkenntnis unterlaufenden Irrtum über die Bedeutung der Ausführungen des Erstgerichtes und des Berufungsgerichtes im Verfahren 13 Cga 256/93y des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien habe der Beklagte gar nicht behauptet. Weder dem Ersturteil noch dem Berufungsurteil könne der Vorwurf der falschen Aussage gegen Leopold K***** entnommen werden. Soweit der Beklagte K***** vor mehreren Mitarbeitern der Klägerin - wenn auch nur sinngemäß - der falschen Zeugenaussage, somit einer gerichtlich strafbaren Handlung, beschuldigt habe, sei dadurch eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Betriebsratmitglied und Betriebsinhaber unmöglich gemacht worden. Die verbalen Ausfälle des Beklagten hätten sich bereits vor dem in Rede stehenden Vorfall überwiegend gegen die als Kontrollore eingesetzten Dienstnehmer der Klägerin gerichtet. Durch den Vorwurf der falschen Zeugenaussage habe der Beklagte neuerlich versucht, die Autorität eines Kontrollors gegenüber den anderen Dienstnehmern zu untergraben. Es liege auf der Hand, daß dadurch dem Leopold K***** die Ausübung seiner Funktion erschwert worden sei, zumal der Beklagte gleichzeitig auch seine Eignung als Kontrollor in Frage gestellt habe. Die Klägerin sei aber mit Rücksicht auf die Eigenart ihres Betriebes auf ein funktionierendes Kontrollsystem angewiesen. Daher beeinträchtige die Beleidigung des Kontrollors K***** auch massiv die Interessen der Klägerin. Da der Beklagte sein Verhalten trotz einer am 17.7.1991 erfolgten schriftlichen Verwarnung fortgesetzt habe, sei der Klägerin nach der neuerlichen Verfehlung am 11.9.1994 die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zumutbar. Mit der Mandatsschutzklausel könne die Verfehlung des Beklagten vom 11.9.1994 nicht gerechtfertigt werden. Der Betriebsrat sei nicht der gesetzliche Vertreter der Belegschaft oder einzelner Arbeitnehmer in bezug auf deren privatrechtliche Ansprüche. Somit sei dem Beklagten in der Rechtssache der damals klagenden Dienstnehmerin, in der es ausschließlich um die Verfolgung privatrechtlicher Ansprüche gegangen sei, keine Funktion zugekommen.

Über die Berufung des Beklagten könne derzeit nicht entschieden werden, weil sie nur ein Eventualbegehren der Klägerin betreffe, über das nur zu entscheiden sei, wenn das Hauptbegehren abgewiesen worden sei.

Gegen den der Berufung der Klägerin stattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Teilurteil im Sinne der Abweisung des Klagehauptbegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Aus dem Umstand, daß das Erstgericht die Äußerung des Beklagten vom 11.9.1994 über eine falsche Zeugenaussage K*****s (nur) "sinngemäß" feststellte, versucht der Revisionswerber abzuleiten, daß der Klägerin der Beweis einer Erklärung dieses Inhaltes in Wahrheit nicht gelungen sei. Dieser Einwand erweist sich als unzulässiger Versuch, die für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen des Erstgerichtes zu bekämpfen. Nach diesen ist davon auszugehen, daß die Äußerung des Beklagten - mag auch ihr exakter Wortlaut nicht feststehen - ihrem Sinne nach den Vorwurf der falschen Zeugenaussage enthielt.

Zu Recht beruft sich der Revisionswerber aber auf die "Mandatsschutzklausel" des § 120 Abs 1 ArbVG:

Nach dieser Bestimmung hat das Gericht ua im hier geltend gemachten Fall des § 122 Abs 1 Z 5 ArbVG (Tätlichkeiten oder erhebliche Ehrverletzungen) "die Klage auf Zustimmung zur Kündigung oder Entlassung eines Betriebsratsmitgliedes abzuweisen, wenn sie sich auf ein Verhalten des Betriebsratsmitgliedes stützt, das von diesem in Ausübung dieses Mandates gesetzt wurde und unter Abwägung aller Umstände entschuldbar war." Durch diese Regelung soll erreicht werden, daß bei jenen Kündigungs- und Entlassungstatbeständen, denen ein Sachverhalt zugrunde liegt, der die Möglichkeit einer Kollision der arbeitsvertraglichen Pflichten eines Betriebsratsmitgliedes mit dessen Aufgaben und Befugnissen als gewählter Vertreter der Arbeitnehmer des Betriebes in sich schließt, im Verfahren vor dem Gericht das Verhalten des betroffenen Betriebsratsmitgliedes einer besonderen Prüfung unterzogen und abgewogen wird, inwieweit besondere Umstände für die Handlungsweise als kausal und als entschuldbar angesehen werden können (Schwarz in Cerny/Haas-Laßnigg/Schwarz, Arbeitsverfassungsrecht III 383). Sind provozierende Äußerungen des Arbeitgebers oder einer anderen angegriffenen Person im Betrieb für die Verfehlung des Betriebsratsmitgliedes bei Ausübung des Mandates kausal und wesentlich, wird das Verhalten entschuldbar sein. Das wird gerade bei Ehrverletzungen des öfteren in Frage kommen (Floretta/ Strasser, ArbVG 865). Das Gericht hat eine besondere Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei und bei der Feststellung der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ist darauf Bedacht zu nehmen, ob die objektiv rechtswidrige Handlung des Betriebsratsmitgliedes bei Erfüllung der Betriebsratsaufgaben vorgekommen ist. Konnte das Betriebsratsmitglied der Meinung sein, daß eine befugte Mandatsausübung vorliegt, ist die Mandatsschutzklausel auch dann anzuwenden, wenn objektiv gesehen eine Kompetenzüberschreitung vorliegt, also das Betriebsratsmitglied beispielsweise in Angelegenheiten interveniert, in denen gar keine Interessenvertretungsaufgabe durch das Gesetz vorgesehen ist (Schwarz aaO 384 unter Hinweis auf VwGH, DRdA 1986, 146 = RdW 1986, 89 = infas 1986, A 25).

Auf dieser Grundlage kann der Meinung des Berufungsgerichtes, die "Mandatsschutzklausel" sei hier nicht anwendbar, nicht beigetreten werden.

Wie das Erstgericht (unbestritten) als gerichtsbekannt erachtete und auch dem beiderseitigen Vorbringen zu entnehmen ist, war im für die zu beurteilende Entlassung maßgeblichen Zeitpunkt das Verhältnis zwischen der Firmenleitung und dem Betriebsrat gespannt. Es waren zahlreiche Arbeitsgerichtsverfahren anhängig, in denen es um Entlassungen wegen "Schwarzverkaufes" und um Möglichkeiten ging, Schwarzverkäufe zu verhindern. Auch der Vorfall vom 11.9.1994 stand mit diesem Thema in Zusammenhang: Anschuldigungen des Kontrollors K***** hatten zur Entlassung einer Dienstnehmerin wegen Schwarzverkaufes geführt, waren aber im daraufhin eingeleiteten gerichtlichen Verfahren nicht als erwiesen angenommen worden. Dieses Ergebnis des Gerichtsverfahrens hielt der Beklagte jenem Kontrollor vor, dessen Angaben für die vom Gericht als unberechtigt erachtete Entlassung einer Dienstnehmerin ausschlaggebend waren. Daß das von der betroffenen Dienstnehmerin eingeleitete Gerichtsverfahren ohnedies bereits in ihrem Sinne abgeschlossen war und sie daher des Schutzes durch den Betriebsrat nicht mehr bedurfte, ist richtig. Angesichts der Aktualität, daß diesem auch für andere Dienstnehmer der Klägerin bedeutsamen Thema damals im Betrieb im Hinblick auf die zahlreichen anhängigen Gerichtsverfahren zukam, muß aber dem Beklagten zumindest zugebilligt werden, daß er der Meinung sein konnte, im Rahmen der Ausübung seines Mandates zu handeln. Dies reicht aber - wie gezeigt - für die Anwendung der "Mandatsschutzklausel" aus.

Bei der demgemäß vorzunehmenden Interessensabwägung sind folgende Überlegungen anzustellen:

Dem Berufungsgericht ist zuzubilligen, daß genaues Studium des Erst- und des Berufungsurteiles im Verfahren 13 Cga 256/93y des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien zum Ergebnis führt, daß der an K***** gerichtete Vorwurf der falschen Zeugenaussage aus diesen Entscheidungen nicht abgeleitet werden kann. Im (vom Berufungsgericht bestätigten) Ersturteil, das der Aussage des Kontrollors K***** nicht folgt, wird dies nämlich ausdrücklich damit begründet, daß unter den gegebenen Umständen ein Irrtum K*****s nicht auszuschließen sei (S 95 in ON 17 im Akt 13 Cga 256/93y des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien). Die Äußerungen des Beklagten vom 11.9.1994 erfolgten aber unter dem Eindruck des unmittelbar vorher zugestellten Berufungsurteiles, das zwar die Beweiswürdigung des Erstgerichtes billigt, dessen Überlegungen aber nicht im einzelnen wiedergibt und lediglich festhält, daß "letztlich Aussage gegen Aussage" gestanden und nicht zu beanstanden sei, daß das Erstgericht unter Hinweis auf den von ihr gewonnenen persönlichen Eindruck der Klägerin geglaubt habe (S 6 in ON 23 im Akt 13 Cga 256/93y des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien). Bei der hier wegen des Gewichtes des vom Kläger gegen K***** erhobenen Vorwurfes gebotenen strengen Betrachtung ist daher dem Beklagten der Vorwurf einer fahrlässigen Ehrverletzung zu machen. Angesicht des Eindruckes, den man bei isolierter Betrachtung des Berufungsurteiles aus diesem gewinnen kann, ist aber dem Beklagten zuzubilligen, daß ihm seine Fehlinterpretation des Verfahrensausganges nur als leichte Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist. Zugunsten des Beklagten ist ferner zu berücksichtigen, daß die ihm anzulastende Ehrverletzung letztlich eine Reaktion auf ein Verhalten der angegriffenen Person war, das Anlaß für die vom Gericht als ungerechtfertigt erachtete Entlassung einer Dienstnehmerin war.

Aus all diesen Überlegungen ist es aber bei Abwägung aller hier in Betracht kommender Interessen gerechtfertigt, das Verhalten des Beklagten noch als entschuldbar iS § 120 Abs 1 ArbVG zu betrachten und deshalb der aus Anlaß dieses Verhaltens ausgesprochenen Entlassung die Zustimmung zu versagen.

Die früheren vom Erstgericht festgestellten Ehrverletzungen durch den Beklagten können eine andere Beurteilung ebensowenig rechtfertigen, wie jene, die von der Klägerin darüberhinaus behauptet, vom Erstgericht aber nicht festgestellt wurden. Sämtliche geltend gemachten Vorfälle liegen soweit zurück, daß sie die am 14.9.1994 ausgesprochene Entlassung nicht begründen können. Sie können nur unterstützend in die Beurteilung des Verhaltens des Beklagten vom 11.9.1994 einfließen; angesichts der dargestellten Überlegungen sind sie aber nicht geeignet, an der Qualifikation dieses Verhaltens als noch entschuldbar iS § 120 Abs 1 ArbVG etwas zu ändern.

In Stattgebung der Revision war daher die erstgerichtliche Entscheidung über das Hauptbegehren des Klägers als Teilurteil - aus Gründen der Klarstellung mit der Maßgabe der im Spruch ersichtlichen Umformulierung - wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG. Obzwar die Entscheidung über die Berufung des Beklagten gegen die Stattgebung des (ersten) Eventualbegehrens noch ausständig ist, kann über Kosten des Revisionsverfahrens schon jetzt entschieden werden, da das das Hauptbegehren betreffende Revisionsverfahren die Berechtigung einer von der nachfolgenden unabhängigen Entlassung betrifft und sohin als von der Endentscheidung losgelöster Zwischenstreit zu betrachten ist.

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